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  • · Freie Mitarbeit

    Sozialversicherung ‒ Lohnbuchhalter in der Steuerkanzlei kann selbstständig tätig sein

    Bild: © Liubomir - stock.adobe.com

    von Dipl.-Finw. StB Christian Herold, Herten/Westf.

    | Lohnbuchhalter, die in einer Steuerkanzlei als freie Mitarbeiter tätig sind, können auch sozialversicherungsrechtlich als selbstständig, das heißt als nicht abhängig beschäftigt, gelten und folglich nicht der Beitragspflicht unterliegen ( BSG 22.7.25, B 12 BA 7/23 R ). Dieses aktuelle Urteil ist vielleicht der lang erhoffte Umschwung in der Rechtsprechung des BSG zur Frage der abhängigen oder nicht abhängigen Beschäftigung freier Mitarbeiter. |

    Was war passiert?

    Ein Steuerfachgehilfe hatte seit 1984 einen gewerblichen Buchführungsservice und war seitdem selbstständig tätig sowie privat kranken- und rentenversichert. Er erledigt überwiegend Lohnbuchhaltungsarbeiten für kleine Unternehmen oder für die Mandanten verschiedener Steuerberater.

     

    Als er für einen Steuerberater tätig werden sollte, stellten er und der Berater gemeinsam einen Antrag auf Statusfeststellung des Steuerfachgehilfen als „Sachbearbeiter Lohn“. Die Deutsche Rentenversicherung stellte dabei fest, dass die Tätigkeit als Lohnbuchhalter für den Berater im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Die Bearbeitung der Mandate erfolge fortlaufend. Dadurch sei eine fortwährende Vergütung gewährleistet. Weiterhin würden allgemeine, nach Stunden bezahlte Arbeiten übernommen. Es bestehe ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis zum Steuerberater. Unternehmerische Chancen könnten nicht wahrgenommen werden. Ferner bestehe ein Kontrollrecht und damit auch ein Weisungsrecht des Steuerberaters.

     

    Die hiergegen gerichtete Klage des Steuerberaters beim SG war erfolgreich. Und auch die Berufung des DRV beim LSG und ihre Revision beim BSG wurden zurückgewiesen.

     

    • Einige Eckpunkte aus dem Vertrag zur freien Mitarbeit

    Vergütung: Als Vergütung vereinbarten die Vertragsparteien ein monatliches Pauschalhonorar i. H. v. 35 % des Nettoumsatzes, den der Auftraggeber mit den vom Auftragnehmer zu bearbeitenden Aufträgen erzielt.

     

    Der Steuerfachgehilfe erhielt für externe Aufträge ausschließlich eine variable Vergütung, die sich am mit dem jeweiligen Auftrag erwirtschafteten Umsatz orientierte.

     

    Neben der Lohnabrechnung für externe Mandanten erledigte der Steuerfachgehilfe auch die Lohnabrechnung für die Belegschaft des Steuerberaters. Hierfür erhielt er eine vereinbarte Pauschale i. H. v. 250 EUR monatlich.

    Mehrere Auftraggeber zulässig: Der Auftragnehmer durfte und sollte auch für andere Auftraggeber tätig sein und erklärte, dass er bei Aufnahme dieser selbstständigen Tätigkeit mehrere solcher Auftraggeber hat und die Einnahmen hieraus mehr als 1/6 der in diesem Vertrag vereinbarten Einnahmen betragen. Dem Vertrag war eine Auflistung über 30 Mandate unter Angabe einer Mandantennummer (Mandanten des Steuerberaters) als Anlage beigefügt. Der Steuerfachgehilfe legte außerdem eine Liste seiner eigenen Mandanten vor. Ergänzend trug der Berater vor, dass der Steuerfachgehilfe etwa 50 bis 55 Stunden pro Monat als freier Mitarbeiter für ihn tätig sei. Er sei dauerhaft auch für andere Auftraggeber in nicht unerheblichem Umfang tätig. Die Arbeitszeiten würden durch ihn weder kontrolliert noch seien ihm die tatsächlichen Arbeitszeiten bekannt.

     

    Raum- und Betriebsmittelnutzung: Der Steuergehilfe nutzte für die von ihm übernommenen Aufträge teilweise die Räumlichkeiten der Kanzlei des Beraters sowie dessen IT-Infrastruktur, wofür ihm in einem quartalsweisen Abrechnungszeitraum ein pauschaliertes monatliches Nutzungsentgelt i. H. v. 35 EUR (netto) in Rechnung gestellt wurde. Der Steuerfachgehilfe hatte sich während des Auftragsverhältnisses einen Pool-Arbeitsplatz aussuchen müssen. Einen fest zugewiesenen Arbeitsplatz hatte er beim Berater nicht gehabt.

     

    So nahm das BSG die Abwägung vor

    Die Tätigkeit des Lohnbuchhalters bei dem Steuerberater unterlag nicht der Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung. Bei Gesamtbetrachtung der Umstände halten sich die Anhaltspunkte, die für eine abhängige Beschäftigung und die, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, die Waage.

