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  • · Fachbeitrag · Fristlose Kündigung

    Kündigung nach sieben Monaten: Vermieter muss nicht in „angemessener Frist“ kündigen

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    | Befindet sich der Mieter mit zwei Monatsmieten in Verzug, ist der Vermieter unter den Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB berechtigt, das Mietverhältnis fristlos zu kündigen. In der Praxis wird von der Kündigungsmöglichkeit aus unterschiedlichsten Gründen nicht immer zeitnah Gebrauch gemacht. Der BGH klärt, dass es sich bei den §§ 543, 569 BGB um abschließende Sonderregelungen handelt, die nicht der zeitlichen Grenze des § 314 Abs. 3 BGB unterliegen. |

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin ist eine Kirchengemeinde in Düsseldorf. Sie vermietete an die Beklagte, ihre ehemalige Küsterin, in 06 eine Wohnung. Die Beklagte zahlte die Mieten für die Monate 2 bis 4/13 nicht. Die Klägerin mahnte die Zahlung dieser Beträge mit Schreiben vom 14.8.13 an. Am 3.9.13 teilte die Beklagte mit, sie habe diese Mieten leider nicht überwiesen und entschuldige sich dafür. Da die Beklagte die Mietrückstände auch in der Folgezeit nicht beglich, erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 15.11.13 die fristlose Kündigung.

     

    Ihre Räumungsklage wird in zweiter Instanz abgewiesen. Grund: Die Kündigung sei unwirksam, weil sie erst sieben Monate nach der ersten Kündigungsmöglichkeit, also nicht in einer angemessenen Frist (§ 314 Abs. 3 BGB) ausgesprochen worden sei. Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Der BGH weist die Berufung der Beklagten gegen das Räumungsurteil des AG zurück.

     

    § 314 Abs. 3 BGB findet auf die fristlose Kündigung eines (Wohnraum-) Mietverhältnisses nach §§ 543, 569 BGB keine Anwendung (Abruf-Nr. 188251).

     

    Entscheidungsgründe

    Schon der Wortlaut der §§ 549, 569 BGB spricht gegen eine zeitliche Schranke für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. § 543 BGB regelt ‒ sei es als Generalklausel (Abs. 1) oder als Regeltatbestände (Abs. 2) ‒ die Voraussetzungen für die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses. Er bestimmt in seinen weiteren Absätzen im Einzelnen die Modalitäten der Kündigung. Eine zeitliche Beschränkung für den Ausspruch der Kündigung schreibt diese Bestimmung nicht vor.

     

    Ebenso wenig enthält sie einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB. Auch § 569 BGB, der für Wohnraummietverhältnisse § 543 BGB um weitere Tatbestände und Kündigungsmodalitäten ergänzt, sieht weder eine Zeitspanne, innerhalb derer die fristlose Kündigung auszusprechen ist, noch einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB vor.

     

    Dies wird bestätigt durch die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommene Zielsetzung des Gesetzgebers. Aus den Gesetzesmaterialien zu §§ 543, 569 BGB und zu § 314 BGB ergibt sich eindeutig, dass die Vorschriften über die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses als abschließende spezielle Regelung konzipiert sind und von der Einfügung einer Bestimmung, wonach die Kündigung in „angemessener Frist“ zu erfolgen habe, bewusst abgesehen wurde.

     

    Die Neufassung der mietrechtlichen Kündigungsbestimmungen im Rahmen des Mietrechtsreform vom 19.6.01 (BGBl. I S. 1149) sollte die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze ablösen und das zuvor aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen hergeleitete fristlose Kündigungsrecht aus wichtigem Grund sowie die über mehrere Einzelvorschriften verstreuten speziellen Kündigungsgründe ablösen (BT-Drucksache 14/4553, S. 43). Mit Ausnahme der Verlängerung der Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) sollte damit eine inhaltliche Änderung nicht verbunden sein (BT-Drucksache 14/4553, S. 64). Die Regelung des § 314 BGB oder eine vergleichbare allgemeine Vorschrift gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht. Auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung war ein allgemeiner Grundsatz dieses Inhalts nicht entwickelt worden.

     

    Der Gesetzgeber hat bei der Mietrechtsreform bewusst davon abgesehen festzulegen, dass die Kündigung innerhalb einer „angemessenen Zeit“ ab Kenntnis vom Kündigungsgrund zu erfolgen hat (BT-Drucksache 14/4553, S. 44). Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Kündigungsrecht verwirkt werden könne und deshalb ein Bedürfnis für eine solche Festlegung nicht bestehe. Zusätzlich wird darauf abgestellt, dass eine einheitliche konkrete Ausschlussfrist angesichts der Vielgestaltigkeit der Mietverhältnisse nicht festgelegt werden könne und eine „offenere“ Bestimmung eine Auslegung durch die Rechtsprechung erfordere und somit kaum etwas zur Vereinfachung des Mietrechts beitragen könne.

