21.05.2021 · IWW-Abrufnummer 222512
Finanzgericht Köln: Urteil vom 29.09.2020 – 7 K 1587/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2
Die Beteiligten streiten über den Antrag des Klägers auf Vollverschonung gemäß § 13a Abs. 8 ErbStG.
3
Der Kläger ist der Sohn von Herrn A (Schenker). Der Schenker war anteilig an den folgenden Gesellschaften beteiligt:
4
50 % B GmbH
5
49,587 % Kommanditanteil an der A1 GmbH & Co KG
6
50 % A2 mbH
7
50 % A3 ... GmbH
8
50 % Kommanditanteil A4 ... GmbH & Co KG
9
50 % C oHG
10
50 % A5 GmbH
11
50 % Kommanditbeteiligung P ... W GmbH & Co. KG
12
50 % D GmbH i.L.
13
Mit notariellem Schenkungsvertrag vom 28.12.2012 (Ur-Nr. 1 des Notars E aus P) schenkte der Schenker dem Kläger folgende Anteile am Betriebsvermögen und trat diese zugleich mit Wirkung zum 30.12.2012 ab (§ 2 (2) des Schenkungsvertrags):
14
24 % B GmbH
15
48 % Kommanditanteil an der A1 GmbH & Co KG
16
24 % A2 mbH
24 % A3 ... GmbH
18
48 % Kommanditanteil A4 ... GmbH & Co KG
19
48 % C oHG
20
24 % A5 GmbH
21
48 % Kommanditbeteiligung P ... W GmbH & Co. KG
22
24 % D GmbH i.L.
23
Hinsichtlich des 48 %igen Kommanditanteils an der A1 GmbH & Co KG stellte der Kläger den Schenker von dessen Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft aus dem Gesellschafterdarlehnskonto in Höhe von ... € frei, indem das neue Gesellschafterdarlehnskonto des Klägers mit diesem Betrag belastet wurde (§ 2 (6) des Schenkungsvertrags).
24
In der Schenkungsteuererklärung erklärte der Schenker gegenüber dem Beklagten für die A4 ... GmbH & Co KG eine Verwaltungsvermögensquote von bis zu 10 %. Die Verwaltungsvermögensquoten der übrigen Gesellschaften lagen bei 0 % (s. S. 2 der Ergänzungsliste zur Schenkungsteuererklärung, SchSt-Akte, Bd. I, d. Bekl.). Mit Bescheid vom 18.04.2013 setzte der Beklagte die Schenkungsteuer auf den 30.12.2012 ausgehend von einem Wert des Erwerbs von ... € abzüglich Freibeträge nach § 16 ErbStG von 400.000 € und nach § 13a ErbStG von ... € erklärungsgemäß auf ... € fest. Der Bescheid erging vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung ‒ AO -. Dort hieß es:
25
„Die Festsetzung der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes vorläufig. Entsprechendes gilt für Festsetzungen nach dem 31. Dezember 2006 und vor dem 1. Januar 2009 entstandener Erbschaftsteuer, in denen die Anwendung des ab 2009 geltenden Rechts beantragt wurde (Art. 3 Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008). Die Vorläufigkeitserklärung erfolgt lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen. Sie ist nicht dahin zu verstehen, dass das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz als verfassungswidrig angesehen wird. Sollte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diese Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen; ein Einspruch ist daher insoweit nicht erforderlich.“
26
Mit Bescheid vom 20.02.2015 änderte der Beklagte den Schenkungsteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgrund eines erstmalig unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vom Finanzamt P gesondert festgestellten Wertes des Anteils am Betriebsvermögen für die A4 ... GmbH & Co KG (Feststellungsbescheid vom 25.11.2014: festgestellter Anteil am Betriebsvermögen = ... €, festgestelltes Verwaltungsvermögen = ... € => Verwaltungsvermögensquote von 9,90 %; s. SchSt-Akte, Bd. II, d. Bekl. Fach „A3 ...“) und legte einen Wert des Erwerbs von ... € der Besteuerung zu Grunde. Die Schenkungsteuer setzte er auf ... € herauf. Der o.g. Vorläufigkeitsvermerk blieb unverändert bestehen.
