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  • · Fachbeitrag · Praxisbewertung

    Der Praxiswert ist mehr als nur eine Zahl

    von WP, StB, RB Dipl.-Kfm. Reiner Löbbers, Köln, externer Berater bei Glawe GmbH

    | Wer seine Steuerberaterpraxis verkaufen möchte, sollte auf der Grundlage einer nachvollziehbaren individuellen Unternehmenswertermittlung und (!) mit überzeugenden Argumenten in die Verhandlung gehen. Dass es hierfür weniger auf bewerterische „Raketentechnik“ als vielmehr auf eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Praxis ankommt, möchte ich mit diesem Beitrag verdeutlichen. |

    Vorbemerkung

    Eine Praxisbewertung ist das Ergebnis einer umfassenden individuell zugeschnittenen Due Diligence. Die Due Diligence ist eine systematische, rechtliche und betriebswirtschaftliche Analyse zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit eines Vertragswerks für eine geplante Unternehmenstransaktion. Sie dient der umfassenden zielorientierten Informationsversorgung des Entscheidungsträgers, sei er Käufer oder Verkäufer.

     

    Sie umfasst sowohl alle soft facts als auch alle betriebswirtschaftlichen Eckdaten (hard facts). Dazu gehören:

    • die Analyse (mindestens) der (letzten drei) Jahresabschlüsse,
    • die korrespondierenden, aktuellen BWA,
    • und eine Stärken/Schwächen-(SWOT)-Analyse.

     

    Dabei geht es nicht um die Berechnung eines allein gültigen Praxiswerts, sondern um die preisliche Erfassung des komplexen Produktangebots „Steuerberater-Praxis“ und um Argumente für dessen (objektive) Bezahlbarkeit.

    Die nachhaltige Erlös- und Kostenstruktur

    Die gebuchten Erlöse und Kosten geben Auskunft über die praktizierte Leistungsstruktur. Der Käufer möchte natürlich wissen,

    • welche regelmäßigen Umsätze die Praxis abwirft und
    • welche betriebsnotwendigen Kosten für die erbrachten Leistungen notwendig waren.

     

    Die Gewinn- und Verlustrechnung oder die BWA bedarf daher in aller Regel einer Korrektur um nicht nachhaltige Positionen. Die verbleibenden Leistungsabrechnungen (Umsätze) sollten von einem Nachfolger auch in Zukunft nachhaltig erbracht werden können. Entsprechendes gilt für die Kosten. Die Frage an dieser Stelle lautet: Mit welchen betriebsnotwendigen Kosten ist ceteris paribus in Zukunft zur Erbringung der dargelegten Leistung zu rechnen? Die Antwort gibt dann auch Erkenntnisse darüber, ob ein potenzieller Übernehmer bei gleichem Kostenniveau mehr Leistungen abrechnen oder bei gleichem Abrechnungsniveau weniger Kosten bezahlen kann.

     

    Die damit verbundenen aufgedeckten Chancen und Risiken, Stärken und Schwächen und Synergieeffekte können dann als Argumente in die Kaufpreisfindung einfließen.

     

    • Vom Netto-Umsatz zum nachhaltigen Umsatz

    Netto-Umsatz

    540.000

    ./.

    persönliche Umsätze des Inhabers (z. B. Autorentätigkeit)

    10.000

    ./.

    einmalige Umsätze

    20.000

    ./.

    entfallende Umsätze

    10.000

    ./.

    durchlaufende Posten

    5.000

    +

    Sonstige Korrekturposten

    5.000

    =
    Bereinigter Umsatz
    500.000
     

     

    • Von den Netto-Kosten zu den nachhaltigen Kosten

    Betriebsausgaben

    330.000

    ./.

    Personalkosten

    10.000

    ./.

    Raumkosten

    5.000

    ./.

    KFZ-Kosten

    10.000

    ./.

    EDV-Kosten

    5.000

    =
    Bereinigte Kosten
    300.000
    60 % vom Umsatz
     

    Faktor-Methoden versus Ertragswert-Methode

    Die Faktormethoden (Umsatz- oder Gewinnvervielfältiger) können und werden immer noch als erste Orientierungsgröße bei der Kontaktaufnahme zwischen Käufer und Verkäufer aufgerufen. Ein Kanzleivermittler wird aber versuchen, solche Werte durch die Heranziehung vereinfachter Ertragswertberechnungen zu plausibilisieren.

