· Energieversorgung
Energieliefervertrag bei Vermietung einzelner Zimmer einer Wohnung

von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin
| Eine Wohnung wird typischerweise insgesamt vermietet. Üblich ist auch die Vermietung einer Wohnung an mehrere Mieter, die aufgrund eigener Entscheidung in einer Wohngemeinschaft zusammenleben wollen. Aktuell ist in größeren Städten, insbesondere angespannten Wohnungsmärkten zu beobachten, dass Vermieter die einzelnen Zimmer einer Wohnung an verschiedene Personen vermieten, die sich untereinander (bisher) nicht kennen und aufgrund des vom Vermieter gewählten Vermietungsmodells in einer Wohngemeinschaft zusammenleben (müssen): Das jeweilige Zimmer wird zur Alleinnutzung vermietet, die Gemeinschaftsflächen ‒ Flur, Küche, Bad ‒ zur gemeinsamen Nutzung. Da Wohnungen in der Regel nur mit jeweils einem Zähler für Strom, Wasser und ggf. auch Gas ausgestattet sind, stellt sich bei diesem WG-Vermietungsmodell eines Vermieters ‒ anders als bei einer WG auf Mieter-Initiative ‒ die Frage, wer Vertragspartner des Energieversorgers wird bzw. werden kann. Lesen Sie die Antwort des BGH! |
Sachverhalt
Die Klägerin macht gegen die beklagte Eigentümerin mehrerer Wohnungen Vergütung für die Versorgung mit Strom und Gas im Rahmen der Grundversorgung für den Zeitraum 2016 bis 2021 geltend. Die Zimmer der Wohnungen waren in dem Zeitraum jeweils einzeln mit gesonderten Mietverträgen über unterschiedliche Laufzeiten vermietet, Bad und Küche wurden gemeinschaftlich genutzt. Die Wohnungen, nicht aber die einzelnen Zimmer verfügen über einen Strom- und Gaszähler. Die Parteien streiten darüber, ob die Versorgungsverträge (konkludent) mit der Gesellschaft oder mit den Mietern zustande gekommen sind.
Das AG wies die Klage ab. Das LG gab ihr auf die Berufung hin statt. Die zugelassene Revision der Beklagten blieb erfolglos (BGH 11.2.25, VIII ZR 300/23, Abruf-Nr. 247924).
Entscheidungsgründe
Der BGH beantwortet die vom LG aufgeworfene Frage, mit wem der Vertrag im Fall der Vermietung einzelner Zimmer ohne eigene gesonderte Zähler ein Vertrag zustande komme, auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung.
MERKE | Im Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens ist nach der BGH-Rechtsprechung grundsätzlich ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags in Form einer sog. Realofferte zu sehen. Diese wird von dem konkludent angenommen, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt (st. Rspr.: BGH 2.7.14, VIII ZR 316/13, BGHZ 202, 17; 22.7.14, VIII ZR 313/13, BGHZ 202, 158; 27.11.19, VIII ZR 165/18, WuM 20, 94; vgl. auch § 2 Abs. 2 S. 1 GasGVV und StromGVV). |
Mehrere Adressaten der Realofferte
Kommen mehrere Adressaten des schlüssig erklärten Vertragsangebots des Versorgungsunternehmens in Betracht, ist durch Auslegung aus Sicht eines verständigen Dritten in der Position des möglichen Erklärungsempfängers zu ermitteln, an wen sich die Realofferte richtet. Empfänger der im Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens liegenden Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrags ist typischerweise der, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt. Das ist grundsätzlich der Eigentümer, wobei es dabei jedoch nicht auf die Eigentümerstellung selbst, sondern auf die hierdurch vermittelte Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ankommt.
Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt kann auch eine andere Person sein, etwa der Mieter oder Pächter eines Grundstücks. Er hat in der Regel die tatsächliche Verfügungsgewalt über die ihm überlassene Miet- oder Pachtsache. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Energieversorger die Identität des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt bekannt ist bzw. er von der Besitzüberlassung und der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Besitzers über den Versorgungsanschluss überhaupt weiß. Nichts anderes gilt für den Fall, dass mehrere Mieter gemeinschaftlich den Mietvertrag abschließen. Die Realofferte des Energieversorgungsunternehmens richtet sich in diesem Fall regelmäßig an sämtliche Mitmieter.
