Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 19.07.2010 · IWW-Abrufnummer 102235

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 14.04.2010 – 12 K 12047/09

    Wird für ein handschriftlich, zeitnah und geschlossen geführtes Fahrtenbuch nachträglich unter Ergänzung einzelner Angaben ein Computerausdruck gefertigt, ohne dass Manipulationsmöglichkeiten hinsichtlich der gefahrenen Kilometer bzw. maßgebliche Einschränkungen bei der Überprüfbarkeit der Angaben bestehen, ist das Fahrtenbuch geeignet, den privaten Nutzungsanteil eines betrieblichen Fahrzeugs anders als nach der 1 %-Methode zu ermitteln.


    Tatbestand:
    Die Beteiligten streiten über die Höhe des für das Streitjahr anzusetzenden Nutzungswertes für ein betriebliches Fahrzeug.

    Die Klägerin meldete mit der Lohnsteueranmeldung März 2007 negative Lohnsteuerabzugsbeträge in Höhe von insgesamt EUR 162,12 an. Zur Begründung führte sie aus, dass dies eine Folge einer berichtigten Lohn- und Gehaltsabrechnung für den Gesellschafter-Geschäftsführer … für den Zeitraum Januar 2006 bis Februar 2007 sei. Sie, die Klägerin, habe die private Nutzung des betrieblichen Fahrzeugs, eines Peugeot 407 mit dem Kennzeichen …, nach der sogenannten 1 %-Methode versteuert, obwohl der Gesellschafter-Geschäftsführer ein Fahrtenbuch geführt habe und der Privatanteil somit nach der individuellen Methode ermittelt werden könne. Die Klägerin legte auf Aufforderung des Beklagten die Fahrtenbücher vor. Sie weisen neben dem jeweiligen Datum zumeist Ortsangaben (z.B. „F – …straße – F”, „F – …straße – F”), gelegentlich auch die Namen von Kunden (z.B. „F – XY – F”, „Firma – Z – F”) oder Angaben zum Zweck der Fahrt (z.B. „F – Tanken – F”) auf, außerdem den Kilometerstand des Fahrzeugs nach Beendigung der Fahrt und die jeweils gefahrenen Tageskilometer aus. Zur Ergänzung legte die Klägerin eine nachträglich per Computer gefertigte Aufstellung vor, aus der sich das Datum, der Standort des Fahrzeuges zu Beginn der Fahrt (in aller Regel „Firma”), der Kilometerstand zu Beginn der Fahrt, der Grund der Fahrt (z.B. „Fr. … Problem Therme”, „Fr. … Problem DE”, „Essen m. Hr. …”), der Fahrer (in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle der Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin), das Ziel der Fahrt und eine Nr., die die Fahrroute bezeichnen soll, ergeben. Die Fahrtrouten sind am Ende der Liste aufgeführt. Die Fahrtziele stimmen mit den in dem Fahrtenbuch ausgewiesenen Ortsangaben überein. Die Angaben, die sich in der Computeraufstellung finden, entnahm der Geschäftsführer der Klägerin seinem handschriftlich geführten Tageskalender.

    Der Beklagte erkannte das Fahrtenbuch nicht an, versagte die Zustimmung zu der Lohnsteueranmeldung für März 2007 und setzte die Lohnsteuerabzugsbeträge für die Monate März bis September 2007 mit dem hier angefochtenen Bescheid unter Anwendung der 1 %-Methode fest. Der Einspruch der Klägerin dagegen hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 05. Februar 2009).

    Während des Klageverfahrens hat die Klägerin eingeräumt, dass die vom Beklagten bemängelten Fahrten mit den Ortsangaben „Friedhof” und „W.” den privat veranlassten Fahrten zuzuordnen sind (vgl. Klageschrift vom 06. März 2009, S. 4, unter V.).

    Die Klägerin beantragt,

    den Feststellungsbescheid vom 21. November 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05. Februar 2009 aufzuheben und den geldwerten Vorteil aus der Nutzung des betrieblichen Fahrzeugs durch den Gesellschafter-Geschäftsführer individuell nach den entstandenen Kosten zu ermitteln

    sowie

    die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass weder eine Manipulationsmöglichkeit im Hinblick auf die jeweils gefahrenen Kilometer naheliegend sei noch die Überprüfbarkeit der Angaben der Klägerin durch die Kombination von handschriftlich geführtem Fahrtenbuch und Computerausdruck maßgeblich erschwert worden sei, meint aber, dass das vorgelegte Fahrtenbuch nach den gefestigten Grundsätzen der Rechtsprechung nicht hinreiche, um den Nutzungswert des betrieblichen Fahrzeugs anders als nach der 1 %-Methode zu ermitteln.

