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  • · Kanzleientwicklung

    Was passiert denn eigentlich in Ihrer Kanzlei, wenn die Babyboomer weg sind?

    Bild: © insta_photos ‒ stock.adobe.com

    von Ralf Ecker, Bexbach

    | In den nächsten paar Jahren geht ein Großteil der Babyboomer in Rente. Das sind die Jahrgänge zwischen 1946 und 1964. Bis 2036 sind sie voraussichtlich vollständig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. In den Kanzleien, die ich betreue, werden die Babyboomer wahrscheinlich bereits in den nächsten drei bis fünf Jahren vollständig ausgeschieden sein. Haben Sie schon einen Plan, um diesen Verlust aufzufangen? Ich möchte Sie auf fünf zentrale Faktoren aufmerksam machen, die das Verhalten der Babyboomer beeinflussen und Ihre Kanzlei betreffen. Ich werde die Herausforderungen skizzieren und praktische Tipps geben, um den Übergang zu erleichtern. |

    Faktor Loyalität und Verlässlichkeit

    „ … in guten wie in schlechten Zeiten“ beschreibt recht gut die Loyalität der Babyboomer.

     

    • Beispiele

    In einer Kanzlei ist mir eine Frau begegnet, die bereits 50 Jahre in dieser Kanzlei tätig war. Sie hat alle Chefs kommen und gehen sehen, gute und auch herausfordernde Zeiten erlebt und war ein Fels in der Brandung, die mit schwierigen Fällen und Mandanten umzugehen wusste. Sie hat auch dann Ruhe bewahrt, wenn die anderen hektisch wurden und mit ihrer Abgeklärtheit sowohl Chefs und Kollegen wieder „runtergeholt“.

     

    In einer anderen Kanzlei erlebe ich gleich zwei Baby-Boomerinnen, die beide so um die siebzig Jahre alt sind und immer noch „nicht genug vom Arbeiten haben“. Es ist sogar wirkliche Überzeugungsarbeit notwendig, damit die Damen sich endlich mal entlasten lassen und Mandate an jüngere Kolleginnen und Kollegen weitergeben.

     

    Zwei Beispiele, die sehr gut beschreiben, wie die Babyboomer ticken. Sie sind extrem loyal. Ein Arbeitgeberwechsel scheint bei vielen Babyboomern gar keine Option zu sein, die in Betracht gezogen wird, sogar meist dann nicht, wenn sie sich beim Arbeitgeber unwohl oder wenig wertgeschätzt fühlen. Während Ihnen die Babyboomer Ihre „Fehltritte“ weitestgehend verzeihen, werden es Ihnen die jüngeren Generationen nicht so einfach machen.

     

    Wie sieht es in Ihrer Kanzlei aus? Werden mit den Babyboomern auch ein Stück lieb gewonnener Loyalität und Verlässlichkeit gehen oder sind Ihre jüngeren Mitarbeiter ähnlich loyal und verlässlich?

     

    PRAXISTIPP | Arbeiten Sie konsequent an Ihrer Arbeitgebermarke, denn Loyalität und Verlässlichkeit sind Faktoren, die auch von jüngeren Mitarbeitern verkörpert und gelebt werden, jedoch insbesondere dann, wenn die Arbeitgebermarke als positiv empfunden wird! Einer der wichtigsten Faktoren hierbei ist die Kommunikation. Kommunizieren Sie mit Ihren Mitarbeitern, denn Kommunikation und Feedback sind wichtige Brücken, um Loyalität zu erhalten. In den Kanzleien, die ich betreuen darf, ist die Loyalität der jüngeren Mitarbeiter wirklich außergewöhnlich hoch, da den Mitarbeitern sehr bewusst ist, dass sie mit ihrer Loyalität direkt dazu beitragen, sich die gute Arbeitgebermarke zu erhalten. Insbesondere die Mitarbeiter, die von außen dazugestoßen sind, bestätigen mir das immer wieder, da diese ja noch den direkten Vergleich zum alten Arbeitgeber haben, wo die Arbeitgebermarke meist als wesentlich schlechter empfunden wurde.

     

    Faktoren Leistungsbereitschaft und Motivation

    Wer in einer Zeit geprägt wurde, in der das Mindset „Leistung wird belohnt und Faulheit wird nicht belohnt“ galt, kann diese Werte und das daraus resultierende leistungsorientierte Verhalten auch im Alter schwerlich ablegen.

     

    Die Babyboomer sind häufig in einem Maße leistungsbereit, das ihnen körperlich und psychisch nicht immer guttut. Sie können schlecht Nein sagen und sind oftmals sehr streng und hart zu sich (und zuweilen auch zu anderen). Diese Leistungsbereitschaft paaren viele Babyboomer mit Disziplin und Durchhaltevermögen. Sie sind trotz ihrer hohen Schlagzahl und ihres höheren Lebensalters meist seltener krank als jüngere Menschen, weil sie ihre Kollegen, Chefs und Mandanten nicht hängen lassen wollen.

