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  • · Fachbeitrag · Arzneimittelversorgung

    Neuer Vertriebsweg für Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie

    von Apothekerin Anja Hapka, Essen

    | Hämophilie ist eine Erbkrankheit, bei der die Blutgerinnung gestört ist. Sie wird dadurch behandelt, dass man die im Blut fehlenden Gerinnungsfaktoren in konzentrierter Form durch Spritzen verabreicht ‒ Faktor VIII bei Hämophilie A und Faktor IX bei Hämophilie B. Aufgrund des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) darf die Versorgung der betroffenen Patienten mit diesen sogenannten Faktorpräparaten seit dem 01.09.2020 nur noch über Apotheken erfolgen. AH erläutert die Details dieser Regelung. |

    Abgabe der Faktorpräparate an Patienten in der Apotheke

    Nicht nur hämostaseologisch qualifizierte Ärzte dürfen Verordnungen über Faktorpräparate ausstellen, sondern z. B. auch der Hausarzt. So ist es im GSAV festgelegt. Die Verordnung erfolgt auf einem einfachen Muster 16-Rezept zulasten des entsprechenden Kostenträgers. Die Preisbildung ergibt sich regulär aus der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Die Preise sind seit dem 01.09.2020 in der Apothekensoftware hinterlegt und ersetzen dahin gehend alle bisherigen vertraglichen Regelungen.

     

    Abgaberangfolge und pharmazeutische Bedenken

    Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie stehen nicht auf der Substitutionsausschlussliste. Sollten rabattbegünstigte bzw. preisgünstige Fertigarzneimittel oder preisgünstige Importarzneimittel zur Verfügung stehen, müssen diese gemäß § 11 ff. Rahmenvertrag nach § 129 Sozialgesetzbuch (SGB) V bevorzugt abgegeben werden. Pharmazeutische Bedenken können wie üblich durch das Sonderkennzeichen 02567024 und die Angabe der entsprechenden Codierungsziffer geltend gemacht werden. Auf dem Rezept müssen zusätzlich noch die Begründung für die pharmazeutischen Bedenken, das Datum und das Kürzel der bearbeitenden Person stehen.

     

    Abgabe nach der Packungsgrößenverordnung

    In der Packungsgrößenverordnung (PackungsV) finden sich die Faktorpräparate in Abschnitt 4 (abgeteilte Darreichungsformen zur Infusion oder Injektion) unter dem Eintrag „Enzyminhibitoren“ mit N1 = 1, N2 = 5 und N3 = 20 bzw. unter dem Eintrag „Antihämorrhagika2)“ allgemein mit N1 = 1, N2 = 5 und N3 = 30 und speziell für den Wirkstoff Emicizumab mit N1 = 2, N2 = 4 und N3 = 12 wieder. Die hochgestellte 2) hinter dem Begriff Antihämorrhagika weist darauf hin, dass die Möglichkeit der Zusammenstellung gemäß § 3 PackungsV besteht. In § 3 PackungsV heißt es u. a., dass Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie, soweit sie nach § 5 entsprechend gekennzeichnet sind, aufgrund einer ärztlichen Verordnung im Rahmen der Messzahlen zusammengestellt werden können. Die Abgabe dieser Packungen gilt im Sinne dieser Verordnung als Abgabe einer Einzelpackung.

     

    Beachten Sie | Bei Arzneimitteln zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie dürfen also nicht normgerechte Packungsgrößen, die sich im Handel befinden, zu normgrößengerechten Packungen gemäß PackungsV zusammengestellt werden, damit der Patient nur einmal die gesetzliche Zuzahlung leisten muss.

     

    • Beispiele
    • Verordnet der Arzt 5 x 1 St. Berinert® PZN 09390296, so kommt der Eintrag =„Enzyminhibitoren“ der PackungsV zum Tragen. Die Packungen dürfen gemäß § 3 PackungsV zu fünf Stück zusammengezogen werden. Mit fünf Stück ist die Messzahl des N2-Bereichs erreicht. Der Patient zahlt nur eine Zuzahlung in Höhe von zehn Euro anstatt fünf Zuzahlungen zu je zehn Euro und hat somit 40 Euro gespart.

     

    • Rezeptiert der Arzt 4 x 1 St. Novoseven® PZN 06062930, so gilt der allgemeine Eintrag unter „Antihämorrhagika“. Die Packungen werden zu vier Stück zusammengezogen, dies erreicht jedoch nicht die Messzahl des N2-Bereichs. Daher muss dieser Patient leider viermal zehn Euro zuzahlen.

     

    • Verordnet der Arzt 12 x 1 St. Hemlibra® PZN 12892736, handelt es sich um den Wirkstoff Emicizumab. Die Packungen werden zu zwölf Stück zusammengezogen und erreichen in diesem Fall die Messzahl des entsprechenden N3-Bereichs. Daher zahlt auch dieser Patient nur einmal die Zuzahlung in Höhe von zehn Euro.
     

    Auch bei den Faktorpräparaten dürfen keine sogenannten Jumbopackungen abgegeben werden, d. h., es darf keine Zusammenfassung oberhalb des N3-Bereichs erfolgen. Daher sollte der Arzt i. d. R. auch nicht mehr verordnen als es die Messzahl des N3-Bereichs vorgibt. Ist jedoch eine solche Verordnung therapeutisch unumgänglich, muss der Arzt diese Verordnung auf zwei Zeilen aufteilen, sodass sie z. B. einer Messzahl N2 und einer Messzahl N3 entspricht.

    Abgabe der Faktorpräparate an ärztliche Einrichtungen

    In § 11 Abs. 1 Apothekengesetz (ApoG) ist festgelegt, dass Apotheken mit Ärzten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen dürfen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel zum Gegenstand haben. Der neue § 11 Abs. 2a ApoG regelt jedoch die Ausnahme, dass abweichend von Abs. 1 Absprachen und Vereinbarungen mit einer ärztlichen Einrichtung, die auf die Behandlung von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie spezialisiert ist,

    • zur Organisation des Notfallvorrats nach § 43 Abs. 3a Arzneimittelgesetz (AMG) sowie
    • zur unmittelbaren Abgabe der Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie an den anwendenden Arzt

    zulässig sind.

     

    Die Organisation des Notfallvorrats kann auch durch eine Krankenhausapotheke sichergestellt werden. In diesem Fall darf die Krankenhausapotheke Faktorpräparate im Rahmen der Notfallversorgung auch an Patienten oder Einrichtungen der Krankenversorgung abgeben. Diese spezialisierten ärztlichen Einrichtungen dürfen ihren Notfallvorrat seit dem 01.09.2020 ebenfalls nur noch über Apotheken beziehen. Aus § 43 Abs. 3a AMG ergeben sich allerdings keine weiteren Verpflichtungen der Apotheke der Einrichtung gegenüber, wie z. B. eine regelmäßige Kontrolle der gelieferten Arzneimittel oder die Bereitstellung von Mobiliar oder Ausrüstung.

     

    Ärzte dürfen Faktorpräparate seit dem 01.09.2020 nur noch im Rahmen einer Notfallversorgung aus einem in ihren Räumlichkeiten bereitgehaltenen Notfallvorrat an Patienten abgeben. Die Vergütung der Apotheke erfolgt in solchen Fällen durch die belieferte ärztliche Einrichtung. Eine Abrechnung über den Kostenträger des Versicherten scheidet aus, weil es sich bei einer derartigen Notfallversorgung nicht um eine Abgabe des Arzneimittels von der Apotheke an den Versicherten direkt handelt.

     

    Bei der Abgabe von Faktorpräparaten durch eine Apotheke an eine ärztliche Einrichtung gilt seit dem 01.09.020 ebenfalls § 3 AMPreisV (Apothekenzuschläge für Fertigarzneimittel). Für die Abgabe durch Apotheken an Krankenhäuser gilt jedoch nach wie vor die Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AMPreisV: Ausgenommen sind die Preisspannen und Preise der Apotheken, wenn es sich um eine Abgabe an Krankenhäuser und diesen nach § 14 Abs. 8 S. 2 ApoG gleichgestellte Einrichtungen sowie an Justizvollzugsanstalten und Jugendarrestanstalten handelt.

    Dokumentation gemäß Transfusionsgesetz (TFG)

    Die Dokumentation von Arzneimitteln, die unter das TFG fallen, ist in § 17 Abs. 6a Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) geregelt. Zum Zwecke der Rückverfolgbarkeit sind beim Erwerb und bei der Abgabe von Faktorpräparaten demnach die folgenden Angaben aufzuzeichnen:

     

    • Bezeichnung des Arzneimittels
    • Chargenbezeichnung und die Menge des Arzneimittels
    • Datum des Erwerbs und der Abgabe
    • Name und Anschrift des verschreibenden Arztes sowie Name oder Firma und Anschrift des Lieferanten
    • Name, Vorname, Geburtsdatum und Adresse des Patienten oder bei der für die Arztpraxis bestimmten Abgabe der Name und die Anschrift des verschreibenden Arztes

     

    Nach § 22 Abs. 4 ApBetrO müssen diese Daten 30 Jahre lang aufbewahrt werden. Seit dem 16.08.2019 müssen die folgenden Daten entweder schriftlich oder elektronisch zusätzlich an den verschreibenden Arzt gemeldet werden:

     

    • Bezeichnung des Arzneimittels
    • Chargenbezeichnung und die Menge des Arzneimittels
    • Datum der Abgabe
    • Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort des Patienten

     

    Der Arzt besitzt wiederum eine Meldepflicht an das Hämophilieregister.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2020 | Seite 12 | ID 46898768