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  • 28.04.2016 · IWW-Abrufnummer 185528

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 10.06.2015 – 3 K 3248/11

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FG Berlin-Brandenburg

    10.06.2015 - 3 K 3248/11

    In dem Rechtsstreit
    A...,
    Kläger,
    Bevollmächtigter:
    gegen
    Finanzamt,
    Beklagter,

    wegen Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 28.12.2007

    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 3. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 10. Juni 2015 durch
    den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,
    die Richterin am Finanzgericht ...,
    den Richter am Finanzgericht ...,
    die ehrenamtliche Richterin ... und
    den ehrenamtlichen Richter ...
    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten bei einer Grundstücksbewertung für die Schenkungsteuer (Anlassbewertung) um die Wertminderung wegen Reparaturstau.

    I.

    1.

    Mit Schenkungsvertrag vom 28.12.2007 (Wertermittlungsstichtag) wurde dem Kläger das Hausgrundstück in C..., B...-straße von seiner Mutter übertragen. Auf dem Grundstück steht ein um das Jahr 1900 erbautes fünfgeschossiges Mehrfamilienhaus (Bruttogrundfläche rund 400 m2) mit insgesamt 24 Wohneinheiten im Vorderhaus, Seitenflügel und Hinterhaus (klassisches Miethaus, Renditeobjekt). Eine durchgreifende Sanierung oder Modernisierung hatte nicht stattgefunden. Das Dachgeschoss war nicht ausgebaut.

    2.

    Auf Anforderung des Erbschaftsteuerfinanzamts C... vom 20.05.2009 forderte das beklagte Lagefinanzamt - FA - am 07.07.2009 vom Kläger eine Bedarfswerterklärung. Der Bedarfswerterklärung vom 17.09.2009 war das Gutachten des von der IHK C... für die Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Architekt D... vom 27.10.2008 auf den Bewertungsstichtag 31.12.2007 beigefügt (EW-Akte unfoliiert), das bei einem vorläufigen Ertragswert von rd. 800 TEUR und einem pauschalen Abzug für Reparaturstau von 150 TEUR mit einem bereinigten Ertragswert und damit Verkehrswert von rund 650 TEUR schloss. Die Bausachverständige des FA führte in ihrem Vermerk vom 10.03.2010 dazu aus, der ermittelte vorläufige Ertragswert sei plausibel, die Kosten für die Beseitigung des Reparaturstaus seien jedoch zu hoch und nicht plausibel.

    3.

    Nach Weiterleitung eines entsprechenden Schreibens des FA durch den Kläger legte der Sachverständige eine überarbeitete Version des Gutachtens vom 25.05.2010 (unterschrieben am 26.05.2010) vor (EW-Akte unfoliiert, im Original dort hinten eingeschoben, = FG-A Bl. 14), das bei unverändertem vorläufigem Ertragswert und einem Abzug für Reparaturstau von pauschal 170 TEUR mit einem bereinigten Ertragswert von 630 TEUR schloss. Im Gutachten ist u.a. ausgeführt, bei der Ortsbesichtigung am 21.07.2008 habe das Objekt im Außen- und exemplarisch im Innenbereich besichtigt werden können. Das Gebäude weise insgesamt einen verbrauchten baulichen Zustand auf, unterlassene Reparatur und Instandhaltung (Rückstau) sei erkenntlich. Lediglich in einigen der Wohneinheiten seien Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten durchgeführt worden, über Art und Umfang dieser Maßnahmen lägen dem Gutachter jedoch keine Informationen vor (Gutachten Seite 10). Der uneinheitliche Zustand der Wohnungen werde bei den anzusetzenden Reparatur- und Instandsetzungskosten berücksichtigt. Eine Sanierung bzw. Modernisierung sei mittelfristig angeraten.

