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  • 01.12.2007 | Checkliste

    Insolvenz: Strafrecht und wirtschaftliche Krise

    von RA Dr. Carsten Wegner, FA StrR, Berlin

    §§ 283bis 283d StGB (Insolvenzstraftaten) drohen für zahlreiche Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Unternehmens strafrechtliche Sanktionen an. Die wirtschaftliche Krise wird dabei umschrieben über die Merkmale 

    • Überschuldung
    • Zahlungsunfähigkeit
    • drohende Zahlungsunfähigkeit

     

    Auch der in verschiedenen Gesetzen enthaltene Tatbestand der Insolvenzverschleppung knüpft an die Krisenmerkmale der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit an, ohne diese Merkmale allerdings selbst zu definieren. Daneben kann die krisenbedingte Nichtzahlung von Forderungen verschiedene straf- und haftungsrechtliche Konsequenzen haben.  

     

    1. Allgemein zur wirtschaftlichen Krise

    Frage

    Antwort 

    1. Wann ist ein Unternehmen zahlungsunfähig?

    Nach § 17 Abs. 2 S. 1 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.  

    2. Sind für die Auslegung der strafrechtlichen Krisenbegriffe §§ 17bis 19 InsO maßgeblich?

    Dies ist strittig, wird aber vom 1. Strafsenat des BGH so gesehen (PStR 07, 253, Abruf-Nr. 072115; zumindest unklar BGH 19.4.07, 5 StR 505/06, Abruf-Nr. 072870). Gegen eine einheitliche straf- und insolvenzrechtliche Interpretation der Krisenmerkmale sprechen Erwägungen, die sich aus der Struktur und den Zielen des Insolvenzverfahrens ergeben (Achenbach GS Schlüchter, 2002, 257, 263 ff.). 

    3. Worin liegt die praktische Relevanz dieser Auseinandersetzung?

    Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 17 Abs. 2 InsO wurde gegenüber dem bisherigen Verständnis ausgeweitet. Zur Zeit des Konkurs(straf-)rechts wurde als zahlungsunfähig angesehen, wer mangels der erforderlichen Mittel voraussichtlich dauerhaft außerstande war, seine fälligen und von den Gläubigern ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten zumindest zu einem wesentlichen Teil zu erfüllen (BGH NJW 00, 154, 156; 01, 1874). Dabei wurden die verfügbaren Mittel zu den insgesamt fälligen Zahlungsverbindlichkeiten ins Verhältnis gesetzt. Eine strafrechtlich relevante Zahlungsunfähigkeit wurde (erst) angenommen, wenn 25 % der fälligen Forderungen ungedeckt waren (BayObLG wistra 88, 363; OLG Düsseldorf NJW-RR 98, 1256.). Mit der seit dem 1.1.99 maßgeblichen insolvenzrechtlichen Definition treten die strafrechtlichen Risiken früher ein.  

    4. Wann liegt nur eine Zahlungsstockung vor?

    Ein Liquiditätsproblem, dass sich voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit beheben lässt, gilt als – strafrechtlich irrelevante – Zahlungsstockung. Den Zeitraum, innerhalb dessen die Zahlungsstockung beseitigt sein muss – andernfalls wird sie als Zahlungsunfähigkeit behandelt –, fasst der BGH deutlich kürzer als zur Zeit des Konkursrechts. Als Zahlungsstockung ist nur noch eine Illiquidität anzusehen, die den Zeitraum nicht überschreitet, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Erforderlich – aber auch ausreichend – sollen drei Wochen sein. 

    5. Gibt es bestimmte Unterdeckungsgrenzen?

    Ein Schuldner gilt nicht bereits dann als zahlungsunfähig, wenn er außerstande ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu 100 % zu erfüllen. Um die Praxis in die Lage zu versetzen, den Begriff der „geringfügigen Liquiditätslücke“ (Zahlungsstockung) zu handhaben, setzt der BGH einen Schwellenwert von nur 10 % an (BGHZ 163, 134), die insolvenzrechtlich unbeachtlich sein sollen. Der 1. Strafsenat (PStR 07, 253, Abruf-Nr. 072115) folgt diesem restriktiven Ansatz der Zivilrechtsprechung. 

    6.Ist diese 10 %-Grenze ein starrer Wert?

    Nein, nach Ansicht des BGH reicht auch eine geringere Liquiditätslücke aus, wenn bereits absehbar ist, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Andererseits sei – trotz einer Liquiditätslücke von 10 % oder mehr – dann nicht von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst (fast) vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (BGHZ 163, 134; Meyer, PStR 07, 260 ff.). 

    7. Wie ist die Zahlungseinstellung von der Zahlungsunfähigkeit abzugrenzen?

    Zahlungseinstellung wird als nach außen dokumentiertes Anzeichen der Zahlungsunfähigkeit verstanden (§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO). Für den beteiligten Verkehrskreis muss sich der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (BGH DB 06, 2683). Die Zahlungseinstellung kann auch allein auf einem fehlenden Zahlungswillen des Unternehmers beruhen.  