     

    • Faktor-Methoden versus Ertragswert-Methode

    Faktor-Methoden

    • Umsatzmethode
    • Gewinnmethode

    Ertragswertmethode

    • Ertragswertmethode (IDW S 1/S 13)
    • §§ 199 f‒ 203 BewG
     

    Bei einem Gewinn von 20 % im Beispiel oben ist ein Kaufpreis in Höhe des 1,2-Fachen eines Honorarumsatzes nicht durchzusetzen; denn das würde bedeuten, dass nach Abzug auch eines nur geringen Unternehmerlohns kein Geld für die Bedienung der Annuität aus der Finanzierung bliebe.

     

    Dasselbe gilt für einen Gewinnvervielfältiger von 3 bei einem anzusetzenden Unternehmerlohn von 50 % des Gewinns (100.000 EUR, s. Praxistipp). Denn auch hier würde die verbleibende Liquidität nicht mehr für Zins und Tilgung ausreichen.

     

    Die Ertragswertmethode ist daher nach Rechtsprechung und Literatur state-of-the-art. Sie führt Käufer und Verkäufer gedanklich in die Zukunft auf der Grundlage der Due Diligence, die sowohl vergangenheits- als auch noch stärker zukunftsorientiert abgearbeitet werden muss.

     

    • Ertragswertmethode (vereinfacht)
    Umsatz

    500.000

    Rendite vor Unternehmerlohn (%)

    ×

    40

    Gewinn

    =

    200.000

    Unternehmerlohn

    ./.

    80.000

    Überschuss

    =

    120.000

    Barwertfaktor

    ×

    5

    Ertragswert der Kanzlei

    =

    600.000

     

    Mittels der Ertragswertmethode lässt sich übrigens schön der Hebel einer Produktivitätssteigerung auf den Ertragswert der Kanzlei aufzeigen. In der folgenden Rechnung hat eine jährliche Umsatzsteigerung von 50.000 EUR (z. B. durch die erstmalige konsequente Bepreisung der Bescheidprüfung und Anwendung der Auslagenpauschale) eine Zunahme des Ertragswerts um 100.000 EUR zur Folge.

     

    • Der Einfluss der Produktivität auf den Praxiswert
    Szenario 1
    Szenario 2
    Umsatz

    475.000

    525.000

    Rendite vor Unternehmerlohn (%)

    ×

    40

    ×

    40

    Gewinn

    =

    190.000

    =

    210.000

    Unternehmerlohn

    ./.

    80.000

    ./.

    80.000

    Überschuss

    =

    110.000

    =

    130.000

    Barwertfaktor

    ×

    5

    ×

    5

    Ertragswert der Kanzlei

    =

    550.000

    =

    650.000

     

    PRAXISTIPP | Beim Ansatz eines Unternehmerlohns können Sie z. B. folgendermaßen rechnen:

     

    Das Gehalt eines angestellten Steuerberaters (mit fünf Jahren Berufserfahrung) liegt bei etwa 60.000 EUR. Hinzu kommen eine Chefzulage von 9.000 EUR (15 %) und der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung von 12.000 EUR (20 %). Das macht ein Bruttoeinkommen von 81.000 EUR. Für den Aufbau einer zusätzlichen Altersversorgung laut BGH können nochmal 19.440 EUR (20 + 4 %) aufgeschlagen werden. Das sind dann insgesamt 100.440 EUR.

     

    Die Berechnung beruht auf der Annahme einer als notwendig angesehenen Vollzeitbeschäftigung des Praxisinhabers mit ca. 50 Wochenstunden. Ein niedrigerer Unternehmerlohn muss im Umkehrschluss dann eine effizientere Kanzleiorganisation mit einem Arbeitseinsatz von < 50 Wochenstunden voraussetzen.

     

    Einige Kennzahlen aus der Praxis

    Eine weitere wichtige Orientierung liefern Kennzahlen. Von den vielen, die die Betriebswirtschaftslehre anbietet, sind in unserem Kontext vor allem drei Größen interessant:

     

    • der Gewinn vor Steuern und Unternehmerlohn (er sollte mindestens 30 % vom Umsatz betragen);
    • die Forderungsquote im Verhältnis zum Umsatz (höchstens 8 %) und
    • die Mindest-Liquiditätsquote.

