27.11.2019 · IWW-Abrufnummer 212462
Oberlandesgericht Rostock: Beschluss vom 17.07.2019 – 4 U 66/19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 4 U 66/19
Oberlandesgericht Rostock
Beschluss
In Sachen
./.
hat das Oberlandesgericht Rostock - 4. Zivilsenat - durch den Richter am Oberlandesgericht xxx, den Richter am Amtsgericht Dr. xxx und den Richter am Oberlandesgericht xxx am 17.07.2019 beschlossen:
I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 12.04.2019, Az. 2 O 961/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
III1. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird vorläufig auf bis zu 5.200.000,00 € festgesetzt.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwertbeschluss des Landgerichts Rostock vom 12.04.2019 von Amts wegen abzuändern und dahingehend neu zu fassen, dass der Streitwert für den ersten Rechtszug ebenfalls auf bis zu 5.200.000,00 € festgesetzt wird.
Gründe:
I. Die zulässige Berufung erscheint nach vorläufiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage unbegründet; die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Herausgabe der streitgegenständlichen Bürgschaftsurkunde gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB (Leistungskondiktion).
1. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagte die Bürgschaftsurkunde ohne Rechtsgrund von der Klägerin erlangt hat, weil die Sicherungsabrede nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist; im Sinne der letztgenannten Vorschrift wird die Klägerin durch die Regelungen unter den Ziffern 7.1 und 7.2 der Besonderen Vertragsbedingungen (BVB) in Verbindung mit Ziffer 22 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen (ZVB) unangemessen benachteiligt.
a. Bei den betreffenden Klauseln handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Bei gedruckten oder in sonstiger Weise vervielfältigten Klauselwerken spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass es sich um vorformulierte Vertragsbedingungen handelt; dies gilt insbesondere dann, wenn der Vertrag nach seiner Gestaltung aller Lebenserfahrung nach für mehrfache Verwendung entworfen wurde und - wie hier - zahlreiche formelhafte Klauseln verwendet, die für derartige Verträge typisch sind (vgl. Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger-Lapp/Salamon, jurisPK BGB, 8. Aufl., 2017, § 305 Rn. 61 m. w. N.).
b. Eine zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer getroffene Sicherungsabrede, nach der letzterer eine Gewährleistungsbürgschaft zu stellen hat, stellt eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers dar und ist unwirksam, wenn der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne dessen Interessen hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen; die unangemessene Benachteiligung kann sich dabei auch aus einer Gesamtwirkung mehrerer, jeweils für sich genommen nicht zu beanstandender Vertragsbestimmungen ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2016, Az.: VII ZR 29/13, - zitiert nach juris -, Rn. 15 m. w. N.).
aa. Die BVB und ZVB waren unstreitig Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen, sodass es sich bei der Beklagten als Auftraggeberin um ihre Verwenderin gegenüber der Klägerin als Auftragnehmerin handelt. In Übereinstimmung mit dem Landgericht haben weder die Dritte Ergänzungsvereinbarung noch die Übersendung der Gewährleistungsbürgschaft durch die Klägerin oder deren Verlangen einer bedingungsgemäß vorgesehenen Reduzierung des Bürgschaftsbetrages dazu geführt, dass es sich aufgrund dieser Tatbestände nunmehr um nach § 305b BGB vorrangige Individualabreden handelte. Nach Ziffer 5) der Dritten Ergänzungsvereinbarung bestehen die zuvor getroffenen Vereinbarungen fort, soweit - wie zu Ziffern 7.1 und 7.2 BVB und 22 ZVB - nichts Abweichendes vereinbart wurde; sämtliche Voraussetzungen des Vorliegens Allgemeiner Geschäftsbedingungen blieben danach durch die Ergänzungsvereinbarung unberührt, wobei sich das weitere Verhalten der Klägerin in einer bloßen Umsetzung der betreffenden Regelungen erschöpfte und schon von dem her nicht den Charakter einer (neuen) vertraglichen Abrede hatte.
bb. Die Klägerin wird im Zusammenspiel der eingangs unter Ziffer 1) genannten Regelungen unangemessen benachteiligt, weil sie eine Übersicherung der Beklagten begründen.