     

    Indizien für eine fremdbestimmte Eingliederung

    Für eine fremdbestimmte Eingliederung als Merkmal der Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV spricht, dass der Steuerberater die Mandanten akquirierte, dem Steuerfachgehilfen einen Pool-Arbeitsplatz zur Verfügung stellte und dessen Tätigkeit über die Kanzlei abrechnete. Auch wenn der Steuerfachgehilfe als Erfüllungsgehilfe eingesetzt wurde, kommt es gleichwohl noch auf den Grad der Einbindung in die Arbeitsorganisation des Steuerberaters an.

     

    Indizien gegen eine fremdbestimmte Eingliederung

    Gegen eine Fremdbestimmung spricht das Fehlen örtlicher, zeitlicher oder inhaltlicher Vorgaben. Weisungen bei der Durchführung der klar umrissenen Leistungen des Steuerfachgehilfen waren vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen und wurden nach den Feststellungen des LSG auch tatsächlich nicht erteilt. Die Verantwortung musste auch nicht aus berufsrechtlichen Gründen durch den Steuerberater wahrgenommen werden, weil der Steuerfachgehilfe als gelernter Steuerfachgehilfe die laufende Lohnabrechnung nach § 6 Nr. 4 StBerG geschäftsmäßig ausüben durfte. Für die freigestellte Nutzung der Büroräume wurde ihm ein pauschaliertes monatliches Nutzungsentgelt i. H. v. 35 EUR netto in Rechnung gestellt. Diese und weitere dem Steuerfachgehilfen eingeräumten Freiheiten waren hier erkennbar darauf ausgelegt, Raum für seine anderweitige unternehmerische Betätigung zu belassen. Durch die am erwirtschafteten Umsatz und nicht allein am zeitlichen Aufwand orientierte Vergütung trug der Steuerfachgehilfe auch das unternehmerische Risiko einer ineffektiven oder mangelhaften Arbeitsweise.

     

    Beachten Sie | Da hier die Umstände bei einer Gesamtabwägung gleichermaßen für eine abhängige Beschäftigung wie für eine Selbstständigkeit sprechen, ist dem Willen der Beteiligten, eine selbstständige Tätigkeit zu vereinbaren, ausnahmsweise eine gewichtige Bedeutung beizumessen. Da sich dieser Wille bereits deutlich aus dem Vertrag ergibt, kommt es auf den Status im bisherigen Berufsleben des Steuerfachgehilfen schon deshalb nicht entscheidungserheblich an.

    Was bedeutet das konkret für die Praxis?

    BSG gewichtet die übrigen Auftragsverhältnisse stärker

    Das Urteil ist sehr zu begrüßen. Es stellt in der jüngeren sozialrechtlichen Rechtsprechung beinahe die Ausnahme dar. Allzu oft schauen sowohl die DRV als auch die Gerichte lediglich auf das einzelne Auftragsverhältnis und betrachten nicht die Gesamtumstände. Das heißt: Wenn ein „freier Mitarbeiter“ ‒ wie der Steuerfachgehilfe im aktuellen Urteilsfall ‒ auch für andere Auftraggeber tätig ist, wird das ausgeblendet. Stattdessen wird ihm und seinem jeweiligen Auftraggeber vorgehalten, in dem jeweils einzelnen Auftragsverhältnis sei mangels ausreichender Weisungsfreiheit eine abhängige Beschäftigung gegeben. Auf die weiteren Auftragsverhältnisse komme es nicht oder nur bedingt an. Die weitere Begründung lautet dann etwa: Die Frage der Statusfeststellung bezieht sich ausschließlich auf das jeweilige konkrete Auftragsverhältnis. Ohnehin hätten aber auch Teilzeitbeschäftigte die Möglichkeit, in nennenswertem Umfang für mehrere Arbeitgeber tätig zu sein. Insofern ist die Tatsache, dass jemand für mehrere Auftraggeber tätig ist, nur eines von mehreren Indizien. Vollkommen gleichgültig ist der DRV und den Gerichten dabei die steuerliche Einordnung.

     

    Dem ist das BSG nun ‒ endlich ‒ entgegengetreten und schaut auf die Gesamtumstände. Das allein wird aber voraussichtlich in anderen Fällen noch nicht ausreichen, um die DRV und die Gerichte von der Selbstständigkeit zu überzeugen. Vielmehr müssen ‒ neben den Gesamtumständen (z. B. zahlreiche weitere Auftraggeber, eigenes Büro, eigene Internetpräsenz, eigene Mitarbeiter) ‒ dann eben doch auch für das konkrete Auftragsverhältnis Umstände benannt werden, die für eine Selbstständigkeit sprechen. Dabei wird es auch darauf ankommen, gegenüber der DRV und den Gerichten aufzuzeigen, dass sich die Tätigkeit ‒ etwa die eines Lohnbuchhalters ‒ in ihrer Ausgestaltung von der der eigenen Mitarbeiter unterscheidet. Vor allem aber müssen die Freiheiten in den Vordergrund gestellt werden, die der „freie Mitarbeiter“ genießt (freie Wahl des Tätigkeitsorts, keine Zeitvorgaben, keine Weisungsbefugnis, keine oder nur geringe Bindung an Kanzleistandards, keine Teilnahme an Schulungen der Kanzlei, Nutzung und vor allem auch Anschaffung eigener Fachliteratur statt der Fachliteratur der Kanzlei, Möglichkeit und auch tatsächlich erfolgte Delegation von Aufträgen an eigene Mitarbeiter usw.).