    Dies könne bei einem derartigen Objekt aber nicht Gegenstand einer Wertermittlung sein (Seite 10). Das Gebäude sei ca. 107 Jahre alt. Die Gesamtnutzungsdauer für derartige Wohnhäuser werde üblicherweise mit 100 Jahren angenommen. Angesichts des vorgefundenen verbrauchten Zustandes könne hier eine wirtschaftliche Restnutzungsdauer von nur ca. 20 Jahren angenommen werden. Das Baujahr des Gebäudes verschiebe sich somit fiktiv in das Jahr 1927 (Seite 11). Dabei werde eine regelmäßig fortgeführte Reparatur und Instandhaltung bis zur nutzungsbedingt notwendigen Sanierung bzw. Modernisierung bzw. Anpassung an den Zeitgeschmack und Stand der Technik unterstellt. Sollte dies jedoch unterbleiben, verkürze sich die angenommene Restnutzungsdauer des Gebäudes unter Umständen erheblich (Seite 11). Die Alterswertminderung betrage 72% und sei angesichts des Gebäudezustands angemessen (Seite 12). Die Ausstattung von 16 der 24 Wohneinheiten befinde sich nach Angaben der Schenkerin größtenteils noch im Zustand nach Erstellung des Gebäudes. Durch punktuelle Maßnahmen im Laufe der Zeit, vor allem mieterseitig, wiesen die Wohnungen inzwischen recht unterschiedliche Ausstattungsstandards auf. Seitens der Schenkerin seien nach deren mündlicher Auskunft kürzlich ca. 60 TEUR zum Erhalt der Bausubstanz aufgewendet worden, dabei hätten jedoch lediglich die dringendsten Arbeiten durchgeführt werden können (Havariebeseitigung). Folgende Schäden und Mängel an der Bausubstanz lägen u.a. vor:

    Holzkonstruktion des Daches verschlissen (Holzschutzgutachten notwendig), Kellergeschoss mit Feuchtigkeitsschäden, kein Vollwärmeschutz am Gebäude, Fußböden in den beiden Treppenhäusern verschlissen, dort Anstrich zu erneuern, Fenster und Türen teilweise undicht, zu erneuern, Elektro- und Versorgungsleitungen veraltet, Sanitäranlagen veraltet (kompletter Austausch von Wanne, Wachbecken, Leitungen), Rückstand bei Schönheitsreparaturen und Malerarbeiten (Graffitischäden an der Fassade) (Seite 13).

    Mittelfristig seien erhebliche Investitionen notwendig. Aufwendige Modernisierungen, wie der Ausbau von Dachgeschossen, seien derzeit nicht lohnend. Objekte mit Sanierungsbedarf seien derzeit gesuchter als kernsanierte Objekte. Daher werde nur eine Teilreparatur- und Instandhaltung des Wohnhauses unterstellt sowie eine Aufbereitung der erwähnten 16 Wohnungen mit veraltetem Zustand. Nach überschlägiger Schätzung aus eigener langjähriger Architekturtätigkeit könne von einem Investitionsbedarf von ca. 170 TEUR ausgegangen werden für die Gebäudehülle und die 16 Wohnungen als Mindestansatz (Trockenlegung des Kellers: ca. 26 TEUR; Renovierung der Treppenhäuser ca. 10 TEUR je Treppenhaus = 20 TEUR; Fassade 10 TEUR pauschal geschätzt; 16 Wohnungen zu geschätzt 7.300 EUR je Wohnung = ca. 117 TEUR, Summe 173 TEUR) (Seite 14 und Anlage).

    Von den 24 Wohneinheiten seien 23 vermietet, eine habe leer gestanden, jedoch liege kein struktureller Leerstand vor. Die Miete liege monatlich nettokalt zwischen 3,81 EUR/m2 und 5,74 EUR/m2 bei einem Durchschnitt von 4,96 EUR/m2. Aus dem C... Mietspiegel 2007 ergebe sich für vergleichbare Wohnungen eine Spanne von 4,22 EUR/m2 bis 5,47 EUR/m2 mit einem Mittelwert von 4,77 EUR/m2. Der Mittelwert des Mietspiegels nähere sich dem im Bewertungsobjekt vereinbarten durchschnittlichen Mietzins an (Seite 17). Zur langfristigen Sicherung der Mieteinnahmen sei die zügige Beseitigung des aufgezeigten Reparatur- und Instandhaltungsrückstaus an den 16 Wohneinheiten unabdingbar. Je nach Art und Umfang dieser Arbeiten wäre dann unter Umständen eine Anpassung in Form einer Mieterhöhung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten denkbar (Seite 18).
    Für Renditeobjekte wie das zu bewertende Miethaus sei ein derzeit fallendes bzw. im Jahre 2007 stagnierendes Preisniveau zu verzeichnen. Der Hype der vergangenen Jahre sei vorbei und erschiene per Frühjahr 2008 kaum mehr kurzfristig wiederholbar. Die Brutto-rendite von 10,43% bestätige, dass keine Marktanpassung vorzunehmen sei (Seite 21). Das Objekt ordne sich mit einem Ertragswert von ca. 286 EUR/m2 BGF im unteren Bereich der vom Gutachterausschuss C... veröffentlichten Spanne ein. Das Erreichen des unteren Wertebereiches trotz des verbrauchten baulichen Zustandes sei der dessen ungeachtet noch guten Vermietungssituation geschuldet (Seite 22).

