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  • 03.08.2012 · IWW-Abrufnummer 131364

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 25.06.2012 – 8 K 3603/11

    1. Mit der Rücknahme des Einspruchs wird der angefochtene Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes bestandskräftig; die hiergegen gerichtete Klage ist ohne weitere Sachprüfung als unbegründet abzuweisen.
    2. Erklärt der Steuerpflichtige ausdrücklich, dass er seinen Einspruch zurücknimmt, ist aus der Sicht eines objektiven Empfängers von einer uneingeschränkten Rücknahme des Einspruchs auch hinsichtlich eines während des Einspruchs ergangenen Änderungsbescheids auszugehen.
    3. Wird erst nach der Bestandskraft des Bescheides über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes geltend gemacht, dass ein niedriger gemeiner Wert vorliege, kann dieser Einwand nur berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes nach den Änderungsvorschriften der AO erfüllt sind.
    4. Der gemeine Wert ist keine neue Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO; jedoch ist der Kaufvertrag, aus dem sich der gemeine Wert ergibt, ein Beweismittel im Sinne dieser Vorschrift, da dieser geeignet ist, den Nachweis für den gemeinen Wert zu erbringen.
    5. Der Kaufvertrag ist kein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel i. S. d. § 173 Abs. 1 AO, wenn dieser erst nach dem Erlass des Bescheides über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes abgeschlossen wurde.
    6. Der Abschluss eines Kaufvertrages, mit dem ein gegenüber der gesonderten Feststellung des Grundbesitzwertes geringerer gemeiner Wert nachgewiesen werden kann, ist kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO und führt nicht zu einer Änderung des bestandskräftig gewordenen Feststellungsbescheides.


    Im Namen des Volkes
    Urteil
    In dem Finanzrechtsstreit
    hat der 8. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Juni 2012 durch Richter am Finanzgericht … als Einzelrichter
    für Recht erkannt:
    1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
    Tatbestand
    Streitig ist, ob der Grundbesitzwert im Wege der Abhilfe oder aufgrund einer Änderungsvorschrift herabgesetzt werden muss, nachdem der Kläger einen notariellen Kaufvertrag vorgelegt hat, um damit nachzuweisen, dass die zu bewertende wirtschaftliche Einheit einen geringeren gemeinen Wert hat.
    Der Kläger erwarb als Alleinerbe der am 14.3.2010 verstorbenen Y unter anderem das zum Nachlass gehörende Mietwohngrundstück in der A-Straße 1, Flurstück 2…, in X.
    Mit seinem Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 14.3.2010 vom 24.1.2011 stellte das zuständige Finanzamt (FA) einen Grundbesitzwert von 126.040 EUR und die Grundstücksart „Mietwohngrundstück” fest.
    Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28.1.2011 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, das Bewertungsobjekt sei stark renovierungsbedürftig. Die Renovierungskosten betrügen nach der Einschätzung eines Architekten 500.000 EUR. Die Außenansicht des Gebäudes stehe unter Denkmalschutz. Daher sei der vom FA festgestellte Wert zu hoch. Insbesondere sei der vom FA angesetzte Bodenrichtwert zu hoch. Die Baurechtsbehörde schätze den Bodenwert auf 100 EUR/qm. Er selbst halte einen Wert von 90 EUR/qm für gerecht. Außerdem müsse der Rohertrag gekürzt und die Bewirtschaftungskosten höher angesetzt werden.
    Das FA erließ hierauf den geänderten Bescheid vom 28.2.2011 und ermäßigte den Grundbesitzwert auf 115.003 EUR. Hierbei legte es einen Bodenrichtwert von 100 EUR/qm zugrunde und ermäßigte die Miete für die von der Erblasserin selbst genutzte Wohnung. In den Erläuterungen zum Bescheid wies das FA darauf hin, dass als Nachweis für einen niedrigeren gemeinen Wert regelmäßig ein Gutachten des örtlichen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken erforderlich sei.
    Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 16.3.2011 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er sei seit 10 Monaten – unter Einschaltung eines Immobilienmaklers – bemüht, das Haus zu verkaufen. Zu dem vom FA festgestellten Wert von 115.000 EUR wäre er sofort handelseinig. Er verwies erneut auf den Renovierungsbedarf des Gebäudes. Der Bodenrichtwert betrage für eine Teilfläche des Grundstücks von 150 qm lediglich 50 EUR. Zum Nachweis legte er ein Schreiben der Stadt X bei. Im Übrigen wiederholte der Kläger im Wesentlichen das Vorbringen aus der Einspruchsbegründung vom 28.1.2011. In dem beiliegenden Schreiben der Geschäftsstelle des Gutachterausschusses der Stadt X wird ausgeführt, dass der Bodenrichtwert für das übrige Stadtgebiet mit ca. 115 EUR/qm eingestuft sei. Für die B-Straße könne man 100 EUR/qm ansetzen. Bei der relativ spitzwinkligen Teilfläche des Grundstücks von 150 qm könne man nur 50 EUR/qm ansetzen.
    Mit Schreiben vom 18.4.2011 teilte das FA dem Kläger mit, seinen Ausführungen zum Wertansatz des Grund und Bodens werde zugestimmt. Ein geänderter Bescheid mit Wertansätzen entsprechend dem Schreiben des Gutachterausschusses werde ihm in den nächsten Tagen zugehen. Der Einspruch sei damit noch nicht erledigt. Das Verfahren werde fortgesetzt, eines erneuten Einspruchs gegen diesen Bescheid bedürfe es nicht. Sodann nahm das FA Stellung zu den Streitpunkten Bewirtschaftungskosten, Liegenschaftszinssatz und Restnutzungsdauer und wies darauf hin, dass Baumängel im typisierenden Bewertungsverfahren nach dem Bewertungsgesetz nicht berücksichtigt werden könnten. Es teilte dem Kläger jedoch nochmals mit, dass der Nachweis eines geringeren gemeinen Werts durch Vorlage eines Wertgutachtens erbracht werden könne. Auch im Falle eines Verkaufs des Bewertungsobjekts im gewöhnlichen Geschäftsverkehr könne der Kaufpreis als Nachweis dienen. Der Kläger werde daher gebeten, in Anbetracht dieser Ausführungen mitzuteilen, ob er seinen Einspruch aufrechterhalten oder zurücknehmen wolle. Solle er an seinem Einspruch festhalten, so werde ggf. um Vorlage eines Verkehrswertgutachtens gebeten. Solle der Kläger die Absicht haben, das Gebäude zu veräußern, so wäre das FA bereit, seinen Einspruch zumindest bis zum Jahresende ruhen zu lassen. In diesem Fall werde um entsprechende Mitteilung gebeten.
    Mit Datum vom 21.4.2011 erging der angekündigte Änderungsbescheid, mit dem der Grundbesitzwert auf 112.678 EUR herabgesetzt wurde. Im Bescheid wurde nochmals darauf hingewiesen, dass der Einspruch durch den Änderungsbescheid nicht erledigt sei und das Verfahren fortgesetzt werde. Eines erneuten Einspruchs bedürfe es nicht. Der Bodenrichtwert sei entsprechend dem Schreiben der Stadt X vom 14.3.2011 angesetzt worden.
    Am 17.5.2011 ging ein Schreiben des Klägers beim FA ein. Im Betreff verwies der Kläger auf den „Bescheid vom 28.2.2011 über die Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 14.3.2010.” In dem Schreiben führt der Kläger wörtlich aus:
    „… meinen Einspruch gegen o.g. Bescheid nehme ich hiermit zurück. Ich akzeptiere Ihren berichtigten Bescheid vom 21-4-11 nolens volens, nicht weil Sie mich überzeugt haben, sondern weil ich meine Ruhe haben möchte und weil ich immer häufiger feststelle, dass bei Differenzen mit unserer „Staatsgewalt” der reine Formalismus gegen eine praxisorientierte, gerechte Würdigung der Wirklichkeit obsiegt.”
    Am 15.7.2011 ging erneut ein Schreiben des Klägers beim FA ein, in dem der Kläger mitteilte, er habe das Bewertungsobjekt zu einem Kaufpreis von 105.000 EUR veräußert. Der Markt habe nun bewiesen, dass der vom FA angesetzte Grundbesitzwert zu hoch gewesen sei. Er bitte daher um Berichtigung und um zügige Rückerstattung der zu viel bezahlten Erbschaftsteuer. Nach § 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) dürfe die Steuer nur aus der ihm zugeflossenen Bereicherung berechnet werden.