    Auf die gewechselten Schriftsätze und die eingereichten Unterlagen nimmt der Senat ergänzend Bezug.



    Entscheidungsgründe:
    1. Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Nutzungswert des betrieblich genutzten Fahrzeugs ist nach den individuell entstandenen Kosten zu ermitteln, wobei neben den bislang als privat veranlasst angesehenen Fahrten auch die Fahrten mit den Zielen „Friedhof” und „W.” nicht zu den betrieblich veranlassten Fahrten zählen.

    a) Die unentgeltliche oder verbilligte Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit zu einem nach § 19 Abs. 1 S. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erfassenden Lohnzufluss (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 06. November 2001 – VI R 62/96, BStBl. II 2002, 370 und vom 07. November 2006 – VI R 95/04, BFH/NV 2007, 329). Ist wegen der Befugnis, ein betriebliches Fahrzeug auch privat zu nutzen, ein geldwerter Vorteil anzusetzen, so ist dessen Höhe gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG nach der 1 %-Methode zu bewerten, sofern nicht das Verhältnis der privaten Fahrten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen wird.

    Der Begriff des ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Durch die Rechtsprechung des BFH sind jedoch die Voraussetzungen, die an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch zu stellen sind, im Grundsatz geklärt. Ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch muss zeitnah und in geschlossener Form geführt werden. Die zu erfassenden Fahrten einschließlich des an ihrem Ende erreichten Gesamtkilometerstandes müssen im Fahrtenbuch vollständig und in ihrem fortlaufenden Zusammenhang wiedergegeben werden. Dabei ist jede einzelne berufliche Verwendung grundsätzlich für sich und mit dem bei Abschluss der Fahrt erreichten Gesamtkilometerstand des Fahrzeugs aufzuzeichnen. Besteht eine einheitliche berufliche Reise aus mehreren Teilabschnitten, so können diese Abschnitte miteinander zu einer zusammenfassenden Eintragung verbunden werden. Es genügt dann die Aufzeichnung des am Ende der gesamten Reise erreichten Gesamtkilometerstands, wenn zugleich die einzelnen Kunden oder Geschäftspartner im Fahrtenbuch in der zeitlichen Reihenfolge aufgeführt werden, in der sie aufgesucht worden sind. Wird andererseits der berufliche Einsatz des Fahrzeugs zugunsten einer privaten Verwendung unterbrochen, so stellt diese Nutzungsänderung wegen der damit verbundenen unterschiedlichen steuerlichen Rechtsfolgen einen Einschnitt dar, der im Fahrtenbuch durch Angabe des bei Abschluss der beruflichen Fahrt erreichten Kilometerstands zu dokumentieren ist. Die Aufzeichnungen im Fahrtenbuch müssen außerdem eine hinreichende Gewähr für ihre Vollständigkeit und Richtigkeit bieten. Sie müssen mit vertretbarem Aufwand auf ihre materielle Richtigkeit hin überprüfbar sein. Weisen die Fahrtenbücher inhaltliche Unregelmäßigkeiten auf, kann dies die materielle Richtigkeit der Kilometerangaben in Frage stellen. Ebenso wie eine Buchführung trotz einiger formeller Mängel aufgrund der Gesamtbewertung noch als formell ordnungsgemäß erscheinen kann, führen jedoch auch kleinere Mängel nicht zur Verwerfung des Fahrtenbuchs und Anwendung der 1 %-Regelung, wenn die Angaben insgesamt plausibel sind. Maßgeblich ist, ob trotz der Mängel noch eine hinreichende Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben gegeben und der Nachweis des zu versteuernden Privatanteils an der Gesamtfahrleistung des Dienstwagens möglich ist (zum Ganzen BFH-Urteil vom 10. April 2008 – VI R 38/06, BStBl 2008 II S. 768 unter II.1. der Gründe m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2008 – VIII B 203/07, juris).