    Die erhöhte Nachfrage für Wohnungsportfolios (sog. Heuschreckenkäufe) hätten in der jüngeren Vergangenheit bis Mitte 2007 bei Renditeobjekten zu Preiserhöhungen am Immobilienmarkt geführt. Das Bewertungsobjekt sei jedoch zustandsbedingt nicht von Interesse bei institutionellen Anlegern (Seite 23).

    4.

    Die Bausachverständige des FA vertrat in ihrem Vermerk vom 10.08.2010 die Auffassung, die pauschalen Kostenansätze für den Reparatur- und Instandsetzungsbedarf seien nicht nachprüfbar. Aus dem Fotomaterial lasse sich feststellen, dass das Gebäude sich in einem guten Zustand befinde (keine Putzschäden an den Fassaden und den Innenwänden und Decken; Eingangsbereich und Treppenhäuser scheinen frisch saniert; Wohnungseingangstüren nicht schadhaft). Baumaßnahmen im Sanitärbereich und die Elektroinstallationen wären als Modernisierungsmaßnahmen anzusehen, da der Standard der Wohnungen gehoben würde. Die Zahl der renovierungsbedürftigen Wohnungen sei nicht plausibel, da nur bei 7 Wohnungen die Monatsmieten unter dem mittleren Wert des Mietspiegels lägen.

    5.

    In seiner Stellungnahme vom 09.09.2010 führt der Gutachter aus, die Kostenansätze stammten vor allem aus Erfahrungswerten. Fotos stellten den realen Zustand immer beschönigend dar. Aus dem Mietzins könne nicht auf den baulichen Zustand rückgeschlossen werden. Nach Auskunft der Schenkerin befänden sich zum Stichtag noch 16 Wohnungen weitgehend im ursprünglichen Erscheinungsbild der Erbauung um 1900. Mangels Zutritt zu einzelnen Wohnungen habe diese Aussage nicht überall geprüft werden können (nur exemplarische Innenbesichtigung) (EW-A unfoliiert).

    6.

    Der von der Bausachverständigen des FA telefonisch geäußerten Bitte, eine Besichtigung zu ermöglichen, kam der Klägervertreter zunächst nicht nach (Schreiben Klägervertreter 07.04.2011 und Vermerk Bausachverständige 08.04.2011, EW-Akte, unfoliiert)

    7.

    Mit Grundbesitzwertfeststellungsbescheid auf den 28.12.2007 für Zwecke der Schenkungsteuer vom 17.05.2011 stellte das FA einen Grundbesitzwert von 782.000 EUR fest, den es nach dem Ertragswertverfahren des Bewertungsgesetztes berechnete, und führte aus, das vorgelegte Gutachten könne nicht anerkannt werden, weil es hinsichtlich der pauschal geschätzten Reparatur- und Instandsetzungskosten nicht plausibel sei (EW-A unfoliiert = FG-A Bl. 12).

    II.

    1.

    Mit Schreiben vom 24.05.2011 legte der Kläger Einspruch ein und beantragte, den Bedarfswert auf 630.000 EUR festzusetzen gemäß Gutachten. Das Gutachten sei plausibel. Die Schäden und Mängel an der Bausubstanz seien im Einzelnen aufgeführt und im Anhang auf Farbbildern abgebildet. Die Behauptung des FA, das Gutachten sei unplausibel, sei unsubstantiiert.