(1) So ist die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von fünf Prozent der Auftragssumme für sich genommen ebenso wenig zu beanstanden wie diejenige zur Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von drei Prozent der Auftragssumme zuzüglich erteilter Nachträge (vgl. OLG Celle, Urteil vom 06.04.2017, Az.: 8 U 204/16, - zitiert nach juris -, Rn. 66 f. m. w. N.). Eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers ist allerdings dann gegeben, wenn die Forderung nach der Hergabe einer Vertragserfüllungsbürgschaft einerseits und einer Gewährleistungsbürgschaft andererseits dazu führt, dass sie in Kumulation dem Auftraggeber eine Sicherheit von mehr als sechs Prozent verschaffen und durch die Vertragsgestaltung nicht sichergestellt ist, dass die eine Bürgschaft die andere ablöst, sondern beide nebeneinander bestehen können, sich also zeitlich und inhaltlich überschneiden (vgl. BGH, Urteil vom 01.10.2014, Az.: VII ZR 164/12, - zitiert nach juris -, Rn. 24). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Auftragnehmer dem Auftraggeber auch über den Zeitraum der Abnahme hinaus wegen Mängelansprüchen eine überhöhte, also sieben Prozent oder mehr der Abrechnungssumme betragende Sicherheit zu leisten hat, weil durch die Vertragserfüllungssicherheit auch Gewährleistungsansprüche abgesichert werden und es dem Auftraggeber deshalb möglich ist, die Vertragserfüllungssicherheit noch längere Zeit nach der Abnahme zu behalten (vgl. BGH, Urteil vom 22.01.2015, Az.: VII ZR 120/14, - zitiert nach juris -, Rn. 16 m. w. N.).
(2) Bei Maßgeblichkeit der kundenfeindlichsten Auslegung der Vertragsbedingungen der Beklagten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 05.05.2011, Az.: VII ZR 179/10, - zitiert nach juris -, Rn. 23) tritt für die Zeit nach der Abnahme der Werkleistung des Auftragnehmers eine solche Kumulation von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft ein, die in der Summe der Beklagten als Auftraggeberin eine Sicherheit von bis zu acht Prozent und damit eine das Maß des Angemessenen überschreitende Sicherung gewährt.
(a) Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht bei einer Auslegung der BVB und ZVB nach diesem Maßstab eine inhaltliche Überschneidung beider Bürgschaftsformen mit der Folge, dass der Auftraggeber beide Sicherheiten nebeneinander beanspruchen kann.
(aa) Unter Berücksichtigung des Wortlauts von Ziffer 22 ZVB werden durch die Vertragserfüllungsbürgschaft keineswegs lediglich dem Erfüllungsanspruch des Auftraggebers zuzurechnende, vor Abnahme erkannte Mängel gesichert, sondern auch Gewährleistungsansprüche aus der Zeit nach der Abnahme. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass nach Ziffer 22.1 ZVB die Vertragserfüllungssicherheit "sämtliche Verpflichtungen" aus dem Vertrag sichern soll. Soweit die Beklagte demgegenüber meint, dass mit den dort bezeichneten "Mängelansprüchen" nur solche im Sinne von § 4 Abs. 7 VOB/B, nicht aber Gewährleistungsansprüche nach §§ 634 BGB, 13 Abs. 5 VOB/B gemeint seien, kann dieser Ansicht unter Berücksichtigung des Wortlauts der streitgegenständlichen Vertragsbedingungen nicht gefolgt werden. Denn auch in der die Mängelansprüchesicherheit regelnden Bestimmung nach Ziffer 22.2 ZVB, die sich eindeutig auf Gewährleistungsansprüche bezieht, ist von "Mängelansprüchen" die Rede (vgl. OLG Celle, a. a. O., Rn. 73 ff., zu einer mit der vorliegenden zu Ziffer 22 gleichlautenden Klausel im Rahmen von ZVB).
