· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Viermal am Ende des Sommerurlaubs krank? Da sind Zweifel des Arbeitgebers berechtigt!
| Wenn ein Arbeitnehmer viermal innerhalb von sechs Jahren seinen Sommerurlaub mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) verlängert, kann das dem Chef oder der Chefin komisch vorkommen. Oder wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) formuliert: Der Beweiswert der AUB kann erschüttert sein. Denn hier liegen nach einer Gesamtbetrachtung des Einzelfalls Umstände vor, die zwar für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, in der Gesamtschau aber ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Bescheinigungen begründen (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 15.01.2025, Az. 5 AZR 284/24 ). Der Fall ist auch für niedergelassene Physiotherapeuten als Arbeitgeber relevant. |
Mitarbeiter hatte schon dreimal in vier Jahren eine AUB im Anschluss an den Urlaub vorgelegt ...
Ein Lagerarbeiter klagte gegen seinen Arbeitgeber. Streitig war die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat September 2022. Der Kläger war seit 2002 bei der beklagten Firma mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt rund 3.600 Euro beschäftigt. In den Jahren 2017, 2019 und 2020 hatte er im direkten zeitlichen Zusammenhang mit seinem Urlaub jeweils eine AUB vorgelegt.
... und reicht erneut ein Attest aus dem Urlaub ein
Vom 22.08. bis zum 09.09.2022 hatte der Kläger ebenfalls Urlaub, den er in Tunesien verbrachte. Zwei Tage vor Urlaubsende ‒ am 07.09.2022 ‒ schickte er aus Tunesien eine E-Mail an seinen Arbeitgeber. Darin teilte er mit, er sei bis zum 30.09.2022 krankgeschrieben. Beigefügt war ein Attest vom 07.09.2022 eines tunesischen Arztes. Das Attest war auf Französisch abgefasst und bescheinigte, dass der Arzt den Kläger untersucht habe, dieser an „schweren Ischialbeschwerden” im engen Lendenwirbelsäulenkanal leide und 24 Tage strenge häusliche Ruhe bis zum 30.09.2022 benötige und er sich während dieser Zeit nicht bewegen oder reisen dürfe.
Einen Tag nach dem Arztbesuch, am 08.09.2022, buchte der Kläger ein Fährticket für den 29.09.2022 und reiste an diesem Tag mit seinem Pkw zunächst mit der Fähre von Tunis nach Genua und dann weiter nach Deutschland zurück. Danach legte er seinem Arbeitgeber eine Erstbescheinigung eines deutschen Arztes vom 04.10.2022 vor, in der die Arbeitsunfähigkeit (AU) bis zum 08.10.2022 bescheinigt wurde.
Arbeitgeber lehnt Lohnfortzahlung ab, Klage des Mitarbeiters scheitert vor dem BAG
Nachdem der Arbeitgeber dem Kläger mitgeteilt hatte, dass es sich seiner Auffassung nach bei dem Attest vom 07.09.2022 nicht um eine AUB handle, legte der Kläger eine erläuternde Bescheinigung des tunesischen Arztes vom 17.10.2022 vor. Darin bescheinigte der Arzt, den Kläger am 07.09.2022 untersucht zu haben. Weiter hieß es: „Er hatte eine beidseitige Lumboischialgie, die eine Ruhepause mit Arbeitsunfähigkeit und Reiseverbot für 24 Tage vom 07.09.2022 bis zum 30.09.2022 erforderlich machte.“ Die Beklagte lehnte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab und kürzte die Vergütung für September 2022 um 1.583 Euro netto. Mit seiner Klage Verlangte der Kläger zuletzt Entgeltfortzahlung für September 2022 in dieser Höhe.
Das Arbeitsgericht München wies die Klage ab (Urteil vom 14.11.2023, Az. 13 Ca 593/23). Das Landesarbeitsgericht (LAG) München wiederum kippte das erstinstanzliche Urteil und verurteilte und den beklagten Arbeitgeber zur Zahlung (Urteil vom 16.05.2024, Az. 9 Sa 538/23). Die dagegen gerichtete Revision der Firma hatte vor dem BAG Erfolg.
Darum sah das BAG des Beweiskraft der AUB erschüttert
Das höchste deutsche Arbeitsgericht stützte sich in seiner Urteilsbegründung vor allem auf die Gesamtschau der Fakten. Das LAG München habe zwar im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass eine AUB, die in einem Land außerhalb der Europäischen Union ausgestellt wurde, grundsätzlich den gleichem Beweiswert hat wie eine in Deutschland ausgestellte Bescheinigung. Die Bescheinigung müsse jedeoch erkennen lassen, , dass der ausländische Arzt in der Bescheinigung zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit AU verbundenen Krankheit unterschieden hat.
Das LAG habe die rechtlich gebotene Gesamtwürdigung unterlassen, denn es hat nur jeden einzelnen Aspekt des vorliegenden Falls isoliert betrachtet.
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Diese Gegebenheiten mögen ‒ wie das LAG angenommen hat ‒ für sich betrachtet unverfänglich sein. In einer Gesamtschau begründen sie indes ernsthafte Zweifel am Beweiswert der AUB. Das habe zur Folge, dass nunmehr der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter AU als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) trage.
Da das LAG ‒ aus seiner Sicht konsequent ‒ hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen. (Quelle: BAG, bearbeitet).