02.11.2010
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 29.01.2010 – 10 K 1804/08
1. Werden Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer für Rechnung beider Ehegatten als Gesamtschuldner bewirkt, erfolgt die Anrechnung auf die Einkommensteuerschuld bzw. Erstattung nach Köpfen. Dies gilt auch dann, wenn auf einen Ehegatten keine Steuerschuld entfällt oder wenn später getrennte Veranlagung beantragt wird.
2. Die Anrechnungsverfügung ist bindend für einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid.
3. Eine fehlerhafte, den Steuerpflichtigen begünstigende Anrechnungsverfügung kann nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO zurückgenommen werden.
4. Ist der Steuerpflichtige als Steuerberater tätig, muss er Kenntnis davon haben, dass die Einkommensteuervorauszahlungen für Ehegatten bei intakter und bestehender Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach Köpfen aufzuteilen ist, so dass die Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügung auf grober Fahrlässigkeit i. S. d. § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO beruht.
5. Die Anrechnung im unselbständigen Berechnungsteil eines Vorauszahlungsbescheids ist kein Verwaltungsakt.
6. Die Umbuchung von Einkommensteuervorauszahlungen von einer Steuernummer auf eine andere Steuernummer stellt keinen Verwaltungsakt dar.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 10. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg in der Sitzung vom 29. Januar 2010 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … und Ehrenamtliche Richter …
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Abrechnungsbescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für die Jahre 2004 und 2005 vom 7. Juli 2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidungen vom 14. März 2008.
Der Kläger ist Alleingesellschafter der Z GmbH. Er wurde bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2002 mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Ab dem Veranlagungszeitraum 2003 wurde mit der Steuererklärung für 2003, eingegangen beim Beklagten am 29. März 2005, erstmals getrennte Veranlagung beantragt. Nach Angabe des Klägers dauerte die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bis Oktober 2005 an. Der Kläger hat das ab Oktober 2005 eingetretene dauernde Getrenntleben dem Beklagten nicht mitgeteilt. Der Kläger gehört keiner Religionsgemeinschaft an. Die Ehefrau des Kläger ist evangelisch.
Im Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 16. Mai 2003, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, wurden die Vorauszahlungen ab dem Jahr 2004 jeweils zum 10. März, 10. Juni, 10. September sowie 10. Dezember in Bezug auf die Einkommensteuer in Höhe von 7.546 Euro, Kirchensteuer evangelisch Ehefrau 535 Euro sowie Solidaritätszuschlag 402 Euro, insgesamt 8483 Euro, unter Berücksichtigung der bisher vorgenommenen Zusammenveranlagung festgesetzt. Im für das zweite bis vierte Quartal 2004 geänderten Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 3. März 2004, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wurden die Vorauszahlungen ab dem zweiten Quartal 2004 bis zum vierten Quartal 2004 jeweils im Hinblick auf die Einkommensteuer in Höhe von 19.506 Euro, Kirchensteuer evangelisch Ehefrau 779 Euro sowie Solidaritätszuschlag 1.057 Euro, insgesamt jeweils 21.342 Euro, und ab dem ersten Quartal 2005 bis zum vierten Quartal 2005 jeweils in Bezug auf die Einkommensteuer in Höhe von 15.330 Euro, Kirchensteuer evangelisch Ehefrau 719 Euro sowie Solidaritätszuschlag 829 Euro, insgesamt jeweils 16.878 Euro, unter Berücksichtigung der bisher vorgenommenen Zusammenveranlagung festgesetzt.
Für den Veranlagungszeitraum 2004 wurden unter der bisher gemeinsamen Steuernummer der Eheleute…11 insgesamt folgende Vorauszahlungen zu den gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungsterminen durch Abbuchung infolge erteilter Einzugsermächtigung geleistet:
Einkommensteuer | 66.064 EUR |
Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer | 3.573 EUR |
Kirchensteuer evangelisch Ehefrau | 2.872 EUR |
Einkommensteuer 1. Quartal 2005 | 15.330 Euro |
Einkommensteuer 2. Quartal 2005 | 15.330 Euro |
Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 1. Quartal 2005 | 829 Euro |
Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 1. Quartal 2005 | 829 Euro |
Kirchensteuer evangelisch 1. Quartal 2005 | 719 Euro |
Kirchensteuer evangelisch 1. Quartal 2005 | 719 Euro |
Mit den Einkommensteuererklärungen 2003 vom 29. März 2005 bzw. 29. April 2005 wurde vom Kläger und seiner Ehefrau die getrennte Veranlagung beantragt. Mit Schreiben des beklagten Finanzamts vom 18. Mai 2005 an beide Ehegatten wurde gebeten, innerhalb von zwei Wochen mitzuteilen, wie die unter der gemeinsamen Steuernummer geleisteten Vorauszahlungen für das Jahr 2003 verteilt werden sollen. Mit Schreiben des beklagten Finanzamts vom 22. Juni 2005 wurde an das Schreiben vom 18. Mai 2005 mit zweiwöchiger Fristsetzung für eine Antwort erinnert, dass bislang keine Reaktion erfolgt war.
Mit Schreiben vom 7. Juli 2005 beantragte der Kläger, die Einkommensteuervorauszahlungen für 2003, 2004 und 2005 in vollem Umfang auf die für ihn neu eingerichtete Steuernummer…22 zu übertragen, da diese Vorauszahlungen vom Konto…99 bei der Volksbank X abgebucht und für seine Einkommensteuerschuld geleistet worden seien. Kontoinhaber war der Kläger. Das Konto wurde im Rahmen der Z GmbH bilanziert. Daraufhin wurden die Vorauszahlungen am 14. Juli 2005 in voller Höhe auf die neue Steuernummer…22 des Klägers umgebucht und entsprechend im Einkommensteuerbescheid 2003 und 2004 und im Vorauszahlungsbescheid für 2005 vom 4. August 2005 angerechnet.
