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  • 27.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140639

    Sozialgericht Koblenz: Urteil vom 07.01.2014 – S 13 KR 379/13

    "aut idem" vor Rabattvertrag bei detaillierter Verordnung des Arztes

    Hat der verordnende Vertragsarzt die Verordnung nach Produktname, Hersteller und Pharmakontrollnummer konkretisiert und das "aut idem"- Feld angekreuzt, hat der Apotheker auch bei anderweitiger Rabattvereinbarung das verordnete Medikament an den Versicherten auszugeben


    S 13 KR 379/13

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12,35 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2013 aufgrund der Verordnung des Dr. med. M vom 21.03.2012 zu zahlen.

    2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    3. Der Streitwert wird auf 12,35 € festgesetzt.

    4. Die Sprungrevision wird zugelassen.

    Tatbestand:

    Zwischen den Beteiligten ist eine von der Beklagten vorgenommene Retaxierung streitig.

    Der Kläger betreibt die " apotheke" in D . Am 22.03.2012 gab er aufgrund einer Verordnung des Dr. med. M M vom 21.03.2012 an die bei der Beklagten versicherte Frau G W das Medikament „Atacand Plus 16/12.5 mg kohlphTAB 98 ST N3“, ein blutdrucksenkendes Präparat, ab. Der verordnende Arzt hatte auf der Verordnung das sog. "aut idem"-Feld angekreuzt. Bei dem Arzneimittel handelt es sich um ein Importarzneimittel; auf der Verord­nung war neben dem Medikament und dem Hersteller auch die Pharmakontroll­nummer (PZN: 4152876) angegeben. Zum Zeitpunkt der Abgabe nutzte der Kläger die Apothekensoftware "S3000" der Apotheken Dienstleistungsgesellschaft mbH. Diese zeigte dem Kläger auf seine Abfrage hin an, dass das verordnete Medikament preisgünstiger sei als das Originalpräparat "Atacand Plus" der AstraZeneca GmbH. Die Software wies weiter darauf hin, dass mit dem Original­hersteller eine Rabattvereinbarung bestünde.

    Der Kläger machte bei der Beklagten für den oben beschriebenen Vorgang sodann einen Betrag in Höhe von 102,77 € geltend; dieser wurde zunächst voll­ständig beglichen. Unter dem 08.10.2012 wandte sich sodann jedoch das Abrech­nungszentrum E an den Kläger und teilte diesem mit, dass eine Retaxierung in Höhe von 12,35 € vorgenommen worden sei. Der Kläger habe den bestehenden Rabattvertrag nicht beachtet; er habe fälschlich nicht das günstigste Präparat abgegeben, obwohl hier das Merkmal der Austauschbarkeit erfüllt gewe­sen sei. Das rabattierte Arzneimittel liege 12,35 € unter dem vom Kläger ausgege­benen Importarzneimittel.

    Der Kläger legte mit Schreiben vom 20.11.2012 Einspruch gegen die vorgenom­mene Retaxierung ein. Dabei teilte er dem Abrechnungszentrum mit, dass er auf­grund des angekreuzten "aut idem"-Feldes nur das auch tatsächlich angegebene Präparat habe abgeben dürfen, dies unabhängig von etwaigen Rabattverträgen. Das ergebe sich so auch aus § 4 des bestehenden Rahmenvertrages, der einen Austausch des Arzneimittels nur dann vorsehe, wenn lediglich ein Wirkstoff ver­ordnet worden sei oder eben das "aut idem"-Feld nicht angekreuzt worden sei. Das Abrechnungszentrum E stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass der Rahmenvertrag eine Änderung erfahren habe, aufgrund derer eine Ersetzung des Arzneimittels auch dann möglich sei, wenn das "aut idem"-Feld vom verordnenden Arzt angekreuzt worden sei.



    Der Kläger wiederholte seinen Einspruch sodann mit Schreiben vom 08.01.2013 gegenüber der Beklagten. Auch diese blieb jedoch bei der Beanstandung und rechnete den Betrag von 12,35 € im Abrechnungsmonat Dezember 2012 mit wei­teren Forderungen des Klägers auf.

