15.11.2010 |Behindertentestament
Überleitung des Ausschlagungsrechts bei Vor- und Nachvermächtnissen
von RA Dr. Ansgar Beckervordersandfort, LL.M., EMBA, FA Erbrecht und Ref. jur. Max Lüerßen, Münster
Oft werden Abkömmlinge mit Behinderung lediglich mit einem Vorvermächtnis bedacht. Nachvermächtnisnehmer sind andere Angehörige oder auch gemeinnützige Organisationen. Das Vorvermächtnis wird der Testamentsvollstreckung unterstellt, wobei laufende Zahlungen aus den Erträgen an den Behinderten geleistet werden. Die Vermögenssubstanz wird so dem Zugriff der Sozialhilfeträger entzogen. Vor- und Nachvermächtnis haben gegenüber der Vor- und Nacherbschaft den Vorteil, dass der Behinderte keine Erbengemeinschaft mit den übrigen Erben bildet.
1. Gegenwärtige Situation
Momentan gehen die Sozialhilfeträger dazu über, die den Behinderten zustehenden Vermächtnis- und Pflichtteilsansprüche gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII auf sich selbst überzuleiten. Diesen Ansprüchen folge nach Auffassung der Sozialhilfeträger das Recht auf Ausschlagung des Vermächtnisses, welches dann auch von den Sozialhilfeträgern ausgeübt wird, um anschließend den Pflichtteil geltend zu machen. Man bezieht sich dabei auf eine Auffassung von van de Loo (ZEV 06, 473).
Ob die Überleitung und Ausübung des Ausschlagungsrechts zulässig ist, wurde bisher nicht gerichtlich geklärt. Eine gegen einen Überleitungsbescheid gerichtete Anfechtungsklage wurde vom Sozialgericht Köln (29.9.10, S 21 SO 151/09, Abruf-Nr. 103633) abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wies das Gericht unter Bezugnahme auf die Evidenzrechtsprechung des BVerwG (28.10.99, 5 C 28/98, NJW 00, 601) darauf hin, dass der Überleitungsbescheid rechtmäßig sei, da aufgrund der unterschiedlichen vertretenen Meinungen zumindest nicht offensichtlich ausgeschlossen ist, dass das Ausschlagungsrecht überleitbar ist. Welche Auffassung zutreffend ist, sei von der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu entscheiden.
2. Darstellung Argumentation von van de Loo
Zwar geht auch van de Loo im Grundsatz davon aus, dass das Ausschlagungsrecht wegen der § 2180 BGB, § 1952 Abs. 1 BGB nicht übertragbar ist. Gemäß § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII seien aber auch nicht übertragbare Rechte überleitbar und somit würde diese Vorschrift auch das Ausschlagungsrecht erfassen, weil es ein Nebenrecht des Vermächtnisanspruchs i.S. des § 401 Abs. 1 BGB sei.
2.1 Ausschlagungsrecht als Sicherungsmittel
§ 401 BGB ist allerdings nicht direkt oder analog anwendbar, weil schon kein dieser Vorschrift unterfallendes Recht betroffen ist. Zutreffend ist zwar, dass über § 401 BGB außer den in der Vorschrift genannten (Sicherungs-) Rechten auch solche Rechte übergehen, die der Verwirklichung und Sicherung des übertragenen Anspruchs dienen (Busche in Staudinger, BGB, § 401 Rn. 28; Grüneberg in Palandt, BGB, § 401 Rn. 4). Bei dem Ausschlagungsrecht handelt es sich jedoch nicht um ein Sicherungsrecht in diesem Sinn. Sinn und Zweck des Ausschlagungsrechts ist nämlich nicht die Sicherung oder Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs, sondern es soll umgekehrt den Vermächtnisnehmer davor schützen, etwas gegen seinen Willen zugewendet zu bekommen. Die Ausübung des Ausschlagungsrechts vernichtet ja gerade den Vermächtnisanspruch, was schon denklogisch gegen die Einordnung als Sicherungsrecht spricht. Wenn durch Abtretung oder Überleitung des Vermächtnisanspruchs dieser und das Ausschlagungsrecht auseinander fallen, kann das Schutzinteresse des Abtretungsempfängers unproblematisch dadurch gewahrt werden, dass der Zedent dazu verpflichtet wird, das ihm weiterhin zustehende Recht auf Ausschlagung nicht auszuüben.