Am 1. Dezember 2005 teilte die Ehefrau des Klägers schriftlich mit, dass die Ehegatten zum 30. Juni 2005 Gütertrennung vereinbart hätten. Sie teilte ferner mit, dass die Vorauszahlungen dem Konto der Z GmbH vom gemeinschaftlichen Konto zur Verfügung gestellt worden seien und diese im Verhältnis der erzielten Einkünfte zwischen den Ehegatten aufzuteilen seien. Der Ehefrau des Klägers wurde am 12. Dezember 2005 mitgeteilt, dass die Vorauszahlungen in voller Höhe dem Kläger zugerechnet wurden, da diese vom Konto der Z GmbH geleistet worden seien.
Der Einkommensteuerbescheid 2004 des Klägers erging am 16. Januar 2006 unter Vorbehalt der Nachprüfung; die Einkommensteuervorauszahlungen wurden dabei in vollem Umfang beim Kläger berücksichtigt.
Mit Schreiben vom 23. Februar 2006 beantragte die Ehefrau des Klägers die Anrechnung der hälftigen Vorauszahlungen bei ihrer Einkommensteuerveranlagung 2004. Am 28. Februar 2006 ging ein Schreiben der Gemeindeverwaltung beim Finanzamt ein, dem eine Erklärung der Ehefrau beigefügt war, wonach die Ehegatten seit dem 1. Januar 2004 dauernd getrennt leben; diese Tatsache war dem Finanzamt bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.
Der Beklagte teilte die Vorauszahlungen nach Köpfen auf. Dabei berief er sich auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 4. November 2003 VII B 382/02, – Sammlung der nicht amtlich veröffentlichten Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2004, 314, wonach bei bestehender und intakter Ehe davon auszugehen sei, dass die Zahlung der Einkommensteuer für Rechnung beider Ehegatten als Gesamtschuldner bewirkt worden und damit beide Ehegatten erstattungsberechtigt seien.
Bei der Einkommensteuerveranlagung 2004 der Ehefrau wurden demzufolge die Einkommensteuervorauszahlungen mit der Hälfte von 66.064 EUR, d.h. in Höhe von 33.032 EUR auf deren Einkommensteuerschuld angerechnet.
Für den Kläger ergingen am 6. März 2006 geänderte Abrechnungen zu dem Einkommensteuervorauszahlungsbescheiden 2004 und 2005, in denen die Einkommensteuervorauszahlungen nur zur Hälfte berücksichtigt wurden. Das Schreiben des Klägers vom 16. März 2006 wurde zunächst als Einspruch behandelt, dann jedoch in einen Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides umgedeutet. Der Kläger führte im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 5. Juni 2009 aus, dass mit Schreiben vom 16. März 2006 entgegen der Sachverhaltsdarstellung am 16. März 2006 kein Einspruch eingelegt worden sei. Vielmehr handele es sich um einen Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides.
Die Abrechnungsbescheide gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO – über Einkommensteuer 2004 und 2005 ergingen am 7. Juli 2006 mit gleichem Inhalt wie die geänderten Abrechnungen vom 6. März 2006. Hiergegen richten sich die form- und fristgerecht eingelegten Einsprüche vom 11. Juli 2006. Zur Begründung führte der Kläger an, dass es sich bei der Anrechnung der Einkommensteuervorauszahlungen im Einkommensteuerbescheid 2004 um einen eigenen Bescheid handele, der gegenüber dem späteren Abrechnungsbescheid Bindungswirkung entfalte. Da der Vorbehalt der Nachprüfung im Einkommensteuerbescheid 2004 nur für die Steuerfestsetzung, nicht aber für die Steueranrechnung gelte, könne die Anrechnung im Einkommensteuerbescheid 2004 nur noch nach den Änderungsvorschriften der AO geändert werden. Da es sich bei der Anrechnungsverfügung im Einkommensteuerbescheid um einen begünstigenden Verwaltungsakt handele, dürfe die Änderung nur im Rahmen des § 130 Abs. 2 AO erfolgen. Diese Voraussetzungen für eine Änderung nach § 130 Abs. 2 AO seien im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die Umbuchung der Vorauszahlungen auf die neue Steuernummer stelle für das Streitjahr 2005 einen Verwaltungsakt dar, der wiederum Bindungswirkung gegenüber einem späteren Abrechnungsbescheid entfalte und daher nur nach den Vorschriften der Abgabenordnung geändert werden könne. Die Voraussetzungen für eine Änderung im Sinne des § 130 Abs. 2 AO seien im vorliegenden Falle nicht gegeben.
Das beklagte Finanzamt teilte dem Kläger im Schreiben vom 24. September 2007 mit, dass im vorliegenden Fall der Anrechnungsbescheid im Einkommensteuerbescheid 2004 zwar eine Bindungswirkung gegenüber dem späteren Abrechnungsbescheid entfalte, dieser Anrechnungsbescheid könne jedoch gem. § 130 Abs. 2 AO geändert werden. Bezüglich der Ausführungen über die Änderungsmöglichkeiten im Sinne des § 130 Abs. 2 AO wird auf das Schreiben vom 24. September 2007 verwiesen.
