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  • · Fachbeitrag · Arbeitsrecht

    Ist Umkleidezeit Arbeitszeit?

    von Rechtsanwalt Manfred Weigt, Bochum

    | Immer wieder sind die Arbeitsgerichte mit der Frage befasst, ob die Umkleidezeit des Mitarbeiters zur Arbeitszeit gehört. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen hat am 23. November 2015 entschieden, dass Umkleidezeit für die Arbeit Arbeitszeit ist, wenn Arbeitskleidung vorgeschrieben ist und sich die Mitarbeiter im Betrieb umziehen müssen. Das Urteil wurde im Mai 2016 veröffentlicht (Az. 16 Sa 494/15). PP überträgt das Thema auf die Physiotherapiepraxis und zeigt, wie Sie die Regelung adäquat umsetzen. |

    Betriebswirtschaftliche Bedeutung

    In den meisten großen Physiotherapiepraxen ist es üblich, dass der Arbeitgeber die Arbeitskleidung des Therapeuten vorschreibt. Die Kleidung soll den Mitarbeiter innerhalb der Praxis auch als solchen ausweisen. Wenn auch eine Umkleidezeit von fünf bis zehn Minuten täglich auf den ersten Blick wenig erscheinen, kommen in einer Woche pro Mitarbeiter 25 Minuten zusammen, bei einer Praxis von vier Mitarbeitern schon 100 Minuten pro Woche. Was das betriebswirtschaftlich bedeutet, kann sich jeder selbst ausrechnen.

    Eigennützigkeit versus Fremdnützigkeit

    Nach Auffassung des LAG Hessen gehören die Umkleidezeiten zu den vertraglich geschuldeten Arbeitszeiten - auch wenn keine ausdrücklichen Regelungen bestehen. Das LAG zitiert hierbei eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 19. September 2012 (Az. 5 AZR 678/11, Abruf-Nr. 131120). Demnach gehört zur Arbeitszeit jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Schreibt also der Arbeitgeber eine bestimmte Arbeitskleidung vor und muss das Umkleiden im Betrieb erfolgen, ist das fremdnützig und damit Arbeitszeit. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob das Tragen der Berufskleidung hygienischen Zwecken und damit betrieblichen Belangen des Arbeitgebers dient. In diesem Fall beginnt die Arbeitszeit mit dem Umkleiden.

     

    Das LAG bezieht sich aber auch auf ein BAG-Urteil vom 12. November 2013 (Az. 1 ABR 59/12). Demnach gehören Umkleidezeiten nicht zur Arbeitszeit, wenn die Berufskleidung zu Hause angelegt und - ohne besonders auffällig zu sein - auch auf dem Weg zur Arbeit getragen werden kann. Ausschließliche Fremdnützigkeit scheidet auch aus, wenn es dem Arbeitnehmer gestattet ist, eine an sich auffällige Dienstkleidung außerhalb der Arbeitszeit zu tragen und er sich selbstbestimmt entscheidet, diese nicht im Betrieb an- und abzulegen, um beispielsweise keine eigene Kleidung auf dem Weg zur Arbeit tragen zu müssen. Im entschiedenen Fall des Mitarbeiters eines Müllheizkraftwerks bescheinigt das LAG nun, dass das Tragen der Arbeitskleidung ausschließlich fremdnützig sei. Zudem bestünden verschiedene Anweisungen, die das Tragen der Schutzkleidung vorschrieben.

     

    Entscheidend sei, dass es sich um eine sehr auffällige Schutzkleidung handele und auch, dass dem Mitarbeiter ein Zurücklegen des Weges von der Wohnung zum Arbeitsplatz mit der Schutzkleidung nicht zuzumuten sei. Hinzu käme, so das Gericht, dass sich auf der Schutzkleidung eine deutlich lesbare Firmenaufschrift befinde. Nachdem das Gericht festgestellt hat, dass im entschiedenen Fall die Umkleidezeit Arbeitszeit ist, wird die Umkleidezeit als vergütungspflichtige Arbeitszeit behandelt.

    Übertragung auf die Physiotherapiepraxis

    Übertragen auf die Physiotherapiepraxis, können die oben genannten Grundsätze kurz gefasst so formuliert werden: Umkleidezeit ist Arbeitszeit, wenn diese Teil der geschuldeten Arbeit ist und nicht zugleich eigenen Bedürfnissen dient. Haben sich die Mitarbeiter vor Behandlungsbeginn aufgrund einer Arbeitsanweisung in der Praxis umzukleiden, ist das eindeutig Arbeitszeit.Eine Checkliste und eine Musterformulierung finden Sie als Download unter der Abruf-Nr. 44064859.

     

    Etwas anderes kann ggf. dann gelten, wenn der Therapeut nur ein Poloshirt oder ein T-Shirt mit bestimmter Farbe und lediglich einem Logoaufdruck zu tragen hat. Hier können Sie einerseits argumentieren, dass die Zeit für das Überstreifen des Shirts ja eine Bagatelle ist und nicht sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Die Bagatellgrenze ist aber dann überschritten, wenn ein kompletter Bekleidungsstil (Shirt mit Hose und entsprechenden Schuhen) vorgeschrieben ist.

     

    PRAXISHINWEIS | Zum Schutz Ihrer Mitarbeiter und Ihrer Patienten vor Infektionen (siehe PP 02/2009, Seite 12) fordert vor allem die Berufsgenossenschaft Maßnahmen ein. Halten Sie in Ihrem eigenen Interesse bestimmte Standards ein. So sollten vor dem Arbeitsbeginn zumindest die Schuhe gewechselt werden.

     

    Alternativ können Sie Ihre Mitarbeiter anweisen, dass sie schon in der entsprechenden Bekleidung zur Arbeit zu erscheinen haben. Allerdings werden sich hinsichtlich der Schuhe die gleichen Erfordernisse wie beschrieben ergeben. Das Anziehen und ggf. erforderliche Schnüren der Schuhe für die Behandlung wird aber noch unter die Bagatellgrenze fallen können.

     

    Auch das Tragen von Dienstkleidung im Corporate Design des Arbeitgebers auf dem Weg zur Arbeit ist fremdnützig und die Umkleidezeit wieder Arbeitszeit. Das hat das BAG hat am 17. Januar 2012 festgestellt. Demnach haben Mitarbeiter einer Fluggesellschaft außerhalb ihrer Arbeitszeit kein objektiv feststellbares Interesse daran, als Mitarbeiter eines bestimmten Arbeitgebers erkannt werden zu können. Daher diene das Tragen der Dienstkleidung auf dem Weg von der und zur Arbeit allein dem Interesse des Arbeitgebers (Az. 1 ABR 45/10.)

     

    PRAXISHINWEIS | Vermeiden Sie die Fremdnützigkeit und damit das Thema Arbeitszeit. Gestalten Sie die Arbeitskleidung Ihrer Mitarbeiter so, dass sie keine Hinweise auf die Praxis enthält, sondern dass lediglich die Farbe vorgegeben ist.

     
    Quelle: Ausgabe 06 / 2016 | Seite 12 | ID 44064119