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  • · Fachbeitrag · Arbeitsrecht

    Was kann der Therapeut bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit seiner Mitarbeiter tun?

    von Martin Brilla, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Aachen

    | Immer wieder gibt es Fälle, bei denen Zweifel an der behaupteten Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters bestehen. Dies ist ärgerlich, weil der Therapeut durch die Pflicht zur Entgeltfortzahlung wirtschaftlich belastet wird. Trotzdem sollte er nicht voreilig vor Gericht ziehen, da der Ausgang eines Prozesses eher ungewiss ist. Es gibt wirkungsvollere Alternativen, Zweifeln über die Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters nachzugehen. |

    Die Krankmeldung

    Wer als Arbeitnehmer ohne Verschulden wegen einer Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert wird, hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Dieser Anspruch besteht für bis zu sechs Wochen. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber seine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. So kann sich der Arbeitgeber auf das Fehlen einstellen und die Aufgaben neu verteilen.

     

    Arbeitnehmer muss Dauer der Arbeitsunfähigkeit selbst abschätzen

    Daher darf der Arbeitnehmer nicht auf eine ärztliche Diagnose warten, sondern muss die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit selbst abschätzen. Stellt sich nach dem Arztbesuch heraus, dass die frühere Angabe gegenüber dem Arbeitgeber falsch war, muss er ihn erneut informieren. Besteht die Erkrankung über den ursprünglich genannten Zeitraum fort, muss er sich sofort erneut krankmelden - sobald er die „Verlängerung“ absehen kann.

     

    Art der Krankheit ist nur ausnahmsweise mitzuteilen

    Angaben über die Art der Erkrankung muss der Arbeitnehmer nur dann machen, wenn der Arbeitgeber daran ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse hat. Dies ist der Fall, wenn

     

    • es sich um eine ansteckende Erkrankung handelt, die sofortige Schutzmaßnahmen zugunsten der anderen Mitarbeiter erforderlich macht,
    • es eine Fortsetzungserkrankung ist (dies hat Einfluss auf die Entgeltfortzahlungspflicht) oder
    • ein Dritter die Arbeitsunfähigkeit verursacht hat und deshalb möglicherweise haftet.

    Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

    Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit (AU-Bescheinigung) sowie deren voraussichtliche Dauer vorlegen, wenn seine Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert. Dabei zählen sämtliche (Kalender-)Tage, selbst wenn der Arbeitnehmer nicht arbeiten müsste - also auch Sonn- und Feiertage.

     

    Eine Krankschreibung darf rückwirkend grundsätzlich nur für höchstens zwei Tage erfolgen. Die AU-Bescheinigung muss spätestens am auf den dritten Krankheitstag folgenden Arbeitstag vorgelegt werden. Hier zählt jeder Tag, an dem in der Praxis gearbeitet wird.

     

    Dauert die Erkrankung somit länger als drei Kalendertage, so muss die AU-Bescheinigung am Tag danach eingehen. Ist dieser vierte Krankheitstag ein Sonn- oder Feiertag, muss sie am nächsten Arbeitstag vorliegen. Zur Berechnung der Vorlagefrist einige Beispiele.

     

    • Berechnung der Vorlagefrist (Fünf-Tage-Woche):
    • Erkrankung ab Montag, Vorlage spätestens am Donnerstag
    • Erkrankung ab Mittwoch, Vorlage spätestens am Montag (falls Samstag und Sonntag in der Praxis nicht gearbeitet wird)
    • Erkrankung ab Freitag, Vorlage spätestens am Montag
     

    Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung schon früher zu verlangen. Auch darf er sie für Arbeitsunfähigkeitszeiten fordern, die kürzer als drei Tage andauern (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 14.11.2012, Az. 5 AZR 886/11). Dafür braucht er weder eine Begründung noch den Verdacht auf Vortäuschung einer Erkrankung in der Vergangenheit. Dies darf allerdings nicht schikanös oder willkürlich gefordert werden. Es darf auch nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz und Diskriminierungsverbote verstoßen - so die Richter.