    2.

    Die Bausachverständige des FA konnte am 27.07.2011 vier Wohnungen des Objekts im Beisein der Schenkerin und der Hausverwalterin besichtigen. In ihrem Vermerk vom 09.08.2011 führte sie aus, Putzschäden an der Fassade seien nicht vorhanden. Die Graffiti seien 2007 beseitigt worden, die Kosten hätten 105,30 EUR betragen. Laut Angaben der Schenkerin und der Hausverwalterin seien zum Bewertungsstichtag 7 Wohnungen unrenoviert gewesen. Die Bausachverständige errechnete den Reparatur- und Instandsetzungsbedarf wie folgt: Trockenlegung Keller 24.600 EUR, Putzarbeiten 0 EUR, Treppenhäuser 20.000 EUR, Renovierung 7 Wohneinheiten 56.545 EUR, zusammen 101.145 EUR Der Verkehrswert ergebe sich so zu 800.000 EUR ./. 101.000 EUR = 699.000 EUR. Die Rendite von 11,9% liege damit nahe an der gemäß Grundstücksmarktbericht zu erwartenden Rendite vergleichbarer Objekte von 11,3% (EW-A, unfoliiert). Beigefügt war eine Email der Hausverwalterin vom 04.08.2011 17.11 Uhr mit Anlagen, u.a. eine Liste des Instandhaltungsrückstaus, unterteilt in erledigt (68.500 EUR) und noch durchzuführen (100.000 EUR).

    3.

    Der Kläger führte in seinem Schreiben vom 02.09.2011 dazu aus, die Pauschalbeträge des FA seien nicht nachvollziehbar. Die per Email übersandte Aufstellung der Hausverwaltung werde übergangen. Die vom FA angesetzten Kosten für die Sanierung einer Wohnung entsprächen nicht dem Preisgefüge des Handwerkermarktes und seien zu niedrig. Weitere sich aus der übersandten Aufstellung der Hausverwalterin ergebende notwendige Arbeiten, wie beispielsweise die Sanierung von zwei Balkonen, würden nicht berücksichtigt.

    4.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 16.09.2011 (EW-Akte unfoliiert = FG- A Bl. 8) setzte das FA den Grundbesitzwert auf 699.000 EUR herab und verwarf im Übrigen den Einspruch als unbegründet. Das vom Kläger vorgelegte Gutachten sei wegen des pauschal geschätzten Abzugs für Reparatur- und Instandsetzungskosten für insgesamt 16 Wohnungen und diverse Gebäudeteile nicht plausibel. Die Anzahl der renovierungsbedürftigen Wohnungen sei bei der Besichtigung am 27.07.2011 ermittelt worden. Nur für sieben Wohnungen könnten danach Reparatur- und Instandsetzungskosten angesetzt werden. Aufgrund der Ergebnisse der Besichtigung vom 27.07.2011 seien die Instandsetzungskosten so zu schätzen wie von der Bausachverständigen angegeben.

    III.