     

    Die Höhe des Honorars allein reicht als Indiz nicht aus

    Die frühere Rechtsprechung des BSG ist insoweit überholt, als das BSG (31.3.17, B 12 R 7/15 R) entschieden hatte, dass die Höhe des vereinbarten Honorars ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit ist, wenn dieses deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten liegt. Denn bereits kurze Zeit später hatte das BSG (4.6.19, B 12 R 12/18 R) eingeschränkt: Die Honorarhöhe sei nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien. Diese Einschränkung der indiziellen Bedeutung der Honorarhöhe ergäbe sich daraus, dass die Sozialversicherung auch dem Schutz der Interessen der Mitglieder von in Pflichtversicherungssystemen zusammengeschlossenen Solidargemeinschaften verpflichtet ist.

     

    Gleichstellung mit der Situation eines Arbeitnehmers

    Auch reicht der Hinweis auf das unternehmerische Risiko allein nicht aus. Ein freier Mitarbeiter hat zwar immer das Risiko des Honorarverlustes, des Verlustes eines Auftrags und gegebenenfalls ein Haftungsrisiko (jedenfalls ein höheres Haftungsrisiko als ein Arbeitnehmer), doch wird hier gerne entgegengehalten, dass auch Arbeitnehmer das Risiko des Arbeitsplatzverlustes und des damit verbundenen Einnahmenverlustes hätten und das Risiko von freien Mitarbeitern daher nicht wesentlich höher zu gewichten sei als das Risiko von Arbeitnehmern. Die Möglichkeit, einzelne Aufträge abzulehnen, sei statusrechtlich ebenfalls nicht entscheidend ‒ so die häufige Argumentation der DRV und mitunter auch der Gerichte. Vielmehr stelle sich die Situation für den ‒ vermeintlichen ‒ freien Mitarbeiter vor Annahme letztlich nicht anders dar als für einen Arbeitssuchenden, dem es ebenfalls freistehe, eine ihm angebotene Arbeitsgelegenheit anzunehmen oder nicht.

     

    Weisungen und Vorgaben der Kunden begründen Eingliederung

    Eine andere Begründung der DRV und der Gerichte zielt auf die Hauptleistungspflicht ab. Insoweit wird zunehmend ein Urteil des LSG Berlin-Brandenburg (23.6.22, L 4 BA 52/18) zitiert, in dem es heißt: „Wer als Erfüllungsgehilfe eine Dienstleistung für einen Auftraggeber erbringt, die dieser einem Dritten (Kunden) vertraglich als Hauptleistungspflicht schuldet, ist typischerweise in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert. Weisungen und Vorgaben dieser Kunden wirken dann gegenüber Erwerbstätigen, als ob ihr Auftraggeber sie geäußert hätte. Von den Kunden zur Verfügung gestellten Arbeits- und Betriebsmitteln kommt die gleiche Bedeutung zu wie den unmittelbar vom Auftraggeber überlassenen.“ Mit dieser Entscheidung lässt es sich nahezu immer rechtfertigen, eine abhängige Beschäftigung anzunehmen, denn wohlgemerkt soll man ja sogar typischerweise in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert sein. Dem muss entschieden entgegengetreten werden, und zwar u. a. mit dem Urteil des BSG (5.11.24, B 12 BA 3/23 R). Das BSG weist nämlich eindeutig darauf hin, dass die Einordnung als abhängige oder unabhängige Beschäftigung „von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig“ ist. Dies setzt eine genaue Aufklärung des Sachverhalts voraus ‒ typisierende oder pauschalierende Annahmen verbieten sich geradezu. Und im aktuellen Besprechungsfall führt das BSG ebenfalls aus: Auch wenn der Steuerfachgehilfe als Erfüllungsgehilfe eingesetzt wurde, kommt es gleichwohl noch auf den Grad der Einbindung in die Arbeitsorganisation des Steuerberaters an.

     

    PRAXISTIPP | Abschließend kann die Empfehlung gegeben werden, das neue Urteil des BSG ausführlich zu studieren, sobald es im Volltext allgemein verfügbar ist. Vor allem aber kann es sich anbieten, den Sachverhalt und den Vertragstext, der dem Sachverhalt zugrunde liegt, näher zu betrachten. Beides ergibt sich aus dem bereits veröffentlichten Urteil der Vorinstanz (LSG Hessen 27.4.23, L 1 BA 72/22).

     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2025 | Seite 172 | ID 50494025