    Mit Schreiben vom 28.7.2011 teilte das FA dem Kläger mit, der Grundbesitzwert sei mit dem im Änderungsbescheid vom 21.4.2011 ermittelten Wert von 112.678 EUR bestandskräftig geworden. Eine nochmalige Änderung sei daher, trotz des niedrigeren Verkaufspreises von 105.000 EUR nicht mehr möglich. Auf das Angebot des FA, den Einspruch ruhen zu lassen, sei der Kläger leider nicht eingegangen, sondern habe seinen Einspruch zurückgenommen.
    Am 3.8.2011 teilte der Kläger dem FA schriftlich mit, damit sei er nicht einverstanden. Das FA solle seine folgende Richtigstellung als Rechtsmittel werten. In seinem Schreiben vom 23.4.2011 habe er seinen Einspruch gegen den Bescheid vom 28.2.2011 zurückgenommen, gleichzeitig aber klar und deutlich formuliert, dass er den berichtigten Bescheid vom 21.4.2011 akzeptiere. In diesem Bescheid vom 21.4.2011 sei bestimmt, dass das Verfahren fortgesetzt werde und es eines weiteren Einspruchs nicht bedürfe. Genau dies habe er mit seinem Schreiben vom 23.4.2011 akzeptiert. Mit der Rücknahme seines Einspruchs gegen den Bescheid vom 28.2.2011 habe er die Detailauseinandersetzungen, vor allem diejenigen über den Gebäudeertragswert beenden wollen. Er habe sich selbstverständlich darauf verlassen, dass das FA einen tatsächlichen Kaufpreis mindestens bis 31.12.2011 anerkennen werde. Zum anderen sei die Position des FA auch einfach nicht gerecht. Er zahle seit Jahrzehnten bis heute als Rentner ehrlich und pünktlich seine Steuern aus einem früher nicht unerheblichen Einkommen. Das FA dürfe sich doch nicht – materiell-rechtlich ungerechtfertigt – an ihm bereichern. Das FA habe unabhängig von seinen obigen Argumenten auch die Möglichkeit einer gerechten Ermessensentscheidung. Dieser Aspekt sei ihm besonders wichtig.
    Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 6.10.2011 verwarf das FA den Einspruch des Klägers als unzulässig. Das FA führte zur Begründung aus, es könne offen bleiben, ob es sich bei dem Schreiben vom 14.7.2011 um einen erneuten Einspruch handle, oder ob hiermit die Unwirksamkeit der Rücknahme des Einspruchs geltend gemacht werde. In beiden Fällen komme es nicht zum Wiedereintritt in ein wirksames Einspruchsverfahren.
    Falls es sich um einen erneuten Einspruch gehandelt habe, so sei dieser unzulässig, da die Einspruchsfrist gegen den Bescheid vom 21.4.2011 zum Zeitpunkt des Eingangs des Schreibens am 15.7.2011 abgelaufen gewesen sei und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorgelegen hätten. Falls der Kläger mit dem Schreiben die Unwirksamkeit seiner Rücknahme des Einspruchs habe geltend machen wollen, so sei auch dies ohne Erfolgsaussicht, weil die Gründe für eine Unwirksamkeit der Rücknahme offenkundig nicht vorgelegen hätten.
    Am 19.10.2011 erhob der Kläger hiergegen Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg.