     

    • Kennzahlen für ein erstes Benchmarking

    Gewinn vor Steuern und Unternehmerlohn (in % vom Umsatz)

    • zwischen 40 und 50 %
    • zwischen 30 und 40 %
    • zwischen 20 und 30 %
    • bis 20 %
    • sehr gut
    • gut
    • befriedigend
    • mangelhaft bis ausreichend

    Forderungsquote i. V. zum Umsatz

    • 8 % (ca. 1 Monatsumsatz)
    • 8 bis 12 %
    • 13 bis 29 %
    • gut
    • befriedigend
    • ausreichend

    Mindest-Liquiditätsquote

    • verfügbare flüssige Mittel für die Kosten von ca. drei Monaten, d. h. ca. 25 % der Gesamtkosten
     

    Potenzialfaktoren einer Kanzlei

    Bei aller Liebe zu den Zahlen ‒ sie allein geben noch kein zutreffendes Bild von der Praxis ab. Es kommt auch auf „weiche“ Faktoren an, die in Kaufpreisverhandlungen nicht selten zu knallharten Argumenten werden.

     

    • „Weiche“ Faktoren
    Positiv bewertet werden:
    • Kanzleizertifizierung
    • hoher Digitalisierungsgrad in allen Prozessen
    • regelmäßig fortgebildete Mitarbeiter
    • Mandantenstruktur (gesunder Mittelstand in innovativen, zukunftsorientierten Branchen und Regionen)
    • wirtschaftlich und kulturell attraktive Standortinfrastruktur
    • hoher Anteil an Mandanten mit Lastschriftverfahren
    • gute Rendite (nach Unternehmerlohn)
    • ausgewogene Work-Life-Balance
    Negativ bewertet werden:
    • autoritärer Führungsstil des abgebenden Inhabers
    • Inhaber ist älter als 65 Jahre
    • Klumpenrisiken in der Mandantenstruktur
    • hohe Außenstände
    • Forderungsausfälle
    • veraltete Geschäftsausstattung
     

    Kapitaldienstfähigkeit des Erwerbers

    Eine letzte Überlegung möchte ich all denen mitgeben, die meinen, dass die Finanzierung des Kaufpreises allein das Problem des Erwerbers ist. Der Käufer bekommt das OK seiner Bank nur dann, wenn die Kapitaldienstfähigkeit für die Finanzierung des Kaufpreises innerhalb einer angenommenen Zeitspanne gesichert ist. Dabei können schon kleine Renditeunterschiede den Ausschlag geben.

     

    • Szenario 1: Rendite 25 % ‒ Praxiskaufpreis 600.000 EUR

    Umsatz (500.000 EUR), Unternehmerlohn (80.000 EUR), Gewinn (41 %)

    01
    %
    02
    %

    Rendite

    125.000

    25

    125.000

    25

    Abschreibung des Praxiswerts (6 Jh.)

    ./.

    100.000

    ‒20

    100.000

    ‒20

    Darlehens-Zinsen (6 Jahre, 3 % p.a.)

    ./.

    18.000

    ‒4

    18.000

    ‒4

    Gesamtergebnis

    =

    7.000

    1

    7.000

    1

    Abschreibungen des Praxiswerts

    +

    100.000

    100.000

    Betriebsergebnis II

    =

    107.000

    107.000

    Tilgung (1. Jahr tilgungsfrei)

    ./.

    0

    ‒113.013

    Aufbau Forderungen (15 %)

    ./.

    75.000

    0

    Liquiditätssaldo (negativ in Jahr 02)

    +

    32.000

    ‒6.013

     

    Dieselbe Kanzlei mit einer um fünf Prozentpunkte besseren Rendite (= effizientere Geschäftsprozesse) würde zu einem positiven Liquiditätssaldo führen.

     

    • Szenario 2: Rendite 30 % ‒ Praxiskaufpreis 600.000 EUR

    Umsatz (500.000 EUR), Unternehmerlohn (80.000 EUR), Gewinn (46 %)

    01
    %
    02
    %

    Rendite

    150.000

    30

    150.000

    30

    Abschreibung des Praxiswerts (6 Jh.)

    ./.

    100.000

    ‒20

    100.000

    ‒20

    Darlehens-Zinsen (6 Jahre, 3 % p.a.)

    ./.

    18.000

    ‒4

    18.000

    ‒4

    Gesamtergebnis

    =

    32.000

    5

    32.000

    5

    Abschreibungen des Praxiswerts

    +

    100.000

    100.000

    Betriebsergebnis II

    =

    132.000

    132.000

    Tilgung (1 Jahr tilgungsfrei)

    ./.

    0

    -113.013

    Aufbau Forderungen (15 %)

    ./.

    75.000

    0

    Liquiditätsaldo (positiv)

    +

    57.000

    18.987

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2019 | Seite 135 | ID 45878651

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