27
Datierend vom 26.03.2015 änderte der Beklagte den Schenkungsteuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, da die D-GmbH i.L. zum 19.11.2013 aufgelöst worden war. Er setzte die Schenkungsteuer auf ... € herauf. Der Bescheid erging vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO mit folgenden Erläuterungen:
28
„Die Festsetzung der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO im Hinblick auf die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 ‒ 1 BvL 21/12 ‒ (BStBl 2015 II S. 50) angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung in vollem Umfang vorläufig. Sollte aufgrund der gesetzlichen Neuregelung dieser Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen.“
29
Nach einer Außenprüfung des Finanzamtes für Groß- und Konzernbetriebsprüfung P ergingen geänderte Feststellungsbescheide über den anteiligen Wert des Betriebsvermögens der A1 KG (vom 12.09.2016) und der A4 ... GmbH & Co KG vom 06.09.2016. Der Anteil am Betriebsvermögen der A4 ... GmbH & Co KG wurde auf ... € und das Verwaltungsvermögen auf ... € festgestellt (= Verwaltungsvermögensquote von 9,32 %). Zudem wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.
30
Nachdem die steuerlichen Außenprüfungen durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung P bei der A-Unternehmensgruppe abgeschlossen waren, stellte der Kläger am 09.11.2016 einen Antrag auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG beim Beklagten (s. Rb-Akte d. Bekl.). Der Kläger verwies auf die Vorläufigkeitsvermerke, die die materielle Bestandskraft des Bescheides im vollen Umfang verhindert hätten. Zudem nahm er Bezug auf R E 13a.13 Abs. 2 Satz ErbStR und Verfügung der OFD Karlsruhe vom 07.08.2014.
31
Der Beklagte änderte den Schenkungsteuerbescheid mit Datum vom 22.11.2017 nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO und § 177 AO und erklärte ihn gemäß § 165 Abs. 2 Satz 2 AO für endgültig. In den Erläuterungen heißt es dazu:
32
„Die Steuerfestsetzung ist gem. § 165 Abs. 2 Satz 2 AO endgültig, da der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2016 (BGBl. I, 2464; BStBl. I 1202) der durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 ‒ angeordneten Neuregelungsverpflichtung nachgekommen ist.“
33
Der steuererhöhenden Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO rechnete der Beklagte anteilig die Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG gemäß § 177 Abs. 1 AO gegen, so dass er einen Wert des Erwerb von ... € abzüglich Freibeträge nach § 16 ErbStG von 400.000 € und nach § 13a ErbStG von ... € der Besteuerung zu Grunde legte und die Schenkungsteuer - unverändert - auf ... € festsetzte (s. Rb-Akte d. Bekl.).
34
Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 07.06.2018 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung verwies der Beklagte auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 14.02.2018 (Az. 3 K 565/17 Erb, EFG 2018, 756) nach welchem der Vorläufigkeitsvermerk im Hinblick auf die nach einem BVerfG-Urteil zu erwartende Neuregelung des Erbschaftsteuergesetzes nicht die Möglichkeit einer nachträglichen Wahlrechtsausübung auf Optionsverschonung gemäß § 13a Abs. 8 ErbStG umfasse. Aus dem Vorläufigkeitsvermerk im Bescheid werde hinreichend klar, dass die Bestandskraft nur für den Fall offen gehalten werden solle, dass sich die geltende Rechtslage durch die gesetzliche Neuregelung, welche aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 17.12.2014 erforderlich geworden sei, ändere. Demnach gelte die Durchbrechung der Bestandskraft nur für eine etwaige gesetzliche Neuregelung. Aus dem Zusatz, dass die Festsetzung „im vollem Umfang“ vorläufig sei, könne nach dem „objektiven Empfängerhorizont“ nicht geschlossen werden, dass die Festsetzung unabhängig von einer gesetzlichen Neuregelung offen gehalten werden sollte. Der Zusatz „im vollem Umfang“ ergebe sich vielmehr daraus, dass zum damaligen Zeitpunkt nicht klar gewesen sei, in welchem Umfang der Gesetzgeber eine Neuregelung schaffen würde. Es sei zutreffend, dass im Gesetz keinerlei zeitliche Einschränkung des Wahlrechts zur Optionsverschonung enthalten sei und eine zeitliche Einschränkung lediglich in den Erbschaftsteuerrichtlinien zu finden sei, so dass der Antrag auf Optionsverschonung grundsätzlich bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft gestellt werden könne. Im vorliegenden Fall trete die materielle Bestandskraft bzgl. des Antrags auf Optionsverschonung somit am 21.05.2013 ein. Es würden sich keine Besonderheiten aufgrund dessen, dass die Bescheide gemäß § 165 AO vorläufig ergangen seien, ergeben, weil die Vorläufigkeit nur die gesetzlichen Neuregelungen umfasse. Der Vorläufigkeitsvermerk beziehe sich nicht auf den gesamten Bescheid, da die Steuerfestsetzung nur im Umfang der Anpassung an das zukünftige Recht offen gehalten werden sollte.