    Der Kläger führt unter anderem aus, bei seiner Klage gehe es leider nicht um Gerechtigkeit, sondern um die Frage, wie ein Steuerbescheid auszulegen sei. Als Antwort auf seinen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 28.2.2011 habe er vom FA einen Brief vom 18.4.2011 erhalten. Darin sei ein berichtigter Feststellungsbescheid angekündigt worden, mit der hervorgehobenen Mitteilung, dass es eines neuen Einspruchs gegen den bevorstehenden neuen Bescheid nicht bedürfe. Die Anerkennung eines am Markt erzielten Kaufpreises als Steuergrundlage sei in Aussicht gestellt worden. Falls er sein Haus veräußern wolle, sei man bereit, seinen Einspruch bis Jahresende 2011 ruhen zu lassen. Schon mit Schreiben vom 16.3.2011 habe er dem FA mitgeteilt, dass er sich seit 10 Monaten intensiv um eine Veräußerung des Hauses bemühe. Dann habe er den berichtigten Feststellungsbescheid vom 21.4.2011 mit der Erläuterung erhalten, dass sich der Einspruch durch diesen Bescheid nicht erledige, das Verfahren fortgesetzt werde und es keines neuen Einspruchs bedürfe. Das habe für ihn geheißen, dass er davon habe ausgehen können, dass bis zum Jahresende 2011 ein tatsächlicher Kaufpreis die Bemessungsgrundlage gewesen sei. Hierauf habe er seinen Einspruch gegen den Bescheid vom 28.2.2011 zurückgezogen, nicht jedoch den gegen den neuen Bescheid vom 21.4.2011. Er habe ausdrücklich vermerkt, dass er den neuen Bescheid vom 21.4.2011 akzeptiere. Und dort stehe, dass das Verfahren fortgesetzt werde. Mit der Einspruchsrücknahme habe er die unliebsamen Auseinandersetzungen vor allem um den Gebäudeertragswert beenden wollen. Hinsichtlich der Einzelheiten, insbesondere auch zur Bezifferung des Klageantrags, bei dem der Kläger noch eine Inflationsrate von 3% berücksichtigt hat, wird auf die Klageschrift vom 11.10.2011 verwiesen.
    Der Kläger beantragt,
    „das FA zu veranlassen, dass es in vorgenannter Sache den Grundbesitzwert 14.3.10 auf EUR 102.000 EUR festsetzt.”
    Das FA beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Zur näheren Begründung seines Antrags verweist das FA auf die Ausführungen in seiner Einspruchsentscheidung vom 6.10.2011.
    Entscheidungsgründe
    1. Obwohl beide Beteiligte zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen sind, konnte ohne sie verhandelt und entschieden werden. Beide Beteiligte wurden ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen und darauf hingewiesen, dass bei ihrem Ausbleiben gemäß § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.
    2. Die zulässige Klage ist unbegründet.
    a) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Klageantrag des Klägers als Anfechtungsantrag im Sinne des § 100 Abs. 2 FGO oder als Verpflichtungsantrag gemäß § 101 FGO auszulegen ist. Ein Klageantrag ist grundsätzlich entsprechend dem Klagebegehren auszulegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der rechtverstandenen Interessenlage entspricht (BFH-Urteile vom 20. September 1996 VI R 43/93, BFH/NV 1997, 249 und vom 29. April 2009 X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777).
    Im Streitfall ist dem Antrag unter Berücksichtigung der Klagebegründung nicht eindeutig zu entnehmen, ob der Kläger sein ursprüngliches Anfechtungsbegehren fortsetzen will, weil er der Meinung ist, er habe nur den Einspruch gegen den Bescheid vom 28.2.2011, nicht aber einen Einspruch gegen den Bescheid vom 21.4.2011 zurückgenommen, wofür seine Ausführungen zur Einspruchsrücknahme in der Klageschrift sprechen. In diesem Fall wäre der Bescheid vom 21.4.2011 Gegenstand des Klageverfahrens. Der Kläger könnte aber auch eine Verpflichtung des FA begehren, einen ihn begünstigenden Änderungsbescheid zu erlassen, wofür der Wortlaut des Klageantrags in der Klageschrift spricht. In diesem Fall wäre die Ablehnung des FA im Schreiben vom 28.7.2011, einen Änderungsbescheid zu erlassen, Gegenstand des Klageverfahrens. Diese Frage kann indes offen bleiben, weil die Klage in beiden Fällen unbegründet ist.
    b) Sollte der Kläger im Wege einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 21.4.2011 vorgehen wollen, ist seine Klage unbegründet. Der Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwertes vom 21.4.2011 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 6.10.2011 sind rechtmäßig und verletzen daher gemäß § 100 Abs. 1 S. 1 1. Halbsatz FGO den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er seinen Einspruch gegen den Bescheid vom 21.4.2011 wirksam zurückgenommen hat und damit dieser Bescheid bestandskräftig bzw. unanfechtbar geworden ist.