Bei der Umbuchung von Vorauszahlungen von einer Steuernummer auf eine andere Steuernummer im Streitjahr 2005 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 118 AO, sondern diese stelle einen internen Vorgang dar. Mangels Vorliegen eines Verwaltungsaktes könne keine Bindungswirkung gegenüber einem späteren Abrechnungsbescheid entstehen. Die Aufteilung der Einkommensteuervorauszahlungen nach Köpfen sei zu Recht erfolgt, da das Finanzamt bei zusammen veranlagten Ehegatten davon ausgehen könne, dass derjenige Ehegatte, der die Zahlung auf die gemeinsame Steuerschuld bewirke, mit seiner Zahlung auch die Steuerschuld des mit ihm zusammen veranlagten Ehegatten tilgen wolle.
Mit den Einspruchsentscheidungen vom 14. März 2008 wurden die Einsprüche hinsichtlich der Abrechnungsbescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer 2004 und 2005 als unbegründet zurückgewiesen. Der Beklagte führte für 2004 aus, eine Änderung der Anrechnungsverfügung könne im vorliegenden Fall wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO erfolgen.
Vor Ergehen des Abrechnungsbescheids für Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer 2005 habe nur eine interne Umbuchung der Vorauszahlungen stattgefunden und es sei zuvor noch kein Einkommensteuerbescheid 2005 ergangen, so dass mangels Vorliegens eines Verwaltungsaktes keine Bindungswirkung der Umbuchungen auf die neue Steuernummer gegenüber dem späteren Abrechnungsbescheid vorliege. Nach § 37 Abs. 2 AO sei erstattungsberechtigt derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden sei. Es entspräche jedoch der natürlichen Betrachtungsweise und der regelmäßigen Absicht der Ehegatten, dass derjenige, der die Zahlung auf die gemeinsame Steuerschuld bewirke, auch den anderen Ehegatten von seiner Steuerschuld befreien wolle, solange die Ehe bestehe und intakt sei. Das Finanzamt habe erst im Februar 2006, lange Zeit nach Eingang der Vorauszahlungen, Kenntnis von der Trennung der Eheleute erlangt. Wäre das dauernde Getrenntleben der Eheleute bereits bei Eingang des Antrags auf Umbuchung des Klägers dem Finanzamt bekannt gewesen, so wäre eine Verbuchung der gesamten Vorauszahlungen für das 1. und 2. Quartal 2005 auf den Kläger nicht erfolgt, sondern die Vorauszahlungen wären hälftig auf die Ehegatten verteilt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidungen vom 14. März 2008 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 17. April 2008, eingegangen bei Gericht am selben Tage, erhob der Kläger Klage gegen die Abrechnungsbescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für die Jahre 2004 und 2005, jeweils vom 7. Juli 2006, in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 14. März 2008.
Der Kläger trägt vor, eine Änderung nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben scheide hinsichtlich des Abrechnungsbescheids für das Kalenderjahr 2004 aus. Es sei nicht zutreffend, dass im Jahr 2004 keine eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft mehr bestanden habe. Der Kläger habe von seiner Ehefrau erst seit Oktober 2005 dauernd getrennt gelebt. Zum Nachweis hierfür legte er das Protokoll der Sitzung des Amtsgerichts X im Scheidungsverfahren… mit den damaligen Angaben seiner Ehefrau vor, auf dessen Inhalt verwiesen wird. Hinsichtlich des Abrechnungsbescheids für das Jahr 2005 habe dem beklagten Finanzamt bei den Vorauszahlungen für das II. Quartal 2005 klar sein müssen, dass die Steuervorauszahlungen des Klägers nur für dessen Steuerschuld gelten sollten und nicht mehr wie in der Vergangenheit für die Steuerschulden der Eheleute insgesamt. Ferner habe im Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 4. August 2005 für das Kalenderjahr 2005 und später der Beklagte die Einkommensteuervorauszahlungen für das I. und II. Quartal 2005 in voller Höhe angerechnet. Es habe also auch im Kalenderjahr 2005 eine Abrechnung über Vorauszahlungen stattgefunden und nicht, wie in der Einspruchsentscheidung des Beklagten ausgeführt, lediglich eine interne Umbuchung der Einkommensteuervorauszahlungen für das erste und zweite Quartal 2005. Aus diesen Grund sei eine Änderung dieser Steuerabrechnung nur möglich, wenn eine Änderungsvorschrift nach § 129 ff. AO gegeben sei. Dies sei aber – wie die Ausführungen zum Abrechnungsbescheid für das Kalenderjahr 2004 zu entnehmen sei – nicht der Fall. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Klägers und die Niederschrift über den Erörterungstermin am 8. Dezember 2009 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Abrechnungsbescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für die Jahre 2004 und 2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidungen vom 14. März 2008 aufzuheben.
hilfsweise, die Einkommensteuervorauszahlungen nur in Höhe der jeweiligen Steuerschuld der Ehefrau auf diese anzurechnen und den Rest auf die Steuerschuld des Klägers anzurechnen.
die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist wegen des Sachverhalts und der rechtlichen Würdigung vollinhaltlich auf die Einspruchsentscheidungen vom 14. März 2008.