     

    Eine Zahlungseinstellung i.S. des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO liegt also nicht nur vor, wenn der Schuldner für Dritte erkennbar und voraussichtlich auf Dauer aufhört, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen und dieses Vorgehen auf einem Mangel an Zahlungsmitteln beruht, sondern auch dann, wenn er – aus welchen Motiven auch immer – böswillig oder irrtumsbedingt seine Zahlungen einstellt und Ansprüche seiner Geschäftspartner bewusst nicht erfüllt, obwohl er nach seiner Vermögens- und Liquiditätslage hierzu in der Lage wäre.  

    8. Inwieweit hat die Zahlungseinstellung strafrechtliche Relevanz?

    Neben der Verwirklichung einer – im jeweiligen Tatbestand näher beschriebenen – Tathandlung setzt eine Strafbarkeit gemäß §§ 283bis 283d StGB voraus, dass das Unternehmen entweder  

    • die Zahlungen eingestellt hat,
    • ein Insolvenzverfahren eröffnet oder
    • ein diesbezüglicher Antrag mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse abgelehnt worden ist.

     

    Diese objektive Bedingung der Strafbarkeit ist in § 283 Abs. 6 StGB normiert, auf den alle folgenden Vorschriften verweisen (§ 283b Abs. 3 StGB, § 283c Abs. 3 StGB; tatbestandlich abgestimmt ebenfalls § 283d Abs. 4 StGB). Der Vorsatz des Betroffenen muss sich auf diesen Eintritt nicht erstrecken. 

    9. Schließen einzelne Zahlungen den Eintritt der Strafbarkeit aus?

    Nein. Nach Ansicht des BGH (DB 06, 2683) reicht die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten für eine Zahlungseinstellung aus. Dies gilt auch, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. 

    10. Kann die Zahlungseinstellung wieder beseitigt werden?

    Ja. Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung soll aber nur dadurch wieder beseitigt werden können, dass der Schuldner seine Zahlungen allgemein wieder aufgenommen hat (BGH DB 06, 2683). 

    11. Wie wird Zahlungsunfähigkeit festgestellt?

    Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit fordert eine sorgfältige Auswertung der unternehmerischen Daten. Die Erstellung eines Liquiditätsstatus erfordert für die Ermittlungsbehörden allerdings einen nicht unerheblichen Aufwand an Zeit und Kosten.  

    12. Gibt es alternativeFeststellungsmethoden der Zahlungsunfähigkeit?

    Ja. Angesichts der mit der Aufbereitung der wirtschaftlichen Verhältnisse verbundenen Schwierigkeiten orientieren sich Strafverfolgungsbehörden oft an einer wirtschaftskriminalistischen Betrachtungsweise der Zahlungsunfähigkeit. Der BGH (NStZ 03, 546) hat diese Methode, die das konkrete Zahlenmaterial außer Betracht lässt, ausdrücklich gebilligt.  

     

    Als wirtschaftskriminalistische Warnzeichen bzw. Krisensignale kommen z.B. in Betracht: 

    • Mahn- und Vollstreckungsbescheide,
    • fruchtlose Pfändungen,
    • Zahlungen mit vordatierten oder ungedeckten Schecks,
    • das Einlösen von Schecks über Privatkonten,
    • das Ausschöpfen und Überschreiten von Zahlungszielen,
    • der Übergang von der Bezahlung in vollen Beträgen zur Ratenzahlung,
    • der Abbruch von Geschäftsbeziehungen zu langjährigen Lieferanten,
    • Steuer- und Gehaltsrückstände sowie rückständige Sozialversicherungsbeiträge (SV-Beiträge).

     

    Die festgestellten Krisenmerkmale werden von den Ermittlungsbehörden in einem chronologischen Warnzeichendiagramm zusammengestellt. Aus dieser Übersicht sind Art und Zeitpunkt der Krisenmerkmale ablesbar. Vielfach kumulieren zu einem bestimmten Zeitpunkt zahlreiche Anzeichen von Illiquidität, sodass dieser Termin für die Zahlungsunfähigkeit herangezogen wird. 

    13. Warum sind rückständige SV-Beiträge Merkmal der Zahlungsunfähigkeit?

    Nach Ansicht des BGH ist die Nichtabführung von SV-Beiträgen ein starkes Indiz, welches für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit spricht, weil diese Forderungen in der Regel wegen der drohenden Strafbarkeit gemäß § 266a StGB bis zuletzt bedient werden (BGH ZIP 06, 1457).  

     

    Die strafbewehrte Sanktion lässt das Vorliegen einer bloßen Zahlungsunwilligkeit als unwahrscheinlich erscheinen, insbesondere bei einer monatelangen Nichtabführung von SV-Beiträgen.  

     

    Fehlen gegenläufige Indizien, die etwa in einem Bestreiten der nichterfüllten Forderungen des Sozialversicherungsträgers liegen können, reicht dieses starke Indiz nach Ansicht des BGH für sich genommen aus, um den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit als wahrscheinlich erscheinen zu lassen.  