(bb) Anhaltspunkte dafür, dass dem wörtlich identischen Begriff in beiden Bestimmungen jeweils (zwingend) eine unterschiedliche Bedeutung beigemessen werden müsste, sind weder von der Beklagten aufgezeigt worden noch anderweitig ersichtlich.
[1] Entsprechendes lässt sich entgegen der Ansicht der Beklagten zum einen nicht aus Ziffer 7.1 Abs. 4 BVB ableiten, wonach der Auftragnehmer nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche verlangen kann, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird (nicht erörtert bei OLG Celle, a. a. O., obwohl dort ebenfalls eine mit der hiesigen übereinstimmende Regelung in diesem Sinne bestand). Denn diese Klausel besagt nichts zu einer (unterschiedlichen) Abgrenzung des Sicherungsumfanges von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungssicherheit mit der Abnahme als zeitlicher wie gegenständlicher Zäsur, sondern sie verhält sich allein zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Auftragnehmer eine Umwandlung der - nach dem Wortlaut der ZVB auch Gewährleistungsansprüche abdeckenden - Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine - reine - Gewährleistungssicherheit begehren kann. Davon abgesehen ließe sich eine trennscharfe Abgrenzung beider Sicherheiten im Hinblick auf Ansprüche wegen Mängeln vor und nach der Abnahme gar nicht vornehmen, nachdem die Gewährleistungsbürgschaft immer auch solche Mängel aus dem Ausführungsstadium mit absichert, welche sich der Auftraggeber bei der Abnahme vorbehalten hat und die deshalb nun als Mängelrechte nach § 13 Abs. 5 VOB/B fortbestehen (vgl. Werner/Pastor-Pastor, Der Bauprozess, 16. Aufl., 2018, Rn. 2140 m. w. N; so nun wiederum jedenfalls auch OLG Celle, a. a. O.). Nicht zuletzt gehen verbleibende Zweifel bei der Auslegung gemäß § 305c Abs. 2 BGB insoweit zu Lasten der Beklagten als Verwenderin der Vertragsbedingungen.
[2] Zum anderen trifft zwar zu, dass sich Ziffer 7.2 BVB nichts zu dem Zeitpunkt entnehmen lässt, zu welchem die Gewährleistungsbürgschaft dem Auftraggeber insbesondere dann zu stellen ist, wenn dieser bereits über eine Sicherheit für die Vertragserfüllung verfügt.
[a] Entweder ist die Klausel jedoch (erneut) nach der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB dahingehend auszulegen, dass die Beklagte als Auftraggeberin eine „zu leistende“ und damit durchaus als Gegenstand eines diesbezüglichen Anspruches der Beklagten anzusehenden Gewährleistungssicherheit ab der Abnahme verlangen kann (so wird bei OLG Celle, a. a. O., Rn. 78, ohne weitere Erörterung oder entsprechende Verortung davon ausgegangen, dass dies „jedenfalls spätestens mit der Abnahme“ der Fall sei).
[b] Oder aber die Unwirksamkeit der Klausel ergibt sich ansonsten aufgrund einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin wegen der mangelnden Klarheit und Verständlichkeit der Bedingung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
[aa] Dieses Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen müssen danach so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen, und der Vertragspartner des Klauselverwenders ohne fremde Hilfe Gewissheit über den Inhalt der vertraglichen Rechte und Pflichten erlangen kann, ohne von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten zu werden. Eine Klausel muss im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders vor diesem Hintergrund so klar und präzise wie möglich umschreiben. Sie verletzt das Bestimmtheitsgebot, wenn sie vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält (vgl. BAG, Urteil vom 22.02.2012, Az.: 5 AZR 765/10, - zitiert nach juris -, Rn. 15 m. w. N.).
