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  • · Personalführung

    Vier Praxistipps gegen Fluktuation in Kanzleien

    Bild: © Pcess609 - stock.adobe.com

    von Ralf Ecker, Bexbach

    | Die Reduzierung von Kündigungen in Unternehmen ist eine komplexe Herausforderung, die weit über einfache Lösungen hinausgeht. Es sind oft viele kleine Schritte und die Etablierung effektiver Routinen erforderlich, um eine offene und vertrauensvolle Kommunikationskultur zwischen Führungskräften und Mitarbeitern zu schaffen. In diesem Beitrag teile ich aus meiner Erfahrung die wichtigsten Praxistipps, die Führungskräften helfen können, die Fluktuation in ihren Kanzleien zu verringern. |

    Praxistipp 1: Systematik und Strategie schlagen Zufall und Glück

    Gehen Sie systemisch und strategisch an dieses Thema heran, denn das Thema Reduzierung von Fluktuation ist ein Kernthema der Unternehmensführung und kein Glücksspiel.

     

    Bild: IWW

     

    Schritt 1: Kanzleikultur identifizieren und ausrichten

    Herrscht in der Kanzlei neben einer gesunden Leistungskultur auch eine Kultur der Menschlichkeit, der Partnerschaftlichkeit, der Gerechtigkeit und des Miteinanders? Oder herrscht eine Kultur der Rivalitäten, des permanenten Leistungsdrucks und Konkurrenzdenkens und werden diese Faktoren von der Führung geduldet, in Kauf genommen oder gar gefördert? Wie schätzen Sie Ihre Kanzleikultur ein? Wie schätzen die Mitarbeiter sie ein?

     

    Schritt 2: Werte/Prinzipien implementieren, Gewohnheitsrechte abbauen

    Kennen Sie die wichtigsten Werte und Prinzipien Ihrer Kanzlei und werden diese auch gelebt? Gibt es ggf. Gewohnheitsrechte, die sich im Laufe der Jahre verfestigt haben, die Ihren wahren Kanzleiwerten widersprechen?

     

    • Beispiel

    Ein jüngerer Mitarbeiter wird von den Kollegen oft als mürrisch bezeichnet. Im Gespräch stellt sich heraus, dass er sehr motiviert und mandantenorientiert ist.

    Am Verhalten der Kollegen bemängelt er, dass sich bei vielen über die Jahre ein „Mittelmaß ist gut genug“-Verhalten eingeschlichen hat. Aus seiner Sicht kann das der Kanzlei mittelfristig erheblich schaden. Insbesondere bemängelt er dies bei den fachlich starken Mitarbeitern, die häufig die bequeme Lösung der besseren vorziehen.

     

    In dieser Kanzlei scheint auf den ersten Blick der Wert „Mandantenorientierung“ nicht bei allen Mitarbeitern gleich ausgeprägt zu sein. Ist das der Geschäftsführung bewusst oder wird aufgrund des Fachkräftemangels eventuell gar bewusst Mitarbeiterorientierung vor Mandantenorientierung gestellt? Oder hat sich dieses Verhalten im Laufe der Zeit einfach unmerklich eingeschlichen, da nicht gegengesteuert wurde? In dem Fall wäre es ein typisches Beispiel für Gewohnheitsrechte, die im Konflikt zu den eigentlichen Werten und Prinzipien der Kanzlei stehen und wahrscheinlich auch direkt an neue Mitarbeiter weitergegeben werden. Darin liegt generell eine riesige Gefahr, da in den Einstellungsgesprächen eventuell eine Kultur vermittelt wird, die sich dann in der Realität nicht wiederfindet.

     

    Im Beispiel besteht die Gefahr, dass die Kanzlei mittelfristig einen sehr leistungsorientierten Mitarbeiter verliert, da die Kanzlei seine Bedürfnisse (Sicherheit und Individualbedürfnisse wie Leistung, persönliche Entwicklung, Anerkennung) nicht erfüllen kann. Eventuell wägt die Kanzleileitung auch ganz bewusst ab, dass eine Erhöhung der Qualität mit zu hohen Opportunitätskosten an anderer Stelle einhergeht (die anderen Mitarbeiter sind dadurch stärker belastet und ggf. unzufriedener, der Mandant bemerkt die Qualitätssteigerung gar nicht und wäre auch nicht bereit, diese stärker zu honorieren etc.) und somit die Kündigung eines Einzelnen das geringere Übel wäre?