    Mit seiner Klage vom 14.10.2011 begehrt der Kläger weiter die Herabsetzung des festgestellten Grundstückswerts auf 630.000 EUR.
    Das Gutachten sei hinsichtlich der Reparatur- und Instandhaltungskosten schlüssig. Die Hausverwaltung F... habe vom 29.12.2007 bis 31.12.2010 Sanierungsmaßnahmen über 68.500 EUR durchgeführt, weitere Maßnahmen im Volumen von 124.000 EUR seien geplant (im Einzelnen FG-A Bl. 4). Außerdem seien im Gutachten weitere wesentliche Sanierungsmaßnahmen bisher gar nicht erfasst (u.a. Balkonsanierung, Graffitibeseitigung, Erneuerung von Fenstern, Schornsteinbelüftung wegen Versottung, Instandsetzung von Trinkwassergrundleitungen und Absperrhähnen, im Einzelnen FG-A Bl. 5). Die Unterstellung des FA, dass zwischen 1936 und 1996 eine Dachsanierung und eine Reparatur der Außenfassade durchgeführt worden sei, werde bestritten. Vielmehr habe eine Dachreparatur erst im September 2010 im Auftrag der Schenkerin stattgefunden (Rechnung Dachdecker vom 04.10.2010 über rd. 25 TEUR, FG-A Bl. 55). Außerdem sei 2009 der Innenhof für rd. 13,5 TEUR neu gepflastert worden. Es werde bestritten, dass die Schenkerin und die Verwalterin anlässlich der Besichtigung durch die Bausachverständige des FA gesagt hätten, es seien zum Bewertungsstichtag nur sieben Wohnungen nicht renoviert gewesen (Beweis: Zeugin E..., Zeugin F...). Vor dem Bewertungsstichtag seien acht Wohnungen saniert worden, 2008 bis 2011 drei, die verbleibenden 13 Wohnungen stünden ab 2012 noch zur Sanierung an (im Einzelnen FG-A Bl. 48-49). Zum Nachweis des Sanierungsaufwands werde auf die Einkommensteuererklärungen Bezug genommen. Der Sanierungsaufwand liege letztlich weit höher als die vom Gutachter angenommenen 170.000 EUR. Ergänzend werde das Angebot des Bauunternehmens Ingo Wagner vom 14.03.2012 (FG-A Bl. 72) vorgelegt über rd. 92 TEUR, von denen rd. 50% auf baurechtlich vorgeschriebene Dämmmaßnahmen entfielen und rd. 50% auf die Instandsetzung des Baukörpers, was als weiterer Nachweis für die Reparaturanfälligkeit des Objektes anzusehen sei. Der Sachverständige habe dargelegt, dass ohne die Sanierungsarbeiten die Nettokaltmieten nicht zu halten wären.

    Der Kläger beantragt,

    den Grundbesitzwertfeststellungsbescheid auf den 28.12.2007 vom 17.05.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.09.2011 dahingehend zu ändern, dass der Grundbesitzwert auf 630.000 EUR festgestellt wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das FA wiederholt, dass die vom Gutachter zugrunde gelegte Zahl von renovierungsbedürftigen Wohnungen nicht plausibel sei, und weist ergänzend darauf hin, dass Mängel, die im Gutachten nicht aufgeführt seien, nicht nachträglich berücksichtigt werden könnten. Wegen der Graffiti komme eine Minderung von 699.000 EUR auf 698.000 EUR in Betracht.
    Wegen der näheren Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen Bezug genommen.

    IV.

    1.

    Mit Schreiben vom 09.04.2015 hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass die Berechnung der Wertminderung wegen Bauschäden
    grundsätzlich unplausibel sein könnte wegen der Gleichsetzung der Wertminderung mit den Sanierungskosten (FG-A Bl. 83).

    2.

    Die Bedarfsbewertungsakte, beschriftet als Einheitswert- und Grundsteuerakte, lag vor.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist nicht begründet.

    Der angefochtene Bescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil dem Kläger der Nachweis des geringeren gemeinen Werts (§ 138 Abs. 4 Bewertungsgesetz - BewG - in der zum Bewertungsstichtag geltenden Fassung) nicht gelungen und Bedenken gegen die Berechnung des FA gemäß § 146 BewG im Ausgangsbescheid weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Soweit das FA trotz unschlüssigen Gutachtens den Wert in der Einspruchsentscheidung geringer festgestellt hat, ist der Kläger nicht beschwert; eine Verböserung kann durch das Gericht nicht erfolgen.

    I.