[bb] Danach lässt sich den streitgegenständlichen Vertragsbedingungen etwa die Bestimmung eines vom Wortlaut des § 17 Abs. 7 VOB/B abweichenden Zeitpunkts für die Gestellung der Mängelansprüchesicherheit nicht entnehmen, die danach wie auch die Vertragserfüllungssicherheit bereits achtzehn Tage nach Vertragsschluss zu leisten sein könnte (vgl. so auch OLG Celle, a. a. O., Rn. 84).
(b) Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zudem eine zeitliche Überschneidung beider Sicherungsrechte, weil der Auftraggeber beide Sicherheiten zeitgleich nebeneinander beanspruchen kann. Selbst dann, wenn mit der Beklagten davon auszugehen wäre, dass die Sicherheit für Mängelansprüche gemäß Ziffer 7.2 BVB tatsächlich erst mit Abnahme zu leisten wäre, läge gleichwohl bei entsprechend "kundenfeindlichster Auslegung" eine zeitliche Überdeckung mit der Vertragserfüllungssicherheit vor.
(aa) Eine Regelung dahingehend, dass die Vertragserfüllungssicherheit nur bis zur Abnahme festgestellte Mängel sichern, während die Gewährleistungssicherheit - zeitlich nachfolgend - nur den Zeitraum der Gewährleistungshaftung abdecken soll, beinhalten die Vertragsbedingungen der Beklagten nämlich nicht. Stattdessen ergibt sich nach Maßgabe von Ziffer 7.1 Abs. 4 BVB in Verbindung mit Ziffer 22.1 ZVB, dass die Vertragserfüllungssicherheit keineswegs spätestens bei Abnahme und Gestellung der Sicherheit für Mängelansprüche zurückzugeben ist, wie dies § 17 Abs. 8 Nr. 1 Satz 1 VOB/B vorsieht. Vielmehr kann nach Ziffer 7.1 Abs. 4 BVB der Auftragnehmer erst nach Abnahme „und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz“ die Umwandlung der Vertragserfüllungssicherheit in eine Mängelansprüchesicherheit verlangen und der Auftraggeber die Vertragserfüllungsbürgschaft so lange behalten, weil durch diese gemäß Ziffer 22.1 ZVB unter anderem auch Mängelansprüche gesichert werden. Damit umfasst die Vertragserfüllungssicherheit auch erst nach Abnahme entstehende, dem Gewährleistungsstadium zuzurechnende Ansprüche, sodass infolgedessen - auch - eine zeitliche Überschneidung mit der geschuldeten Gewährleistungssicherheit besteht, wenn diese (spätestens) ab Abnahme und Beginn des Gewährleistungszeitraums zu leisten wäre.
(bb) Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es sich bei dem Umwandlungsrecht gemäß Ziffer 7.1 Abs. 4 BVB um ein Recht des Auftragnehmers handelt; denn dieses Recht kann er nach dem zuvor Gesagten erst zu einem Zeitpunkt ausüben, zu dem eine Gewährleistungssicherheit bereits gestellt worden sein muss. Dass der Auftraggeber die Gestellung einer Mängelansprüchesicherheit im Sinne von Ziffer 7.1 Abs. 4 BVB solange nicht verlangen können soll, wie die Vertragserfüllungssicherheit fortbesteht, lässt sich dem Klauselwerk der Beklagten nämlich nicht entnehmen. Dies ergibt sich insbesondere auch nicht aus § 17 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B. Insoweit ist schon zweifelhaft, ob diese Bestimmung bei einer Vertragserfüllungssicherheit im weiteren Sinn - wie sie hier vorliegt - überhaupt anwendbar ist (vgl. Ingenstau/Korbion-Joussen, VOB/A und B, 20. Aufl., 2017, § 17 Abs. 8 VOB/B Rn. 2). Selbst wenn dies der Fall wäre, bestünde jedenfalls keine Rückgabepflicht der geleisteten Sicherheit, soweit von der Sicherheit für Mängelansprüche nicht umfasste Forderungen betroffen sind. Durch deren Geltendmachung kann der Auftraggeber daher für eine vorab nicht absehbare Zeit, d. h. gegebenenfalls bis zur gerichtlichen Klärung eine Gestellung beider Sicherheiten erreichen. Denn zum einen ist nach Ziffer 7.1 Abs. 4 BVB die Umwandlung der Vertragserfüllungsbürgschaft in eine Mängelansprüchesicherheit erst nach Erfüllung der bis dahin erhobenen Ansprüche gestattet, und zwar - anders als bei § 17 Abs. 8 Nr. 1 Satz 1 VOB/B - aller erhobenen Ansprüche, auch wenn diese eventuell nur einen Teil der gesicherten Summe aus der Vertragserfüllungssicherheit umfassen. Zum anderen wird die Umwandlung bzw. Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft nicht von der Berechtigung der erhobenen Ansprüche abhängig gemacht. Angesichts dessen kann sich damit der Anspruch des Auftragnehmers auf Umwandlung in eine Gewährleistungsbürgschaft für einen nicht überschaubaren Zeitraum hinausschieben (vgl. zum Ganzen OLG Celle, a. a. O., Rn. 83 ff.).