     

    PRAXISTIPP | Dieses Thema ist ein echtes strategisches Führungsthema, das es wert ist, auch mal in einem Kultur- oder Werteworkshop vertieft zu werden. Bitte beziehen Sie hier möglichst alle Mitarbeiter mit ein und sprechen Sie über Ihre Werte. Werte verbinden und entfalten eine starke Wirkung auf Einzelne. Gelebte Werte, wie Mitarbeiterorientierung und gegenseitige Wertschätzung, ermutigen auch introvertiertere Menschen, sich mal eher aus der Deckung zu wagen, da sich diese Werte im Einklang mit den Sicherheits- und sozialen Bedürfnissen befinden. Machen Sie Ihre Werte sichtbar und leben sie diese auch konsequent.

     

    Schritt 3: Kommunikationsstruktur aufbauen und pflegen

    Besteht Ihre Kommunikationsstruktur noch darin, dass einer den anderen nach dem Zufallsprinzip oder je nach Problem oder gar Befindlichkeit stört und „nervt“, oder verfügen Sie bereits über abgestimmte Kommunikationsstrukturen, die allen Beteiligten den notwendigen Raum und Rahmen bieten, auch sensible Themen in einem angemessenen Kontext zu besprechen? Homeoffice oder hybrides Arbeiten verstärken die Notwendigkeit professioneller Kommunikationsstrukturen übrigens noch.

     

    PRAXISTIPP | Mehr zu Kommunikationsstrukturen erfahren Sie in der KP-Sonderausgabe 2024: „Kanzleien im Dauerstress“, S. 15 ff.).

     

    Kommunikationsstrukturen sind ein hervorragendes Managementtool, um Ihre Mitarbeiter effizient zu führen und die Beziehungen in der Kanzlei wirkungsvoll zu managen. Kommunikation wird zur gelebten Routine und verlässt die Ecke der nervigen Störung. Es ist von unermesslichem Wert, den Mitarbeitern einen angemessenen Rahmen zu bieten, in dem diese ihre Anliegen kommunizieren können.

     

    Die introvertierteren und empathischeren Mitarbeiter möchten die Chefs möglichst wenig „belästigen“ und stören, weswegen sie Gespräche oft erst suchen, wenn es unumgänglich und absolut notwendig ist. Dieses Verhalten wird noch massiv verstärkt, wenn die Chefs tatsächlich den Eindruck vermitteln, dass sie gestresst sind bzw. keine Zeit haben. Dadurch ist die Gefahr sehr groß, dass solch ein Mitarbeiter in seinem Kopf erst einmal alle Szenarien durchspielt, ohne den Chef über seine Unzufriedenheit zu informieren. Das Gehirn ist hierbei meist kreativ im Ausdenken von ungünstigen Eventualitäten und Szenarien, die so in der Realität meist nie eintreten. Im Kopf des Mitarbeiters setzt sich jedoch der Gedanke fest, dass ein Gespräch zu nichts führen wird, was die Unzufriedenheit erhöht. Ich erlebe es wöchentlich. Ein Teufelskreis, der nur durch kontinuierliche und offene Kommunikation durchbrochen werden kann.

     

    Bei den Kanzleien und Unternehmen, die ich betreue, spreche ich mindestens einmal pro Jahr mit den Mitarbeitern alleine und auch gemeinsam mit Mitarbeitern und Chefs. Die Mitarbeiter können jederzeit einen Termin mit mir vereinbaren. Das gemeinsame Gespräch (Mitarbeiter, Chef, Coach) ist so strukturiert, dass wir uns von allgemeinen gegenseitigen Feedbacks hin zu jeweils spezifischen Themen vorarbeiten und alle wesentlichen Themen ansprechen, die Chef und Mitarbeiter am Herzen liegen. Derartige Kommunikationsstrukturen haben einen hohen „Wert an sich“ im Bewusstsein der Mitarbeiter. Sie berücksichtigen ihr Bedürfnis nach Sicherheit und Anerkennung. Das verringert das Risiko von Kündigungen „aus dem Nichts“.