    Mit seiner am 19.06.2013 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die von der Beklagten vorgenommene Retaxierung sei rechtswidrig. Der Zahlungsanspruch des Klägers folge bereits aus § 3 Abs. 1 und 2 des zwischen den Beteiligten bestehenden Rahmenvertrages. Eine ordnungsgemäße Verord­nung liege vor; der Kläger habe bei der Abgabe des streitgegenständlichen Arz­neimittels weder gegen gesetzliche Vorschriften noch gegen vertragliche Verein­barungen verstoßen. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht habe insbesondere keine Verpflichtung dahingehend bestanden, das rabattierte Arz­neimittel und nicht das vertragsärztlich verordnete Arzneimittel abzugeben. Nach Maßgabe des § 129 Abs. 1 SGB V sei der Apotheker zu einer solchen Ersetzung nur dann verpflichtet, wenn die Verordnung nur unter Angabe der Wirkstoffbe­zeichnung erfolgt sei und der verordnende Arzt die Ersetzung nicht ausgeschlos­sen habe. In der streitgegenständlichen Verordnung sei die Ersetzung durch den Arzt aber ausdrücklich ausgeschlossen worden. Weiterhin hätte eine Ersetzung durch den Kläger nicht nur einen Verstoß gegen § 129 Abs. 1 SGB V, sondern auch gegen die Vorgaben des § 17 Abs. 5 ApBetrO bedeutet. Denn hier werde ein grundsätzliches Substitutionsverbot für Apotheker ausgesprochen. Diese Rege­lung bestehe deshalb, weil es allein Sache des Arztes sei, im Rahmen seiner Therapiehoheit über das zu verordnende Medikament zu befinden. Würde man entgegen dieser Vorschrift das Substitutionsverbot aufheben, so würde dies die strikte Trennung der Verantwortlichkeit und den Aufgaben von Arzt und Apotheker in Frage stellen. Weiterhin gehe die Beklagte in ihrer Argumentation fehl, wenn sie davon ausgehe, dass Importarzneimittel und Originalarzneimittel zwingend als "gleich" im Sinne des § 129 Abs. 1 SGB V bzw. des hiermit korrespondierenden Rahmenvertrages angesehen werden müssten. Hier sei zunächst darauf zu verweisen, dass Import und Original oftmals zwar therapeutisch, nicht aber phar­mazeutisch gleich seien. Im vorliegenden Fall enthalte etwa das Originalpräparat Eisen(III)-oxihydrat gelb, das Importarzneimittel demgegenüber Eisen(III)-oxy­hydrat schwarz. Darüber hinaus sei es letztlich zumindest dann nicht Aufgabe des Apothekers, die Gleichheit zweier Präparate zu überprüfen, wenn der Arzt eine Ersetzung ausgeschlossen habe. Auch sehe das Gesetz keinen generellen Vor­rang rabattierter Arzneimittel vor. Nach § 129 Abs. 1 Satz 1 SGB V bestehe der Vorrang vielmehr nur dann, wenn das rabattierte Arzneimittel tatsächlich günstiger sei als etwa das Importprodukt. Dies sei ausweislich der vom Kläger verwendeten Software aber gerade nicht der Fall gewesen. Die Beklagte könne ihr Vorgehen weiterhin auch nicht auf § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrages stützen, da dieser nicht weiter gehen könne als die gesetzliche Regelung des § 129 SGB V: Schließlich habe die Beklagte den Rabatthinweis nicht zutreffend hinterlegt, was ebenfalls dazu führe, dass eine Ersetzung nicht zwingend habe erfolgen müssen.



    Der Kläger beantragt,

    1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12,35 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2013 zu zahlen und

    2. die Sprungrevision zuzulassen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen und stimmt der Zulassung der Sprungrevision zu.

    Sie hält an der Rechtmäßigkeit ihres bisherigen Vorgehens fest. Der Kläger habe keinen Erstattungsanspruch nach § 129 SGB V in Verbindung mit dem bestehen­den Rahmenvertrag. Da der verordnende Arzt das "aut idem"-Feld angekreuzt habe, seien die Voraussetzungen des § 129 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht erfüllt. Da für das Originalpräparat jedoch ein Rabattvertrag bestanden habe, sei der Kläger nach § 129 Abs. 1 Nr. 2 SGB V zur Abgabe des rabattgünstigsten Arzneimittels verpflichtet gewesen. Dies folge so auch aus § 4 Abs. 4 des Rahmenvertrages. Der Kläger habe eine Rabattvereinbarung missachtet, was letztlich dazu führe, dass die Beklagte den kompletten Betrag hätte retaxieren können, was sie jedoch nicht getan habe.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der vorliegenden Entscheidung waren.

