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  • 02.11.2010 · IWW-Abrufnummer 113682

    Finanzgericht München: Urteil vom 16.03.2010 – 6 K 4923/06

    1. Stellt die Schweiz im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen einer deutschen Staatsanwaltschaft Beweismittel zur Verfügung, sind die Bedingungen, die die Schweiz an die Rechtshilfe geknüpft hat, zu beachten. Haben danach die Schweizer Institutionen ein Verwertungsverbot verfügt (sog. Spezialitätsvorbehalt), richtet sich dessen Reichweite nicht nach dem zugrunde liegenden Recht der Schweiz, sondern nur nach dem Wortlaut der maßgeblichen Auflagen.



    2. Haben die Schweizer Institutionen die direkte und indirekte Verwendung der erhaltenen Unterlagen für ein fiskalisches Straf- oder Verwaltungsverfahren ausgeschlossen, besteht im steuerlichen Veranlagungsverfahren und im hieran anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren ein Verwertungsverbot der unter dem Spezialitätsvorbehalt gelieferten Beweismittel. Das finanzgerichtliche Verfahren ist Teil des fiskalischen Verwaltungsverfahrens i.S. d. Spezialitätsvorbehalts.



    3. Rechtsfolge des Verwertungsverbots ist, dass die Verböserungen im finanzgerichtlichen Verfahren, die sich bei der Veranlagung ergeben haben, rückgängig zu machen sind.


    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL
    In der Streitsache
    hat der 6. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung […] aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2010
    für Recht erkannt:
    1. Dem Finanzamt wird aufgegeben,
    Der Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2001 vom 5. Mai 2008 und der Gewerbe steuermessbetragsbescheid 2003 vom 26. Mai 2009 und die Zerlegungsbescheide für die Jahre 2001 und 2003 sind entsprechend zu ändern. Das Finanzamt hat der Klägerin die Berechnungsergebnisse unverzüglich formlos mitzuteilen. Nach Rechtskraft der Entscheidung sind die Verwaltungsakte mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.
    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
    3. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
    Gründe
    I.
    Die Klägerin ist eine GmbH, die mit der notariellen Gründungsurkunde von … gegründet wurde. Noch in der Gründungsurkunde bestellten sich die beiden je zur Hälfte beteiligten Gesellschafter als jeweils allein vertretungsberechtigte Geschäftsführer. Sie übten die Geschäftsführertätigkeit in allen Streitjahren aus.
    Die Firma X hat ihren Sitz in der Schweiz. Nach dem Handelsregister befand sich ihr Domizil in der Schweiz. Gesellschafter und Geschäftsführer waren nach dem Handelsregister A und B. Nach Auskunft des Bundesamts für Finanzen im Schreiben vom … handelt es sich um eine Domiziladresse, an der eine Vielzahl von Firmen ihren Rechtssitz hat. Unter anderem befindet sich unter der gleichen Adresse der Sitz der Treuhandfirma A-Treuhand AG. Einen eigenen Telefonanschluss der X konnte das Bundesamt für Finanzen nicht ermitteln.
    Im Jahr 2004 wurde gegen die Klägerin ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, das zu einer Durchsuchung führte. Die Steuerfahndung kam nach der Durchsuchung zum Ergebnis, dass die Gesellschafter der Klägerin die wahren Gesellschafter der X seien. Dieses Ergebnis leitete die Steuerfahndung aus folgenden bei der Durchsuchung und im Anschluss hieran gewonnenen Unterlagen ab …
    Der Beklagte, das Finanzamt (FA), folgte den Feststellungen der Steuerfahndung im Ermittlungsbericht.
    Die deutsche Staatsanwaltschaft begehrte Rechtshilfe durch die Schweiz. Mit der Eintretungsverfügung vom … 2005 gewährte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug Rechtshilfe durch Sicherstellung von Unterlagen in der Schweiz. Die sichergestellten Unterlagen gelangten aufgrund von Rechtsmitteln der X indes nicht alsbald in den Besitz der Steuerfahndung.
    Mit der Einspruchsentscheidung vom … wies das FA die Einsprüche der Klägerin als unbegründet zurück.
    Während des Klageverfahrens erging im Jahr 2007 die Schlussverfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug. Die Staatsanwaltschaft verfügte die Herausgabe von Unterlagen an die deutsche Staatsanwaltschaft u.a. mit folgender Auflage:
    „3. Die rechtshilfeersuchende Behörde wird darauf hingewiesen, dass gestützt auf denschweizerischen Vorbehalt zu Art. 2 EUeR (= Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959) und auf die Art. 67 und 63 IRSG (= Bundesgesetz der Schweiz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen) die Rechtshilfeleistungfolgendem Spezialitätsvorbehalt unterliegt:


    In keinem Fall gestattet ist die direkte oder indirekte Verwendung der erhaltenen Unterlagen und der darin enthaltenen Angaben für ein fiskalisches Straf- oder Verwaltungsverfahren.
    Jegliche weitere Verwendung dieser Unterlagen und Informationen bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Bundesamtes der Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Postfach 3003 Bern, die vorgängig einzuholen ist.”
    Nachdem die Steuerfahndung die Unterlagen aus der Schweiz erhalten hatte, wertete siediese im geänderten Ermittlungsbericht vom … aus. Insbesondere führte die Steuerfahndung in Tz. … des geänderten Ermittlungsberichts aus:
    „Da nunmehr die komplette Buchführung der X vorliegt, kann die Bemessungsgrundlage wesentlich einfacher und ohne Schätzungen ermittelt werden. Hierzu wird die Gewinnermittlungder X übernommen und um die Zahlungen korrigiert, die nach deutschem Recht nicht abziehbar sind …”.
    Die neuen Berechnungen führten zu folgenden verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA)