35
Auch das Finanzgericht Münster führe in seinem Urteil die Verfügung der OFD Koblenz vom 07.08.2014 auf. Es könne sich jedoch aus o.g. Gründen keine Änderung ergeben.
36
Laut der Verfügung des bayerischen Landesamtes für Steuern vom 07.07.2016 könne die materielle Bestandskraft nur durchbrochen werden, soweit in einem Feststellungsbescheid Regelungen getroffen worden seien, die sich auf die Höhe der maßgebenden Verwaltungsquote auswirken würden. Im Streitfall sei die Verwaltungsvermögensquote von unter 10 % bereits vor Ergehen des Feststellungsbescheides vom 05.09.2016 aufgrund der Außenprüfung gegeben gewesen. Somit bestehe auch in diesem Fall keine Möglichkeit die materielle Bestandkraft zu durchbrechen.
37
Hiergegen hat der Kläger am 03.07.2018 die vorliegende Klage erhoben. Er ist weiterhin der Auffassung, dass der gesamte Schenkungsteuerbescheid aufgrund der Vorläufigkeitsvermerke nicht materiell bestandskräftig geworden sei. Der Wortlaut des Vorläufigkeitsvermerks sei eindeutig und klar. Diese Auslegung werde von der OFD Karlsruhe geteilt, wonach der Vorläufigkeitsvermerk auch die Möglichkeit eines nachträglichen Antrags auf Optionsverschonung umfasse (ebenso Stalleiken in: von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13a Rn. 249-253).
38
Im Übrigen ergebe sich die Berücksichtigung des Antrags auf Vollverschonung auch aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Denn die Inanspruchnahme der Optionsverschonung sei untrennbar mit der Höhe der Verwaltungsvermögensquote verbunden. Deshalb umfasse § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auch die Möglichkeit des Antrags auf Optionsverschonung. Werde die materielle Bestandskraft des Schenkungsteuerbescheides auf Grund eines Feststellungsbescheides durchbrochen und ändere sich dadurch erstmalig die maßgebende Verwaltungsvermögensquote, könne der Erwerber im Rahmen der Änderung nach § 175 Abs. 1 AO einen entsprechenden Antrag auf Optionsverschonung stellen (so LfSt Bayern, Vfg. v. 07.07.2016, DStR 2016, 1931). Dem stehe der Beschluss des BFH vom 05.03.2020 (Az. II B 99/18) nicht entgegen, denn der BFH habe offen gelassen, ob ein bestandskräftiger Schenkungsteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern sei, wenn sich auf Grund eines geänderten Feststellungsbescheides erstmalig eine Verwaltungsvermögensquote von unter 10 % ergebe und damit erstmalig die Option zur Vollverschonung eröffnet werde. Nach der Auffassung des Klägers gelte diese Folge auch, wenn die Verwaltungsvermögensquote bislang nur geringfügig unter 10 % gelegen habe und der Feststellungsbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden habe. Eine Überprüfung durch die Betriebsprüfung hätte zu einer Quote über 10 % führen können. Wegen der bestehenden Unsicherheiten sei zunächst kein Antrag auf Vollverschonung gestellt worden.