    Entscheidungsgründe:

    Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 12,35 €. Denn entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung, stand dieser kein öffentlich-rechtlicher Erstat­tungsanspruch gegen den Kläger zu, so dass die von ihr vorgenommene Aufrech­nung im Ergebnis unrechtmäßig erfolgte.

    1. Die Klage ist zulässig. Dabei ist zunächst der Rechtsweg zu den Sozialgerich­ten eröffnet, da der Rechtsstreit Angelegenheiten der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung betrifft (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG auch statthaft, da die Beteiligten nicht in einem Über- bzw. Unterordnungsverhältnis stehen. In einem Abrechnungsstreit wie dem vorliegenden, stehen sich Apotheker und gesetzliche Krankenkasse vielmehr in einem prozessualen Gleichordnungsver­hältnis gegenüber, welches eine einseitig hoheitliche Regelung der handelnden Behörde durch Verwaltungsakt gegenüber dem Adressaten ausschließt (BSG, Urteil vom 03.08.2006 – B 3 KR 7/06 R). Die weiteren Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Leistungsklage sind ebenfalls erfüllt.

    2. Die Klage ist darüber hinaus auch begründet. Der Kläger hat aufgrund der Abgabe des Arzneimittels „Atacand Plus 16/ 12.5 mg kohlphTAB 98 ST N3“ an eine Versicherte der Beklagten einen Vergütungsanspruch erworben, der von der Beklagten in vollem Umfang hätte befriedigt werden müssen. Da der Kläger weder gegen gesetzliche Vorschriften noch gegen vertragliche Vereinbarungen versto­ßen hat, stand der Beklagten das Recht der Retaxierung ebenso wenig zu wie die Möglichkeit, in Höhe von 12,35 € mit weiteren Ansprüchen des Klägers aufzurech­nen.

    a) Nach § 129 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarung und Landesverträge (§ 129 Abs. 2 und Abs. 5 S 1 SGB V, vgl. auch § 2 Abs. 2 S 3 SGB V) vertrags­ärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der Gesetzlichen Krankenversiche­rung (GKV) ab. Diese Vorschrift begründet im Zusammenspiel mit den konkretisie­renden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechti­gung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Kranken­kassen, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. z.B. BSG SozR 4-2500 § 130 Nr. 2 Rn. 13; BSGE 106, 303; BSGE 105, 157). Die entsprechende Anwendung von Grundsät­zen des Kaufvertragsrechts (vgl. §§ 433 ff BGB iVm § 69 S. 4 SGB V, jetzt § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V) scheidet aus (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 02.07.2013 - B 1 KR 49/12 R).

    b) Durch die Abgabe des Medikaments „Atacand Plus 16/ 12.5 mg kohlphTAB 98 ST N3 (PZN: 4152876)" an die bei der Beklagten versicherte Frau G W aufgrund der ärztlichen Verordnung vom 21.03.2012 ist ein solcher Vergütungsan­spruch des Klägers entstanden; denn der Kläger hat durch die Abgabe seine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht nach den dargelegten Grundsätzen erfüllt. Ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften oder vertragliche Vereinbarungen kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden. Er hatte entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, der Versicher­ten das ärztlich verordnete Importarzneimittel auszuhändigen; die bestehende Rabattvereinbarung mit dem Originalhersteller des Medikaments "Atacand Plus" durfte und musste er dabei ignorieren. Eine Verletzung des sogenannten Substitu­tionsgebots ist ihm hier nicht vorzuwerfen.

    aa) Grundsätzlich sind die Apotheken bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach § 129 Abs. 2 SGB V zur Abgabe des preisgünstigsten Arzneimittels unter anderem in den Fällen verpflich­tet, in denen die Verordnung nur dem Wirkstoff nach erfolgte (§ 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a SGB V) oder der verordnende Arzt die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat (§ 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b SGB V). In den Fällen der Ersetzung durch ein wirkstoffglei­ches Arzneimittel haben die Apotheken ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen ist und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt (§ 129 Abs. 1 S. 2 SGB V). Dabei ist grundsätzlich die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel vorzunehmen, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB V mit Wirkung für die Krankenkasse besteht, soweit hierzu in ergänzenden Verträgen auf Landesebene nach § 129 Abs. 5 SGB V nichts anderes vereinbart ist (§ 129 Abs. 1 S. 3 SGB V).

