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  • · Fachbeitrag · Mit Wissen(schaft) führen

    So verbessern Sie Ihr Entscheidungsverhalten

    von Thomas Schneider (Essen) und StB Jürgen Derlath (Münster)

    | Entscheiden ist sicherlich die wichtigste Handlung eines jeden Kanzleiinhabers. Dabei werden Entscheidungen vor allem hinsichtlich des Erfolgs der Entscheidung wahrgenommen. Was oft nicht bewusst sein dürfte, es gibt nicht nur gute und schlechte Entscheidungen, sondern es gibt auch gutes und schlechtes Entscheidungsverhalten. Während der Erfolg einer Entscheidung immer auch von einem Quäntchen Glück abhängt, kann das Entscheidungsverhalten systematisch verbessert werden. Dabei will dieser Beitrag helfen. |

    Vom guten und vom schlechten Entscheiden

    Dietrich Dörner, ein deutscher Psychologe, hatte bereits Mitte der 70er Jahre mehrere Simulationsexperimente für den Computer entwickelt, um menschliches Entscheidungsverhalten in komplexen Situationen zu untersuchen (Dörner: Die Logik des Misslingens, 2003, Rowohlt).

     

    Das Tanaland-Experiment (Dörner, 2003)

     

    • Tanaland (Dörner, 2003)

    Die Entscheider sollten das Leben zweier afrikanischer Stämme verbessern. Mittels diktatorischer Vollmachten konnte sechsmal in die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Systeme eingegriffen werden. Nach jedem Eingriff rechnete das Modell die Auswirkungen aus, die den Teilnehmern mitgeteilt wurden. Nach den ersten drei Sitzungen hatten viele Teilnehmer scheinbar alles im Griff. Dann jedoch kollabierten die Systeme ganz oder teilweise. Eingriffe in ein System führten zu nicht antizipierten negativen Auswirkungen in anderen Systemen, die den Nutzen des Eingriffs mehr als aufzehrten.

     

    Beispiele:

    • Zum Schutz der Ernte wurden die Kleinsäugetiere dezimiert. Mit zunehmendem Erfolg dieser Maßnahme vermehrten sich aber die Insekten, die auf dem Speiseplan der Kleinsäugetiere standen und zur Bedrohung für die Ernten wurden.
    • Oder: Die Teilnehmer liefen in die malthusianische Falle: Dank besserer medizinischer Versorgung wuchs die Bevölkerung exponentiell, die landwirtschaftliche Produktion aber nur linear.
     

    Als Psychologe interessierten Dörner aber weniger die „entwicklungspolitischen“ Erfolge oder Misserfolge als vielmehr das (Entscheidungs-)Verhalten der Versuchspersonen. Übrigens gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen unerfahrenen und erfahrenen Teilnehmern, zwischen Schülern und Versuchspersonen mit Berufserfahrung. Die Gründe für den Erfolg bzw. Misserfolg lagen vielmehr in bestimmten kognitiven Mustern, wie sie Abbildung 1 beschreibt.

     

     

    Die Abbildung zeigt, wie die Teilnehmer dachten. Schon nach der zweiten Sitzung nahm der Anteil der Fragen (der ohnehin nicht hoch war) ab und stieg selbst gegen Ende (als die Systeme in der Regel aus dem Ruder gerieten) nicht mehr an. Auch der Anteil der Reflexion nahm im Zeitverlauf (bemerkenswerterweise vor allem gegen Ende) ab. Hingegen stieg der Anteil der Entscheidungen an ‒ gegen Ende sogar dramatisch. Die Übersetzung in menschliches Verhalten lautet: Nach den ersten Sitzungen glaubten die Teilnehmer offenbar über ausreichend Wissen zu verfügen und wurden immer entscheidungsfreudiger. Selbst spätere Misserfolge führten nicht etwa zu verstärktem Fragen oder vermehrter Reflexion des eigenen Verhaltens, sondern im Gegenteil zu hektischen, kurzfristigen Entscheidungen.