    Der Nachweis des geringeren gemeinen Werts kann nach der ständigen Rechtsprechung des BFH erfolgen (u.a.) durch ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Grundstücksbewertung. Ein solches Gutachten ist zunächst vom FA, ggf. nachfolgend vom Gericht auf Schlüssigkeit (Plausibilität) zu prüfen. Diese Prüfung muss ohne Zuhilfenahme weiterer Sachverständiger erfolgen können. Ist das Gutachten unplausibel, ist der Nachweis des geringeren gemeinen Werts nicht gelungen, so dass der gemäß §§ 145 bis 150 BewG errechnete Wert anzusetzen ist. Ist das Gutachten plausibel und entspricht es der Verordnung über Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (Wertermittlungsverordnung - WertV) (inzwischen: Immobilienwertermittlungsverordnung - ImmoWertV), ist der im Gutachten angegebene Wert anzusetzen. Eine Beweisaufnahme, insbesondere die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, kommt bei der Prüfung der Plausibilität des vom Steuerpflichtigen vorgelegten Gutachtens aufgrund der Art des Verfahrens nicht in Betracht. Denn den Steuerpflichtigen trifft nicht nur die Darlegungs-, sondern auch die Nachweislast (BFH, Beschluss vom 14.12.2006 II B 53/06, BFH/NV 2007, 403, [...] Rn. 7 m.w.N.; BFH, Urteil vom 11.09.2013 II R 61/11, BStBl II 2014, 363, [...] Rn. 31).

    Ob das Gutachten inhaltlich den geforderten Nachweis erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung des Gerichts. Abschläge, Spanneneinordnungen, Beträge und dergleichen müssen vom Gutachter objektivierbar und grundstücksbezogen begründet sein, und zwar nicht nur dem Grunde nach, sondern auch hinsichtlich der Höhe (BFH, Urteil vom 11.09.2013 II R 61/11, BStBl II 2014, 363, [...] Rn. 32).

    II.

    Das vom Kläger vorgelegte Gutachten ist schon deswegen nicht plausibel, weil es die Wertminderung aufgrund von Baumängeln und Bauschäden gleichsetzt mit den Kosten ihrer Beseitigung.

    1.

    Im Grunde nachvollziehbar berechnet der Gutachter einen vorläufigen Ertragswert und macht von diesem wegen der Baumängel und Bauschäden einen Abzug, um zum bereinigten Ertragswert und damit Verkehrswert zu gelangen.

    2.

    Nicht schlüssig ist jedoch die Gleichsetzung der Wertminderung mit den Reparaturkosten.

    Zwar ist die Ermittlung der Wertminderung wegen Baumängeln und Bauschäden nach den am Wertermittlungsstichtag dafür aufzubringenden Kosten eine von der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannte Methode; gleichwohl darf diese Wertminderung nicht mit den Kosten für ihre Beseitigung (Schadensbeseitigungskosten) gleichgesetzt werden. Diese Kosten können allenfalls einen Anhaltspunkt für die Wertminderung geben (Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Aufl. 2014, Teil IV § 8 ImmoWertV Rn. 199, Seite 975).

    Insbesondere bei älteren Gebäuden, die trotz des Vorhandenseins eines Modernisierungs- und Instandsetzungsstaus voll nutzbar sind - wie im Streitfall -, haben derartige Mängel des Gebäudes lediglich einen um einen Bruchteil der erforderlichen Schadensbeseitigungskosten geminderten Verkehrswert zur Folge. Bei älteren Gebäuden hat ein gewisser Instandhaltungsrückstau gar keine Wertminderung zur Folge (Kleiber, a.a.O., Teil IV § 8 ImmoWertV Rn. 202, Seite 976); lediglich bei erheblichem Instandsetzungsstau wirkt sich dieser auf den Verkehrswert des Grundstücks aus, allerdings auch dann nicht in Höhe der Schadensbeseitigungskosten, sondern mit einem geringeren Wert. Zudem führt eine umfassende Schadenbeseitigung regelmäßig zu einer Verlängerung der Restnutzungsdauer des Gebäudes.

    Eine Wertminderung wegen Reparaturstau (Baumängel und Bauschäden) ist daher nur dann plausibel hergeleitet, wenn das Gutachten Angaben dazu enthält, wie sich die Mängel und Schäden - insbesondere unter Berücksichtigung des Alters des Gebäudes - auf den Verkehrswert auswirken.
    Hieran fehlt es in dem vom Kläger vorgelegten Gutachten.

    3.