     

    • Beispiel

    Ein junger, sehr leistungsstarker, allerdings auch sehr reflektierter und eher introvertierter Mitarbeiter bat mich um ein Gespräch. Es ging um angemessene Entlohnung. Er hatte das Gefühl, dass seine rasante Entwicklung und die Übernahme wichtiger Mandate nicht angemessen bezahlt wird. Er war in einem riesigen Zwiespalt und aufrichtig frustriert. Er wollte die Kanzleileitung aber wegen seiner zurückhaltenden Art nicht von sich aus auf eine Gehaltserhöhung ansprechen. Vielmehr erwartete er von der Kanzleileitung ein deutliches Signal in seine Richtung, da diese ihn ja mit mehreren wichtigen Mandaten betraut habe und ihn auch immer wieder lobe, ohne dass sich sein Gehalt im letzten Jahr entsprechend bewegt hatte. Das größte Ärgernis für ihn war, dass Kollegen, die Dienst nach Vorschrift machen, Gehaltserhöhungen bekommen, nur weil sie sie einfordern. In einem gemeinsamen Gespräch mit der Kanzleileitung konnte das Problem adressiert und gelöst werden. Die Entwicklung des Mitarbeiters ist weiter rasant und er fühlt sich inzwischen zu 100 % wertgeschätzt. Ohne diese Gespräche hätte sich der Mitarbeiter vermutlich neu orientiert.

     

    Praxistipp 2: Trainieren Sie die Aufmerksamkeit

    Lernen Sie zu erkennen, welchen Mitarbeitenden welche Bedürfnisse besonders wichtig sind, und verteilen Sie die Aufmerksamkeit möglichst so, dass keine dauerhafte Mangelsituation entsteht. Und nein, Sie brauchen kein Psychologiestudium ‒ lediglich eine geschulte Aufmerksamkeit, gute Routinen und echtes Interesse an den Menschen, die für Sie arbeiten. Nähern Sie sich dem Thema in zwei einfachen Schritten.

     

    Schritt 1: Das Mitarbeitergespräch vor dem geistigen Auge

    Setzen Sie sich am Freitagnachmittag oder am Wochenende hin, holen Sie sich die Mitarbeitenden vor Ihr geistiges Auge und versuchen Sie, jeder Person ein augenscheinliches Bedürfnis zuzuordnen.

     

    • Was ist welchem Ihrer Mitarbeiter besonders wichtig?
    • Was sind die roten Linien oder Triggerpunkte Ihrer Mitarbeiter?
    • Welche sind Ihre Schlüsselmitarbeiter?
    • Wie schätzen Sie die Bedürfnisstrukturen Ihrer Mitarbeiter ein?
      • Wer legt eher Wert auf Sicherheit?
      • Wer legt eher Wert auf ein harmonisches soziales Miteinander?
      • Wer ist eher leistungsorientiert und macht sein Ding?
      • Wer ist eher isoliert (der Einzelkämpfer isoliert sich bewusst selbst, während ein extrem zurückhaltender Mensch ggf. von der Gruppe isoliert wird)?
      • Wer ist besonders loyal?
      • Wer braucht eher mal eine Anerkennung, um sein Ego zu streicheln?
      • Wem würde ein Lob oder ein nettes Wort guttun, um aufzublühen?
      • Wer ist unterbezahlt bzw. wem ist Geld besonders wichtig?

     

    Schritt 2: Das eigene Verhalten lenken

    Beginnen Sie damit, Ihre Aufmerksamkeit, je nach Bedürfnis gezielt und angemessen zu verteilen. Entwickeln Sie Kommunikationsroutinen und sprechen Sie regelmäßig mit Ihren Mitarbeitern.