     

    PRAXISHINWEIS | Ob eine Vorlagepflicht ab dem ersten Krankheitstag sinnvoll ist, erscheint zweifelhaft: Sie wirkt wie ein „Generalverdacht“ und ist somit dem Betriebsklima nicht zuträglich. Zudem ist sie nur dann wirkungsvoll, wenn ihre Nichtbefolgung auch sanktioniert wird. Ob der daraus resultierende Mehraufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen steht, sollte also gut abgewogen werden. Eine Vorlage ab dem ersten Tag sollte daher nur in Einzelfällen angeordnet werden, um Mitarbeiter zu disziplinieren.

     

    Wer trägt die Beweislast bei Zweifeln an Arbeitsunfähigkeit?

    Der Arbeitnehmer ist dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass er während des Zeitraums der Entgeltfortzahlung arbeitsunfähig war. Insofern hat die ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche AU-Bescheinigung einen hohen Beweiswert. Legt der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vor, kann der Richter den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit normalerweise als erbracht ansehen.

     

    Im Prozess muss der Arbeitgeber Umstände darlegen und gegebenenfalls beweisen, die Bedenken gegen die durch die ärztliche Bescheinigung attestierte Arbeitsunfähigkeit begründen. Gelingt ihm dies, kann der Arbeitnehmer dann anderweitig als durch die AU-Bescheinigung beweisen, dass er nicht arbeitsfähig war. Zur Veranschaulichung nachfolgend ein Beispielsfall und die Bewertung des Gerichts:

     

    • Beispielsfall: Der fleißige kranke Arbeitnehmer

    Ein Arbeitnehmer war krankgeschrieben. Ein vom Arbeitgeber beauftragter Detektiv stellte jedoch fest, dass der Arbeitnehmer währenddessen Arbeiten an seinem Elternhaus verrichtete und dabei auch mit einer Schlagbohrmaschine arbeitete, Zement mischte, volle Schubkarren fuhr und auf dem Dach mit einer schweren Motorsäge Hohlblocksteine zersägte. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber seinem Mitarbeiter fristlos.

     

    Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, das diesen Fall zu entscheiden hatte, stellte fest: „Die Umstände, mit denen die Arbeitgeberin den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern will, sind nicht als so gravierend anzusehen, dass sie ein hinreichend starkes Indiz für die Behauptung der Arbeitgeberin darstellen könnten, die (Krankheit bzw.) Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht gewesen“ (Az. 5 TaBV 10/04). Nach Auffassung des LAG erlaubten also die Berichte des Detektivs allenfalls eine gewisse Vermutung, der Arbeitnehmer könne seine Krankheit vorgetäuscht haben. Keineswegs ergebe sich daraus aber der dringende Verdacht einer Täuschung oder eines Entgeltfortzahlungsbetrugs.

     

    Wichtig | Lässt ein Arbeitgeber wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit seine Arbeitnehmer überwachen, muss sein Verdacht auf konkreten Tatsachen beruhen. Anderenfalls ist die Überwachung rechtswidrig und kann im Hinblick auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Geldentschädigungsanspruch begründen - so das BAG in seiner Entscheidung vom 19. Februar 2015 (Az. 8 AZR 1007/13).

     

    PRAXISHINWEIS | Zwar kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer den Ersatz der Kosten für einen Detektiv verlangen, wenn dieser aufgrund eines konkreten Verdachts beauftragt und der Arbeitnehmer daraufhin einer vorsätzlichen Vertragsverletzung überführt wurde. Allerdings legt die Rechtsprechung insofern sehr strenge Maßstäbe an. Außerdem ist ein Privatdetektiv regelmäßig nicht in der Lage, die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers sicher zu beweisen.