    Der Senat versteht diese Voraussetzungen so, dass ein Fahrtenbuch grundsätzlich dann anzuerkennen ist, wenn einerseits eine nachträgliche Manipulationsmöglichkeit hinsichtlich der gefahrenen Kilometer ausgeschlossen ist – daher das Erfordernis einer zeitnahen und geschlossenen Führung des Fahrtenbuches – und andererseits die Finanzbehörde in der Lage ist, die Angaben des Fahrtenbuches ohne unzumutbaren Aufwand zu prüfen.

    b) Bei dieser Interpretation der von der Rechtsprechung des BFH aufgestellten Maßstäbe reicht das von der Klägerin vorgelegte Fahrtenbuch in Form einer Kombination aus handschriftlich in einem geschlossenen Buch eingetragenen Daten und zusätzlichen, per Computerdatei erstellten Erläuterungen – noch – aus, um den durch die Nutzung des betrieblichen Fahrzeugs anzusetzenden geldwerten Vorteil individuell und nicht nach der 1 %-Methode zu berechnen.

    Bei den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ist eine nachträgliche Manipulation hinsichtlich der gefahrenen Kilometer ausgeschlossen, denn die Grundaufzeichnungen im handschriftlich geführten Fahrtenbuch sind zeitnah vorgenommen worden und weisen keine Lücken auf. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die zusätzlichen Angaben in der Computerdatei weder zeitnah geführt wurden noch in geschlossener Form vorliegen. Diese Angaben sind nämlich nur im Zusammenhang mit dem zeitnah und vollständig geführten Fahrtenbuch überhaupt verwendbar; sie dürfen daher nach Auffassung des erkennenden Senats nicht isoliert, sondern nur zusammen mit diesem gesehen werden. Insofern unterscheidet sich der Sachverhalt, über den der Senat zu entscheiden hat, von demjenigen, der der Entscheidung des BFH vom 16. November 2005 (VI R 64/04, BStBl. II 2006, 410) zugrunde lag. Im Übrigen hat der Geschäftsführer der Klägerin die entsprechenden Angaben aus seinem – ersichtlich zeitnah geführten – Tageskalender übernommen. Die Übertragung in eine andere Darstellungsform – die erforderlich war, weil dem Beklagten nicht zuzumuten war, die Angaben selbst dem Tageskalender zu entnehmen – kann nicht dazu führen, dass die ursprüngliche Zeitnähe der Eintragungen verloren geht.

    Die von der Klägerin gemachten Angaben waren für den Beklagten auch ohne unzumutbaren Aufwand überprüfbar. Sofern die Angaben in dem handschriftlich geführten Fahrtenbuch sich – wie zumeist – auf die Adresse der betrieblich veranlassten Fahrt beschränken, lassen sich die weiteren Umstände der jeweiligen Fahrt zuverlässig durch einen Blick in die ausgedruckten ergänzenden Erläuterungen bestimmen.

    Sofern die Kombination aus geschlossenem Fahrtenbuch und erläuternder Liste kleine Ungenauigkeiten enthält, wie z.B. die Bezeichnung „…” als Fahrtziel, hält der Senat dies nicht für so gravierend, als dass dadurch das Fahrtenbuch als Ganzes verworfen werden könnte. Insbesondere die von dem Beklagten bemängelten Positionen, die mit Fragezeichen gekennzeichnet sind, korrespondieren nach dem glaubhaften Vortrag der Klägerin mit Werkstattaufenthalten des Fahrzeugs, so dass davon auszugehen ist, dass die entsprechenden Kilometer auf Probefahrten des Werkstattpersonals zurückzuführen sind.

    2. Die Revision zum Bundesfinanzhof war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil die Frage, ob ein Fahrtenbuch, das aus einer Kombination von handschriftlich geführten Aufzeichnungen in geschlossener Form mit nachträglich gefertigten Ergänzungen in einer Computerdatei besteht, geeignet ist, um eine von der 1 %-Methode abweichende Ermittlung des privaten Nutzungsanteils eines betrieblichen Fahrzeugs zu rechtfertigen, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung – ZPO –. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war für notwendig zu erklären, da die Sach- und Rechtslage nicht so einfach war, dass die Klägerin sich selbst hätte vertreten können.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG 2002 § 8 Abs. 2 S. 3 EStG 2002 § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 3 EStG 2002 § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1