    aa) Stellt sich im finanzgerichtlichen Verfahren die Unanfechtbarkeit des den Gegenstand des Verfahrens bildenden Bescheides heraus, so ist die Klage ohne weitere Sachprüfung als unbegründet abzuweisen. Es handelt sich hierbei um eine bei der Sachentscheidung zu beachtende materiell-rechtliche Vorfrage (vgl. hierzu BFH-Entscheidungen vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791 und vom 29. Mai 2001 VIII R 10/00, BFHE 195, 486BStBl II 2001, 747).
    bb) Nach § 362 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) kann der Einspruch bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch zurückgenommen werden. Die Rücknahme eines Einspruchs hat nach § 362 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 den Verlust des eingelegten Einspruchs zur Folge. Die Rücknahme betrifft grundsätzlich nur den eingelegten Rechtsbehelf. Solange die Rechtsbehelfsfrist noch läuft, kann folglich ein neuer Rechtsbehelf eingelegt werden (Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 1995 12 K 90/95, EFG 1996, 350; Finanzgericht Berlin, Urteil vom 16. Dezember 1997 2353/97, EFG 1998, 860; BMF vom 14. Februar 2000,BStBl I 2000, 190,AEAO zu § 362 Nr. 1; Klein/Brockmeyer, AO, 11. Aufl., § 362 Rz 3; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 362 AO Rz 156).
    cc) Für das Verständnis von Prozesshandlungen und außerprozessualen Verfahrenserklärungen gelten grundsätzlich die in den §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) fixierten allgemeinen Auslegungsregeln. Zwar ist der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen, doch hat dies – wie auch sonst im Rechtsverkehr – auf der Grundlage des äußeren Erscheinungsbildes der Erklärung und mit Rücksicht auf die Verständnismöglichkeit des Erklärungsempfängers zu geschehen. Maßgeblich ist der an den einschlägigen Gesetzesvorschriften zu messende objektive Erklärungswert aus Empfängersicht. Der wesentliche Inhalt der Prozess- bzw. Verfahrenshandlung muss sich zumindest andeutungsweise aus der schriftlich verkörperten Erklärung ergeben (BFH-Urteil vom 29. Juli 1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359 mwN; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 362 AO Rz 24).
    dd) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist das Schreiben des Klägers vom 17.5.2011 als uneingeschränkte Rücknahme seines Einspruchs zu werten, mit der Folge, dass der Bescheid vom 21.4.2011 bestandskräftig wurde.
    Nachdem das FA den vom Kläger form- und fristgerecht mit dem Einspruch angefochtenen Bescheid vom 28.2.2011 durch den Bescheid vom 21.4.2011 geändert hatte, wurde dieser Bescheid gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Hierauf und darauf, dass es aus diesem Grund keines weiteren Einspruchs gegen den Bescheid vom 21.4.2011 bedurfte, um das Einspruchsverfahren fortzusetzen, hat das FA den Kläger sowohl im Bescheid vom 21.4.2011 als auch im vorangegangenen Schreiben vom 18.4.2011 zutreffend hingewiesen. Es war daher für den Kläger ohne weiteres erkennbar, dass er nichts veranlassen musste, wenn er das Einspruchsverfahren fortsetzen wollte, und konsequenterweise, dass eine Rücknahme des Einspruchs zur Bestandskraft des Bescheids vom 21.4.2011 führen würde.
    Außerdem hat das FA den Kläger im Schreiben vom 18.4.2011 darauf hingewiesen, dass eine weitergehende Änderung des Bescheids zu seinen Gunsten nur möglich sei, wenn er entweder ein Verkehrswertgutachten für oder einen Kaufvertrag über das Grundstück mit einem niedrigeren Verkehrswert bzw. Kaufpreis vorlege. Im Falle eines Verkaufs war das FA bereit, das anhängige Einspruchsverfahren mindestens bis Jahresende ruhen zu lassen. Das FA hat den Kläger außerdem darum gebeten, mitzuteilen, ob er den Einspruch zurücknehme oder – falls er den Einspruch aufrecht erhalten wolle – ob er ein Verkehrswertgutachten vorlegen werde oder ob er mit dem Ruhen des Einspruchsverfahrens bis zum Verkauf des Grundstücks einverstanden sei. Nachdem der Kläger mit seinem Schreiben vom 17.5.2011 hierauf ausdrücklich erklärte, er nehme seinen Einspruch zurück und sich nicht dazu äußerte, ob er ein Verkehrswertgutachten einholen und vorlegen wolle oder mit dem Ruhen des Einspruchsverfahrens bis zum Verkauf des Grundstücks einverstanden sei, ist aus der Sicht eines objektiven Empfängers von einer uneingeschränkten Rücknahme des Einspruchs – also auch und insbesondere hinsichtlich des Bescheids vom 21.4.2011 – auszugehen.
