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  • · Fachbeitrag · Jahresabschlusserstellung

    Altersfreizeit-Rückstellung auf dem Prüfstand des BFH

    von Dipl. Finw. (FH) Thomas Rennar, Hannover

    | Das FG Köln hat mit Urteil vom 10.11.21 (12 K 2486/20) zur steuermindernden Bildung einer Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit aus sog. „Altersfreizeit“ geurteilt. Es bleibt spannend, ob der BFH das positive Urteil der Vorinstanz im anhängigen Revisionsverfahren (IV R 22/22) bestätigen wird. |

    1. Sachverhalt

    Den Arbeitnehmern der Klägerin stand nach dem einheitlichen Manteltarifvertrag zusätzlich bezahlte Freizeit von zwei Arbeitstagen je vollem Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit zu, soweit sie dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen zugehörig waren und das 60. Lebensjahr vollendet hatten.

     

    Die dem Arbeitnehmer zustehenden Freizeittage waren hierbei am Ende des laufenden Arbeitsverhältnisses und nur vor Eintritt in die gesetzliche Altersrente zu gewähren. Die Klägerin hatte daher eine entsprechende Rückstellung im Jahresabschluss als Passivposten angesetzt.

     

    Das FA führte für die Jahre 2013 bis 2016 eine steuerliche Betriebsprüfung bei der Klägerin durch. Nach Ansicht des FA sei eine solche Rückstellung nicht zu bilden und der Bilanzposten entsprechend aufzulösen, da die zu beachtenden Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nicht erfüllt seien. Insbesondere liege kein Erfüllungsrückstand seitens der Klägerin gegenüber ihren Arbeitnehmern vor, da diese keine Mehrleistungen erbracht hätten, wie beispielsweise in der Ansparphase im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung. Ein außergerichtlicher Rechtsbehelf verlief erfolglos.

    2. Entscheidungsgründe

    Die Klage vor dem FG Köln war erfolgreich.

     

    2.1 Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten

    2.1.1 Wertansatz dem Grunde nach

    Nach § 5 Abs. 1 EStG i. V. m. § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind als Ausdruck des handelsrechtlichen Grundsatzes ordnungsmäßiger Buchführung für ungewisse Verbindlichkeiten entsprechend Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Ein Bilanzausweis ist aber gerade dann geboten, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist (BFH 23.6.97, GrS 2/93, BStBl II 97, 735).

     

    Um eine Rückstellung gewinnmindernd berücksichtigen zu können, muss im Einzelnen danach zunächst eine ungewisse Verbindlichkeit vorliegen, also eine Verbindlichkeit, die dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewiss ist.

     

    Dies ist der Fall, wenn eine Verbindlichkeit dem Grunde nach besteht oder mit Wahrscheinlichkeit entstehen wird und hinsichtlich der Höhe dieser Verbindlichkeit Ungewissheit besteht. Die Inanspruchnahme aus der Verbindlichkeit muss wahrscheinlich sein (BFH 19.5.87, VIII R 327/83, BStBl II 87, 848; 8.7.92, XI R 50/89, BStBl II 92, 910, m. w. N.).

     

    2.1.1.1 Verpflichtung gegenüber einem anderen

    Im Streitfall ist eine Verbindlichkeit dem Grunde nach durch den von der Klägerin eingegangenen Manteltarifvertrag begründet worden.

     

    Dieser Tarifvertrag verpflichtete die Klägerin, die geschuldete Leistung gegenüber ihren Arbeitnehmern zu erfüllen. Dem steht nicht entgegen, dass diese Verpflichtung erst in der Zukunft zu erfüllen ist. Denn auch für eine erst in Zukunft entstehende Verbindlichkeit muss eine Rückstellung gebildet werden (BFH 10.8.72, VIII R 1/67, BStBl II 73, 9; 29.11.00, I R 31/00, BStBl II 04, 41).