(cc) Dahin stehen kann nach all dem letztlich, dass es in den von der Beklagten gestellten Vertragsbedingungen an einer (alternativen und weitergehenden) Regelung fehlt, nach welcher die Vertragserfüllungssicherheit (erst) nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung zurückzugeben ist. Denn hier wie dort hat es der Auftraggeber in der Hand, durch das Erheben von Ansprüchen die Umwandlung der Vertragserfüllungsbürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft zu verhindern (vgl. KG, Urteil vom 19.06.2018, Az.: 27 U 29/17, Rn. 14, zu einer mit Ziffer 7.1 Abs. 4 BVB in dem vorliegenden Fall identischen Klausel unter Verweis auf BGH, Urteil vom 22.01.2015, Az.: VII ZR 120/14, Rn. 22, jeweils zitiert nach juris). Nicht erheblich ist dabei im Übrigen, ob die Geltendmachung von Forderungen durch den Auftraggeber in (bewusst) unredlicher Weise erfolgt, und ein nicht regelkonformes Verhalten kein Maßstab für die Wirksamkeitskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen sein kann; vielmehr kommt es allein auf die (objektiven) Auswirkungen des Zusammenspiels der fraglichen Regelungen dahingehend an, dass sie zu einer ungerechtfertigten und nicht veranlassten Übersicherung zum Nachteil des Auftragnehmers etwa auch dann führen, wenn dieser seinerseits die Erfüllung tatsächlich berechtigter Ansprüche des Auftraggebers verzögert.
2. Völlig zutreffend hat das Landgericht weiterhin gesehen, dass die unwirksame Vereinbarung über die Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft nicht in Folge einer Bestätigung durch die Klägerin gemäß § 141 BGB (nachträglich) wirksam geworden wäre, soweit die Parteien beispielsweise Ergänzungsvereinbarungen getroffen haben oder die Klägerin (überhaupt) eine Gewährleistungsbürgschaft gestellt und in Anwendung der betreffenden Regelung unter Ziffer 7.2 BVB deren spätere Reduzierung begehrt hat.
a. Die Bestätigung eines unwirksamen Rechtsgeschäftes kann auch konkludent erfolgen. Dazu genügt ein Verhalten der Beteiligten, das nur dahin gewürdigt werden kann, dass sie nach Fortfall der Nichtigkeitsgründe noch zu dem ursprünglichen Geschäft stehen und dieses gelten lassen wollen. Indessen ist schlüssigem Verhalten ein Bestätigungswille nur zu entnehmen, wenn es jeder Beteiligte eindeutig als Bestätigung auffassen muss; so etwa wenn eine Anfechtung zurückgewiesen wird und der anfechtende Teil erklärt, den Vertrag jetzt erfüllen zu wollen, oder wenn die Parteien eines ursprünglich verbotswidrigen Vertrages nach Wegfall des Verbots den Vertrag in einem Rechtsstreit trotz Hinweises auf seine ursprüngliche Verbotswidrigkeit als wirksam behandeln. Sobald das als Bestätigung in Betracht kommende Verhalten aber auch auf anderen Gründen beruhen kann, scheidet seine Würdigung als Bestätigung grundsätzlich aus (vgl. Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger-Nassall, a. a. O., § 141 Rn. 14 m. w. N.).