     

    Diese Beispiele zeigen, wie mühsam ein Gerichtsprozess sein kann und wie schwer sich dessen Ausgang vorhersagen lässt. Gibt es in einem Prozess derartige Probleme mit der AU-Bescheinigung, wird der Arbeitnehmer in der Regel den behandelnden Arzt von seiner Schweigepflicht entbinden und ihn als Zeugen vernehmen lassen. Erfahrungsgemäß führt dies zur Bestätigung der ursprünglich vorgelegten AU-Bescheinigung.

     

    Der Arzt hat seit seiner mitunter Monate zurückliegenden Untersuchung viele weitere Patienten gesehen und muss sich daher auf seine damals gefertigten Aufzeichnungen stützen. Im Normalfall werden diese belegen, was er seinerzeit bescheinigt hat. Außerdem wird er eher bestrebt sein, seine AU-Bescheinigung zu bestätigen als sich mit seiner damaligen Feststellung kritisch auseinanderzusetzen. Schließlich würde Letzteres dazu führen, sich selbst ein berufliches Versagen zu attestieren und sich möglicherweise Schadenersatzforderungen ausgesetzt zu sehen.

    Alternative: Die Einschaltung des MDK

    Angesichts der Unsicherheiten, die auch beim Einschalten des behandelnden Arztes bestehen bleiben, erscheint ein anderer Weg sinnvoller. Der Arbeitgeber kann verlangen, dass die Krankenkasse in einer gutachterlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers überprüft. Dies muss die Krankenkasse grundsätzlich machen - es sei denn, dass sich die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den ihr vorliegenden ärztlichen Unterlagen ergeben.

     

    PRAXISHINWEIS | Auch wenn der Arbeitgeber nicht erklären muss, auf welche Tatsachen oder Annahmen er seine Zweifel stützt, sollte er diese im Schreiben an die Krankenkasse ausführlich darlegen. So kann der Gutachter besser erkennen, welche Aspekte der Arbeitsunfähigkeit besonders überprüft werden müssen.

     

    Erkennt der Gutachter keinen medizinischen Grund für die Arbeitsunfähigkeit, wird er dem die AU-Bescheinigung ausstellenden Arzt empfehlen, die Arbeitsunfähigkeit zu beenden. Dem Arzt sowie der Krankenkasse hat der MDK das Ergebnis der Begutachtung mitzuteilen, der Krankenkasse darüber hinaus die erforderlichen Angaben über den Befund.

     

    Solange ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, hat die Krankenkasse wiederum sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer über das Ergebnis des MDK-Gutachtens zu informieren, wenn dies nicht mit der Bescheinigung des Kassenarztes übereinstimmt. Die Mitteilung darf allerdings keine Angaben über die Krankheit enthalten.

     

    Sollte der Arbeitnehmer entgegen der Empfehlung des MDK seine Arbeit nicht wieder aufnehmen, wird sich eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung nicht vermeiden lassen. Aber auch wenn nicht abschließend geklärt ist, welchen Beweiswert das Untersuchungsergebnis des MDK hat, wird durch das MDK-Gutachten zumindest der Beweiswert der AU-Bescheinigung des behandelnden Arztes erschüttert, wenn es diese - wofür viel spricht - nicht sogar widerlegt.

     

    FAZIT | Dem Arbeitgeber wird es nur mit großem Aufwand und zahlreichen rechtlichen Hürden gelingen, Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit seines Mitarbeiters durch das Gericht oder den MDK erfolgreich zu beweisen. Daher sollte vor allen weiteren Schritten zunächst auf jeden Fall ein Gespräch mit dem Arbeitnehmer geführt werden, um einen entsprechenden Verdacht zu klären. Beachten Sie dabei: Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, nähere Angaben zu seiner Krankheit zu machen. Wird er konkret hierzu gefragt, darf er sogar lügen.

     

    Weiterführende Hinweise

    Quelle: Ausgabe 01 / 2016 | Seite 9 | ID 43770945