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  • · Nachricht · Abgabenordnung

    Beweisvorsorgepflicht bei behaupteten Zugangs nach der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO

    von Rechtsassessor Dr. Matthias Gehm, Limburgerhof und Speyer

    | Das FG München hat Steuerberatern erhebliche Dokumentationspflichten auferlegt, wenn diese vortragen, dass eine Einspruchsentscheidung erst nach der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO zugegangen ist. Hintergrund war ein Streit darüber, ob eine Anfechtungsklage rechtzeitig erhoben wurde. Die Entscheidung hat praktische Auswirkungen auf die Kanzleiorganisation, will man verhindern, sich am Ende gegenüber seinem Mandanten regresspflichtig zu machen (FG München 1.7.20, 3 K 1239/18). |

     

    Sachverhalt

    In dem konkreten Fall ging es darum, dass eine Klage gegen eine Umsatzsteuer- und Zinsfestsetzung das Jahr 10 betreffend angestrengt wurde, wobei nach durchgeführter Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde und es deshalb darauf ankam, ob die Klage rechtzeitig erhoben wurde. Die Einspruchsentscheidung datierte vom 23.3.18, einem Freitag und war am selben Tag mit einfachem Brief zur Post gegeben worden, adressiert an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, einer Steuerberatungsgesellschaft. Dies war durch einen unterschriebenen Absende-Vermerk eines Bediensteten der Poststelle des FA dokumentiert. Am Freitag, dem 27.4.18, ging die Klage gegen den Bescheid beim FG ein. Mit richterlichem Hinweis vom 29.1.20 äußerte das FG Zweifel, ob die Klage fristgerecht eingegangen sei.

     

    Der Prozessbevollmächtigte erwiderte mit Schreiben vom 19.2.20, beim FG am 21.2.20 eingegangen, darauf, dass ihm die Einspruchsentscheidung am 28.3.18, einem Mittwoch, zugegangen sei und somit nach der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so dass für die Berechnung der Klagefrist der tatsächliche verspätete Zugang ausschlaggebend sei. Der verspätete Zugang sei durch den Eingangsstempel der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten nachgewiesen. Dabei werde die Post einmal täglich zwischen 9.00 und 10.00 Uhr angeliefert, dann umgehend geöffnet mit einem Posteingangsstempel versehen und dem verantwortlichen Sachbearbeiter übergeben. Dies wurde durch eine eidesstattliche Versicherung einer Bediensteten des Prozessbevollmächtigten belegt. Zudem wurde eine kanzleiinterne Mail des Sachbearbeiters vorgelegt, aus der hervorging, dass dieser bei Berechnung der Klagefrist den 28.3.18 als Tag angab, an dem die Einspruchsentscheidung zuging. Trotz richterlicher Aufforderung wurde kein Posteingangsbuch für die Zeit 26.3. bis 28.3.18 vom Prozessbevollmächtigten vorgelegt.

     

    Entscheidungsgründe

    Das FG München ging davon aus, dass die Klage unzulässig ist, da die einmonatige Klagefrist nach § 47 Abs. 1 FGO nicht eingehalten wurde.

     

    Bei der Fristberechnung ist zu beachten, dass die Einspruchsentscheidung zulässigerweise gemäß § 366 i.V.m. § 122 Abs. 2 AO mit einfachem Brief per Post übermittelt wurde. Demnach gilt sie am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, es sei denn, sie ist gar nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen, wobei im Zweifel das FA den Zugang bzw. den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Jedoch handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine Zugangsvermutung und Zugangsfiktion, die sowohl zugunsten wie zuungunsten des Adressaten einen Streit über den Zeitpunkt des Zugangs generell ausschließen soll (BFH 1.12.10, VIII B 123/10, BFH/NV 11, 410; BFH 26.1.10, X B 147/09, BFH/NV 10, 1081).

     

    Sofern wie im Fall nicht der Zugang als solches bestritten wird, sondern lediglich, dass dieser innerhalb des Drei-Tage-Zeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erfolgte, müssen Tatsachen vom Adressat vorgetragen werden, die dafür sprechen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post ernstlich in Betracht kommt, wobei an diesen substantiierten Vortrag keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind, damit die Beweislast nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen umgekehrt wird. Das FG hat dann diesen Vortrag und die festgestellten Tatsachen im Wege der freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO abzuwägen (BFH 20.4.11, III B 124/10, BFH/NV 11, 1110).

     

    Allerdings kann auf die Beweislastregel des § 122 Abs. 2 HS. 2 AO erst zurückgegriffen werden, wenn trotz erfolgter Sachaufklärung noch Zweifel am gesetzlichen Zugang des Bescheides verbleiben (BFH 30.11.06, XI B 13/06, BFH/NV 07, 389).