     

    Warum reagierten die Versuchspersonen gegen Ende nur noch? Im Grund waren sie „Getriebene des Systems“. Sie hatten nicht beachtet, dass einige Prozesse tatsächlich exponentiell verlaufen und nicht linear wie angenommen. Sie hatten unterschätzt, dass es dauern kann, bis die Auswirkungen einer Maßnahme sichtbar werden. Und manche Systeme halten eine Menge an Fehlsteuerung aus, schlagen bei Erreichen eines kritischen Wertes aber gnadenlos um.

     

    Das Lohausen-Experiment

    In diesem Experiment sollten die Versuchspersonen ein komplexes „Ökosystem“ managen, bei dem die einzelnen Variablen stark interdependent waren: eine Kleinstadt. Bemerkenswert an diesem Experiment war, dass die Regeln und Zusammenhänge unbekannt waren und aus der Interaktion mit dem System erschlossen werden mussten.

     

    • Lohausen (Dörner, 2003)

    Die Versuchspersonen spielten den Bürgermeister einer Kleinstadt mit entsprechender Infrastruktur. In der zehnjährigen Amtszeit (verteilt auf acht Sitzungen)sollte der Bürgermeister Lohausen entwickeln. Die Entwicklung wurde unter anderem über die allgemeine Zufriedenheit der Bevölkerung gemessen, aber auch mit ökonomischen Kennzahlen. Anhand dieser Kriterien konnten gute Entscheider von schlechten abgegrenzt werden. Spannend war natürlich, worin sich die beiden Gruppen in ihrem Entscheidungsverhalten unterschieden. Eine Erkenntnis vorab: Die Intelligenz hatte keinen nachweisbaren Einfluss.

     

    Gute Entscheider

    • trafen mehr Entscheidungen;
    • handelten komplexer, wobei signifikant mehr Entscheidungen pro Absicht realisiert wurden;
    • beschäftigten sich frühzeitig und intensiver mit den tatsächlichen Problemen und ließen sich von Störmanövern wenig beeinflussen;
    • prüften ihre Hypothesen häufiger durch Nachfragen (in der Anzahl der Hypothesen unterschieden sie sich nicht);
    • fragten häufiger nach dem Warum (schlechte Entscheider stellten mehr Gibt-es-Fragen);
    • blieben bei einem Thema und wechselten nicht rasch zwischen den Themen;
    • identifizierten die wichtigen Tätigkeitsfelder und widmeten sich diesen kontinuierlich;
    • reflektierten sich und ihr Verhalten.

     

    Entscheidungsverhalten unter Zeitdruck

    Dörner beschreibt schließlich noch einen weiteren Versuch, in dem Probanden die richtigen Entscheidungen treffen mussten. Eine komplizierte Maschine erstellte ein Produkt, wobei zwei widersprüchliche Ziele verfolgt wurden: hoher Gewinn und Umweltschutz. Die Unterschiede zwischen guten und schlechten Testpersonen waren eindeutig.

    • Die guten Entscheider waren ‒ trotz des Zeitdrucks ‒ vorsichtig und verbesserten durch Fragen ihre Informationsbasis, bevor sie entschieden.
    • Die schlechten Entscheider ließen sich vom Zeitdruck zu frühen Entscheidungen verleiten und mussten gegen Ende nochmal informatorisch nachsteuern.

     

     

    Was kann ich für mein Entscheidungsverhalten mitnehmen?

    Die Kanzlei ist nicht weniger komplex als Tanaland oder Lohausen. Auch sie ist Teil eines „Ökosystems“ und besteht selbst aus mehreren Teilsystemen, die durchaus mit konfliktären Zielsetzungen arbeiten (Qualität versus Schnelligkeit in der Abschlusserstellung, Chefinteressen versus Mitarbeiterinteressen usw.). Die folgende Übersicht macht Vorschläge, was Sie in einer komplexen Situation tun können. Sie lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Gewinnen Sie systemrelevantes Wissen und reflektieren Sie Ihr Verhalten.