     

    Hieran hat die Einführung des § 314 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.01 (BGBl I S. 3138) nichts geändert. Es erschien dem Gesetzgeber zwar geboten, bei einer allgemeinen Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts die Kündigung aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen in das Bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen. Die zu § 314 BGB als lex generalis in einem Konkurrenzverhältnis stehenden zahlreichen Vorschriften des BGB und anderer Gesetze, in denen die Kündigung aus wichtigem Grund bei einzelnen Dauerschuldverhältnissen besonders geregelt ist, „sollten jedoch nicht aufgehoben oder geändert werden, sondern als leges speciales Vorrang vor § 314 BGB haben“ (BT-Drucksache 14/6040, S. 177).

     

    Relevanz für die Praxis

    Der VIII. Zivilsenat entscheidet die im rechtswissenschaftlichen Schrifttum umstrittene und von ihm bisher offengelassene Frage (vgl. MK 09, 100, Abruf-Nr. 091523), ob § 314 Abs. 3 BGB auf die fristlose Kündigung eines (Wohnraum-)Mietverhältnisses nach §§ 543, 569 BGB anzuwenden ist, wie aus dem Leitsatz ersichtlich. Das heißt: Die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses ist in §§ 543, 569 BGB abschließend geregelt. Der Vermieter muss nicht i. S. d. § 314 Abs. 3 BGB „in einer angemessenen Frist“ kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Er ist nicht gehalten, frühestmöglich zu kündigen, um eigene Nachteile zu vermeiden.

     

    Ob der gewerbliche Mietsenat sich dieser Auffassung anschließen wird, bleibt abzuwarten. Seine Entscheidung MK 05, 135 (Abruf-Nr. 071590) soll dem aus Sicht des VIII. Senats jedenfalls nicht entgegen. Soweit der XII. Senat eine illoyale Verspätung der vom Vermieter ausgesprochenen fristlosen Kündigung sowohl im Rahmen der Verwirkung als auch im Rahmen des § 314 Abs. 3 BGB verneint habe, sei dessen Anwendbarkeit nicht näher erörtert worden, weil sie nicht entscheidungserheblich gewesen sei.

     

    Entscheidungserheblich war hier die Streitfrage aus materiellen Gründen allerdings nicht. Grund: Das Berufungsgericht hat nach Auffassung des BGH nicht berücksichtigt, dass die Zahlungsrückstände trotz Mahnung fortbestanden und die Klägerin durch das Zuwarten mit der Kündigung Rücksicht auf die Belange der Beklagten genommen hat (§ 543 Abs. 2 S. 2 BGB). Das heißt: Es war nicht berechtigt anzunehmen, dass, die Kündigung nicht in angemessener Frist ausgesprochen worden sei.

     

    Damit war die Beurteilung des Berufungsgerichts selbst nach dem Maßstab des § 314 Abs. 3 BGB rechtsfehlerhaft. Dann hätte der BGH die Frage aber offen lassen können.

     

    Beachten Sie | Die Nichtanwendbarkeit des § 314 Abs. 3 BGB bedeutet auch nach Auffassung des BGH nicht, dass eine fristlose Kündigung nicht gleichwohl illoyal verspätet sein kann. Weiß der Vermieter um den Kündigungsgrund, lässt er aber gleichwohl einen längeren Zeitraum verstreichen, bis er das Mietverhältnis kündigt, kann es unter den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls etwa an einer Unzumutbarkeit nach § 543 Abs. 1 BGB fehlen oder die Kündigung kann nach § 242 BGB (unzulässige Rechtsausübung/Verwirkung) unwirksam sein (BGH MK 10, 130, Abruf-Nr. 102070). Allgemeine Regeln lassen sich insoweit nicht aufstellen.

     

    Hier erfüllt die vom Berufungsgericht beanstandete „Verzögerung“ der Kündigung von sieben Monaten die Voraussetzungen der Verwirkung deshalb nicht, weil es schon an einem Umstandsmoment fehlt. Tragfähige Anhaltspunkte für ein Vertrauen der Beklagten, die Klägerin werde von ihrem Recht zur fristlosen Kündigung wegen Verzugs mit zwei Monatsmieten keinen Gebrauch machen, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich.

     

    Sie liegen insbesondere nicht schon darin, dass es sich bei der Klägerin um eine Kirchengemeinde handelt und die Beklagte früher bei ihr als Küsterin beschäftigt gewesen ist. Das heißt: Die Beklagte durfte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht darauf vertrauen, die Klägerin werde aus sozialen oder ethischen Erwägungen von einer Kündigung absehen.

    Quelle: Sonderausgabe 02 / 2017 | Seite 8 | ID 44884819