     

    Das FG sieht den solchermaßen atypischen Geschehenslauf nicht hinreichend substantiiert von der Klägerin bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten dargelegt. Insbesondere hätte ihr Prozessbevollmächtigter vor dem Hintergrund, dass die Regelung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO Streit über den Zugang weitgehend ausschließen soll, entsprechende Beweisvorsorge treffen müssen, wenn er anhand des Poststempels oder des Bescheid-Datums einen atypisch langen Postlauf erkannt hatte (BFH 16.5.07, V B 169/06, BFH/NV 07, 1454).

     

    Der Eingangsstempel der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten sowie die eidesstattliche Versicherung seiner Bediensteten bzw. die interne Mail reichen in diesem Zusammenhang nicht aus, da diese nur Beleg dafür sind, wann das Schriftstück in die interne Bearbeitung der Steuerkanzlei gelangt ist, nicht aber dafür, dass es am gleichen Tag auch eingegangen war (BFH 30.11.06, XI B 13/06, BFH/NV 07, 389). Vielmehr hätte es eines Posteingangsbuches bedurft, das unerlässliche Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Büroorganisation zur Wahrung von Ausschlussfristen ist (BFH 31.5.05, I R 103/04, BStBl II 05, 623). Zudem ist auch nicht der Briefumschlag mit Poststempel vorgelegt worden, um zu dokumentieren, dass die Einspruchsentscheidung erst verspätet zur Post gelangte bzw. von der Post zum Versand abgefertigt wurde.

     

    Somit ging das FG München davon aus, dass am Montag, den 26.3.18, die Einspruchsentscheidung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als bekannt gegeben gilt. Die Klagefrist nach § 54 Abs. 1 FGO begann somit am Dienstag, den 27.3.18, um 0:00 Uhr zu laufen und endete am Donnerstag, den 26.4.18, um 24.00 Uhr gem. § 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB. Die Klage, die am 27.4.18 bei Gericht einging, war also um einen Tag verfristet.

     

    Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand lehnte das FG ab, weil zum einen nach dem richterlichen Hinweis der Fristversäumnis kein entsprechender Antrag innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO gestellt wurde und die Klagefristversäumnis verschuldet war, wobei sich die Klägerin ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nach § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (BFH 31.5.05, I R 103/04, BStBl II 05, 623).

     

    Relevanz für die Praxis

    Dass das FG München schon bei einer kurzen Überschreitung der Drei-Tages-Frist eine solche Beweismittelvorsorge verlangt, zeigt, dass hier mit äußerster Sorgfalt von Beraterseite zu arbeiten ist. Die Entscheidung macht es somit unausweichlich, dass Steuerberatungskanzleien entsprechende Posteingangsbücher führen (vgl. auch BFH 3.5.01, III R 56/98, BFH/NV 01, S. 1365).

     

    Auch sollte stets der Briefumschlag des Behördenschreibens mit Poststempel aufbewahrt werden, um entsprechend substantiiert vortragen zu können (vgl. BFH 1.12.10, VIII B 123/10, BFH/NV 11, 410; FG Bremen 10.1.19, 1 K 135/18 (5), BeckRS 19, 1807).

     

    Der BFH hat zudem dem Steuerpflichtigen aufgegeben, wenn er einen atypischen Postlauf erkennt, sich umgehend mit dem FA in Verbindung zu setzen und sich über den Bescheid-Zugang zu verständigen (BFH 16.5.07, V B 169/06, BFH/NV 07, 1454). D.h. um entsprechende Streitigkeiten zu vermeiden, sollte dies umgehend geschehen und nach Möglichkeit eher von einer kürzeren, als längeren Frist bei der Klageerhebung bzw. Einspruchseinlegung ausgegangen werden.

     

    Zwar hat der BFH auch dem FA aufgegeben, durch ein entsprechendes Postausgangsbuch bzw. Absende-Vermerk die Aufgabe zur Post hinreichend zu dokumentieren, lässt es dann aber für die Annahme eines zeitnahen Postausgangs nach Bescheid-Erstellung ausreichen, wenn dies nicht geschehenen ist, dass das FA Vorsortierkörbe verwendet, in welchen die zur Versendung bereiten Bescheide nach Datum einsortiert werden (BFH 26.1.10, X B 147/09, BFH/NV 10, 1081). Insofern werden hier dann nicht so strenge Maßstäbe wie beim Steuerpflichtigen bzw. seinem Prozessbevollmächtigten angelegt.

     

    Abschließend sei betont, dass der entsprechend substantiierte Vortrag nicht erforderlich ist, wenn der Bescheid überhaupt nicht zugegangen ist. Dies gilt selbst dann, wenn kein Fristenkontrollbuch geführt wird, es sei denn, weitere Indizien sprechen für den Zugang des Bescheides (BFH 31.5.05, I R 103/04, BStBl II 05, 623).

    Quelle: ID 46898853

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