    Hinzu kommt, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 17.5.2011 ausgeführt hat, dass er seine „Ruhe haben” wolle und den Bescheid vom 21.4.2011 „nolens volens” „akzeptiere”. Damit war aus der Sicht eines objektiven Empfängers zusätzlich klargestellt, dass das Einspruchsverfahren abschließend beendet sein sollte. Dass der Kläger im Betreff seines Schreibens den Bescheid vom 28.2.2011 genannt hat, führt angesichts seiner übrigen eindeutigen Ausführungen zu keinem anderen Auslegungsergebnis.
    Ob der Kläger – wie er im Klageverfahren vorträgt – tatsächlich nur weitere „Detailauseinandersetzungen” beenden und sich weiterhin die Möglichkeit offen halten wollte, durch Vorlage eines Kaufvertrages einen geringeren Verkehrswert nachzuweisen, kann dahingestellt bleiben, da es hierauf nach den o.g. Auslegungsgrundsätzen nicht ankommt. Für eine solche Absicht finden sich im Schreiben vom 17.5.2011 keinerlei Anhaltspunkte.
    Die Frage, ob das Schreiben vom 14.7.2011 als erneuter Einspruch zu werten ist, kann ebenfalls offen bleiben, da es erst nach Ablauf der Einspruchsfrist für einen (erneuten) Einspruch gegen den Bescheid vom 21.4.2011 eingegangen ist und daher den Eintritt der Bestandskraft nicht verhindern konnte.
    c) Sollte der Kläger im Wege einer Verpflichtungsklage die Verurteilung des FA zum Erlass eines Änderungsbescheids begehren, ist die Klage gleichfalls unbegründet. Die Ablehnung der Änderung des Bescheids über den Grundbesitzwert durch das Schreiben des FA vom 28.7.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 6.10.2011 hierzu waren ebenfalls rechtmäßig. Der Kläger wurde hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt (§ 101 Satz 1 FGO).
    aa) Im Falle der Bewertung wirtschaftlicher Einheiten des Grundvermögens für Zwecke der Erbschaftsteuer gemäß § 157 Abs. 3 BewG i.V.m. §§ 176 ff BewG hat der Steuerpflichtige nach § 198 BewG die Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert als den nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelten Wert nachzuweisen. Dieser Nachweis kann bis zur Bestandskraft des Bescheids geführt werden. Wird der niedrigere gemeine Wert jedoch – wie im Streitfall – erst nach der Bestandskraft des Feststellungsbescheides geltend gemacht, kann dieser nur berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen einer Änderung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes nach den Änderungsvorschriften der AO erfüllt sind (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. März 2010 3 K 3258/06 B, EFG 2010, 1097; FG München, Urteil vom 25. Juni 2003 4 K 4372/02, juris; Halaczinsky in Rössler/Troll, BewG, § 138 Rz 31 und § 198 Rz 19; vgl. auch Verfügungen der Oberfinanzdirektionen München und Nürnberg vom 24. Januar 2000, VV BY OFD München 2000-01-24 S, 0351-27 St 358). Die Änderungsvorschriften der AO 1977 lassen im vorliegenden Fall eine Änderung nicht zu.
    bb) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu Gunsten des Steuerpflichtigen zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
    (1) Tatsache im Sinne dieser Vorschrift ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen in diesem Sinne sind Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen. Schätzungen zur Ermittlung des Wertes eines Gegenstandes sind als solche ebenfalls keine Tatsachen, Tatsachen sind nur die Schätzungsgrundlagen (Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569, m.w.N. und vom 14. Januar 1998 II R 9/97, BFHE 185, 117, BStBl II 1998, 371). Beweismittel im Sinne des § 173 Abs. 1 AO 1977 sind z.B. Urkunden, Auskünfte, eidesstattliche Versicherungen, Bescheinigungen u.Ä. (BFH-Urteil vom 30. September 1981 II R 105/81, BFHE 134, 192, BStBl II 1982, 80). Ein Kaufvertrag kann Beweismittel für den Wert eines Grundstücks sein (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1995 II R 5/92, BFHE 179, 148, BStBl II 1996, 97).