     

    • Verhalten in komplexen Entscheidungssituationen
    Merkmal der Situation
    Umgang mit dem Merkmal

    Viele relevante Variablen zu berücksichtigen

    • die relevanten Variablen identifizieren
    • die relevanten Informationen zu den Variablen verdichten

    Interdependente Variablen

    • keine einfachen Ursache-Wirkungsketten annehmen
    • stattdessen Denken in Kausalnetzen (Abhängigkeiten berücksichtigen)
    • Modelle für die Zusammenhänge bilden
    • generell mit Spät- und Nebenfolgen rechnen und ‒ wo möglich ‒ „einpreisen“

    System mit Eigendynamik (entwickelt sich auch ohne Eingriffe von außen)

    • Zeit-/Handlungsdruck abschätzen
    • nicht nur linear extrapolieren (Prozesse können auch exponentiell verlaufen)
    • Zeit für Reflexion einplanen

    Intransparente Systemzustände und Zusammenhänge

    • Welche Variablen können direkt beobachtet werden (Umsatz), welche nur indirekt (Mitarbeiterzufriedenheit)?
    • indirekte Zusammenhänge direkt machen (Mitarbeiterbefragung) oder Indikatoren dafür finden (Entwicklung des Krankenstands)
    • mit verzögerten oder überschießenden Antworten des Systems rechnen,
    • nicht übersteuern

    „Unscharfe“ Ziele werden verfolgt

    • Ziele konkret formulieren; denn dann ist es möglich:
      • die Ziele sachlich/zeitlich zu hierarchisieren/priorisieren
      • Konflikte offenzulegen
      • Situationen (je nach Ziel) unterschiedlich zu bewerten
     

     

    Wer in komplexen Situationen entscheidet, muss eine Menge aushalten. Überlastung, Ungewissheit, Zeitdruck, Stress und Frustration ‒ um nur einige Herausforderungen zu nennen. Ganz schnell schleichen sich dysfunktionale Verhaltensweisen ein. Steuern Sie frühzeitig dagegen (z. B. mit einem Coach), wenn Sie diese Anzeichen an sich bemerken:

     

    • Anzeichen für einsetzendes Fehlverhalten des Entscheiders
    • Sie fangen an, zwischen den Themen hin- und herzuspringen, statt fokussiert zu arbeiten.
    • Sie verwenden viel Zeit und Ressourcen auf bestimmte Themen, weil die gut handhabbar sind ‒ aber sind das auch die wichtigen Themen oder leitet Sie der Wunsch nach sichtbaren Erfolgen?
    • Sie entscheiden immer häufiger aus dem Bauch heraus und fundieren ihre Entscheidungen nicht mehr (so gründlich).
    • Sie verfallen in eines der beiden Extreme: Sie machen viel selbst, um die unmittelbare Kontrolle zu erhalten oder Sie „delegieren sich frei“.
    • Sie reden sich die Situation schön, rechtfertigen Misserfolge.
    • Sie werden zynisch. (Einige Teilnehmer, die in Tanaland eine Hungerkatastrophe provoziert hatten, meinten, dann müssten die Stammesangehörigen halt den Gürtel enger schnallen.)
     

    Zu den Autoren | Thomas Schneider ist Leiter Compliance eines Metallgroßhandelsunternehmens und hat langjährige Erfahrung im Bereich interne Revision und Compliance, vom DAX 30 Konzern bis zum Mittelstand. Jürgen Derlath ist Volkswirt und Psychologe und befasst sich mit Entscheidungsprozessen in Organisationen und der Wirkung von Medien.

    Quelle: Ausgabe 03 / 2019 | Seite 41 | ID 45539831

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