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  • · Fachbeitrag · Grundsteuer

    Ist es sinnvoll, die neuen Grundsteuerwertbescheide anzufechten?

    von StB Christian Herold, Herten, www.herold-steuerrat.de

    | Die Erklärungen zur Feststellung der Grundsteuerwerte für Immobilien müssen spätestens am 31.1.23 abgegeben werden. Die Zeit zur Sammlung der erforderlichen Daten und zur Erstellung der Erklärungen war sehr knapp bemessen und es muss davon ausgegangen werden, dass viele Erklärungen fehlerhaft sind. Auf der anderen Seite erlässt die Finanzverwaltung die Grundsteuerwertbescheide ‒ so darf unterstellt werden ‒ ohne eingehende Prüfung. Von daher mehren sich die Stimmen, die dazu raten, jeden einzelnen Grundsteuerwertbescheid mittels eines Einspruchs anzufechten. |

    Information der Steuerberaterverbände

    Soweit ersichtlich haben mehrere, wenn nicht gar alle regionalen Steuerberaterverbände in den vergangenen Wochen für „Aufregung“ bei ihren Mitgliedern gesorgt, weil eine entsprechende Information den Eindruck erweckt hat, man solle alle Grundsteuerwertbescheide offenhalten. Zwar ist diese Empfehlung so gar nicht ausgesprochen worden, doch die Unruhe war dennoch vorhanden. Hintergrund ist letztlich, dass ‒ wie eingangs erwähnt ‒ zu vermuten ist, dass zahlreiche Grundsteuerwertbescheide fehlerhaft sind, weil wir es mit einem Massenverfahren zu tun haben, das in kürzester Zeit auf den Weg gebracht wurde und auch abgeschlossen werden muss. Die exakte Ermittlung der Wohnfläche ist dabei wohl noch das kleinste Problem. In der Auswirkung viel größer können beispielsweise überhöhte Grund-und-Boden-Werte sein.

     

    Die Steuerberaterverbände weisen darauf hin, dass sie versucht haben, die Finanzverwaltung dazu zu bewegen, alle maßgebenden Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergehen zu lassen. Mit diesem Ansinnen sind sie allerdings gescheitert. So heißt es beispielsweise in einer Mitteilung des Steuerberaterverbands Hessen: „Aus dem Kreis der Finanzministerien ist als Resonanz inzwischen zu vernehmen, dass die Vorbehaltsfeststellung eingehend von Bund und Ländern erörtert wurde. Nach mehrheitlicher Auffassung werde es für nicht zielführend und notwendig erachtet, die Bescheide generell verfahrensrechtlich offenzuhalten, um Massenrechtsbehelfe zu vermeiden.“ Daher bleibt also nur der Einspruch für eine Anfechtung von Bescheiden übrig.

     

    Die Steuerberaterverbände weisen zudem darauf hin, dass sich Stimmen mehren, man solle sich gegen die Bescheide wegen eventueller verfassungsrechtlicher Zweifel an der Grundsteuer 2025 zur Wehr setzen. Zwar kann nicht ganz genau eruiert werden, woher diese Zweifel konkret kommen. Doch es steht zu vermuten, dass es insbesondere der Verfassungsrechtler Gregor Kirchhof war, der diese Zweifel geäußert hat. Zumindest ist er diesbezüglich die wohl gewichtigste Stimme (vgl. dazu: www.iww.de/s7325; Kirchhof „Die neue Grundsteuer ist in einigen Bundesländern verfassungswidrig“).

    Nur Klagen halten Bescheide lange offen

    Da die Grundsteuerwertbescheide überwiegend nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergehen, können diese nur mittels eines Einspruchs angefochten werden. Doch: Diese werden, wenn keine hinreichende materiell-rechtliche Begründung erfolgt, sehr schnell abgelehnt. Die Finanzverwaltung möchte Massenrechtsbehelfe sozusagen im Keim ersticken. Ein Anspruch auf Ruhen des Verfahrens besteht nicht. Auch der Hinweis auf die verfassungsrechtlichen Zweifel wird aus heutiger Sicht nicht zu einem Ruhen des Verfahrens führen. Von daher bleibt festzuhalten, dass ein Einspruch ‒ zumindest derzeit ‒ nur einen sehr geringen Aufschub bringt. Wer Bescheide lange offenhalten möchte, muss ‒ zumindest derzeit ‒ bereit sein, selbst zu klagen und sich dementsprechend selbst umfassend mit dem Verfassungsrecht auseinanderzusetzen. Aber zugegeben: Dazu werden wohl nur sehr wenige Steuerberater Muße haben.

    Das Dilemma der Steuerberater

    Steuerberater befinden sich in einem gewissen Dilemma: Wer keinen Einspruch einlegt, hat die Befürchtung, später in Haftung genommen werden zu können, wenn es vielleicht doch irgendwann zu verfassungsrechtlichen Bedenken kommt. Wer hingegen Einspruch einlegt,

    • a) hat viel Arbeit,
    • b) weckt bei seinen Mandanten Hoffnung,
    • c) muss seinen Mandanten aber bereits nach wenigen Wochen in 90 bis 99 % aller Fälle erklären, dass diese Hoffnung unbegründet war, da die ablehnende Einspruchsentscheidung oftmals schneller kommt als erhofft oder erwartet.