     

    Das führt häufig dazu, dass die Babyboomer in Relation mehr Mandate bearbeiten als die jüngeren Kollegen. Wie steht es in Ihrer Kanzlei um das Thema Leistungsbereitschaft? Merken Sie ein Leistungsgefälle zwischen den Generationen?

     

    PRAXISTIPP | Auch diese beiden Faktoren korrelieren neben individuellen Einstellungen sehr stark mit der wahrgenommenen Qualität der Arbeitgebermarke. Eine wirklich gute Arbeitgebermarke paart halt neben dem Wohlfühleffekt auch den Leistungsaspekt. Das eine bedingt und fördert das andere. Während die Babyboomer auch in einem eher „kühlen Klima“ performen, benötigen insbesondere die Millennials und die GenZ Freude und Sinn an der Tätigkeit, um intrinsisch motiviert zu sein. Motivationsversuche von außen entfalten meist nur kurzfristige Wirkung. Wahre Motivation und Leistungsorientierung entfalten sich durch Freude an der Tätigkeit, Partizipation, Teamorientierung sowie durch erlebbare Erfolgserlebnisse. Stumpfsinnige Tätigkeiten, chronischer Stress, interne Rivalitäten sowie mangelnde Erfolgserlebnisse und mangelnde Partizipation hemmen hingegen die Motivation und Leistung. Sorgen Sie deswegen für ein Umfeld, das Menschen dazu motiviert, ihre beste Leistung abzurufen. In den Kanzleien, die ich betreue, empfinde ich die Leistungsbereitschaft der jüngeren Mitarbeiter als sehr hoch, was mir die Chefs auch immer wieder so spiegeln. Der Grund hierfür liegt weitestgehend in den oben aufgeführten Gründen.

     

    Faktor Fachwissen und Erfahrung

    „Gras wächst nicht schneller, auch wenn ich daran ziehe!“ Die Babyboomer verfügen über einen Erfahrungsschatz, der schwerlich zu ersetzen sein wird. Sie sind häufig eine lebende Enzyklopädie an Praxiswissen. Sie nehmen ganz häufig, jenseits von Organigramm und Hierarchie, eine wichtige Rolle ein, da sie mit ihrer Erfahrung und Abgeklärtheit die schwer greifbaren und (oft) hoffnungslos überlasteten Chefs erheblich entlasten. Sie stehen gerade den weniger erfahrenen Kollegen mit Rat und Tat zur Seite, sodass die Chefs sich stärker auf unternehmerische, organisatorische und Beratungstätigkeiten fokussieren können. Dieser wertvolle Erfahrungsschatz wird den Kanzleien verloren gehen, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird. Gerade in Zeiten, in denen immer mehr Quereinsteiger und Akademiker ohne Praxiserfahrung und immer weniger klassische Steuerfachangestellte in den Kanzleien onboarden, kann dieser Effekt in den nächsten Jahren zu einem erheblichen Abfluss von Know-how in den einzelnen Kanzleien führen. Wie sieht es in Ihrer Kanzlei aus? Können Sie diesen Verlust auffangen?

     

    PRAXISTIPP | Sorgen Sie für eine partizipierende Kultur in Ihrer Kanzlei und vermeiden Sie Rivalitäten, Status- und Konkurrenzdenken, damit Wissen gern geteilt und weitergegeben wird und sich nicht auf Herrschaftswissen berufen wird, um den eigenen Status zu erhöhen. Streicheln Sie nicht die Egos einzelner, sondern lassen Sie das Team mit all seinen unterschiedlichen Persönlichkeiten und Kompetenzen gewinnen.

     

    Faktor Initiative

    Immer wieder höre ich von Babyboomern Sätze wie: „Ich mache die Buchhaltung lieber fertig und sitze dafür noch eine halbe Stunde länger, während die jungen Kollegen pünktlich nach Hause gehen.“ Auch wenn es gerade mal wieder zu Kapazitätsengpässen kommt, dann sind die Babyboomer oftmals noch in der Lage, die Buchhaltung, den Abschluss oder die Steuererklärung mal eben noch dazwischenzuquetschen. Jüngere Kollegen sagen da aus diversen (und häufig auch berechtigten) Gründen eher schon einmal Nein. Wie sieht es in Ihrer Kanzlei aus? Sind Ihre Kapazitäten so ausgelegt, dass Sie Engpässe überstehen können?

