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  • · Fachbeitrag · New Work

    Acht wichtige Fragen zur Vier-Tage-Woche

    von Marion Ketteler, Münster, www.kanzleiprofiling.de

    | Die Branche ringt um die wenigen Fachkräfte, die auf dem Markt verfügbar sind. Die Not ist so groß, dass nahezu alles getan wird, um neue zu gewinnen. Eine Idee, die gerade die Runde macht, ist die Einführung einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn. Was auf den ersten Blick attraktiv für alle klingt, birgt so manche Fallstricke, weshalb sich ein genauerer Blick lohnt. |

     

    • Acht Fragen, die Sie vorher beantworten sollten
    • 1. Was passiert mit den Vergütungen für die Teilzeitbeschäftigten?
    • 2. Wie kann die gleiche Arbeitsmenge in weniger Zeit erledigt werden?
    • 3. Wie wird der persönliche/fachliche Austausch untereinander weiterhin erhalten?
    • 4. Wie fördert man Teamzusammenhalt und -austausch unter dem Druck einer Vier-Tage-Woche?
    • 5. Wie kann gleichzeitig der „gute Draht“ zum Mandanten gehalten werden?
    • 6. Wie lassen sich Stress und Burn-out vermeiden?
    • 7. Wie kann die Wirtschaftlichkeit der Kanzlei gewahrt bleiben?
    • 8. Steigert die Vier-Tage-Woche die Arbeitgeberattraktivität für alle?
     

    Frage 1: Was passiert mit den Vergütungen für die Teilzeitbeschäftigten?

    Verändert man die wöchentliche Sollarbeitszeit von z. B. 40 auf 32 Stunden, müssten der Fairness halber alle anderen Gehälter, die sich zuvor an einer 40-Stunden-Woche orientiert haben, angehoben werden. Das könnte saftige Lohnerhöhungen bedeuten.

     

    • Beispiel

    Verdient eine Steuerfachangestellte mit 40 Wochenstunden 3.500 EUR brutto, so würde sie in Teilzeit bei einfacher Umrechnung 2.800 EUR für 32 Wochenstunden verdienen. Bei Absenkung der allgemeinen Arbeitszeit käme eine Lohnerhöhung von 25 % zum Tragen.

     

    Die Teilzeitbeschäftigten nicht in gleicher Weise an den Lohnerhöhungen der Vollzeitbeschäftigten anzugleichen, muss gut argumentiert werden. Die Umstellung wird also hohe Auswirkungen auf die Personalkosten haben.

    Frage 2: Wie kann die gleiche Arbeitsmenge in weniger Zeit erledigt werden?

    Wenn es einfach mit einer Anweisung ginge, müsste man sich zu Recht fragen, was die Mitarbeitenden in der Vergangenheit in den fünf bis acht Stunden pro Woche getan haben. In der Regel ist es jedoch so, dass die Arbeitsmenge schon längst nicht mehr zur individuellen wöchentlichen Arbeitszeit passt. Man kann also „nicht einfach so“ die Arbeit verdichten.

     

    Wie kann die persönliche Arbeit jedes Einzelnen optimiert und verdichtet werden, damit mehr Arbeit in weniger Zeit gut zu schaffen ist?

    Obwohl viele Arbeitsschritte heute deutlich effizienter erledigt werden können, halten viele an jahrelang praktizierten Ritualen fest und wollen diese auch partout nicht aufgeben. Die Einführung einer Vier-Tage-Woche wird diese Zeitfresser sichtbar und ihnen den Garaus machen. Denn natürlich wird es auch von der effizienten und egalisierten Arbeitsweise aller abhängen, ob die Umstellung gelingt. Hier gilt es, gemeinsam (neue) Arbeitsweisen festzulegen, an die sich dann aber auch alle halten. Gleichzeitig birgt dieses Vorgehen aber auch die Chance, endlich mal mit den ganzen „Sonderlocken“ aufzuräumen, die sich jahrzehntelang etabliert haben. Die Arbeit sollte auch nach der Umstrukturierung und Verdichtung gut zu bewältigen sein. Berücksichtigt werden sollten auf jeden Fall zusätzliche Pufferzeiten für Krankheit, Fortbildung oder interne Besprechungen.

     

    Wie können Abläufe und Prozesse so optimiert werden, dass manche manuellen Tätigkeiten entfallen oder reduziert werden können?