39
Zudem könne nach R E 13a.13 Abs. 1 ErbStR a.F. ein Antrag auf Optionsverschonung nur einheitlich für alle übertragenen Vermögenswerte gestellt werden, wenn ein einheitlicher Schenkungswille vorliege.
40
Der Kläger beantragt,
41
unter Änderung des angefochtenen Schenkungsteuerbescheides vom 22.11.2017 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 07.06.2018, die Schenkungsteuer auf 0 € herabzusetzen,
42
hilfsweise die Revision zuzulassen.
43
Der Beklagte beantragt,
44
die Klage abzuweisen.
45
Zur Begründung nimmt der Beklagte Bezug auf seine Einspruchsentscheidung.
46
Entscheidungsgründe
47
Die Klage ist unbegründet.
48
Der angefochtene Schenkungsteuerbescheid vom 22.11.2017 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 07.06.2018 sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‒ FGO ‒. Zu Recht hat der Beklagte den Antrag des Klägers auf Vollverschonung gemäß § 13a Abs. 8 ErbStG in der zum Besteuerungsstichtag geltenden Fassung des Erbschaftsteuergesetzes ‒ ErbStG ‒ lediglich im Rahmen des § 177 Abs. 1 der Abgabenordung ‒ AO ‒ zugunsten des Klägers berücksichtigt, im Übrigen jedoch abgelehnt. Bei Antragstellung war bereits materielle Bestandskraft eingetreten und die Voraussetzungen der §§ 172ff. AO für eine weitergehende Änderung des angefochtenen Bescheides lagen nicht vor.
49
I.1. Gemäß § 13a Abs. 1 ErbStG bleibt der Wert des Betriebsvermögens im Sinne des § 13b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 ErbStG insgesamt i.H.v. 85 % außer Ansatz (Verschonungsabschlag), wenn es sich um inländisches Betriebsvermögen etwa beim Erwerb eines Mitunternehmeranteils handelt. Durch unwiderrufliche Erklärung kann der Erwerber nach § 13a Abs. 8 ErbStG eine Vollverschonung (Optionsverschonung) ‒ d. h. die 100%ige Steuerfreistellung des erworbenen Betriebsvermögens ‒ wählen (§ 13a Abs. 8 Nr. 4 ErbStG). Voraussetzung ist, dass das erworbene Betriebsvermögen höchstens zu 10 % aus Verwaltungsvermögen i. S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG besteht (§ 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG). Zudem darf die Summe der jährlichen Lohnsummen über einen Zeitraum von sieben Jahren nach dem Erwerb 700 % der Ausgangslohnsumme nicht unterschreiten (§ 13a Abs. 8 Nr. 1 ErbStG). Die Behaltensfrist für das begünstigt erworbene Vermögen beträgt sieben Jahre (§ 13a Abs. 8 Nr. 2 ErbStG).
50
Die Finanzverwaltung hat zu diesen Regelungen in ihren Erbschaftsteuerrichtlinien ausgeführt, dass ein Erwerber den Antrag auf Optionsverschonung im Erbfall insgesamt nur einheitlich für alle Arten des erworbenen begünstigten Vermögens (land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Betriebsvermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften) stellen kann. Bei Schenkungen mit z.B. mehreren Betriebsübertragungen in mehreren Schenkungsverträgen ist bei Vorliegen eines einheitlichen Schenkungswillens von nur einer Schenkung auszugehen (R E 13a.13 Abs. 1 ErbStR). In Abs. 3 Sätze 1 und 2 ErbStR heißt es, dass begünstigungsfähiges Vermögen im Sinne des § 13b Absatz 1 ErbStG nur dann gegeben sei, wenn das Verwaltungsvermögen aller übertragenen wirtschaftlichen Einheiten die Grenze von 10 Prozent nicht überschreitet. Für einzelne wirtschaftliche Einheiten, die über Verwaltungsvermögen von mehr als 10 Prozent verfügen, kommt weder eine Verschonung nach § 13a Absatz 8 ErbStG noch nach § 13a Absatz 1 und 2 ErbStG in Betracht (sog. Optionsfalle). Schließlich ist der Antrag nur bis zum Eintritt der materiellen Bestandkraft möglich (R E 13a.13 Abs. 2 Satz 2 ErbStR).