Wer Angebotsadressat ist, hängt zudem davon ab, wer den Strom verbraucht, denn der Vertrag soll regelmäßig gerade mit der Person begründet werden, die aufgrund ihrer tatsächlichen Verfügungsgewalt in der Lage ist, die offerierte Energie auch zu entnehmen und hierdurch das Angebot (konkludent) anzunehmen. Diese Möglichkeit hat bei einer Mietwohnung in der Regel der Mieter, weil er typischerweise auch die tatsächliche Sachherrschaft über die in der Wohnung befindlichen Versorgungsanschlüsse hat.
Der BGH misst dabei dem Umstand Bedeutung zu, dass der Verbrauch des Mieters von einem separaten, der vermieteten Wohnung zugeordneten Zähler erfasst wird. Dieser ermöglicht es dem Energieversorgungsunternehmen, den konkreten Verbrauch individuell zuzuordnen und gegenüber dem einzelnen Mieter abzurechnen. Wird der Stromverbrauch einer in einem Mehrparteienhaus gelegenen, vermieteten Wohnung über einen Zähler erfasst, der ausschließlich dieser Wohnung zugeordnet ist, richtet sich die in der Bereitstellung von ‒ hier ‒ Strom oder Gas liegende Realofferte des Versorgungsunternehmens deshalb regelmäßig nicht an den Hauseigentümer, sondern an den Mieter, der durch die seinerseits erfolgte Strom- oder Gasentnahme das Angebot konkludent annimmt.
Diese auf den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss weisenden Grundsätze gelten nur dann nicht, wenn gegenläufige Anhaltspunkte vorhanden sind, die im Einzelfall unübersehbar in eine andere Richtung weisen, oder wenn der Abnehmer der Versorgungsleistung bereits anderweitig feststeht, weil das Versorgungsunternehmen oder der Abnehmer zuvor mit einem Dritten eine Liefervereinbarung geschlossen haben, aufgrund derer die ‒ nur einmal fließende ‒ Leistung in ein bestehendes Vertragsverhältnis eingebettet ist. Solche gegenläufigen Anhaltspunkte, die eindeutig auf den Vermieter (Eigentümer) als Vertragspartner des Energieversorgers hinweisen, können insbesondere dann vorliegen, wenn ‒ wie hier ‒ kein den konkreten Verbrauch der einzelnen Mietsache erfassender Zähler vorhanden ist (vgl. zum Fall der [Unter-]Vermietung der gesamten Wohnung bei Vorliegen nur eines Zählers BGH 5.6.18, VIII ZR 253/17, NJW-RR 18, 1105).
Der BGH hat bereits entschieden, dass der Eigentümer (Vermieter) bei Fehlen einer separaten Erfassung, die die Zuordnung des konkreten Verbrauchs zu der jeweiligen Mietsache und deren Mieter ermöglicht, als Vertragspartner des Versorgungsunternehmens in Betracht kommt, auf dem sich der Übergabepunkt befindet. Es steht ihm frei, für die Anbringung getrennter Messeinrichtungen hinter der Übergabestelle zu sorgen (BGH 15.2.06, VIII ZR 138/05, NJW 20, 1667). Dies zugrunde gelegt, hat die Klägerin gegen die Vermieterin/Eigentümerin einen Anspruch aus § 433 Abs. 2, § 280 Abs. 2, § 286 Abs. 1 BGB, § 17 Abs. 2 S. 1, § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV, § 17 Abs. 2 S. 1, § 19 Abs. 2 S. 1 StromGVV.
Die Versorgungsverträge bezüglich der Strom- und Gasverbräuche, die über die der jeweiligen Wohnung insgesamt zugeordneten Zähler erfasst worden sind, sind mit der Wohnungseigentümerin zustande gekommen. Sie war Adressatin der Realofferte der Klägerin. Die Offerte war nicht an die einzelnen Mieter der Zimmer gerichtet und auch nicht etwa an sämtliche in der jeweiligen Wohnung lebenden Mieter. Aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven, verständigen Dritten entscheidend ist dabei der Umstand, dass nicht die einzelnen vermieteten Zimmer, sondern lediglich die jeweilige Wohnung insgesamt über (nur) einen Zähler verfügten und deshalb eine Erfassung der Verbräuche der einzelnen Mieter nicht möglich war.