    Neben den persönlichen Arbeitsweisen und Optimierungen geht es natürlich auch um grundlegende Prozesse und Abläufe in der Kanzlei. Viele sind über die Jahre entstanden und werden unreflektiert weitergeführt. Auch hier lohnen ein kritischer Blick und eine beherzte Entscheidung, damit doppelte oder überflüssige Tätigkeiten fortan entfallen.

     

    Helfen Digitalisierung und Automatisierung, Arbeitsabläufe zu beschleunigen und gleichzeitig Fehlerquellen zu minimieren?

    Natürlich spielen die Digitalisierung und die Automatisierung eine der wichtigsten Rollen in der Umstellung: Alles, was die Arbeit effizienter, einfacher, fehlerfreier und schneller durch den klugen Einsatz von Technik macht, sollte spätestens jetzt eingeführt und genutzt werden. Auch darüber werden sich nicht alle Kollegen und Kolleginnen freuen ‒ aber ohne eine fundamentale Umstrukturierung der gesamten Kanzlei ist die Vier-Tage-Woche nicht umsetzbar. Dabei müssen auch die Mandanten mit einbezogen werden. Auch ihre Vorarbeit hat entscheidenden Einfluss auf die erfolgreiche Umsetzung. Wer immer noch Papierbelege annimmt und manuell verbucht, wird erheblich mehr Schwierigkeiten haben, eine Arbeitsverdichtung umzusetzen.

    Frage 3: Wie wird der persönliche und fachliche Austausch untereinander weiterhin erhalten?

    Menschen sind keine Maschinen, die man einfach nur anders einsetzen muss. Gerade wenn die Umstellung auf die Vier-Tage-Woche vor dem Hintergrund der Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität erfolgt, geht es stark um die Themen Unternehmenskultur und Wertschätzung. Denn Menschen arbeiten dort, wo sie sich wohlfühlen. Was aber sorgt für den Wohlfühlfaktor? Sicherlich keine engen Zeitkorridore für die Bearbeitung anspruchsvoller Sachbearbeitung. Gerade die zwischenmenschlichen Gespräche machen das Miteinander und die gemeinsame Verbundenheit aus. Aber auch die Zeit für fachlichen Austausch ist für alle Beteiligten wichtig. Welche Lösung auch immer man wählt: Zeiten für persönlichen und beruflichen Austausch müssen erhalten bleiben und können auch nicht nur rein virtuell abgebildet werden. Denn dann verliert man den „Stallgeruch“ und die Bindung an die Kanzlei.

    Frage 4: Wie fördert man Teamzusammenhalt und -austausch unter dem Druck einer Vier-Tage-Woche?

    Nicht nur der persönliche und der fachliche Austausch untereinander ist wichtig ‒ auch das gesamte Team darf nicht aus dem Blickfeld geraten. Teambuilding kann nicht allein durch über das Jahr verteilte Tage erreicht werden, sondern braucht im täglichen Kanzleialltag Raum. Denn nur über täglich gepflegte Rituale und Möglichkeiten der Begegnung können Beziehungen aufgebaut und gepflegt werden. Dennoch sollte es darüber hinaus gemeinsame Teamtage geben, in denen sich alle Beteiligten informell und auf eine andere Art und Weise erleben können. Auch diese Zeiten sollten im neuen Konzept der 4-Tage-Woche von Anfang an mitgedacht werden.

    Frage 5: Wie kann dabei gleichzeitig der „gute Draht“ zum Mandanten gehalten werden?

    Wenn alle nur noch konzentriert vor sich hinarbeiten, um das Arbeitspensum zu bewältigen, kann selbst der Anruf des Lieblingsmandanten zur Störung werden. Und eben das darf nicht passieren. Hier braucht es klare Absprachen und eventuell auch neue Formen des Austauschs und der Erreichbarkeit.

     

    • Störungsfreie Arbeitsstunden, in denen das Telefon und die E-Mail-Erreichbarkeit ausgeschlossen sind, können eine Möglichkeit sein.
    • Ein digitales Terminbuchungstool, damit Überraschungsbesuche von Mandanten vermieden werden.
    • Die Unterlassung von Anrufen der Mitarbeitenden an die säumigen Mandanten.

     

    Auch das hat sein Gutes: Durch die Umstellung kann die grundsätzliche Form der Zusammenarbeit überdacht und neugestaltet werden. Wer seine Mandanten miteinbezieht, wird eine akzeptierte und moderne Zusammenarbeit erreichen, die Zeit spart und gleichzeitig die gute Bindung erhält.