b. Eine ausdrückliche Bestätigung ist mit den eingangs unter Ziffer 2) genannten Handlungsweisen der Parteien bzw. der Klägerin nicht einhergegangen. Da eine Unwirksamkeit der Klauseln zu der Gewährleistungssicherheit in den BVB und ZVB zu den betreffenden Zeitpunkten zwischen den Parteien nicht in Rede stand, fehlte es auch an jeglichen Anhaltspunkten für die Beklagte, an Hand derer sie von einem bestehenden Bestätigungswillen der Klägerin hätte ausgehen und deren rechtsgeschäftliche Handlungen im Sinne einer Bestätigung hätte verstehen können oder gar müssen; sämtliche Handlungen der Klägerin hatten vielmehr erkennbar einen anderweitigen Zweck. Davon abgesehen wäre auf diesem Wege ohnehin allein das zuvor bestehende Vertragswerk „bestätigt“ worden, ohne dass eine Veränderung der Klauseln unter den Ziffern 7 BVB, 22 ZVB stattgefunden hätte; die Bestätigung eines (noch immer) unwirksamen Rechtsgeschäftes macht dieses jedoch nicht nunmehr wirksam, soweit sie nach § 141 Abs. 1 BGB als erneute Vornahme zu beurteilen ist.
3. Ebenso hat das Landgericht richtigerweise gesehen, dass die Klägerin mit einem Anspruch auf Herausgabe der Gewährleistungsbürgschaft nicht gemäß § 814 BGB deshalb ausgeschlossen ist, weil sie wusste, dass sie nicht zur Stellung der Sicherheit verpflichtet war.
a. Die Beweislast für das Eingreifen des Ausschlusstatbestands trägt nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der sich auf den Tatbestand beruft, also der potentielle Bereicherungsschuldner und damit hier die Beklagte (vgl. BGH, Urteil vom 17.10.2002, Az.: III ZR 58/02, - zitiert nach juris -, Rn. 11 m. w. N.); einen Beweis für eine Kenntnis der Klägerin bzw. der an ihr beteiligten Unternehmen von einer Unwirksamkeit der Ziffern 7.1 und 7.2 BVB sowie 22 ZVB hat die Beklagte aber nicht angetreten.
b. Der Beklagten kommen in diesem Zusammenhang insbesondere keine Beweiserleichterungen in Form einer zu Lasten der Klägerin modifizierten Darlegungslast oder gar eines Anscheinsbeweises zu gute. Es reicht hierfür nicht aus, dass die an der Klägerin beteiligten Unternehmen Rechtsabteilungen unterhalten und eine anwaltliche Begleitung schon vor der Übersendung der Gewährleistungsbürgschaft bestand, sodass davon auszugehen wäre, dass eine Kenntnis für die Unwirksamkeit der maßgeblichen Klauseln einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bei Stellung der Sicherheit als nach § 814 BGB maßgeblichem Zeitpunkt (vgl. BFH, Urteil vom 13.03.1997, Az.: VII R 39/96, - zitiert nach juris -, Rn. 32) gegeben war.
aa. Wer zu einem bestimmten Verkehrskreis gehört, kennt zwar im Allgemeinen die für sein Fachgebiet wesentlichen Rechtsvorschriften (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 28.09.1999, Az.: 1 U 890/96, - zitiert nach juris -, Rn. 33 m. w. N. zur Kenntnis der Formbedürftigkeit eines Jagdpachtvertrages nach Ablegung der Jägerprüfung).