     

    Letztlich muss jeder Berater selbst entscheiden, ob er die Mehrarbeit in Kauf nimmt. Ein probates Mittel kann es in der Praxis sein, seine Mandanten auf den derzeitigen Diskussionsstand hinzuweisen und ihnen anzubieten, den Einspruch auf ausdrücklichen Wunsch ‒ und gegen gesonderte Vergütung ‒ einzulegen. Allerdings wird die Praxis dann wohl so aussehen, dass die Mandanten anrufen und den Berater fragen. „Was meinen Sie denn?“ Dann ist auch nicht viel gewonnen.

     

    Vielleicht können bei dieser Abwägung aber die folgenden Aspekte weiterhelfen:

     

    • § 222 BewG regelt die Möglichkeit der Fortschreibungen. Nach Abs. 1 gilt: „Der Grundsteuerwert wird neu festgestellt (Wertfortschreibung), wenn der in EUR ermittelte und auf volle 100 EUR abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, von dem entsprechenden Wert des letzten Feststellungszeitpunkts nach oben oder unten um mehr als 15.000 EUR abweicht.“ Besonders relevant ist aber Abs. 3: „Eine Fortschreibung … findet auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt.“ Es bestehen also auch ohne Einspruch immer noch Möglichkeiten, fehlerhafte Feststellungen zu korrigieren.

     

    • Unabhängig davon sollte überlegt werden, was geschieht, wenn die jetzige Bewertungs- und Grundsteuerreform für verfassungswidrig gehalten wird. Mit aller Wahrscheinlichkeit wird die Grundsteuer nicht abgeschafft, sondern der Gesetzgeber bzw. die Finanzverwaltung wird ‒ wieder einmal ‒ verpflichtet, realistischere Grundstückswerte zu ermitteln.

     

    • Das soll heißen: Auch wenn befürchtet wird, dass allerorts viel zu hohe Grundsteuerwerte festgestellt werden und auch die Bodenwerte der Gutachterausschüsse viel zu hoch sind, so gehört es doch auch zur Wahrheit dazu, dass es zahlreiche Immobilien gibt, bei denen die Grundsteuerwerte weit unterhalb der Verkehrswerte liegen. Denn auch wenn die Werte der Gutachterausschüsse auf den 1.1.22 festgesetzt worden sind, so beruhen sie zuweilen auf einem Zahlenmaterial, das eben nicht die Lage am 1.1.22 widerspiegelt und de facto unterhalb der Verkehrswerte liegt. Wenn also ein Grundsteuerwert unterhalb des Verkehrswerts am 1.1.22 liegt, bedarf es eigentlich keiner Anfechtung des Grundsteuerwertbescheids, denn an dessen Stelle würde selbst bei einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde irgendwann ein neuer Bescheid treten.

     

    Wie bereits bekannt geworden ist, gibt es auch eine erste Klage zum Bundesmodell vor dem FG Baden-Württemberg (8 K 2368/22), die vom Bund der Steuerzahler unterstützt wird. Zwischenzeitlich ist zudem eine weitere Sprungklage beim FG Baden-Württemberg gegen einen Grundsteuerwertbescheid eingegangen. Diese hat das Az. 8 K 2491/22. Der Hinweis auf die finanzgerichtlichen Verfahren genügt aber noch nicht, um ein Ruhen des eigenen Verfahrens zu erreichen.

     

    Mustereinspruch / 

    Sehr geehrte Damen und Herren,

     

    hiermit legen wir gegen den Bescheid über die Feststellung des Grundsteuerwerts vom (Datum) Einspruch ein und beantragen gleichzeitig ein Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine eventuelle Verfassungswidrigkeit des aktuellen Bewertungs- und Grundsteuergesetzes. Zwar ist derzeit weder eine Klage beim Bundesfinanzhof noch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht anhängig, doch diese werden mit hoher Wahrscheinlichkeit in Kürze eingereicht werden. Wir würden es daher als unbillig empfinden, wenn Sie unseren Einspruch nicht ruhen lassen.

     

    Wir berufen uns bei unserem Einspruch auf die Aussagen des Verfassungsrechtlers Gregor Kirchhof (vgl. dazu: www.iww.de/s7325; Kirchhof, „Die neue Grundsteuer ist in einigen Bundesländern verfassungswidrig“). Dieser hat in einem Interview mit focus.de ausgeführt: „Eigentlich sollte eine gleichheitsgerechte Vereinfachung gelingen. Doch ist das System weiterhin zu kompliziert.“ Die vielen Parameter würden sich nicht „zu einem folgerichtigen Bewertungssystem“ verbinden. „Die Grundsteuer des Bundes ist bereits deshalb gleichheitswidrig“.

     

    Wir behalten uns eine weitergehende Begründung unseres Einspruchs vor.

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2023 | Seite 30 | ID 48775058

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