     

    Befindet sich der Schuldner mit fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen von mehr als sechs Monaten im Rückstand, soll der Gläubiger den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit regelmäßig glaubhaft gemacht haben (BGH a.a.O.). Teilweise wird sogar vertreten, dass bereits drei Monatsrückstände hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile ausreichen (Bittmann/Volkmer wistra 05, 167). 

    14. Wann liegt Überschuldung vor?

    Nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen liegt eine Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO), die Passiva der Bilanz also die Aktiva übersteigen.  

     

    Sie ist abzugrenzen von der Unterbilanz (Reinvermögen erreicht nicht die Eigenkapitalziffer) und der Unterkapitalisierung (Missverhältnis von Eigenkapital und Geschäftsumfang, Anlagevermögen, Fremdkapital und Risiko). 

    15. Gilt diese Definition für alle unternehmerischen Rechtsformen?

    Ja. Zwar ist die Überschuldung gemäß § 19 Abs. 1, 3 InsO ein Insolvenzgrund nur bei juristischen Personen (z.B. GmbH, AG) und bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (z.B. GmbH & Co. KG).  

     

    Das Insolvenzstrafrecht kennt diese Differenzierung hinsichtlich des Krisenmerkmals der Überschuldung nicht, sondern erfasst auch die Überschuldung sonstiger Unternehmen und sogar natürlicher Personen als wirtschaftliche Krise i.S. des §§ 283 ff. StGB. Eine Insolvenzverschleppung ist allerdings nur dort strafbar, wo sie ausdrücklich normiert ist. 

    16. Warum ist zwischen formeller und materieller Überschuldung zu unterscheiden?

    Die Frage, ob eine (insolvenz-)strafrechtlich relevante Überschuldung eingetreten ist oder nicht, lässt sich nur durch die Gegenüberstellung von sämtlichen Aktiva und Passiva zu einem bestimmten Stichtag beantworten. Hierzu muss eine spezielle Überschuldungsbilanz erstellt werden (Überschuldungsstatus siehe BGH StV 05, 330).  

     

    Die Überschuldungsbilanz leitet sich als Sonderform der Handelsbilanz von dieser ab. Nur in Ausnahmefällen dürfte der reguläre Bilanzstichtag mit dem Datum zusammenfallen, an dem sich die Frage einer möglichen Überschuldung des Unternehmens stellt. Deshalb wird die Überschuldungsbilanz regelmäßig außerhalb der normalen Bilanzkontinuität gezogen.  

     

    Darüber hinaus weichen beide Bilanzformen auch von Ziel und Inhalt her voneinander ab. Es besteht keine widerlegbare Vermutung dafür, dass seit dem Eintritt der rechnerischen (formellen) Überschuldung auch eine rechtliche (materielle) Überschuldung vorlag, wenn das Unternehmen später zahlungsunfähig wird. 

    17. Werden im Überschuldungsstatus Fortführungs- oder Zerschlagungswerte zugrunde gelegt?

    Zur Zeit des Konkursrechts war dies umstritten. Mit der Neufassung des Überschuldungstatbestandes in § 19 Abs. 2 InsO ist für das neue Recht der zur Konkursordnung ergangenen Rechtsprechung zum „zweistufigen Überschuldungsbegriff“ (BGHZ 119, 201, 214) die Grundlage entzogen (BGH DB 07, 790). Grundsätzlich ist nun zunächst von Zerschlagungswerten auszugehen, d.h. die Überschuldungsprüfung nach Liquidationswerten (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO) ist nunmehr der Regelfall und die nach Fortführungswerten (§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO) der Ausnahmefall, der eine positive Fortführungsprognose voraussetzt (BGH ZIP 06, 2171).  

     

    Strittig ist, ob strafrechtlich Fortführungswerte bereits dann zu akzeptieren sind, wenn das Weiterbestehen des Unternehmens nicht ganz unwahrscheinlich und die enge insolvenzrechtliche Betrachtung strafrechtlich zu erweitern ist. 

    18. Was setzt eine solche Fortführungsprognose voraus?

    Eine günstige Fortführungsprognose setzt sowohl den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe als auch die objektive – grundsätzlich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept (Ertrags- und Finanzplan) herzuleitende – Überlebensfähigkeit des Unternehmens voraus (BGH ZIP 06, 2171).  

    19. Ist dem Unternehmensverantwortlichen ein Beurteilungsspielraum zuzumessen?

    Ja (BGH ZIP 07, 674). Begründet wird dies mit den gravierenden Sanktionen – Strafbarkeit einer, auch nur fahrlässigen, Insolvenzverschleppung und Schadensersatzpflicht aus § 823 Abs. 2 BGB, gegebenenfalls i.V.m. mit spezialgesetzlichen Sondertatbeständen je nach Rechtsform des Unternehmens – und der Unsicherheit prognostischer Einschätzungen.  

     

    Zu beachten ist darüber hinaus, dass die Vermögenssituation des Unternehmens nicht aus der Rückschau des aktuellen Ermittlungsverfahrens beurteilt werden darf, sondern auf die Erkenntnismöglichkeiten des Geschäftsführers (etc.) in der konkreten Situation abzustellen ist. 

     

     

     

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