Beide Parteien haben im Erörterungstermin am 8. Dezember 2009 das Einverständnis mit der Entscheidung des erkennenden Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird vollständig auf die Finanzamtsakten, die Gerichtsakte, die Schriftsätze der Beteiligten, die Bescheide des Beklagten und die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 8. Dezember 2009 verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – kann das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt nur dann aufheben oder ändern, wenn dieser rechtswidrig und die Kläger dadurch in ihren Rechten verletzt sind. Der Senat kann die angefochtenen Verwaltungsakte im Streitfall allerdings nicht als rechtswidrig beanstanden.
Der Beklagte hat zu Recht angenommen, dass die vom Konto des Klägers geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen auf die Einkommensteuer 2004 nur zur Hälfte auf die durch getrennte Einkommensteuerveranlagung 2004 festgesetzte Einkommensteuer 2004 angerechnet werden können (siehe unten a). Ebenso hat der Beklagte zu Recht angenommen, dass die vom Konto des Klägers geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen für die ersten beiden Quartale 2005 auf die Einkommensteuer 2005 nur zur Hälfte auf die durch getrennte Einkommensteuerveranlagung 2005 festgesetzte Einkommensteuer 2005 angerechnet werden können (siehe unten b). Der Hauptantrag ist daher unbegründet.
a) Der Abrechnungsbescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer 2004 vom 7. Juli 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2008 ist rechtmäßig.
aa) Nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG – werden auf die Einkommensteuer die für den Veranlagungszeitraum entrichteten Vorauszahlungen angerechnet. Gegen eine unterlassene Anrechnung kann nach § 218 Abs. 2 AO ein Abrechnungsbescheid beantragt werden, der nach ergangener Einspruchsentscheidung der Nachprüfung durch das Finanzgericht unterliegt.
Die Frage, bei welchen Steuerpflichtigen Einkommensteuervorauszahlungen i.S. des § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG anzurechnen sind, ist nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen, wie die Frage, welcher Steuerpflichtige eine Steuererstattung beanspruchen kann (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 9. Dezember 1969 VII R 83/67, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1970, 351, 352; vom 25. Juli 1989 VII R 118/87, BStBl II 1990, 41 und vom 4. April 1995 VII R 82/94, BStBl II 1995, 492).
Erstattungsberechtigt nach § 37 Abs. 2 AO ist nur derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, d.h. derjenige, dessen Steuerschuld getilgt werden sollte, nicht derjenige, auf dessen Kosten die Zahlung erfolgt ist. Es kommt daher nicht darauf an, von wem und mit wessen Mitteln gezahlt worden ist, sondern nur darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt gegenüber erkennbar hervorgetreten ist, getilgt werden sollte.
Dem beklagten Finanzamt wird nicht zugemutet, im Einzelfall die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen dem Leistenden und dem anderen Ehegatten daraufhin zu überprüfen, wer von ihnen im Innenverhältnis auf die anzurechnenden Beträge materiellrechtlich einen Anspruch hat (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VII R 117/95, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1997, 482).
Lässt sich aus den dem beklagten Finanzamt bei Zahlung erkennbaren Umständen nicht entnehmen, wessen Steuerschuld der zahlende Gesamtschuldner begleichen wollte, so wird im allgemeinen angenommen, dass der Gesamtschuldner nur seine eigene Steuerschuld tilgen wollte. Anders ist dies jedoch nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 4. April 1995 VII R 82/94, a.a.O.), wenn ein Ehegatte die Zahlung auf die Gesamtschuld zusammenveranlagter Eheleute bewirkt. Besteht die Ehe und leben die Eheleute nicht dauernd getrennt, was nach § 26 EStG Voraussetzung für die Zusammenveranlagung ist – auch für die Festsetzung der Vorauszahlungen für die zusammenveranlagten Ehegatten –, so ist mangels entgegenstehender ausdrücklicher Absichtsbekundung aufgrund der zwischen den Eheleuten bestehenden Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft – ungeachtet ihres Güterstandes, der für die Zusammenveranlagung keine Rolle spielt – anzunehmen, dass jeder der Ehegatten mit seiner Zahlung auch die Steuerschuld des anderen, mit ihm zusammenveranlagten Ehepartners begleichen wollte. Im Rahmen einer bestehenden Ehe als Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hängt es oft von Zufälligkeiten ab, welcher Ehegatte die Zahlung bewirkt. Von der Zufälligkeit des jeweils handelnden Ehegatten kann aber nicht auf einen bestimmten Tilgungswillen geschlossen werden. Solange die Ehe besteht und intakt ist, entspricht es vielmehr natürlicher Betrachtungsweise und der regelmäßigen Absicht der Ehegatten, dass derjenige, der die Zahlung auf die gemeinsame Steuerschuld (Vorauszahlungen) bewirkt, nicht nur sich selbst, sondern auch den anderen Ehegatten von der Steuerschuld befreien will. Soweit also keine Anhaltspunkte für eine bestimmte andere Tilgungsabsicht des zahlenden Ehegatten bestehen, ist davon auszugehen, dass die Zahlung der Einkommensteuer für Rechnung beider Ehegatten als Gesamtschuldner bewirkt worden ist. Das hat zur Folge, dass beide Ehegatten Erstattungs- bzw. Anrechnungsberechtigte sind. Der Anrechnungsbetrag ist dann zwischen ihnen nach Köpfen aufzuteilen (vgl. Hoffmann in Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 37 Rz. 13; Tipke-Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, § 37 AO Rz. 20 b). Dies gilt auch, wenn auf einen Ehegatten keine Steuerschuld entfällt oder wenn später getrennte Veranlagung beantragt wird vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 2007 VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742).