    Über diese Regelung hinaus sieht § 129 Abs. 2 SGB V die Möglichkeit vor, dass die an der Arzneimittelversorgung Beteiligten einen Rahmenvertrag schließen. Dieser enthält unter anderem auch Ergänzungen und Klarstellungen zum gesetz­lich normierten Substitutionsgebot. Maßgebend ist dabei der auf Bundesebene zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen einschließlich der Ersatzkas­sen und dem Deutschen Apothekerverband e.V. (DAV) geschlossene "Rahmen­vertrag über die Arzneimittelversorgung" in der Fassung vom 01.02.2011. Der Rahmenvertrag ist als Normenvertrag für den Kläger nach § 129 Abs. 3 Nr. 1 SGB V verbindlich. Für die Beklagte ergibt sich die Verbindlichkeit unmittelbar aus dem Gesetz.

    Das aus § 129 SGB V folgende Substitutionsgebot ist im Rahmenvertrag in § 4 näher konkretisiert. Nach § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrages hat die Apotheke vorrangig ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abzugeben, für das ein Rabattvertrag nach § 130a Abs. 8 SGB V besteht, sofern der Vertragsarzt das Arzneimittel nur unter der Wirkstoffbezeichnung verordnet und die Ersetzung eines unter dem Produktnamen verordneten Arzneimittels nicht ausgeschlossen hat. Diese Ver­pflichtung besteht allerdings nur, wenn zu einem vereinbarten Stichtag die not­wendigen Angaben zu dem rabattgünstigsten Arzneimittel vollständig mitgeteilt wurden, dieses verfügbar ist und keine abweichende Vereinbarung in den ergän­zenden Verträgen nach § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V getroffen wurde. Weiterhin trifft der Rahmenvertrag in § 5 eine Regelung zur Abgabe importierter Arzneimittel. Die Vorschrift dient in erster Linie der Einhaltung der sogenannten Importquote und bestimmt zunächst in Absatz 1, dass die Apotheken zur Abgabe von preis­günstigen importierten Arzneimitteln an die Versicherten verpflichtet sind, sofern die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 bis Abs. 6 des Rahmenvertrages erfüllt sind. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 des Rahmenvertrages hat die Abgabe rabattgünstiger Arzneimittel jedoch Vorrang vor der Abgabe eines nicht rabattgünstigen impor­tierten Arzneimittels, wobei auf die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 und 3 des Rahmenvertrages verwiesen wird.

    bb) Der Kläger hat vorliegend die vertraglichen wie auch die gesetzlichen Vorschriften eingehalten und damit einen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte in Höhe weiterer 12,35 € erworben. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht war er nicht zur Substitution verpflichtet; er musste das sowohl unter Angabe des Herstellers als auch der Pharmakontrollnummer verordnete Arznei­mittel „Atacand Plus 16/12.5 mg kohlphTAB 98 ST N3“ nicht durch das Arzneimit­tel des Originalherstellers ersetzen, nur weil für dieses eine Rabattvereinbarung bestand. Denn der verordnende Arzt hat eine solche Ersetzung durch die Markie­rung des "aut idem"-Feldes ausgeschlossen. Hieran hatte sich der Kläger zu halten. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten weder aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften noch aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.



    (1) Soweit die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag auf die Ausführungen des Bundessozialgerichts in den Entscheidungen B 1 KR 49/12 R und B 1 KR 5/13 R vom 07.02.2013 zur sog. Nullretaxierung stützt, vermag dies nicht zu überzeugen. Zwar hat das Gericht die Zulässigkeit der Nullretaxierung in Fällen bejaht, in denen die Arzneimittelabgabe unter Verletzung des Substituti­onsgebots erfolgte; die dortigen Sachverhalte unterscheiden sich von dem hier zu entscheidenden Fall jedoch erheblich.