2.2 Übergang als unselbstständiges Gestaltungsrecht
Auch Gestaltungsrechte können gemäß § 401 BGB als Annex automatisch mit übergehen, wenn sie sich auf die übertragene Forderung beziehen, nicht das Rechtsverhältnis als Ganzes betreffen und bei Ausübung dessen Wesensgehalt nicht völlig umgestalten (Busche in Staudinger, BGB, § 401 Rn. 35; Roth in MüKo, BGB, § 401 Rn. 10; Rohe in BeckOK, BGB, § 401 Rn. 9; Stürner in Jauernig, BGB, § 401 Rn. 6). Das Ausschlagungsrecht ist ein Gestaltungsrecht. Es ist aber nicht nur auf den Vermächtnisanspruch allein bezogen, sondern ist ebenfalls Voraussetzung zur Geltendmachung eines eventuell vorhandenen Pflichtteilsanspruchs. Damit betrifft es das gesamte Rechtsverhältnis zwischen Vermächtnisnehmer und Erben. Ein automatischer Übergang hätte eine völlige Umgestaltung dessen zur Folge, da nicht nur der Vermächtnis- gegen den Pflichtteilsanspruch ausgetauscht werden könnte, sondern die dieser Disposition zugrunde liegende Entscheidungsgrundlage völlig anders wäre. Der Sozialhilfeträger hat keine persönlichen, mit der Stellung als pflichtteilsberechtigter Abkömmling verbundenen Motive, sondern lediglich „fiskalische“ (Mayer in Mayer/u.a., Handbuch Pflichtteilsrecht, § 3 Rn. 114, m.w.N.). Daher ist auch ein Übergang als Nebenrecht in Form eines Gestaltungsrechts nach § 401 BGB ausgeschlossen.
2.3 Anwendbarkeit des § 1952 Abs. 1 BGB auf das Vermächtnis
Gegen eine Überleitungsfähigkeit spricht ferner, dass § 2180 Abs. 3 BGB für die Ausschlagung eines Vermächtnisses uneingeschränkt auf § 1952 Abs. 1 BGB verweist. Für eine Differenzierung zwischen dem Ausschlagungsrecht des Erben und dem des Vermächtnisnehmers bleibt daher kein Raum. Das Ausschlagungsrecht des Erben ist nach einhelliger Meinung lediglich vererb- und nicht anderweitig übertragbar (Ivo in NomosKommentar, BGB, § 1952 Rn. 1; Leipold in MüKo, BGB, § 1952 Rn. 1; Edenhofer in Palandt, BGB, § 1952 Rn. 1). Dem steht auch nicht § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII entgegen, der die Überleitung von ansonsten nicht übertragbaren Ansprüchen zulässt, da es sich hier eben nicht um einen Anspruch, sondern um ein Gestaltungsrecht handelt (Litzenburger, ZEV 09, 278, 279).
2.4 Höchstpersönlichkeit des Ausschlagungsrechts
Zudem wird von der nach wie vor wohl herrschenden Meinung die Auffassung vertreten, einer Überleitungsfähigkeit stehe insbesondere die Tatsache entgegen, dass das Ausschlagungsrecht höchstpersönlicher Natur sei und somit nur dem Erben/Vermächtnisnehmer zustehe (OLG Hamm 16.7.09, 15 Wx 85/09, ZEV 09, 471; BGH 25.6.09, IX ZB 196/08, ZEV 09, 469; Edenhofer in Palandt, BGB, § 1952 Rn. 1, § 1945 Rn. 2; Haas in Staudinger, BGB, § 2317 Rn. 48b; Huber in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 46 Rn. 47; Mayer in Mayer/u.a., Handbuch Pflichtteilsrecht, § 3 Rn. 31; Schlüter in Erman, BGB, § 1945 Rn. 1; Siegmann/Höger in BeckOK, BGB, § 1942 Rn. 13). Das Argument van de Loos, die Höchstpersönlichkeit sei zu relativieren, da im Falle einer Betreuung der Betreuer das Ausschlagungsrecht auszuüben habe (ZEV 06, 475), greift nicht durch. Der Betreuer übt das Recht für den Betreuten aus, hat dabei aber ausschließlich in dessen Interesse zu handeln. Das Gestaltungsrecht verlässt mithin nicht den Rechtskreis des eigentlich Ausübungsberechtigten, anders, als wenn es nach Überleitung durch einen unbeteiligten Dritten ausgeübt würde.
3. Zusammenfassung und Ausblick
Im Ergebnis lehnt die nach wie vor wohl herrschende Meinung des Schrifttums eine Überleitungsfähigkeit des Ausschlagungsrechts ab. Lediglich van de Loo, der selbst auf seine Mindermeinung hinweist, tritt gegen diese Auffassung ein. Edenhofer scheint noch unschlüssig zu sein, zeigt aber leichte Zustimmung für die Auffassung von van de Loo (Edenhofer in Palandt, BGB, § 2307 Rn. 2). Die ersten Urteile der Zivilgerichte dürften zeitnah folgen.
Praxishinweis |
Rein vorsorglich sollte im Rahmen der Gestaltungspraxis beim Thema Behindertentestament Folgendes beachtet werden:
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