Die Anrechnung bzw. Erstattung hat demnach nach Köpfen zu erfolgen (vgl. Urteile des BFH vom 30. September 2008 VII R 18/08, BStBl II 2009, 38; vom 26. Juni 2007 VII R 35/06, BStBl II 2007, 742; vom 15. November 2005 VII R 16/05, BStBl II 2006, 435). Ob sich die Eheleute später trennen oder einer der Ehegatten nachträglich die getrennte Veranlagung beantragt, ist für die Beurteilung der Tilgungsabsicht nicht maßgeblich, denn es kommt nur darauf an, wie sich die Umstände dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Vorauszahlung darstellten (BFH Urteile vom 26. Juni 2007 VII R 35/06 a. a. O.). Im Urteil vom 30. September 2008 VII R 18/08, a.a.O. hat der BFH zudem erklärt, dass er keinen Anlass sehe, diese ständige Rechtsprechung aufzugeben.
Im Streitfall hat der Kläger die Einkommensteuervorauszahlungen 2004 und für die ersten beiden Quartale 2005 von seinem Konto bei der Volksbank X für die Steuernummer der Ehegatten…11 abbuchen lassen. Die Abbuchungen sind korrekt erfolgt. Zum Zeitpunkt der Abbuchungen der Vorauszahlungen – auf diesen Zeitpunkt kommt es nach der Rechtsprechung an – ging der Beklagte zu Recht von einer intakten und bestehenden ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft des Klägers mit seiner Ehefrau aus. Der Kläger hat selbst mehrfach eingeräumt und betont, dass die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bis Oktober 2005 andauerte und er dem Beklagten keine Mitteilung über das im Oktober 2005 vollzogene dauernde Getrenntleben gemacht habe. Hiervon geht auch der Senat aufgrund der übereinstimmenden Angaben der früheren Ehegatten im Protokoll des Scheidungsverfahrens aus.
Das Finanzamt erlangte erst im Februar 2006, erhebliche Zeit nach Eingang der Vorauszahlungen, Kenntnis von der Trennung der Eheleute. Im Zeitpunkt des Erlass des Einkommensteuerbescheides 2004 am 16. Januar 2006 hätte demnach eine Zurechnung der geleisteten Vorauszahlungen nach Köpfen erfolgen müssen.
bb) Verfügungen des Finanzamts über die Anrechnung von entrichteten Vorauszahlungen oder einbehaltenen Steuerabzugsbeträgen auf die im Wege der Veranlagung festgesetzte Jahressteuerschuld (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 4 EStG) gehören zum Steuererhebungsverfahren. Sie werden nur aus Zweckmäßigkeitsgründen mit der Steuerfestsetzung in einem Bescheid verbunden. Die Anrechnungsverfügung stellt nach der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH einen Verwaltungsakt dar, der bei Fehlerhaftigkeit zugunsten des Steuerpflichtigen nach § 130 Abs. 2 AO nur zurückgenommen bzw. geändert werden kann, wenn eine der hierfür im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen gegeben ist. Daher bindet die Anrechnungsverfügung auch einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO im Rahmen des § 130 Abs. 2 AO. Mit Beschluss vom 13. Januar 2005, VII B 147/04, BStBI II 2005, 457 hat der VII. Senat des BFH seine Ansicht insoweit präzisiert, dass nicht alles, was im Anrechnungsteil eines Einkommensteuerbescheides enthalten ist, eine bestandskräftige Regelung darstellt. Nur die Anrechnung von Zahlungen, die auf gesetzlicher Regelung beruhen (vgl. § 36 Abs. 2 EStG) entfalten Bindungswirkung.
aaa) Eine Änderung der bestandskräftigen Anrechnungsverfügung nach § 129 AO wegen offenbarer Unrichtigkeit scheidet zwar zu Recht aus, da die Rechtslage hinsichtlich der Anrechnung von Vorauszahlungen nicht eindeutig und eine fehlerhafte rechtliche Würdigung nicht auszuschließen ist.
bbb) Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 AO sind jedoch vorliegend gegeben.
(1) Das Schreiben des Klägers vom 7. Juli 2005 an den Beklagten ist unrichtig im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO, da dort angegeben wird, dass die Vorauszahlungen lediglich für die Einkommensteuerschuld des Klägers vorgenommen worden seien. Dies entspricht zum einen nicht dem Sachverhalt, da die Vorauszahlungen – wie auch in den Vorjahren – auf die gemeinsame Steuernummer insbesondere zur Tilgung der Einkommensteuer aus den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Immobilien geleistet wurden, die zu einem nicht unerheblichen Teil auch der Ehefrau zuzurechnen waren. Sie hatte daher ebenfalls Einkommensteuervorauszahlungen zu leisten. Wie in den Vorjahren sind mit den Einkommensteuervorauszahlungen insbesondere auch die Einkommensteuerzahllasten hinsichtlich der Einkünfte aus dem gemeinsamen Immobilienvermögen getilgt worden. Es sind keine Umstände erkennbar oder vorgetragen, dass dies bei den Einkommensteuervorauszahlungen für das Jahr 2004 und die ersten beiden Quartale 2005 anders sein sollte. Ferner sind mit den Vorauszahlungen auch die evangelischen Kirchensteuerzahllasten der Ehefrau beglichen worden. Da der Kläger keiner Konfession angehört, wurden gegenüber dem Kläger keine Kirchensteuervorauszahlungen festgesetzt. Die Ehefrau ist evangelisch. Zu der Tilgung der Kirchensteuerschuld der Ehefrau steht die Angabe des Klägers im Schreiben vom 7. Juli 2005 in offenem Widerspruch, dass die Vorauszahlungen lediglich für die Einkommensteuerschuld des Klägers vorgenommen worden seien. Darüber hinaus spricht auch die Reaktion der Ehefrau auf das Schreiben des Klägers vom 7. Juli 2005 dafür, dass die Vorauszahlungen nicht lediglich auf die Einkommensteuerschuld des Klägers angerechnet werden sollten.