    Frage 6: Wie lassen sich Stress und Burn-out vermeiden?

    Nicht alle werden von dieser Idee restlos begeistert sein. Wenn sie erfahren, dass es an ihre persönlichen Arbeitsweisen, an ihre Abläufe, Gewohnheiten und „Sonderlocken“ geht, hört die Freude über die freien Arbeitsstunden schnell auf. Dann überwiegt das Gefühl der Hilflosigkeit und mangelnden Kompetenz. Denn neue Arbeitsweisen, der verstärkte Einsatz digitaler und automatisierter Prozesse wird den gewohnten Arbeitsalltag ordentlich durchrütteln und viele fühlen sich dann überfordert und gestresst. Eine dauerhafte Beteiligung der Mitarbeitenden bei allen Änderungen hilft, die Ohnmacht zu nehmen und Selbstwirksamkeit erlebbar zu machen. Auch ein ständiges Monitoring der Aufgabenbereiche der Mitarbeitenden ist unverzichtbar. Hier darf niemand auf der Strecke bleiben, denn sonst entpuppt sich die gut gemeinte Einsparung von Arbeitszeit als „Wohlfühlkiller“.

    Frage 7: Wie kann die Wirtschaftlichkeit der Kanzlei gewahrt bleiben?

    Alle internen Prozesse und Abläufe zu überdenken und zu überarbeiten, reicht nicht aus. Damit sich das neue Konzept rechnet, ist eine Bereinigung des Mandantenstamms nötig. Denn bei gestiegenen Gehältern und verringerter Arbeitszeit können zukünftig nur noch die Mandanten gut betreut werden, die zur Wertschöpfung beitragen. Und die sich auch mit den neuen Regeln der Zusammenarbeit einverstanden erklären und bereit sind, ihr Verhalten zu ändern.

    Frage 8: Steigert die Vier-Tage-Woche die Arbeitgeber-attraktivität für alle?

    Wenn man bis hierher gelesen hat, könnte der Verdacht aufkeimen, dass die Einführung einer Vier-Tage-Woche alles andere als ein lohnendes Ziel erscheint. Der Aufwand erscheint vielleicht riesig und einhergehend mit der Ungewissheit, ob das tatsächlich der Schlüssel zu mehr Bewerbungen von qualifizierten Fachkräften ist.

     

    Doch man muss die Ausgangsbedingungen der Kanzlei beachten:

     

    • Wer auf der Suche nach jungen, qualifizierten Fachkräften ist: Gerade die jüngeren Mitarbeitenden schätzen ihre Freizeit. Für sie gilt: Arbeit und Freizeit haben denselben Stellenwert. Wenn Arbeitszeit ohne Geldverlust eingespart werden kann, sind viele Mitarbeitenden dieser Gruppe gern bereit, ihre persönlichen Arbeitsweisen anzupassen. Außerdem wissen viele jüngere Fachkräfte, dass ein hoher Digitalisierungsgrad die Voraussetzung für die Etablierung einer Vier-Tage-Woche ist, und bewerben sich aus diesem Grund schon gerne bei diesen Kanzleien, weil sie gern möglichst digital arbeiten wollen. Wer hier ein gutes Marketing hat, wird relativ schnell seine offenen Stellen besetzen können.

     

    • Für Kanzleien mit einer eher älteren Beschäftigtenstruktur gilt: Hier muss das Risiko zwischen dem Verlust von langjährig Beschäftigten mit der Möglichkeit, mehr junge Fachkräfte anzuziehen, ins Verhältnis gesetzt werden. Viele ältere Mitarbeitende haben Schwierigkeiten bei gravierenden Umstellungen ihrer Arbeitsweisen und scheuen den persönlichen Kompetenzverlust und gehen lieber das Risiko einer Kündigung ein.

     

    Für beide gilt jedoch: Auf Dauer werden sich Kanzleien am Markt nur behaupten können, wenn sie genügend Nachwuchs beschäftigen ‒ und diese Gruppe erwartet letztlich auch hohe Flexibilität in allen Bereichen. Der Fachkräftemangel wird demografisch gesehen zunehmen. So wird jede Kanzlei auf Dauer die benannten Fragen für sich beantworten und umsetzen müssen, denn die Arbeit in Kanzleien wird sich auf jeden Fall verdichten. Warum also nicht sofort starten und die nächsten Schritte gehen?

    Quelle: Ausgabe 03 / 2023 | Seite 38 | ID 48848240

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