Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Die rückwirkende Rechnungsberichtigung ist möglich - und die Vollverzinsung entfällt!

    von Dipl-Finw. Rüdiger Weimann, Dozent, Lehrbeauftragter und freier Gutachter in Umsatzsteuerfragen, Dortmund

    | Der EuGH hat in einem wegweisenden Urteil klargestellt, dass Rechnungen mit Rückwirkung auf den Vorsteuerabzug berichtigt werden können. Ausdrücklich wendet sich der EuGH damit gegen die deutsche Finanzamtspraxis, die in derartigen Fällen regelmäßig Zinsen nach § 233a AO festsetzt ( EuGH 15.9.16, C-518/14, Rs. Senatex). |

    1. Bisherige deutsche Rechtsauffassung

    Nach (nunmehr aufzugebender) Rechtsauffassung der deutschen Finanzverwaltung kann eine Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe, z. B. die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, nicht rückwirkend, sondern nur für die Zukunft („ex nunc“) berichtigt werden. Das Recht auf Vorsteuerabzug kann damit nur für das Jahr ausgeübt werden, in dem die ursprüngliche Rechnung berichtigt wurde, und nicht bereits für das Jahr, in dem die Rechnung ausgestellt wurde.

     

    Ob eine Rechnung auch rückwirkend berichtigt werden kann, wird in Deutschland seit Jahren kontrovers diskutiert. Bedeutung hat die Frage für den Vorsteuerabzug. Liegen die umsatzsteuerrechtlichen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Rechnung nicht vor, ist der Vorsteuerabzug zu versagen. Damit verbunden sind dann in der Regel Nachzahlungszinsen (§ 233a AO). Betroffen ist damit insbesondere der „Betriebsprüfungsklassiker“:

     

    • Beispiel

    Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 2011 bis 2013 stellt der Prüfer im Oktober 2016 formelle Mängel an Eingangsrechnungen fest. Betroffen ist u. a. eine Rechnung, die der Unternehmer im März 2011 erhalten hat. Der Prüfer fordert den Unternehmer auf, für Zwecke des Vorsteuerabzugs ordnungsgemäße Rechnungen vorzulegen. Dieser Aufforderung entspricht der Unternehmer sofort, also noch im Oktober.

     

    Nach der bisherigen deutschen Rechtsauffassung kann der Unternehmer die Vorsteuerbeträge erst bei Vorliegen ordnungsgemäßer Rechnungen und damit für Oktober 2016 geltend machen. Entsprechend entfällt der Vorsteueranspruch für die Zeit von 3/2011 bis 10/2016 - mit der Folge einer Vollverzinsung nach § 233a AO.

     

    Beachten Sie | Die Frage nach der möglichen Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung wurde dem EuGH in der Vergangenheit schon mehrfach vorgelegt, aber nie eindeutig beantwortet. Das FG Hannover sah sich deshalb zu einer erneuten Vorlage veranlasst (FG Hannover 3.7.14, 5 K 40/14).

    2. Entscheidung des EuGH

    2.1 Neutralität der Umsatzsteuer verbietet jede Belastung - auch durch Zinsen

    Das in den Art. 167 ff. MwStSystRL geregelte Recht auf Vorsteuerabzug

    • ist integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer,
    • kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden und
    • kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (Rz. 37 des Besprechungsurteils unter Hinweis auf EuGH 13.2.14, C-18/13, Rs. Maks Pen, Rz. 24, m. w. N.).

     

    Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden.

     

    MERKE | Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, nach der Nachzahlungszinsen auf die vor einer Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung als geschuldet angesehenen Mehrwertsteuerbeträge zu entrichten sind, ist danach als klarer Verstoß zu werten. Sie belegt diese wirtschaftlichen Tätigkeiten nämlich mit einer aus der Mehrwertsteuer resultierenden steuerlichen Belastung, obwohl das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität dieser Steuer garantiert.