(2) Zum anderen widerspricht die oben angeführte Angabe in dem Schreiben vom 7. Juli 2005 der unter oben 1. a) aa) aufgeführten ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die volle Anrechnung der geleisteten Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer des Klägers ist nach der zitierten ständigen Rechtsprechung des BFH fehlerhaft.
(3) Bei Anwendung der oben genannten Grundsätze auf den Streitfall war die Anrechnung der Steuerzahlungen – wie unter 1. a) aa) dargestellt – hälftig vorzunehmen. Anlässlich der Einkommensteuervorauszahlungen auf die Einkommensteuer 2004 und die ersten beiden Quartale 2005 hatte der Kläger dem Beklagten weder mitgeteilt, dass er ausschließlich seine eigene Steuerschuld begleichen wollte, noch bestanden nach Aktenlage Anhaltspunkte dafür, dass die Ehe des Klägers und seine Ehefrau zu diesen Zeitpunkten nicht mehr intakt war. Der Beklagte erfuhr erstmals mit dem Schreiben des Klägers vom 7. Juli 2005, eingegangen beim Beklagten am 7. Juli 2005, dass die Steuervorauszahlungen 2003, 2004 und 2005 angeblich alleine für die Steuerschuld des Klägers geleistet sein sollten. Die im Streit stehenden Vorauszahlungen für das Jahr 2004 und die ersten beiden Quartale 2005 sind jedoch jeweils zum gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungszeitpunkt 10. März 2004, 10. Juni 2004, 10. September 2004, 10. Dezember 2004, 10. März 2005 und 10. Juni 2005, also zeitlich bereits vorher, beim Beklagten eingegangen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht hinsichtlich der am 10. Juni 2005 abgebuchten Vorauszahlung aus der Einreichung der Einkommensteuererklärungen 2003 am 29. März 2005 bzw. 29. April 2005 mit dem Antrag der getrennten Veranlagung. Die getrennte Veranlagung wird in der Rechtspraxis aus verschiedenen Gründen gewählt, z.B. wegen steuerlichen Vorteilen bei der ermäßigten Besteuerung von außerordentlichen Einkünften oder bei der Nutzung von Verlustrückträgen. Ohne weitere Angaben der Steuerpflichtigen ist ein Rückschluss auf eine nicht mehr intakte Ehe oder nicht mehr bestehende Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft nicht möglich. Dies wurde vom Kläger jedoch weder angeben noch war für den Beklagten erkennbar, dass die Ehe angeblich nicht mehr intakt sein sollte. Der Kläger hat selbst eingeräumt, dass die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bis Oktober 2005 andauerte und er dem Beklagten keine Mitteilung über das im Oktober 2005 vollzogene dauernde Getrenntleben gemacht habe.
Darüber hinaus hat der Beklagte mit dem Schreiben vom 18. Mai 2005 an beide Ehegatten unter der bisherigen, gemeinsamen Adresse versucht, den Sachverhalt aufzuklären. Bis zum 7. Juli 2005 erfolgte jedoch keine Reaktion des Klägers. Bei rechtzeitiger Beantwortung hätte der Kläger gegenüber dem Beklagten durch einfache Mitteilung klarstellen können, dass die Vorauszahlung am 10. Juni 2005 für das zweite Quartal 2005 alleine auf seine Einkommensteuerschuld angerechnet werden soll. Ferner wäre dem als fachkundigen Kläger auch jederzeit die Möglichkeit eröffnet gewesen, einen geänderten Vorauszahlungsbescheid ohne Anwendung des Splittingtarifs zu beantragen. Dies erfolgte jedoch nicht.
ccc) Es sind im Streitfall ebenfalls die tatbestandlichen Merkmale des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO gegeben. § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO enthält ermessenslenkende Vorgaben (sog. intendiertes Ermessen). Deshalb ist eine Anrechnungsverfügung im Allgemeinen im Interesse von Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung zurückzunehmen, wenn der Begünstigte deren Rechtswidrigkeit erkannt oder lediglich infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat. Diese Rechtsfolge ist grundsätzlich nicht begründungsbedürftig (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 2007 VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742).
Dem Kläger war zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt, dass die Anrechnungsverfügung im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 16. Januar 2006, in der die Einkommensteuervorauszahlungen für das Jahr 2004 in vollem Umfang beim Kläger berücksichtigt worden sind, rechtswidrig ist. Die vollständige Anrechnung beruhte auf seinen Angaben im Schreiben vom 7. Juli 2005. Wie unter 1. bb) bbb) ausgeführt, ist das Schreiben unrichtig, da dort angegeben wird, dass die Vorauszahlungen lediglich für die Einkommensteuerschuld des Klägers vorgenommen worden seien. Dem steht – wie oben ausgeführt wurde – bereits der Sachverhalt und die Rechtsprechung des BFH entgegen. Der Kläger ist in diesem Fall nicht schutzwürdig, da er als Steuerberater tätig ist und somit Kenntnis davon haben musste, dass die Einkommensteuervorauszahlungen bei intakter und bestehender Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft für jeden Ehegatte, sofern keine entgegenstehenden Absichtsbekundungen vorliegen, für seine Steuerschuld geleistet wurden und somit nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nach Köpfen aufzuteilen gewesen wären. Die Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit beruhte damit zumindest auf grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO.