51
2. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist der Senat davon überzeugt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), dass dem Antrag des Klägers auf Optionsverschonung am 09.11.2016 die materielle Bestandskraft entgegenstand, da die Schenkungsteuerbescheide weder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO standen noch durch Einsprüche des Klägers im vollen Umfang offen gehalten wurden.
52
a. Der Antrag auf Optionsverschonung ist nur bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft möglich. Entgegen der Ansicht des Klägers standen die Vorläufigkeitsvermerke gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 AO dem Eintritt der materiellen Bestandskraft nicht entgegen.
53
aa. Die Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks kann sich aus seiner Begründung oder aus anderen Umständen durch Auslegung ergeben (vgl. BFH-Urteile vom 12.07.2007 X R 22/05, BFHE 218, 26, BStBl II 2008, 2 unter II.3. und 4.; vom 29.08.2001 VIII R 1/01, BFH/NV 2002, 465 unter 1.b und vom 20.11.2012 IX R 7/11, BFHE 239, 302, BStBl II 2013, 359 unter II.2.a.).
Entscheidend ist, wie der Adressat den materiellen Regelungsinhalt nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) verstehen konnte (vgl. nur BFH-Urteil vom 20.11.2012 IX R 7/11, BFHE 239, 302, BStBl II 2013, 359 unter II.2.a. m.w.N.). Da der Verwaltungsakt mit dem bekanntgegebenen Inhalt wirksam wird, muss die Auslegung zumindest einen Anhalt in der bekanntgegebenen Regelung haben (vgl. BFH-Beschluss vom 19.02.1992 II B 100/91, BFH/NV 1992, 784 zur Auslegung eines Inhaltsadressaten).
54
Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus ihrer Sphäre nicht benachteiligt werden darf (vgl. BFH-Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791 unter 3.). Ist ungewiss, ob eine Norm verfassungsgemäß ist, hat der hierauf abhebende Vorläufigkeitsvermerk im Zweifel zur Folge, dass alle sachlich zusammenhängenden („kohärenten“), d. h. zu einem bestimmten Regelungskomplex gehörenden Rechtsfolgen offengehalten werden sollen (vgl. BFH-Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791 unter 4.a.).
55
bb. Im hier zu entscheidenden Fall waren die Bescheide nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 AO im Hinblick auf das beim Bundesverfassungsgericht zunächst anhängige, am 17.12.2014 entschiedene Verfahren zur Verfassungswidrigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes für vorläufig erklärt worden (s. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2014 1 BvL 21/12, BStBl 2015 II S. 50). Eine Änderung der Bescheide wäre nur aus diesen Gründen, die sich unmittelbar aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergeben hätten, nicht aber aus anderen von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unabhängigen Gründen möglich gewesen (s. auch BFH-Beschluss vom 05.03.2020 II B 99/18, juris unter 2.c.). Daher heißt es in dem ersten Vorläufigkeitsvermerk im Schenkungsteuerbescheid vom 18.04.2013 auch, dass nur wenn aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diese Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein sollte, die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen werden würde. Ziel der Finanzverwaltung war es, eine Flut von Einspruchsverfahren zu vermeiden, die sich allein auf die mögliche Verfassungswidrigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes bezogen. Damit war aus der Sicht eines objektiven Empfängers klar und eindeutig der Änderungsrahmen abgesteckt.