    (2) Aus der Formulierung „nachträglich bekannt werden” in § 173 Abs. 1 AO 1977 schließt die ständige Rechtsprechung des BFH, dass sowohl die entsprechende Tatsache als auch das betreffende Beweismittel zum Zeitpunkt des Erlasses des zu ändernden Bescheides bereits entstanden („existent”) und lediglich dem zuständigen FA unbekannt gewesen sein muss (BFH-Urteile vom 26. Oktober 1988 II R 55/86, BFHE 154, 493, BStBl II 1989, 75, vom 12. August 1997 IV B 98/96, BFH/NV 1998, 147, vom 25. Februar 2003, VIII R 98/01, DStRE 2003, 949 und vom 9. November 2011 VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370).
    (3) Während im Streitfall der gemeine Wert (Verkehrswert) der wirtschaftlichen Einheit selber als bloße Schlussfolgerung aus dem Kaufvertrag vom 14.7.2011 bei der Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 von vornherein keine Berücksichtigung findet, ist der Kaufvertrag ein Beweismittel im Sinne der Vorschrift. Ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum Bewertungsstichtag erzielter Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück ist nach der Rechtsprechung in aller Regel geeignet, den Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes nach § 198 BewG zu erbringen (vgl. BFH-Urteil vom 8. Oktober 2003 II R 27/02, BFHE 204, 306, BStBl II 2004, 179 zur gleichlautenden Vorschrift in § 146 Abs. 7 BewG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20.12.1996, BGBl I 1996, 2049; vgl. auch R B 198 Abs. 4 Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 – ErbStR 2011 –). Dieses Beweismittel ist jedoch nicht im Sinne des § 173 Abs. 1 AO 1977 „nachträglich bekannt” geworden, weil der Kaufvertrag erst am 14.7.2011 zustande gekommen ist und daher zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 21.4.2011 noch nicht existent war.
    cc) Auch eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses ist nicht möglich.
    (1) Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders gestaltet und sich steuerlich in der Weise in die Vergangenheit auswirkt, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).
    (2) Eine andere rechtliche Beurteilung des unverändert bleibenden Sachverhalts genügt insoweit nicht. Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, also bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, ist den Normen des materiellen Steuerrechts zu entnehmen (BFH-Urteile vom 27. Januar 2011 III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543; vom 4. Mai 2006 VI R 17/03, BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830).
    (3) Auch die Vorlage einer Bescheinigung oder Urkunde kann ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sein, nämlich dann, wenn sie ein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal bildet. Dagegen sind Beweismittel, die ausschließlich dazu dienen, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen und die als solche keinen Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden haben, auch dann kein rückwirkendes Ereignis, wenn sie erst nach Bestandskraft eines Bescheids beschafft werden können (BFH-Urteil vom 6. März 2003 XI R 13/02, BFHE 201, 421, BStBl II 2003, 554).
    (4) Im Streitfall sind auch die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht erfüllt. Der Kaufvertrag diente zum Nachweis des geringeren gemeinen Werts gemäß § 198 BewG und damit zum Nachweis einer steuerrechtlich relevanten Tatsache. Der Abschluss eines Kaufvertrages selbst hat hingegen keinen Eingang in den Tatbestand der einschlägigen Bewertungsvorschriften gefunden. Der vom FA bei der Bewertung nach §§ 176 ff BewG zugrunde gelegte Sachverhalt hat sich durch den Abschluss des Kaufvertrages auch nicht nachträglich geändert.
    3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
    4. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht erfüllt sind.

    VorschriftenBewG § 198, BewG § 157 Abs. 3, BewG § 179, BewG § 182, BewG § 196, AO § 362, AO § 365, AO § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1, AO § 175 Abs. 1 Nr. 2, BGB § 133, BGB § 157

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