bb. Darüber geht allerdings deren hier notwendige Anwendung auf einen bestimmten Sachverhalt vor dem Hintergrund der differenzierten Gestaltung vergleichbarer Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die schon Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren, weit hinaus. So hat etwa die Beklagte selbst in erster Instanz darauf hingewiesen, dass es hier anders als in dem von der Klägerin in Bezug genommenen höchstrichterlichen Urteil in anderer Sache an einer Regelung fehle, nach der die Vertragserfüllungsbürgschaft erst nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung herauszugeben sei; weiterhin war dort die inhaltliche Überschneidung der Sicherheiten für die Vertragserfüllung und die Gewährleistung insofern deutlicher, als letzterer Begriff auch bei der Darstellung des Sicherungsumfanges der Vertragserfüllungssicherheit Verwendung fand, während hier jeweils (nur) auf „Mängelansprüche“ abgestellt wird (vgl. BGH, Urteil vom 22.01.2015, Az.: VII ZR 120/14, - zitiert nach juris -, Rn. 3 f.). Bereits um zu einer sekundären Darlegungslast des Beweisgegners zu gelangen, muss der Vortrag des Beweispflichtigen greifbare Anhaltspunkte liefern, aus denen sich seine Behauptung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.2012, Az.: I ZR 87/11, - zitiert nach juris -, Rn. 17); dafür reichen die - pauschalen - Verweise der Beklagten darauf, dass auf Seiten der Klägerin zumindest Kenntnisse im Baurecht bestehen und (unterstellt) eine Auswertung der hierzu ergehenden Rechtsprechung erfolgt, nach dem zuvor Gesagten nicht aus. Abgesehen davon erschiene es wenig naheliegend, dass die Klägerin sich mit anderweitigen Argumenten gegen die Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft gewandt hat, die Unwirksamkeit der betreffenden vertraglichen Regelungen im Falle von deren positiver Kenntnis aber gerade nicht geltend gemacht hätte (anders etwa bei OLG Koblenz, a. a. O., wo der Abschluss des formlosen Jagdpachtvertrages dazu dienen konnte, die Jagdgenossenschaft als Hauptverpächter oder die untere Jagdbehörde zu täuschen, um dem dortigen Kläger eine auf legalem Wege nicht zu erlangende Stellung als Unterpächter zu verschaffen).
II. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wird der Beklagten eine Rücknahme ihrer Berufung anheimgestellt.
III1. Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 und 6 ZPO auf bis zu 5.200.000,00 € festzusetzen.
a. Ausschlaggebend ist das Interesse des Klägers an dem Besitz der Urkunde. Geht es dem Kläger mit der Herausgabeklage darum, den Bürgen durch eine Rückgabe der Bürgschaftsurkunde vor einer Inanspruchnahme von Seiten des Beklagten zu verschonen, ist der Streitwert der Herausgabeklage mit dem Wert der Bürgschaftsforderung anzusetzen. Erheblich geringer als der Wert der Bürgschaftsforderung kann das Interesse an dem Besitz der betreffenden Urkunde dagegen (nur) dann anzusetzen sein, wenn etwa die Hauptforderung erloschen ist und es lediglich darum geht, eine missbräuchliche Benutzung der Bürgschaftsurkunde zu verhindern (vgl. BGH, Beschluss vom 14.10.1993, Az.: IX ZR 104/93, - zitiert nach juris -, Rn. 1 m. w. N.).
b. Im vorliegenden Fall ist die Herausgabeklage danach mit dem Betrag der Bürgschaftsforderung zu bewerten, weil nach dem Bürgschaftsvertrag die Verpflichtungen aus der Bürgschaft bei einer Rückgabe der Bürgschaftsurkunde an den Bürgen erlöschen, während die Beklagte in dem Verfahren zu dem Aktenzeichen 2 O 8/18 (2) des Landgerichtes Rostock Gewährleistungsansprüche gegen die Klägerin geltend macht.
2. Der Streitwert für die erste Instanz wäre gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen entsprechend abzuändern, weil das Landgericht seiner Festsetzung (dennoch) nur einen Bruchteil der Bürgschaftsforderung zugrunde gelegt hat.