56
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 17.12.2014 wurde der Wortlaut des Vorläufigkeitsvermerks gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO von der Finanzverwaltung entsprechend an die neue Rechtslage angepasst. Am ursprünglich bestimmten Änderungsrahmen konnte und hat sich durch die Neuformulierung nichts geändert. Insbesondere konnte und sollte die inhaltliche Reichweite des Vermerks durch die neue Formulierung nicht erweitert werden. Weiterhin galt, dass nur wenn der Steuerbescheid aufgrund der gesetzlichen Neuregelung, zu der der Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht nunmehr verpflichtet worden war, eine Aufhebung oder Änderung des Bescheides ergeben sollte, diese von Amts wegen ‒ ohne Zutun des Steuerpflichtigen - erfolgen würde. Soweit der Kläger aus der Formulierung „in vollem Umfang“ eine Änderungsmöglichkeit dahingehend sieht, dass die Schenkungsteuerfestsetzung nun vollumfänglich geändert werden konnte, kann der Senat dem nicht folgen. Dieses extrem weite Verständnis entspricht aus zuvor dargelegten Gründen aus der Sicht eines objektiven Empfängers nicht dem Regelungsgehalt des Vermerks und hat keinerlei Grundlage in den streitgegenständlichen Vorläufigkeitsvermerken (vgl. Urteil des FG Münster vom 14.02.2018 3 K 565/17 Erb, EFG 2018, 756 unter I.3.). Die Ansicht des Klägers hätte zudem konsequenterweise zur Folge, dass die Berichtigung von jeglichen materiellen Fehlern zuungunsten oder zugunsten des Steuerpflichtigen vollumfänglich möglich wäre, ohne dass eine Änderungsnorm gemäß §§ 172 ff. AO erforderlich wäre. Ein solcher Änderungsrahmen war von der Finanzverwaltung klar nicht gewollt und entspricht auch nicht dem Verständnis eines objektiven Bescheidadressaten.
57
Schließlich können die jeweiligen Vorläufigkeitsvermerke auch nicht isoliert betrachtet werden, da sie ‒ im Hinblick auf den Verfahrensstand beim Bundesverfassungsgericht ‒ inhaltlich aufeinander aufbauen.
58
Der Antrag auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG stellt ein Wahl- bzw. Gestaltungrecht des Steuerpflichtigen bei der Übertragung von Betriebsvermögen dar. Dieses von weiteren Voraussetzungen abhängige Gestaltungsrecht ist vom Änderungsumfang des Vorläufigkeitsvermerks von vorne herein nicht erfasst gewesen, da es nicht mit der Verfassungswidrigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes im Zusammenhang steht. Obwohl bereits 2013, bei Einreichung der Schenkungsteuererklärung, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Antragstellung vorlagen, insbesondere die Verwaltungsvermögensquote von unter 10 % erklärt wurde, hat sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt gegen die Stellung des Antrags entschieden, da das steuerliche Risiko, ggf. später keinerlei Steuerbefreiung für den Anteil an der A4 ... GmbH & Co KG aufgrund der in den Erbschaftsteuerrichtlinien verankerten „Optionsfalle“ zu erhalten, verständlicherweise zu groß erschien. Zu diesem Zeitpunkt stand die Verfügung der OFD Karlsruhe noch nicht im Raume, da diese erst am 07.08.2014 erlassen wurde (krit. Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24.07.2015 S 3812a ‒ 105 ‒ V A 6). Erst nachdem die Verfügung der OFD Karlsruhe öffentlich gemacht und die Betriebsprüfung bei den Gesellschaften der A-Gruppe abgeschlossen waren, entschloss sich der Kläger, auf der Grundlage der nunmehr feststehenden Werte den Antrag auf Vollverschonung zu stellen. Dieser späte Entschluss, den Antrag zu stellen, kann jedoch nicht mehr über eine verfahrensrechtliche „Krücke“ ins Verwaltungsverfahren eingeführt werden. Für den Kläger hätte zudem stets die Möglichkeit bestanden, den Eintritt der Bestandskraft des Schenkungsteuerbescheides durch einen Einspruch oder ggf. eine Klage zu verhindern.