    Das FA folgte dem geänderten Ermittlungsbericht mit den Änderungsbescheiden aus dem Jahr 2008. Mit den Bescheiden setzte es die Körperschaftsteuer 2001 und 2002 herab. Entsprechend setzte es die Gewerbesteuermessbeträge 2001 und 2002 herab und passte die Zerlegungsbescheide an.
    Mit dem Körperschaftsteuerbescheid für 2003 vom … erhöhte das FA die Körperschaftsteuer 2003. Den Gewerbesteuermessbetrag 2003 erhöhte das FA mit Bescheid vom … und passte die Zerlegungsbescheide unter demselben Datum entsprechend an.
    II.
    Die Klage ist teilweise begründet.
    1. Bei allen nachfolgenden Sachverhaltsfeststellungen und -würdigungen ist das sich aus dem sogenannten „Spezialitätsvorbehalt” ergebende Verwertungsverbot zu berücksichtigen. Dies führt zum Teilerfolg der Klage betreffend das Jahr 2003.
    a) Stellt die Schweiz im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen einer deutschen Staatsanwaltschaft Beweismittel zur Verfügung, so sind gemäß § 72 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Bedingungen, die die Schweiz an die Rechtshilfe geknüpft hat, zu beachten. Ein Verwertungsverbot besteht danach, soweit Beweismittel unter „Bedingungen” zur Verfügung gestellt wurden, die ihrer schrankenlosen Verwendung entgegenstehen. Entscheidend dafür, ob die von der Schweiz erlangten Beweismittel uneingeschränkt oder nur für bestimmte Zwecke im Inland ausgewertet werden dürfen, ist somit, ob bzw. für welche Zwecke die Schweiz eine Verwertung der Beweismittel ausdrücklich ausgeschlossen hat.
    Der Umfang eines Verwertungsverbots richtet sich nach den im jeweiligen Einzelfall gestellten Bedingungen, d.h. nach dem Wortlaut der jeweils konkret von den Schweizer Stellen gemachten Auflagen. Haben Schweizer Institutionen ein Verwertungsverbot verfügt (sogenannter „Spezialitätsvorbehalt”), so richtet sich die Reichweite also nicht nach dem zugrunde liegenden Recht der Schweiz, sondern nur nach dem Wortlaut der maßgeblichen Auflagen (vgl. hierzu Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 11. November 2004 5 StR 299/03 LG, NJW 2005, 300, 302 und insoweit übereinstimmend Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 29. Mai 2000 1A.155/2000, Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts, BGE 126 II 316; http://www.bger.ch). Demzufolge hat der Senat nur die tatsächlich von den Schweizer Institutionen verfügten Auflagen zu überprüfen.
    b) Im Streitfall besteht hiernach im steuerlichen Veranlagungsverfahren und im hieran anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren ein Verwertungsverbot der unter dem Spezialitätsvorbehalt gelieferten Beweismittel. Denn die Schweizer Institutionen haben eine Verwertung für steuerliche Zwecke ausdrücklich ausgeschlossen. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut der Auflagen. Näher geregelt wird in ihnen, in welchem Umfang die Verwertung der Beweismittel und Informationen für strafrechtliche Zwecke zulässig ist. Darüber hinaus verbieten sie jegliche weitere Verwertung in einem fiskalischen Verwaltungsverfahren, es sei denn, das Bundesamt für Justiz hätte sie im Voraus erlaubt. Da eine solche Erlaubnis nicht vorliegt, ist die Verwertung unzulässig, denn das finanzgerichtliche Verfahren ist Teil des fiskalischen Verwaltungsverfahrens im Sinne des Spezialitätsvorbehalts.
    Unzulässig ist danach nicht nur die direkte, sondern auch eine indirekte Verwertung. Dies entspricht dem Schweizer Verständnis des Spezialitätsvorbehalts und ist deshalb bei der Auslegung der Schweizer Auflagen vom Senat zu beachten (vgl. Wegleitung zur Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen des Schweizer Bundesamts für Justiz; 8. Auflage 1998).
    c) In der mündlichen Verhandlung wurde die Frage erörtert, ob die Klägerin nicht bereit ist, freiwillig auf die Anwendung des Spezialitätsvorbehalts zu verzichten. Da die Klägerin eine solche Erklärung nicht abgegeben hat, ist das Verwertungsverbot auch nicht unter diesem Gesichtspunkt entfallen.
    d) Rechtsfolge des Verwertungsverbots ist, dass die Verböserungen im finanzgerichtlichen Verfahren, die sich bei der Veranlagung im Jahr 2003 ergeben haben, rückgängig zu machen sind. Denn aus dem geänderten Ermittlungsbericht geht zweifelsfrei hervor, dass die von der Schweiz übersandten Unterlagen unzulässigerweise verwertet wurden. Daher dürfen nur die bereits vor der Auskunftserteilung angesetzten vGA der Versteuerung unterworfen werden, während die im Gesamtergebnis steuermindernden Änderungen durch die Außenprüfung 2003 andere Lebenssachverhalte betreffen und damit zu berücksichtigen sind.

    VorschriftenAO § 117

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