     

    PRAXISTIPP | Meistens erhalten die Menschen dann Aufmerksamkeit, wenn es Probleme gibt oder etwas schiefgelaufen ist, während die 80 oder 90 %, die gut laufen, nicht mit Aufmerksamkeit belohnt werden. Ein grobes systemisches Missverhältnis, das Sie mit einer proaktiven Kommunikationsstruktur und einem angemessenen Aufmerksamkeitsmanagement weitestgehend beheben könnten.

     

    Praxistipp 3: Lassen Sie sich helfen

    In vielen Kanzleien kann es für Mitarbeitende eine erhebliche Hürde darstellen, sensible Themen oder persönliche Anliegen direkt mit der Geschäftsführung zu besprechen. Hier kommt die Rolle eines externen Beraters als neutraler Facilitator ins Spiel. Ein externer Berater kann als vertrauenswürdige Instanz fungieren, die es Mitarbeitenden ermöglicht, Bedenken offen zu äußern, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben. Durch die Distanz zur internen Hierarchie wird ein sicherer Raum geschaffen, in dem Mitarbeiter ihre Anliegen ansprechen können, ohne sich in einem Machtspiel zu sehen.

     

    • Beispiel

    Eine neue Mitarbeiterin einer mittelständischen Kanzlei suchte das Gespräch mit mir, da sie seit einigen Wochen ein Thema mit sich herumtrug, das ihr erhebliche Sorgen bereitete. Sie war zuvor in einer autoritär geführten Kanzlei tätig, die durch strikte Hierarchien und eine starke Rollenautorität geprägt war. In ihrer neuen Position in einer Kanzlei mit flacherer Hierarchie und einem Fokus auf eigenverantwortliches Arbeiten fiel es ihr jedoch schwer, sich mit einem für sie wichtigen Anliegen an die Geschäftsführung zu wenden.

     

    Die Mitarbeiterin hatte Bedenken, dass ihre Anliegen als unberechtigte Kritik oder als unangebrachtes „Motzen“ wahrgenommen werden könnten, was ihre Sicherheitsbedürfnisse stark beeinflusste. In einem halbstündigen Gespräch mit dem personalverantwortlichen Partner konnten wir ihre Ängste adressieren und sie ermutigen, ihre Anliegen künftig offen zu kommunizieren, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Die Mitarbeiterin zeigte sich erleichtert, und es wurde deutlich, dass sie zuvor durch ihre Unsicherheiten stark belastet war. Der Partner der Kanzlei war überrascht, dass sie sich nicht eher an ihn gewandt hatte.

     

    So wie Sie die IT, Social-Media-Aktivitäten und juristische Angelegenheiten an Fachkräfte auslagern, so können Sie ebenfalls bei Ihrem mit Abstand wichtigsten Asset (Ihren Mitarbeitern) agieren und sich viele Probleme vom Hals halten.

    Praxistipp 4: Führungskompetenzen stetig weiterentwickeln

    Führungskompetenzen kann man gezielt trainieren und fördern. Sowohl Methoden- und auch soziale Kompetenzen. Insbesondere das Trainieren und Anwenden des integrativen Führungsstils erweitert Ihre Führungskompetenzen nachhaltig, und zwar in der täglichen Praxis. Viele Führungskräfte verrichten ihre Arbeit in einem Spannungsfeld zwischen Frust, Stress, Leistungsdruck und Überforderung, was alle angeführten Probleme verstärkt. Ein einfaches „Weiter so! Es wird schon irgendwie gutgehen oder irgendwann mal sogar besser.“ ist deshalb keine Option.

     

    FAZIT | Die Lösung liegt darin, die aufgeführten Praxistipps sukzessive umzusetzen, auch wenn sich die Ergebnisse erst verzögert zeigen. Viele kleine, recht einfach scheinende Schritte, die konsequent durchgeführt werden, führen zu Verbesserungen des Gesamtsystems. Selten ist es die eine spektakuläre Änderung, die bewirkt, dass mit einem Schlag alles besser wird. Also bleiben Sie dran und beginnen Sie, die Praxistipps sukzessive und konsequent umzusetzen. „Gewohnheiten sind der Zinseszins der Selbstoptimierung.“ (James Clear)

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2025 | Seite 208 | ID 50487177