     

    2.2 Die materiellen Voraussetzungen sind entscheidend

    Das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität verlangt, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird,

    • wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind,
    • selbst wenn bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt wird (Rz. 38 des Besprechungsurteils unter Hinweis auf EuGH 1.3.12, C-280/10, Rz. 43).

     

    Beachten Sie | In den Rz. 29 u. 38 des Besprechungsurteils weist der EuGH aber darauf hin, dass der Besitz einer Rechnung, die die in Art. 226 MwStSystRL vorgesehenen Angaben enthält, eine formelle und keine materielle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug darstellt.

     

    2.3 Vorsteuerabzug im nächstmöglichen Erklärungszeitraum

    Der EuGH hat in einem früheren Verfahren entschieden, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurde und in dem der Steuerpflichtige die Rechnung besitzt (EuGH 29.4.04, C-152/02, Rs. Terra BaubedarfHandel, Rz. 38). Die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, betraf jedoch ein Unternehmen, das zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts über keine Rechnung verfügte, sodass der Gerichtshof nicht über die zeitlichen Wirkungen der Berichtigung einer ursprünglich ausgestellten Rechnung entschieden hat.

     

    Im Urteilsfall verfügte die Gesellschaft Senatex dagegen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihr Recht auf Vorsteuerabzug ausübte, über Rechnungen und hatte auch die Mehrwertsteuer gezahlt (Rz. 39 des Besprechungsurteils).

     

    2.4 Deutsche Finanzverwaltung gibt Differenzierungen zu!

    Die deutsche Regierung hat in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass unter bestimmten Umständen die spätere Berichtigung einer Rechnung, beispielsweise um einen Fehler bei der darin angegebenen USt-Id-Nr. zu korrigieren, der Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts im Jahr der Rechnungsausstellung nicht entgegenstehe. Sie hat hingegen keine überzeugenden Gründe für eine Differenzierung zwischen solchen Umständen und denen des Ausgangsverfahrens genannt.

     

    2.5 Vollverzinsung als unangemessene Sanktion

    Die Mitgliedstaaten sind befugt, Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung der formellen Bedingungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts vorzusehen. Nach Art. 273 MwStSystRL dürfen sie Maßnahmen erlassen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Maßnahmen nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen und die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht infrage stellen (Rz. 41 des Besprechungsurteils unter Hinweis auf EuGH 9.7.15, C-183/14, Rz. 62).

     

    MERKE | In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung vorgebracht, es sei als Sanktion einzustufen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug erst im Jahr der Rechnungsberichtigung ausgeübt werden dürfe. Um die Nichtbefolgung formeller Anforderungen zu ahnden, kommen jedoch andere Sanktionen als die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts für das Jahr der Rechnungsausstellung in Betracht, etwa die Auferlegung einer Geldbuße oder einer finanziellen Sanktion, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht (Rz. 42 des Besprechungsurteils).

     

    Darüber hinaus tritt nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung die mit der Anwendung von Nachzahlungszinsen verbundene spätere Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts in jedem Fall ein, ohne Berücksichtigung der Umstände, die eine Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung erforderlich machen; dies geht über das hinaus, was zur Erreichung der in Rn. 41 genannten Ziele erforderlich ist.

    3. Wann ist eine Rechnung eine Rechnung?

    So sehr das Urteil auch zu begrüßen ist - die Frage nach den Mindestvoraussetzungen, die ein Dokument erfüllen muss, um als Rechnung zu gelten, lässt der EuGH leider unbeantwortet. Auf die Pflichtangaben (§ 14 Abs. 4 UStG) kann insoweit nicht abgestellt werden - wie das Besprechungsurteil zeigt.

     

    FAZIT | Aus Unternehmersicht ist das Urteil zu begrüßen: Da der EuGH auf Rückwirkung von Rechnungsberichtigungen erkannt hat, hat die leidige Vollverzinsung ausgedient. Spannend bleibt aber die weiterhin offene Frage nach den Mindestvoraussetzungen einer Rechnung.

     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2016 | Seite 387 | ID 44301934

    Karrierechancen

    Zu TaxTalents