    Das Bundessozialgericht hat in den zitierten Entscheidungen erneut bekräftigt, dass ein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse bei Abgabe vertragsärztlich verordneter Arzneimittel an deren Versicherte lediglich ein Pendant zur Lieferberechtigung und -verpflichtung des Apothekers darstelle. Fehle es an einer solchen Lieferberechtigung und -verpflichtung, könne aus einer den­noch erfolgten Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte einer Krankenkasse kein Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse erwachsen. Denn das gesetzesergänzende Normenvertragsrecht regele, welcher Vertragspartner oder Vertragsunterworfene welche Risiken trage; dabei treffe den Apotheker die Pflicht, ordnungsgemäß vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur im Rahmen seiner Lieferberechtigung an Versicherte abzugeben. Verletze er diese Pflicht, trage er allein das Risiko; eine Vergütung durch die Krankenkasse sei ausge­schlossen. Vor diesem Hintergrund widerspreche eine Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel dem Zweck des § 129 SGB V. Der Gesetzgeber habe diese Vorschrift in das SGB V eingefügt, um die Wirksamkeit von Rabattverträgen nach § 130a Abs 8 SGB V zu erhöhen. Nach den Gesetzesmaterialien solle grundsätzlich die Apotheke bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln eine Ersetzung durch Präparate vornehmen, für die Vereinbarungen über Preisnachlässe auf den Abgabepreis mit dem pharmazeutischen Unterneh­mer nach § 130a Abs 8 SGB V gelten würden. Damit solle die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen verbessert werden.

    Die Feststellungen des Bundessozialgerichts sind nachvollziehbar und im Hinblick auf den dargestellten Gesetzeszweck zwingend. Sie dürfen nach Ansicht der Kammer aber nicht dahingehend verstanden werden, dass das Substitutionsgebot in sämtlichen denkbaren Fallkonstellationen gilt mit der Folge, dass ein Aus­schluss durch den Vertragsarzt ins Leere laufen würde. Bei der Anwendung der zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts ist vielmehr zweierlei zu beachten: Zunächst ist dem Kläger dahingehend zuzustimmen, dass sich das Bundessozialgericht in den Entscheidungen vom 07.02.2013 in erster Linie mit der Frage der zulässigen Höhe der Retaxierung zu befassen hatte; dass eine Retaxie­rung grundsätzlich möglich war, stand in diesem Musterstreitverfahren letztlich außer Frage. Darüber hinaus ist ein nach Ansicht der Kammer wesentlicher Punkt, in welchem Umfang bzw. welchem Konkretisierungsgrad die Verordnung in den vom Bundessozialgericht und dem vorliegenden Fall erfolgte. Denn in den zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts zugrundeliegenden Fallkonstellationen war die Verordnung dergestalt gefasst gewesen, dass der Vertragsarzt das abzu­gebende Arzneimittel ausschließlich unter Angabe des Produktnamens verordnet und sodann das „aut idem“-Feld angekreuzt hatte; weitergehende Angaben ent­hielt die Verordnung nicht. In einem solchen Fall – in dem letztlich zwingend eine Auswahlentscheidung des Apothekers im Rahmen der Ausführung der Verord­nung erfolgen muss – entschied das Bundessozialgericht, dass die Vorgaben des § 129 SGB V einzuhalten und das rabattgünstigste Medikament auszugeben ist. Dem Apotheker wird so mit anderen Worten in denjenigen Fällen, in denen ihm aufgrund der Verordnung ein Auswahlermessen verbleibt, vorgegeben, an wel­chen Kriterien er die Ermessensausübung auszurichten hat. Damit unterscheiden sich die Verordnungen in den Fällen des Bundessozialgerichts aber maßgeblich von der streitgegenständlichen Verordnung, in denen das Arzneimittel unter Angabe der Produktbezeichnung, des Herstellers und der Pharmakontrollnummer spezifiziert wurde. In einem solchen Fall besteht keinerlei Auswahlermessen des Apothekers mit der Folge, dass er sich zwingend an die Vorgaben des Vertrags­arztes halten muss, sofern dieser – wie vorliegend Dr. med. M – das "aut idem"-Feld markiert hat.