     

    Da das Vorliegen dieser Voraussetzung zwischen den Beteiligten unstreitig ist, wird auf eine weitergehende Begründung an dieser Stelle verzichtet.

     

    2.1.1.2 Wirtschaftliche Verursachung

    Ebenfalls liegt eine wirtschaftliche Verursachung vor.

     

    Die Bildung der Rückstellung verlangt darüber hinaus, dass die ungewisse Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in der davor liegenden Zeit wirtschaftlich verursacht worden ist (siehe bereits BFH 20.1.83, IV R 168/81, BStBl II 83, 375).

     

    Bezogen auf ein laufendes Arbeitsverhältnis ist dieses Erfordernis erfüllt, wenn eine künftige Leistung des Arbeitgebers im Hinblick auf eine schon bewirkte Leistung des Arbeitnehmers geschuldet wird (BFH 29.11.00, I R 31/00, BStBl II 04, 41). Dies ist vom BFH auch für rechtsverbindlich zugesagte Zuwendungen aus Anlass eines Arbeitnehmerjubiläums angenommen worden (BFH 5.2.87, IV R 81/84, BStBl II 87, 845). Der BFH geht daher davon aus, dass die spätere Auszahlung der Zuwendung eine Gegenleistung des Arbeitgebers für eine bereits in zurückliegenden Jahren erbrachte Leistung des Arbeitnehmers darstellt. Soweit der Arbeitnehmer seine Leistung in der Vergangenheit erbracht habe, bestehe danach aufseiten des Arbeitgebers ein Erfüllungsrückstand, der die Bildung einer Rückstellung gebiete (BFH 29.11.00, I R 31/00, BStBl II 04, 41).

     

    2.1.1.3 Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

    Zudem ist mit einer Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme zu rechnen.

     

    Es ist zwar einzuräumen, dass der Anspruch auf Altersfreizeit noch von sich künftig realisierenden Bedingungen abhängig ist. Erst eine Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren und das Überschreiten der Altersgrenze von 60 Jahren lösen die Verpflichtung zur Gewährung der Altersfreizeit aus. Hat der Arbeitgeber aber schon Jahre zuvor Leistungen für den zeitlich nachfolgenden Eintritt dieser Voraussetzungen rechtsverbindlich zugesagt und ist die Zusage an die vergangene Dienstzeit und an die Betriebstreue des einzelnen Arbeitnehmers gebunden, liegen die Dinge anders.

     

    Unter solchen Umständen unterscheidet sich eine derartige Zusage nicht von einer sonstigen dienstzeitabhängigen Jubiläumsverpflichtung. Hier wie dort orientiert sich die Zuwendung an der bisherigen Betriebszugehörigkeit und verknüpft das zukünftige Ereignis mit den anteilig in der Vergangenheit erbrachten Diensten des einzelnen Arbeitnehmers (so zum Firmenjubiläum entsprechend BFH 29.11.00, I R 31/00, BStBl II 04, 41).

     

    2.1.1.4 Erfüllungsrückstand

    Ebenfalls liegt ein Erfüllungsrückstand vor.

     

    Ein Erfüllungsrückstand liegt regelmäßig vor, wenn der Verpflichtete sich mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner im Rückstand befindet, also weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte.

     

    Der BFH knüpft den Begriff des Erfüllungsrückstands herkömmlicherweise eng an den schuldrechtlich gebotenen Zeitpunkt der Erfüllung. Darüber hinaus hat er aber auch eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung genügen lassen, allerdings vorausgesetzt, mit der nach dem Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung wird nicht nur an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten (BFH 28.7.04, XI R 63/03, BStBl II 06, 866).

     

    Wann eine vertragliche Verpflichtung erfüllt ist, bestimmt sich seither auch bei Dauerschuldverhältnissen nicht mehr entscheidend nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, sondern nach dem wirtschaftlichen Gehalt der geschuldeten (Sach-)Leistung. Erfüllungsrückstand setzt hierbei nicht die Fälligkeit der vertraglich noch geschuldeten Leistung zum Bilanzstichtag voraus (BFH 9.12.09, X R 41/07, BFH/NV 10, 860).