Das Vermietungskonzept der Eigentümerin
Die der Beklagten fehlende Einwirkungsmöglichkeit auf den Verbrauch steht der Beurteilung nicht entgegen, denn sie ist die Folge des von ihr gewählten besonderen Vermietungskonzepts; zudem begründen gerade dieses und insbesondere das damit einhergehende Vorhandensein lediglich eines einzigen Zählers für die jeweilige Wohnung die Anhaltspunkte, die eindeutig auf sie als Vertragspartnerin der Klägerin hinweisen.
Beachten Sie | Das Vermietungskonzept unterscheidet sich grundlegend von Mietverträgen über die gesamte Wohnung an mehrere Mieter (gemeinsam). In diesen Fällen richtet sich die Realofferte nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) an alle Mitmieter als Gesamtschuldner. Es wird ‒ wiederum nach dem objektiven Empfängerhorizont ‒ von allen Mietern konkludent angenommen. Das gilt auch, wenn nicht (mehr) alle Mieter die Wohnung bewohnen. Der oder die in der Wohnung verbliebenen Mieter handeln regelmäßig für sich und ‒ nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht ‒ als Stellvertreter (BGH 22.7.14, VIII ZR 313/13).
Anders als bei einer Mietermehrheit, die für sämtliche Verbindlichkeiten aus einem gemeinschaftlichen Mietvertrag gesamtschuldnerisch haftet (§§ 421, 427 BGB), sind bei Vermietung einzelner Zimmer und Gemeinschaftsräume die unterschiedlichen Personen vertraglich nicht miteinander verbunden. Bei einer einzigen (gemeinsamen) Messeinrichtung haben die einzelnen Mieter in dieser Fallgestaltung typischerweise regelmäßig kein Interesse daran, auch für die Verbräuche der anderen Mieter einzustehen. Von einer an die Gesamtheit der Mieter gerichteten Realofferte kann daher nicht ausgegangen werden.
Beachten Sie | Der BGH „räumt“ vorsorglich Reaktionen durch vorhersehbare Anpassungen der Vertragsgestaltungen „ab“. Eine andere Beurteilung ergäbe sich auch nicht, wenn die Mieter jeweils mietvertraglich dazu verpflichtet gewesen wären, sich bezüglich der Versorgung mit Strom und Gas eigenverantwortlich mit einem Versorgungsunternehmen in Verbindung zu setzen. Der Umstand kann zwar im Hinblick auf die Frage, an wen sich die Realofferte des Versorgungsunternehmens richtet, bedeutsam sein ‒ allerdings nur, wenn in den Wohnungen die technischen Voraussetzungen dafür vorliegen, die Verbräuche der einzelnen Mieter separat zu erfassen, um auf dieser Grundlage (Einzel-)Versorgungsverträge abzuschließen.
Rechtsfehlerfrei ‒ so der BGH ‒ ist auch die weitere Annahme des LG, dass in der Entnahme von Strom und Gas durch die Mieter eine (konkludente) Annahme des Angebots der Klägerin liege, die der Eigentümerin und Vermieterin nach § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB zuzurechnen sei. Zu Recht habe das LG die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Duldungsvollmacht bejaht. Indem die Eigentümerin die Mietverträge mit den einzelnen Mietern abschloss, wusste und duldete sie, dass diese Strom und Gas entnehmen würden, weil dies für die Nutzung der Räume zwingend erforderlich war.
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung knüpft konsequent an die bisherige Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH an. Mietern und Vermietern dürften diese Konsequenzen der zimmerweisen Vermietung nach dem WG-Vermietungsmodell bisher jedoch kaum bewusst sein. Das kann sich ändern. Die Risiken des Vermietungsmodells lassen sich für den Vermieter im Wege angepasster Vertragsgestaltungen kaum rechtswirksam auflösen. Das muss Mieter- und Vermietervertretern ‒ ebenso wie Hausverwaltungen ‒ klar sein und in der Beratung unbedingt berücksichtigt werden.