    (a) Die vom Bundessozialgericht in den zitierten Entscheidungen vom 07.02.2013 vertretene Auffassung ist nach Ansicht der Kammer auch und gerade im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben des § 129 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zwingend. Denn hier wird bestimmt, wie der Apotheker zu verfahren hat, wenn eine Verordnung ledig­lich die Angabe eines Wirkstoffs enthält und der Vertragsarzt eine Ersetzung nicht untersagt hat. In einem solchen Fall hat der Apotheker zwingend einen größeren Freiraum bei der Abgabe des Medikaments als in denjenigen Fällen, in denen die­ses genauer spezifiziert worden ist. Eine Verordnung kann damit derart ausgestaltet sein, dass der Apotheker eine Auswahlentscheidung treffen muss. Ist dies der Fall, so gibt ihm das Gesetz vor, an welchen Kriterien er sich bei der Auswahl orientieren muss.

    (b) Der vorliegend streitige Fall unterscheidet sich nach Ansicht der Kammer von diesen beiden Konstellationen – Verordnung eines Wirkstoffs oder eines Arznei­mittels allein unter Angabe der Produktbezeichnung – ganz erheblich. Denn auf der hier streitgegenständlichen Verordnung hatte der Vertragsarzt neben dem Arzneimittel den von ihm gewünschten Hersteller sowie die Pharmakontrollnum­mer angegeben. Letztere ist ein in Deutschland geltender bundeseinheitlicher Identifikationsschlüssel für Arzneimittel, Hilfsmittel und andere Apothekenpro­dukte. Es handelt sich um eine achtstellige Nummer, die das Arzneimittel nach Bezeichnung, Darreichungsform, Wirkstoffstärke und Packungsgröße eindeutig kennzeichnet und die auf jede Arzneimittelpackung aufgedruckt wird.

    Durch die Angabe der Pharmakontrollnummer und des Herstellers wird das abzu­gebende Arzneimittel damit in der größtmöglichen Weise konkretisiert mit der Folge, dass keinerlei Auswahlentscheidung mehr beim Apotheker verbleibt. Setzt der Vertragsarzt bei einer solchen Arzneimittelangabe zusätzlich ein Kreuz beim sog. "aut idem"-Feld, so kann er damit nichts anders zu verstehen geben, als dass der Apotheker nicht dazu berechtigt ist, auch nur eine der ihm angegebenen Komponenten – Arzneimittel, Hersteller und Pharmakontrollnummer – auszutau­schen. Diese Entscheidung fällt letztlich in die Therapiehoheit des Arztes und darf vom Apotheker nicht in Frage gestellt werden.

    Die Kammer geht in diesem Zusammenhang entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht davon aus, dass der Umfang des Verordnungstextes und das "aut idem"-Feld nicht isoliert voneinander betrachtet werden dürfen. Der Vertrags­arzt entscheidet sich aufgrund der ihm obliegenden Therapiehoheit für ein bestimmtes Arzneimittel; dabei kann er lediglich einen Produktnamen auf der Ver­ordnung angeben, er kann das Arzneimittel aber auch wie hier konkreter bezeich­nen. Schließt er sodann die Ersetzung der Verordnung durch den Apotheker durch die Markierung des "aut idem"-Feldes aus, so ist diese Erklärung stets im Zusam­menhang mit der Verordnung selbst zu betrachten. Verordnet der Arzt lediglich ein bestimmtes Produkt, hindert das "aut idem"-Feld den Apotheker letztlich nicht daran, das rabattgünstigste Produkt dieser Art auszugeben. Wird dagegen ein Arzneimittel unter den oben genannten Angaben verordnet, so muss die Willens­erklärung des Vertragsarztes dahingehend verstanden werden, dass der Apothe­ker sich exakt an die Verordnung zu halten hat.

