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  • · Fachbeitrag · Sozialversicherungsrecht

    Wann sind Physiotherapeuten als „Gesellschafter“ einer Gemeinschaftspraxis selbstständig?

    Von RA, FA MedR Philipp Christmann, Berlin, christmann-law.de

    | Wann gilt ein Physiotherapeut als selbstständig und wann gilt Sozialversicherungspflicht? Diese Frage beschäftigt die Sozialgerichte regelmäßig (vgl. Beitrag in PP 02/2024, Seite 3 ff.). Ein Gesellschaftervertrag mit der Praxis bedeutet dabei nicht automatisch Selbstständigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Eine Physiopraxis, in der drei Therapeuten ohne eigene Zulassung, ohne eigenen Patientenstamm und ohne unternehmerisches Risiko beschäftigt waren, scheiterte mit ihrer Klage. Das Gericht sah die drei Therapeuten als abhängig beschäftigt an (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht [LSG], Urteil 28.01.2025, Az. L 10 BA 10005/21). |

    Physiopraxis scheitert mit ihrer Klage vor dem LSG

    Eine physiotherapeutische Gemeinschaftspraxis in der Form einer GbR, bestehend aus zwei zugelassenen Physiotherapeuten, klagte gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV). Diese hatte infolge einer Betriebsprüfung drei weitere in der Praxis beschäftigte Physiotherapeuten als abhängig beschäftigt eingestuft.

     

    Im gelebten Gesellschaftervertrag brachte die Klägerin ‒ ohne Eigentumsübertragung ‒ eine voll eingerichtete Praxis für Physiotherapie mit dem Patientenstamm zur Gebrauchsüberlassung durch die Gesellschaft ein, stellte eingeschränkt ihre Arbeitskraft zur Verfügung und verpflichtete sich, die Praxis stets in einem gebrauchsfähigen Zustand und mit einer sachlichen und personellen Ausstattung zu erhalten und zu versehen, wie sie dem typischen Bedarf der Praxis entspreche.

     

    Die anderen drei Therapeuten stellten der Praxis ihre volle Arbeitskraft, sofern vorhanden einen eigenen Patientenstamm und Gegenstände zur Verfügung, die jeweils zu listen waren. Solche Listen liegen nicht vor. Jeder Physiotherapeut war im Rahmen seiner beruflichen Behandlungs- und Therapietätigkeit gegenüber Patienten voll geschäftsführungsbefugt. Die Klägerin als GbR-Gesellschafterin alle anderen Geschäfte allein (z. B. betreffend die Praxisräume, -ausstattung, -personal und -leistungen). Die Physiotherapeuten erhielten als Gesellschafter einen Gewinnanteil i. H. v. 70 Prozent der Entgeltansprüche der von ihnen erbrachten Behandlungsleistungen eines Geschäftsjahres, den Restgewinn erhielt die geschäftsführende Klägerin

     

    Die Klägerin war nach außen alleinvertretungsbefugt, Disziplinarvorgesetzte für die Praxisangestellten der Gemeinschaftspraxis und bestimmte die Praxisstunden. Die Verluste der Gesellschaft trugen die Physiotherapeuten gleichmäßig, Verluste im Rahmen ihrer Beitragsverpflichtung trug die Klägerin allerdings allein. Jeder Physiotherapeut hatte eine, die Klägerin als geschäftsführender Gesellschafter hingegen fünf Stimmen.

     

    Anders als die Vorinstanz (SG Lübeck, 14.06.2021, Az. S 24 BA 38/18) gab das LSG der DRV Recht und stufte die drei Therapeuten als abhängig beschäftigt ein.

    Darum sah das LSG eine Sozialversicherungspflicht

    Das LSG entschied nach dem gelebten Gesellschaftervertrag. Darin überwogen die Anzeichen für eine abhängige Beschäftigung.

     

    • Diese Anzeichen sprachen für eine abhängige Beschäftigung der drei Therapeuten
    • 1. Die Physiotherapeuten brachten nur ihre eigene Arbeitskraft in die Praxis ein.
    • 2. Die Physiotherapeuten trugen im Ergebnis kein wirtschaftliches Risiko, wie zum Beispiel das Risiko eines finanziellen Verlustes.
    • 3. Die Praxisinhaber dagegen stellten der Gesellschaft ihre voll eingerichtete Praxis zur Verfügung.
    • 4. Die Praxisinhaber trugen auch das volle wirtschaftliche Risiko der Gesellschaft.
    • 5. Die Physiotherapeuten hatten bei der Steuerung der Praxis wenig mitzubestimmen.
    • 6. Die Physiotherapeuten waren lediglich zu 70 Prozent am Umsatz beteiligt.
    • 7. Die Physiotherapeuten waren in die Abrechnungsstruktur der Praxis eingegliedert.
    • 8. Die Physiotherapeuten brachten lediglich Kleininventar mit in die Praxis ein.
    • 9. Die Physiotherapeuten behandeln nicht ihre eigenen Patienten, vielmehr wurden alle in der Praxis behandelten Patienten auch als Patienten der Praxis geführt und abgerechnet.
    • 10. Es gab einzig und allein den Patientenstamm der Praxis.
    • 11. Die Physiotherapeuten traten nicht selbstständig als Dienstleister am Gesundheitsmarkt auf, dies übernahm die Praxis.
    • 12. Die Physiotherapeuten hatten keine eigene Zulassung und auch keine eigene Betriebsstätte.
    • 13. Dass die Physiotherapeuten die Behandlung der Patienten dann in eigener Verantwortung erbrachten, und selbst entschieden, wie sie die Patienten behandeln, spricht aus Sicht des Gerichts nicht für ihre Selbstständigkeit, da alle Physiotherapeuten auf dieser Art und Weise eigenständig arbeiten.
     

    Nutzen Sie Ihre Gestaltungsmöglichkeiten!

    Arbeitgeber suchen immer wieder nach Wegen, medizinisches Personal frei und somit kostengünstiger zu beschäftigen, scheitern aber oft bereits daran, dass sich medizinische Arbeit schwerlich so gestalten lässt, dass sie von den Betriebsabläufen des Arbeitgebers entkoppelt ist.

     

    Die gerichtliche Einordnung als abhängig beschäftigter Mitarbeiter hat weitreichende sozialversicherungs- und arbeitsrechtliche Konsequenzen (vgl. Abruf-Nrn. 44756715 und 44835626). Dies sind insbesondere die weitgehend vom Arbeitgeber allein zu tragende Pflicht zur Nachzahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie das Recht des Physiotherapeuten, Arbeitnehmerrechte wie zum Beispiel Kündigungsschutz geltend zu machen.

     

    PRAXISTIPP | Die o. g. Gefahren lassen sich umgehen, wenn der Physiotherapeut nicht als vermeintlich Selbstständiger eingesetzt, sondern von einer Agentur im Wege der Arbeitnehmerüberlassung gestellt oder vom Arbeitgeber befristet angestellt wird. Die Anstellung kann auch in Teilzeit oder als Arbeit auf Abruf gemäß § 12 Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) gestaltet werden.

     
    Quelle: ID 50451167