ddd) Die Entscheidung der Finanzbehörde, entsprechend der ihr durch § 130 Abs. 2 AO eingeräumten Möglichkeit, einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt zurückzunehmen, stellt eine Ermessensentscheidung dar, wie sich aus der Formulierung ‚kann” in Abs. 1 der Vorschrift, auf den sich Abs. 2 – einschränkend – bezieht, ergibt (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, AO, § 130 Tz. 37). Das Ermessen der Finanzbehörde ist jedenfalls dann auf Null reduziert, wenn der Begünstigte nicht schutzwürdig ist, weil er die Ursache für die Rechtswidrigkeit selbst gesetzt hat und diese Ursachen nicht in der Sphäre der Behörde liegen. Das Ermessen muss jedoch ausgeübt werden und erstreckt sich auch darauf, ob der Verwaltungsakt ganz oder zum Teil oder nur für die Zukunft oder auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, § 130 Tz. 40). Soweit der Abrechnungsbescheid vom 7. Juli 2006 ohne Darstellung von Ermessenserwägungen ergangen ist, wurden diese in der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2008 gemäß § 126 AO nachgeholt.
eee) Für die Änderung nach § 130 Abs. 2 AO ist die Jahresfrist gem. § 130 Abs. 3 Satz 1 AO zu beachten. Danach ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Finanzamts von Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen zulässig. Der Wegfall der Ehegattengemeinschaft war dem Finanzamt erstmals im Februar 2006 bekannt geworden, so dass die geänderte Abrechnung vom 6. März 2006 und der Abrechnungsbescheid für den Kläger am 7. Juli 2006 die Jahresfrist in jedem Fall wahrt.
b) Der Abrechnungsbescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer 2005 vom 7. Juli 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2008 ist rechtmäßig.
aa) Erstattungsberechtigt nach § 37 Abs. 2 AO ist nur derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, d.h. derjenige, dessen Steuerschuld getilgt werden sollte, nicht derjenige, auf dessen Kosten die Zahlung erfolgt ist. Es kommt daher nicht darauf an, von wem und mit wessen Mitteln gezahlt worden ist, sondern nur darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt gegenüber erkennbar hervorgetreten ist, getilgt werden sollte [ausführlich siehe oben bereits unter 1. a) aa)].
Im Streitfall hat der Kläger die Einkommensteuervorauszahlungen für die ersten beiden Quartale 2005 von seinem Konto bei der Volksbank X abbuchen lassen. Die Abbuchungen sind korrekt erfolgt. Zum Zeitpunkt der Abbuchungen der Vorauszahlungen – auf diesen Zeitpunkt kommt es nach der Rechtsprechung an – ging der Beklagte weiterhin von einer intakten und bestehenden ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft des Klägers mit seiner Ehefrau aus. Der Kläger hat selbst mehrfach eingeräumt und betont, dass die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bis Oktober 2005 andauerte und er dem Beklagten keine Mitteilung über das im Oktober 2005 vollzogene dauernde Getrenntleben gemacht habe.
Das Finanzamt erlangte erst im Februar 2006, erhebliche Zeit nach Eingang der Vorauszahlungen, Kenntnis von der Trennung der Eheleute. Im Zeitpunkt des Erlass des geänderten Vorauszahlungsbescheids 2005 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 4. August 2005 hätte demnach eine Zurechnung der geleisteten Vorauszahlungen nach Köpfen erfolgen müssen.
bb) Im Vorauszahlungsbescheid vom 4. August 2005 liegt hinsichtlich der auf Seite 2 des Bescheides unter Berechnung der Jahresvorauszahlung – Einkommensteuer vorgenommenen Anrechnung der im ersten und zweiten Quartal 2005 geleisteten Vorauszahlungen kein Verwaltungsakt im Sinne des § 118 AO.
aaa) Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 118 AO jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Im Streitfall fehlt es zum einen an dem Merkmal der Regelung. Die Anrechnung wird nicht im Abrechnungsteil vorgenommen, sondern als Begründung im unselbständigen Berechnungsteil des Bescheids. Im Ausspruch des Bescheids vom 4. August 2005 findet sich keine Aussage zu der Anrechnung. Zum anderen fehlt es an der unmittelbaren Rechtswirkung nach außen. Die vollständige Berücksichtigung der Vorauszahlungen für die ersten beiden Quartale 2005 äußert sich nur mittelbar dadurch, dass für das dritte und vierte Quartal 2005 ein geringerer noch zu zahlender Restbetrag festgesetzt worden ist.
Die Umbuchung von Einkommensteuervorauszahlungen von einer Steuernummer auf eine andere Steuernummer stellt noch keinen Verwaltungsakt dar, da es sich hierbei lediglich um einen internen Vorgang handelt, der nicht auf eine Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Aus diesem Grund enthält eine Mitteilung über eine Umbuchung auch keine Rechtsbehelfsbelehrung. Die Verbuchung der Einkommensteuervorauszahlungen führt erst bei der späteren Anrechnung im Einkommensteuerbescheid oder bei der Erteilung eines Abrechnungsbescheides zu einem Verwaltungsakt, der mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs angefochten werden kann.