     

    PRAXISTIPP | Planen Sie frühzeitig und proaktiv. Die hohe Initiative und die mangelnde Fähigkeit der Babyboomer, Nein zu sagen, sind Fluch und Segen für alle Beteiligten! Der kurzfristige Erfolg des „Wir haben es mal wieder gerade so hinbekommen.“, birgt ein hohes Gefahren- und Belastungspotenzial in sich. Eventuell fehlt dadurch den Partnern der letzte Druck, um frühzeitig notwendige Kapazitätsanpassungen vorzunehmen. Man gewöhnt sich gerne daran, dass es irgendwie dann ja doch noch geht, was jedoch zu einer Kettenreaktion von Frust, Krankheiten und Kündigungen führen kann, denn der alleinerziehenden Mutter fehlt nun einmal häufig die Flexibilität und die Kraft, aufzustocken oder Überstunden zu leisten, selbst wenn sie es möchte.

     

    Faktor Eigenverantwortung

    Eigenverantwortlichkeit beinhaltet die beiden Faktoren Eigenständigkeit und Selbstwirksamkeit. Jemand, der eigenverantwortlich arbeitet, kann sehr genau abschätzen, wie viel Input, Fachwissen, Energie und Zeit notwendig sind, um ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten. Gleichzeitig sind einem eigenverantwortlichen Menschen auch seine fachlichen und entscheidungsrechtlichen Grenzen bewusst, sodass diese Mitarbeiter in der Regel „von selbst laufen“, recht wenig Führung benötigen und die Chefs nur dann in Anspruch nehmen, wenn es unumgänglich ist. Das entlastet die Berater zeitlich signifikant und führt in der Regel auch zu guten Deckungsbeiträgen, da die Babyboomer meist sehr effizient arbeiten. Deswegen sind die Babyboomer in vielen Kanzleien immer noch verlässliche Cashcows, was eventuell die durchschnittlichen Deckungsbeiträge verzerren kann. In einer Kanzlei erlebte ich einen über 70-jährigen Mitarbeiter, der mit Abstand die höchsten Umsätze in der Kanzlei einfährt und seine Mandanten fast völlig eigenständig „verarztet“. Wie steht es um das Thema Eigenverantwortlichkeit und Wirtschaftlichkeit in Ihrer Kanzlei?

     

    PRAXISTIPP | Lernen Sie, Ihren Mitarbeitern frühzeitig zu vertrauen, und fördern Sie aktiv deren Eigenverantwortlichkeit! Schwimmen lernt man im Wasser. Je eher Sie Mitarbeiter animieren, Eigenverantwortung zu übernehmen, desto schneller werden Sie positive Ergebnisse bekommen. Geben Sie klare, ehrliche und konstruktive Feedbacks hinsichtlich Effizienz und Qualität. Leistungsorientierte Menschen brauchen Orientierungsmarken und werden durch klares Feedback motiviert. Psychische Belastung entsteht eher bei unklaren Erwartungen bzw. dann, wenn Äpfel und Birnen miteinander verglichen werden.

     

    Immer wieder erlebe ich in diesem Zusammenhang, dass die Zeiterfassung bei jungen und neuen Mitarbeitern zu Stress führt, da unerfahrene Mitarbeiter eben viel mehr unproduktive Zeiten erfassen müssen als die routinierten alten Hasen. Finden Sie hier einen gangbaren Weg, damit vertretbare unproduktive Zeiten (ein fürchterliches Wort, da in dieser Zeit ja meist Recherchen und interner Austausch stattfinden) bzw. unproduktive Mandate die Mitarbeiter nicht zu sehr mental belasten. Routinen entstehen nun mal durch Übung und Erfahrung. Ein ausgewogener (auf die Kompetenzen und das Entwicklungspotenzial des Mitarbeiters zugeschnittener) Mandatsmix kann hierbei Abhilfe schaffen. Versuchen Sie die Falle zu vermeiden, den jungen und neuen Mitarbeitern die Mandate aufzuhalsen, die die anderen nicht machen wollen bzw. ihnen keine anspruchsvollen Mandate zu geben, weil es halt schnell gehen muss.

     

    PRAXISTIPP | Proaktive Führung bedeutet, frühzeitig (dann, wenn es noch nicht besonders wehtut) wichtige Weichen für die Zukunft zu stellen. Je eher Sie Ihre Kanzleikultur und Ihre Arbeitgebermarke konsequent auf die Erfordernisse des heutigen Arbeitsmarkts und die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeiter ausrichten, desto größer ist Ihre Chance, den Verlust der Babyboomer gut zu kompensieren. Die von mir betreuten Kanzleien sehe ich da weitestgehend gut für die Zukunft aufgestellt. Wie sieht es in Ihrer Kanzlei aus?

     
    Quelle: Ausgabe 07 / 2025 | Seite 114 | ID 50307441