    Dies gilt unabhängig davon, dass das Gutachten noch vor dem Inkrafttreten der ImmoWertV, also noch unter Gültigkeit der WertV, erstellt wurde.
    Während die ImmoWertV, in Kraft ab 01.07.2010, in ihrem § 8 Abs. 3 ausführt, dass Baumängel und Bauschäden durch marktgerechte Abschläge oder in anderer geeigneter Weise berücksichtigt werden können, soweit dies dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr entspricht, hieß es in der WertV, in Kraft bis 30.06.2010 und damit noch bei der hiesigen Gutachtenerstellung (25.05.2010), in ihrem § 24, dass die Wertminderung wegen Baumängeln und Bauschäden nach Erfahrungssätzen oder auf der Grundlage der für ihre Beseitigung am Wertermittlungsstichtag erforderlichen Kosten zu bestimmen ist.

    Aber auch schon danach war die Wertminderung nicht mit den erforderlichen Kosten gleichzusetzen. Sie war vielmehr auf der "Grundlage" dieser Kosten "zu bestimmen". Auch dies meinte nichts anderes als eine Herleitung der Wertminderung. Schon damals durften die Instandsetzungskosten nicht schematisch in voller Höhe abgezogen werden (Kleiber/Simon, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 5. Aufl. 2007, Teil V Syst. Darst. Ertragswertverf. Rn. 330 und insbesondere Rn. 339; zweifelnd bereits Kleiber/Simon/Weyers, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 3. Aufl. 1998, Teil V § 24 WertV Rn. 20), abgesehen davon, dass § 24 WertV systematisch im Abschnitt über das Sachwertverfahren, nicht im Abschnitt über das Ertragswertverfahren steht.

    Bereits 1963 hat der 3. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs - BGH - ausgeführt:

    "Denn die Instandsetzungskosten werden häufig, wenn nicht in der Mehrzahl der Fälle, die Werterhöhung übersteigen, die die Sache durch die Instandsetzung erfährt. Sind bereits die Herstellungskosten einer Sache nicht entscheidend für deren gemeinen Wert, schon weil die Herstellungskosten im Verkehr als gleichwertig angesehener Sachen sehr verschieden sein können, wie z.B. bei gleichartigen Bauwerken infolge verschiedenartiger Bodenverhältnisse, verschieden hoher Erschließungskosten usw., so gilt das umso mehr für die Instandsetzungskosten, die regelmäßig weniger überschaubar sind als die Herstellungskosten und im Verhältnis meistens höher liegen als diese, schon weil sie vielfach einen höheren Lohnanteil enthalten. Der Verkehrswert einer beschädigten Sache, z.B. eines Hauses, wird daher - oder kann mindestens - in vielen Fällen höher sein als der Verkehrswert des Hauses in unbeschädigtem Zustand abzüglich der Instandsetzungskosten." (BGH, Urteil vom 24.01.1963 III ZR 149/61, BGHZ 39, 40, [...] Rn. 12)

    4.

    Da dem Gutachten hiernach die Wertminderung wegen Bauschäden und Baumängeln selbst bei unterstellt richtiger Bestimmung der Kosten ihrer Beseitigung nicht entnommen werden kann, ist aus dem Gutachten der Verkehrswert nicht ableitbar, ohne dass es auf den Streit der Beteiligten über die genaue Höhe der Kosten der Beseitigung noch ankäme.

    III.

    Lediglich ergänzend sei daher angemerkt, dass auch die Herleitung der Mängelbeseitigungskosten (Reparaturkosten) nicht schlüssig ist.

    1.

    Aus dem Gutachten wird nicht ersichtlich, wie viele und welche Wohnungen der Gutachter besichtigt hat (Gutachten Seite 4: Ortsbesichtigung "exemplarisch im Innenbereich"). Das FA geht davon aus, er habe nur eine - die seinerzeit leerstehende - besichtigt. Dies könnte nach dem Wortlaut des Gutachtens zutreffen. Im Hinblick auf die Bedeutung der Zahl der renovierungsbedürftigen Wohnungen war die Angabe aber notwendig, um die weiteren Erwägungen des Gutachters nachvollziehen zu können.

    2.