59
b. Im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf die rechtskräftigen Urteile des Finanzgerichts Münster vom 14.02.2018 (3 K 565/17 Erb, EFG 2018, 756), vom 29.11.2018 (3 K 1728/17 Erb, EFG 2019, 632 nachfolgend BFH-Beschluss vom 05.02.2020 II B 21/19 n.v.), vom 13.09.2018 (3 K 1727/17 Erb, juris; nachfolgend BFH-Beschluss vom 05.03.2020 II B 101/18 n.v.) und vom 13.09.2018 (3 K 3699/16 Erb, ZEV 2019, 503, nachfolgend BFH-Beschluss vom 05.03.2020 II B 99/18), die er für zutreffend hält und denen er folgt. Gleiches gilt für den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 05.03.2020 (Az. II B 99/18, juris).
60
2. Auch eine Änderung des Bescheides nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO scheidet im Streitfall aus.
61
Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuhebenoder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid nach § 171 Abs. 10 AO, dem Bindungswirkung für diesen Bescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
62
Soweit in der Finanzverwaltung die Auffassung vertreten wurde (s. Verfügung des bayerischen Landesamtes für Steuern vom 07.07.2016 S 3812.b.2.1-13/6 St 34, DStR 2016, 1931), dass eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich sei, wenn in einem Feststellungsbescheid Regelungen getroffen worden seien, die sich auf die Höhe der maßgebenden Verwaltungsquote hinsichtlich des Unter- bzw. Überschreitens der 10%-Grenze auswirken würden, kann der Senat im vorliegenden Fall die Entscheidung der Frage offen lassen. Im Streitfall lag die festgestellte Verwaltungsvermögensquote stets unter 10 %, so dass auch insoweit keine relevante Änderung eingetreten ist.
63
3. Schließlich kann eine Änderung des angefochtenen Bescheides nicht auf § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützt werden.
64
Danach ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
65
Die Stellung eines Antrags selbst ist kein rückwirkendes Ereignis (vgl. jüngst BFH-Urteil vom 14.07.2020 VIII R 6/17, DStR 2020, 2298 unter 2.b.bb.aaa. zum Antrag nach § 32d Abs. 6 EStG m.w.N.), wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Antragstellung bereits vor Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung vorliegen und es allein an der notwendigen Antragstellung fehlt. Wird der Antrag in diesem Fall nach Eintritt der Bestandskraft erstmals gestellt, ist die Antragstellung kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
66
Anders könnte sich der Fall verhalten, wenn sich durch den Erlass des Änderungsbescheids nach Eintritt der Bestandskraft der maßgebliche Sachverhalt für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf Vollverschonung möglich ist, verändert. Werden nach Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung in einem Änderungsbescheid geänderte Besteuerungsgrundlagen in einer Weise berücksichtigt, dass ein Antrag auf Vollverschonung - erstmals erfolgreich - gestellt werden kann, könnte es sich um ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO handeln (vgl. BFH-Urteil vom 14.07.2020 VIII R 6/17, DStR 2020, 2298 unter 2.b.bb.bbb. zum Antrag nach § 32d Abs. 6 EStG m.w.N.).
67
Da sich im Streitfall keine für den Antrag grundlegenden Tatsachen durch einen Änderungsbescheid ergeben haben, die erstmals eine Antragstellung ermöglichen würden, insbesondere die Verwaltungsvermögensquote stets unter 10 % gelegen hat, braucht der Senat ebenfalls keine Entscheidung dazu zu treffen, ob in der Änderung der Verwaltungsvermögensquote ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung gesehen werden könnte.
68
3. Lediglich im Rahmen des § 177 Abs. 1 AO konnte die Vollverschonung gemäß § 13a Abs. 8 ErbStG steuermindernd berücksichtigt werden. Dem entspricht der angefochtene Schenkungsteuerbescheid vom 22.11.2017.
69
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
70
III. Die Revision wird nicht zugelassen, da kein Revisionsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist (vgl. BFH-Beschluss vom 05.03.2020 II B 99/18, juris).