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  • 06.01.2009 | Selbstfürsorge

    Das Helfersyndrom: Wenn Helfen zum Problem wird

    von Mihrican Özdem, Diplompsychologin, Landau

    Helfersyndrom - das ist die Neigung, anderen Menschen in übertriebenem Maße zu helfen. Unter Angehörigen von helfenden Berufen wie Physiotherapeuten kommt das Helfersyndrom häufiger vor als bei anderen Berufsgruppen. Deshalb ist es für Sie besonders wichtig, auf Ihr Hilfeverhalten zu achten. „Praxisführung professionell“ fasst für Sie die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.  

    Kann Helfen krankhaft sein?

    Anderen zu helfen, ist zunächst etwas Positives und auch ein natürliches Bedürfnis des Menschen. Das gilt auch dann, wenn zeitweilig eigene Interessen hintenangestellt werden. Schädlich für beide Seiten wird das Helfen dann, wenn der Helfende das Bedürfnis des anderen nicht mehr im Blick hat und vor allem deshalb hilft, um die eigene Person aufzuwerten. Er „opfert“ sich beim Helfersyndrom für den anderen auf, überfordert sich, erwartet dabei Anerkennung und Dankbarkeit. Er degradiert den anderen zum hilfsbedürftigen, schwächeren, unselbstständigen Partner.  

     

    Der Hilfeempfänger gerät in eine Zwickmühle: Einerseits ist es erst einmal bequem, die Hilfe in Anspruch zu nehmen. Andererseits muss er dauernd dankbar sein, sich kleiner fühlen. Wenn ihm die Hilfe zu viel wird, traut er sich nicht zu sagen, dass es genug ist, weil ihm dies als Undankbarkeit ausgelegt würde. Außerdem lernt er nicht, eigene Probleme selbst zu meistern. Das ungefragte Helfen ist ein gutes Beispiel für ein solches Verhalten.  

     

    Beispiel

    Die Physiotherapeutin D sitzt an der Rezeption am PC und bereitet die zur Abrechnung fertigen Rezepte vor, die seit Tagen liegen geblieben sind. Ein älterer Patient kommt in die Praxis, er läuft sichtbar langsam. Frau D unterbricht sofort die Arbeit, geht zum Patienten herüber und sagt: „Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“ Der Patient wird leicht nervös, macht einerseits abweisende Gesten, lässt sich aber dennoch helfen. Dies wiederum macht Frau D nervös, sie denkt: „Ich helfe doch nur, habe sogar meine Arbeit liegen gelassen, was will er denn?“  

     

    Aus der Sicht des Patienten hat Frau D sein langsames Gehen gleich als Hilfsbedürftigkeit interpretiert. Dabei fühlt er sich gar nicht hilfsbedürftig, er kann nur nicht so schnell gehen wie andere. Er hätte sich gewünscht, dass sie seine Langsamkeit respektiert hätte, statt sie gleich als etwas Problematisches anzusehen. Er will aber auch nicht unhöflich sein und die Hilfe ablehnen, so lässt er sie über sich ergehen.  

    Hier hat die Physiotherapeutin ihre Hilfe aufgedrängt und sich und den Patienten in eine unangenehme Situation gebracht. Besser wäre: Sie begrüßt den Patienten, beobachtet einige Sekunden sein Gehen, stellt fest, dass er nicht zu stürzen droht (nicht schwankt, sich nicht an der Wand abstützt und dergleichen), und bietet keine Hilfe an - denn offenbar kann er sich selbst helfen. Wenn die Situation unklar ist, fragt sie: „Herr Meyer, möchten Sie gern, dass ich Ihnen helfe?“ Und wenn der Patient tatsächlich zu stürzen droht, hilft sie natürlich sofort.