    (2) Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sie die Thera­piehoheit des Arztes als hohes Gut einschätzt, welches von der Krankenkasse – außer in Fällen offensichtlichen Missbrauchs – auch nicht in Zweifel gezogen werden darf. Der Vertragsarzt entscheidet über die konkret anzuwendende Thera­pie und in diesem Zusammenhang auch darüber, welches Medikament dem Patienten zu verordnen ist. Entscheidet er sich lediglich für einen Wirkstoff oder ein dem Produktnamen nach verordnetes Arzneimittel, so bringt er damit zweierlei zum Ausdruck: Zum einen gibt er durch eine solche Verordnung kund, dass eine Ersetzung des Medikaments den Erfolg der Therapie offensichtlich nicht beein­trächtigen kann. Darüber hinaus wird ein Teil der Verantwortung an den Apotheker übertragen, da diesem die Auswahl des letztendlich abzugebenden Medikaments unter Berücksichtigung seiner Verpflichtungen gegenüber der Krankenkasse ver­bleibt. Sofern der Vertragsarzt jedoch, wie im vorliegenden Fall, eine konkrete Verordnung vornimmt und eine Ersetzung des Arzneimittels durch den Apotheker ausschließt, folgt daraus, dass er letztlich die Alleinverantwortung für das abzuge­bende Medikament übernimmt. Welche Gründe er hierfür hat, kann der Apotheker letztlich nicht erkennen. Dies ist aber auch nicht seine Aufgabe. Das Gesetz hat die Arzneimittelgabe durch die Möglichkeit der Setzung des "aut idem"-Kreuzes derart ausgestaltet, dass diese in den Verantwortungsbereich des Apothekers fällt, soweit und solange der Arzt nichts Gegenteiliges entscheidet. Hat er jedoch eine solche Entscheidung getroffen, so ist der Apotheker an diese zumindest in den Fällen gebunden, in denen der übrige Verordnungstext derart eindeutig ist, dass ein Austausch des Arzneimittels letztlich eine Verletzung der Therapiehoheit des Arztes darstellen würde.

    Etwas anderes kann dem Apotheker nicht abverlangt werden. Er hat vielmehr ein hohes Interesse an Rechtssicherheit dahingehend, in welchen Fällen er sich an die Vorgaben des Arztes halten muss und in welchen nicht. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, was ein Arzt noch tun könnte oder müsste, um eine von der Ver­ordnung abweichende Entscheidung des Apothekers zu verhindern. Würde man auch in Fällen wie dem vorliegenden eine Ersetzung zulassen, so würde die Bedeutung sowohl der Entscheidung des Arztes als auch des "aut idem"-Feldes letztlich nahezu gen null geführt. Dies ist nach den eindeutigen Vorgaben des Gesetzes und der hiermit korrespondierenden Vereinbarungen des Rahmenver­trages aber gerade nicht gewollt, wird der Entscheidung des Arztes hier doch an zentraler Stelle ein wesentlicher Platz eingeräumt.

    (3) Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass es letztlich Sache der Beklagten ist, dafür zu sorgen, dass sich der Apotheker auf die Angaben des Arz­tes verlassen kann. Denn zwischen dem Arzt und dem Apotheker besteht keine vertragliche Beziehung, wohl aber zwischen den Krankenkassen und dem Arzt bzw. dem Apotheker. Damit stellt die Krankenkasse gewissermaßen das Binde­glied dar, sie allein ist dazu in der Lage, im Rahmen ihrer vertraglichen Möglich­keiten zu einem rechtmäßigen Handeln anzuhalten. Erlangt sie nun etwa Kenntnis davon, dass etwa ein Vertragsarzt zu sorglos mit dem "aut idem"-Feld umgeht, so hat sie die Möglichkeit, die Kassenärztliche Vereinigung einzuschalten – wie die Beklagte dies nach eigenen Angaben in der Vergangenheit auch getan hat. Bei tatsächlichem Missbrauch kann sodann ein Bußgeld verhängt werden. Soweit die Beklagte mitgeteilt hat, dass sie in diesen Fällen aber dennoch eine Retaxierung des Apothekers vorgenommen hat, ist dies für die Kammer nicht nachvollziehbar.

    Nach allem hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung von 12,35 €.

    3. Die Klage ist auch im Übrigen begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basis­zinssatz seit dem 14.01.2013. Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist § 288 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Auf die Verzinsung eines Vergütungsanspruches eines Apothekers gegenüber der Krankenkasse sind die Vorschriften über die Verzugszinsen nach dem BGB anwendbar (BSG, Urteil vom 03.08.2006 – B 3 KR 7/06 R – a.a.O.). Die Höhe des Zinssatzes folgt aus § 288 Abs. 2 BGB, da es sich vorliegend um ein Rechtsverhältnis handelt, an dem kein Verbraucher beteiligt ist.

    4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), diejenige über den Streitwert aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 GKG.

    Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Sprungrevision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.