Im vorliegenden Fall richtet sich der Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid 2005. Da vor Ergehen dieses Bescheides nur eine Umbuchung der Vorauszahlungen stattgefunden hat und zuvor noch kein Einkommensteuerbescheid 2005 ergangen ist, kann keine Bindungswirkung der Umbuchungen auf die neue Steuernummer gegenüber dem späteren Abrechnungsbescheid vorliegen. Daher durfte die erstmalige Verfügung über die Anrechnung der hälftigen Einkommensteuervorauszahlungen 2005 vom 6. März 2006 ergehen. Diese wurde im Einkommensteuerbescheid vom 28. Dezember 2006 bestätigt.
bbb) Selbst wenn die Berücksichtigung der Vorauszahlungen für die ersten beiden Quartale 2005 in der Begründung des Vorauszahlungsbescheides vom 4. August 2005 eine Anrechnungsverfügung darstellen würde, lägen im Streitfall – entsprechend den Ausführungen oben unter 1. a) bb) – die Voraussetzungen für eine Änderung der Anrechnungsverfügung vom 4. August 2005 gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 sowie Nr. 4 AO hinsichtlich der ersten beiden Quartale 2005 vor. Bezüglich der Feststellung der Tatbestandsmerkmale der Vorschriften §§ 130 Abs. 2 Nr. 3 und 4 AO für das Jahr 2005 wird auf die Darlegungen unter 1. bb) bbb) bis ddd) verwiesen. Diese treffen für das Jahr 2005 ebenfalls zu, zumal die Anfragen des beklagten Finanzamts vom 18. Mai 2005 und 22. Juni 2005 erst mit Schreiben des Klägers vom 7. Juli 2005 beantwortet wurden.
Für die Änderung nach § 130 Abs. 2 AO ist die Jahresfrist gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 AO zu beachten. Danach ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Finanzamts von Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen zulässig. Der Wegfall der Ehegattengemeinschaft war dem Finanzamt erstmals im Februar 2006 bekannt geworden, so dass die geänderte Anrechnungsverfügung für 2005 vom 6. März 2006 und der Abrechnungsbescheid für den Kläger am 7. Juli 2006 die Jahresfrist in jedem Fall wahren.
Der Beklagte hat daher zu Recht die geleisteten Vorauszahlungen bei beiden Ehegatten nach Köpfen – also je zur Hälfte – auf die festgesetzte Steuerschuld bei den getrennten Veranlagungen angerechnet.
c) Unabhängig von den oben unter a) und b) dargestellten Gründen ist die Klage im Hauptantrag hinsichtlich beider Streitjahre auch deshalb unbegründet, da die geänderten Anrechnungsverfügungen vom 6. März 2005 bestandskräftig geworden sind.
Für den Kläger ergingen am 6. März 2006 geänderte Abrechnungen zu den Einkommensteuervorauszahlungsbescheiden 2004 und 2005, in denen die Einkommensteuervorauszahlungen nur zur Hälfte berücksichtigt wurden. Das Schreiben des Klägers vom 16. März 2006 wurde zunächst als Einspruch behandelt, dann jedoch in einen Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides umgedeutet. Der Kläger führte im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 5. Juni 2009 aus, dass mit Schreiben vom 16. März 2006 entgegen der Sachverhaltsdarstellung am 16. März 2006 kein Einspruch eingelegt wurde. Vielmehr handele es sich um einen Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides. Die Anrechnungsverfügungen vom 6. März 2005 sind daher mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs bestandskräftig geworden.
d) Auch der Hilfsantrag ist hinsichtlich beider Streitjahre unbegründet. Eine Anrechnung in Höhe der jeweiligen Steuerschuld ist im Streitfall nicht möglich.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH – siehe oben unter a) und b) – ist gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG anrechnungsberechtigt derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nicht derjenige, auf dessen Kosten die Zahlung erfolgt ist. Die Anrechnung bzw. Erstattung hat demnach nach Köpfen zu erfolgen (vgl. Urteile des BFH vom 30. September 2008 VII R 18/08, BStBl II 2009, 38; vom 26. Juni 2007 VII R 35/06, BStBl II 2007, 742; vom 15. November 2005 VII R 16/05, BStBl II 2006, 435). Ob sich die Eheleute später trennen oder einer der Ehegatten nachträglich die getrennte Veranlagung beantragt, ist für die Beurteilung der Tilgungsabsicht nicht maßgeblich, denn es kommt nur darauf an, wie sich die Umstände dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Vorauszahlung darstellten (BFH Urteile vom 26. Juni 2007 VII R 35/06 a. a. O.). Im Urteil vom 30. September 2008, a.a.O. hat der BFH zudem erklärt, dass er keinen Anlass sehe, diese ständige Rechtsprechung aufzugeben.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall war die Anrechnung der Steuerzahlungen – wie unter a) und b) dargestellt – hälftig vorzunehmen. Eine Anrechnung in Höhe der jeweiligen Steuerschuld ist nicht möglich. Der Beklagte hatte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger – abweichend von den Vorjahren – nunmehr eine Anrechnung in Höhe der jeweiligen Steuerschuld der Ehegatten begehrte.
bb) Unabhängig von den oben unter d) aa) dargestellten Gründen ist die Klage im Hilfsantrag hinsichtlich beider Streitjahre auch deshalb unbegründet, da die geänderten Anrechnungsverfügungen vom 6. März 2005 mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs bestandskräftig geworden sind (siehe oben unter c).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.
3. Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO liegen im Streitfall nicht vor, da die Entscheidung der gefestigten Rechtsprechung des BFH entspricht.
4. Der Senat hat gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden.