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  • · Fachbeitrag · Arbeitsrecht

    „Whistleblowing“: EGMR stärkt Arbeitnehmerrechte

    | Auch beim sogenannten „Whistleblowing“ (= Offenlegung von Missständen in Unternehmen/Institutionen durch einen Arbeitnehmer gegenüber staatlichen oder anderen Stellen) ist eine Kündigung des Arbeitnehmers wegen illoyalen Verhaltens nicht immer gerechtfertigt. Vielmehr ist das öffentliche Interesse an einer Kenntnis etwaiger Mängel im Unternehmen gegenüber den Interessen des Unternehmens abzuwägen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte [EGMR], Urteil vom 21.7.2011, Az: 28274/08 , Abruf-Nr: 112572 ). |

     

    In dem Fall hatte eine Altenpflegerin gegen ihren Arbeitgeber, ein Alten- und Pflegeheim, Strafanzeige wegen Betrugs erstattet. Zur Begründung führte sie aus, dass die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen wegen Personalmangels, Hygienemängeln und unzureichender Pflegedokumentation des Heimes keine angemessene Gegenleistung für die von ihnen getragenen Kosten erhielten. Auf mehrfache innerbetriebliche Hinweise und Beschwerden der Altenpflegerin und Rügen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) hatte die Geschäftsleitung nicht reagiert. Als der Arbeitgeber aber von der Strafanzeige erfuhr, kündigte er der Altenpflegerin fristlos.

     

    Der EGMR machte in seiner Begründung deutlich, dass Whistleblowing auch zukünftig eine fristlose Kündigung nach sich ziehen kann. Arbeitnehmer können sich daher nicht ohne Weiteres auf diese Entscheidung berufen. Dreh- und Angelpunkt ist allerdings das „öffentliche Interesse“. Und damit wird das Urteil gerade auch für alle Leistungserbringer des Gesundheitswesens von Bedeutung sein, da ihre Leistungen für die Allgemeinheit von herausragender Bedeutung sind. Insofern ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Interesse der Öffentlichkeit an Mängeln in der medizinischen Leistungserbringung höher einstufen werden als das Interesse der Praxisinhaber, Krankenhausträger etc. am Schutz ihres Rufes und ihrer geschäftlichen Interessen. Einem Arbeitnehmer im Gesundheitswesen, der bestehende Missstände nach außen trägt, dürfte demnach ebenfalls nicht einfach so gekündigt werden können.

    (mitgeteilt von RA Nico Gottwald, Ratajczak & Partner, Sindelfingen, www.rpmed.de)

    Quelle: Ausgabe 10 / 2011 | Seite 1 | ID 29345720