     

    2.1.2 Wertansatz der Höhe nach

    Die Klägerin hat auch etwaige Berechnungsgrundlagen zur Bestimmung der Höhe nach vorgelegt.

     

    Die Berechnung selbst wie auch die Höhe der Rückstellung sind nicht bestritten worden. In der Berechnung sind alle Arbeitnehmer namentlich und nach Betriebszugehörigkeit und Dienstalter aufgeführt. Im Rahmen der Berechnung der Rückstellungshöhe hat die Klägerin sowohl eine Abzinsung berücksichtigt als auch einen Faktor für Fluktuation einbezogen (siehe zu den Anforderungen an die Rückstellungshöhe bereits BFH 7.7.83, IV R 47/80, BStBl II 83, 753). Die Höhe der Rückstellung begegnet danach keinen Bedenken. Die Klägerin war nach alledem berechtigt, in ihrer Steuerbilanz eine Rückstellung gewinnmindernd anzusetzen.

     

    2.2 Kein steuerliches Ansatzverbot

    Letztlich steht auch § 5 Abs. 4 EStG der Bildung einer Rückstellung nicht entgegen.

     

    Diese Regelung bezieht sich lediglich auf Rückstellungen im Zusammenhang mit einem Dienstjubiläum. Der BFH hat klargestellt, dass der Grundsatz, dass der die Verpflichtung auslösende Tatbestand bereits vor dem Bilanzstichtag erfüllt worden sein muss, gerade dann nicht gilt, wenn die Voraussetzungen für die Verpflichtung kontinuierlich, insbesondere im Zeitablauf geschaffen werden (so explizit BFH 5.2.87, IV R 81/84, BStBl II 87, 845).

     

    In einem solchen Fall müsse auch die Rückstellung kontinuierlich gebildet werden, und zwar zeitanteilig nach der erbrachten Arbeitsleistung. Für den Fall einer Jubiläumsrückstellung hänge die Rückstellung nämlich unter anderem davon ab, wie viele Jahre die Arbeitnehmer dem Betrieb bereits angehört hätten. Insoweit unterscheide sich die Rückstellung darin nicht von einer Rückstellung für eine Pensionsanwartschaft des Arbeitnehmers. Eine solche Anwartschaft hätten dann auch die Arbeitnehmer erlangt, wenn ihr Anspruch aus der Zusage von der weiteren Betriebszugehörigkeit abhinge und sich dieser Tatbestand im Zeitablauf verwirkliche.

     

    MERKE | Zur Arbeitsfreistellung und etwaigen Rückstellungen für Verpflichtungen zur Gewährung von Vergütungen für die Zeit der Arbeitsfreistellung vor Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis und Jahreszusatzleistungen im Jahr des Eintritts des Versorgungsfalls siehe grundlegend BMF 28.3.07, BStBl I 07, 297.

     

    3. Relevanz für die Praxis

    Der BFH hat zumindest bereits mit Urteil vom 30.11.05 (BStBl II 07, 251) entschieden, dass Verpflichtungen, welche prozentuale Zahlungen nach dem bisherigen Arbeitsentgelt in der Freistellungsphase im Rahmen einer Vereinbarung über Altersteilzeit nach dem Altersteilzeitgesetz (AltTZG) vorsehen, zu einer ratierlich anzusammelnden Rückstellung in der Beschäftigungsphase führen können.

     

    Demnach sind Altersteilzeitvereinbarungen, wonach der Arbeitnehmer in der ersten Hälfte der Altersteilzeit (Beschäftigungsphase) eine geringere laufende Vergütung einschließlich der hierauf entfallenden Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Rentenversicherung und der sog. Aufstockungsbeträge erhält, als es seiner geleisteten Arbeit entspricht und er in der zweiten Hälfte der Altersteilzeit (Freistellungsphase) bei Fortzahlung der Vergütungen entsprechend der in der ersten Hälfte vereinbarten Höhe vollständig von der Arbeit freigestellt wird, in der steuerlichen Gewinnermittlung zu berücksichtigen.