    Der Zahl der noch zu reparierenden Wohneinheiten kommt für die Berechnung der Mängelbeseitigungskosten ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Gutachter gibt an, 16 der 24 Wohneinheiten befänden sich noch größtenteils im Zustand der Erstellung des Gebäudes "lt. Auskunft der Auftraggeberin" (Gutachten Seite 13). Der Gutachter hätte diese wichtige Größe für die Berechnung der Renovierungskosten nicht einfach ungeprüft übernehmen dürfen, sondern sie in geeigneter Weise überprüfen müssen (insbesondere durch Verlangen von geeigneten Unterlagen, z.B. Reparaturrechnungen, Aufstellungen, Mängelmeldungen von Mietern, Besichtigungsprotokolle der Hausverwaltung o. ä.). Je mehr Wohnungen der Gutachter selbst besichtigt hat, desto weniger Nachweise wird er sich für die von der Auftraggeberin genannte Zahl der zu renovierenden Wohnungen vorlegen lassen müssen und umgekehrt. Die mangelnde eigene Überprüfung der Anzahl der zu renovierenden Wohnungen führt in der Zusammenschau mit der Unklarheit, wie viele Wohnungen der Gutachter selbst gesehen hat, daher ebenfalls zur Unschlüssigkeit des Gutachtens.
    Denn auch die tatsächlichen Grundlagen der Wertermittlung müssen im Gutachten schlüssig nachvollziehbar sein. Zu erinnern ist hierbei, dass es im Verfahren über die Überprüfung des Gutachtens nicht zur Beweisaufnahme kommen soll. Wenn der Gutachter aber nicht aus eigener Anschauung oder jedenfalls nach Überprüfung, etwa anhand geeigneter Unterlagen, die wesentlichen Parameter seiner Berechnung feststellt, ist Streit, wie hier, absehbar. Die Plausibilität des Gutachtens muss sich jedoch aus dem Gutachten selbst, allein durch seine Lektüre, ergeben. Würde man hingegen die ungeprüfte Übernahme von Angaben der Auftraggeberin als plausibel akzeptieren, müsste das Gutachten insoweit hingenommen werden.

    3.

    Ohne die von der Anzahl der reparaturbedürftigen Wohnungen abhängigen Reparaturkosten (ca. 117 TEUR) ergäben sich aber nur Reparaturkosten (Keller, Treppenhäuser, Fassade) von 56 TEUR und damit ein Verkehrswert von 744 TEUR, somit mehr als vom FA mit der Einspruchsentscheidung festgestellt (699 TEUR). Der unplausible Teil des Gutachtens (Anzahl der renovierungsbedürftigen Wohnungen) kann daher zwar herausgerechnet werden (vgl. zur Schließung von Lücken im Gutachten durch FA und Gericht, sofern dies ohne Beweiserhebung möglich ist, BFH, Urteil vom 05.05.2010 II R 25/09, DStRE 2010, 1066, [...] Rn. 18), jedoch hätte dies keinen geringeren Wert zur Folge als den, den das FA mit der Einspruchsentscheidung bereits festgestellt hat, und damit keinen Erfolg der Klage.

    IV.

    Ob die Erwägungen des Gutachters zur Anpassung an die Marktverhältnisse (Seite 20/21 und Seite 23 oben des Gutachtens) in allen Einzelheiten einer Schlüssigkeitskontrolle standhalten, mag dahingestellt bleiben.

    V.

    1.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    2.

    Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts, § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO, zugelassen.

    Nach der Erfahrung des Senats erfolgt eine Gleichsetzung von Renovierungskosten mit der Wertminderung wegen Reparaturstau in einer großen Vielzahl von Gutachten auch öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Grundstücksbewertung. Die Frage, ob dies zur Unschlüssigkeit eines Verkehrswertgutachtens führt, hat daher über den Einzelfall hinaus besondere Bedeutung.
    Ebenfalls klärungsbedürftig ist die Frage, wie weitgehend in einem Gutachten die tatsächlichen Grundlagen der Wertermittlung nachvollziehbar dargelegt werden müssen und ob es dabei als plausibel angesehen werden kann, Angaben des Auftraggebers des Gutachtens ohne Überprüfung durch den Gutachter zugrunde zu legen.

    RechtsgebietBewGVorschriften§ 138 Abs. 4 BewG; § 146 BewG; § 150 BewG

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