     

    Für die Verpflichtungen aus vertraglichen Altersteilzeitvereinbarungen, in der Freistellungsphase weiterhin laufende Vergütungen zu zahlen, sind demnach erstmals am Ende des Wirtschaftsjahres, in dem die Altersteilzeit (Beschäftigungsphase) beginnt, Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren.

     

    Bemessungsgrundlage sind insoweit die gesamten in der Freistellungsphase zu gewährenden Vergütungen einschließlich der zu erbringenden Aufstockungsbeträge sowie sonstige Nebenleistungen (BMF 28.3.07, BStBl I 07, 297; 11.3.08, BStBl I 08, 496 mit zeitlicher Anwendung).

     

    Nachfolgend hat der BFH mit Urteil vom 27.9.17 (BStBl II 18, 702) entschieden, dass für den sog. Nachteilsausgleich bei Altersteilzeitregelungen mangels wirtschaftlicher Verursachung hingegen keine Rückstellungen passiviert werden dürfen. Nach Ansicht des BFH ist der tatsächliche Eintritt der Rentenkürzung wesentliche Tatbestandsvoraussetzung für die Entstehung des Abfindungsanspruchs. Die Entscheidung des BFH stand daher im Widerspruch zu Rn. 15 des BMF (28.3.07, BStBl I 07, 297), wonach auch für den Nachteilsausgleich im Zusammenhang mit einer Minderung der Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine ratierlich anzusammelnde Rückstellung gebildet werden kann.

     

    Verpflichtet sich daher der Arbeitgeber, in der Freistellungsphase oder nach dem Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses einen zusätzlichen Ausgleichsbetrag zu zahlen (sog. Nachteilsausgleich, z. B. für finanzielle Nachteile im Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung der beruflichen Tätigkeit), ist es nicht zu beanstanden, diese Verpflichtung erstmals am Ende des Wirtschaftsjahrs, in dem die Beschäftigungsphase beginnt, mit dem versicherungsmathematischen Barwert nach § 6 EStG unter Zugrundelegung eines Zinssatzes zurückzustellen und bis zum Ende der Beschäftigungsphase ratierlich anzusammeln.

     

    Für Nachteilsausgleichsverpflichtungen, die den Eintritt eines bestimmten Ereignisses voraussetzen, dürfen hingegen keine Rückstellungen mehr passiviert werden. Das gilt auch dann, wenn am Bilanzstichtag der Eintritt des Ereignisses wahrscheinlich ist (BMF 22.10.18, BStBl I 18, 1112). Ob somit auch Betriebe, die ihren Mitarbeitern noch zusätzlich freie Arbeitstage in Form von Altersfreizeit (außerhalb regulärer Altersteilzeit nach dem AltTZG) gewähren, hierfür ebenfalls eine steuermindernde Rückstellung bilden können, bleibt in der aus dem Streitfall resultierenden Revision abschließend höchstrichterlich zu klären (FG Köln 10.11.21, 12 K 2486/20; Revision anhängig unter BFH IV R 22/22).

     

    Weiterführende Hinweise

    • „Altersteilzeitvereinbarungen sind in der Bilanz zu berücksichtigen“, BBP 08, 112
    • „Sind Rückstellungen für das Tätigkeits- und Betretungsverbot für Ungeimpfte zu bilden?“ BBP 22, 108; Abruf-Nr. 48025442
    • „Zulässigkeit von Anschlussprüfungen und mögliche Rückstellungen für Kosten künftiger Prüfungen“, BBP 22, 92; Abruf-Nr. 47976554
    Quelle: Ausgabe 01 / 2023 | Seite 9 | ID 48775445

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