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  • 04.06.2019 · IWW-Abrufnummer 209192

    Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Beschluss vom 29.04.2019 – 3 Ta 124/19

    1. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass in dem Fall, dass in der Klageschrift ein Prozessbevollmächtigter für die beklagte Partei benannt wird, nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwingend an diesen zuzustellen ist und eine gleichwohl an die Partei selbst bewirkte Zustellung der Klageschrift keine Rechtshängigkeit begründen kann, findet uneingeschränkt auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren Anwendung.

    2. Ein ohne Rechtshängigkeit der Klage erlassener arbeitsgerichtlicher Rechtswegbeschluss ist ebenso wie ein entsprechendes Urteil wirkungslos. Wird er mit der sofortigen Beschwerde angefochten, ist er aufzuheben und das Verfahren an das Ausgangsgericht zur Behebung des Verfahrensmangels und zur Neuvornahme der Rechtswegentscheidung nach Begründung der Rechtshängigkeit zurückzuverweisen. § 68 ArbGG sperrt die Zurückverweisung nicht, da er im Beschwerdeverfahren keine Anwendung findet.

    3. Zur Kostenentscheidung und Kostenniederschlagung im Falle einer Zurückverweisung aufgrund eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers.


    Tenor:
    I. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 27.02.2019 wird der Rechtswegbeschluss des Arbeitsgerichts Solingen vom 21.02.2019 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung über den zulässigen Rechtsweg - einschließlich der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Arbeitsgericht Solingen zurückverwiesen.


    II. Die für das Beschwerdeverfahren bislang entstandenen Gerichtskosten werden gemäß § 21 GKG niedergeschlagen.


    III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 38.984,40 € festgesetzt.


    IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



    Gründe



    I.



    Die Parteien streiten über einen Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte in Höhe von 116.953,20 € nebst Zinsen wegen behaupteter Dienstleistungen an 126 Arbeitstagen in der Zeit vom 22.01. bis 24.06.2015.



    Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 07.12.2018, in dem er ausdrücklich auf Beklagtenseite die Rechtsanwälte C. & N. aus C. als Prozessbevollmächtigte im Rubrum angegeben hat, Klage gegen die Beklagte vor dem Arbeitsgericht Solingen erhoben. Die Klageschrift ist bei Gericht am 10.12.2018 eingegangen. Durch Verfügung des Vorsitzenden vom 11.12.2018 (Blatt 152 der Akte) wurde die Zustellung der Klage und eines Hinweisschreibens zur Rechtswegzuständigkeit an die Beklagte - und damit nicht an ihre angegebenen Prozessbevollmächtigten - gegen Zustellungsurkunde angeordnet. Diese Zustellung ist am 17.12.2018 (Blatt 154 der Akte) erfolgt. Eine Äußerung der Beklagten zur Sache oder eine Bestellung ihrer Prozessbevollmächtigten erfolgte zunächst nicht.



    Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses vom 21.02.2019 unter I. in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen. Mit eben jenem Beschluss vom 21.02.2019, wegen dessen Begründung auf Blatt 164 ff. der Akte Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Solingen den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Köln verwiesen.



    Der Beschluss ist der Beklagten per Zustellungsurkunde am 27.02.2019 und dem Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten am 22.02.2019 zugestellt worden. Mit am 27.02.2019 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangener Beschwerdeschrift hat der Kläger "Beschwerde" gegen den Beschluss einlegen lassen, die an das Arbeitsgericht zur Abhilfeprüfung abgegeben wurde und der das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 07.03.2019 nicht abgeholfen hat.



    Mit Verfügung des Vorsitzenden der Beschwerdekammer vom 02.04.2019 sind die Parteien auf den Mangel der Zustellung an die beklagte Partei trotz Angabe eines Prozessbevollmächtigten hingewiesen worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Hinweisschreiben (Blatt 199 der Akte) Bezug genommen.



    Hierauf haben sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten bestellt und mitgeteilt, dass sie die Klageschrift erst durch ihre Partei am 09.04.2019 erhalten hätten. Parallel sei nunmehr am 11.04.2019 durch das Arbeitsgericht Solingen an sie die Zustellung einer Abschrift der Klage bewirkt worden. Zudem sei ihnen mit der Beschwerdeschrift des Prozessbevollmächtigten des Klägers am 05.03.2019 durch das Landesarbeitsgericht auch der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts übermittelt worden.



    Der Kläger hat auf das Hinweisschreiben vom 02.04.2019 nicht reagiert.



    II.



    1. Die als sofortige Beschwerde im Sinne der §§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, 48 Abs. 1, 78 Satz 1 ArbGG, 567 ff ZPO auszulegende "Beschwerde" des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses vom 21.02.2019 am 27.02.2019 gemäß § 569 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO eingelegt worden.



    2. Die sofortige Beschwerde des Klägers führt gemäß §§ 17 Abs. 4 Satz 3 GVG, 78 Satz 1 ArbGG, 572 Abs. 3 ZPO zur Aufhebung des erstinstanzlichen Rechtswegbeschlusses und zur Zurückverweisung an das Arbeitsgericht zur erneuten Prüfung und Entscheidung über den Rechtsweg. Denn der angefochtene Beschluss unterliegt einem schwerwiegenden Verfahrensfehler. Zum Zeitpunkt seines Erlasses war der Rechtsstreit noch nicht nach §§ 253 Abs. 1, 261 ZPO rechtshängig. Ein ohne Rechtshängigkeit des Verfahrens erlassener gerichtlicher Beschluss ist ebenso wie ein entsprechendes Urteil wirkungslos (vgl. BGH vom 05.12.2005 - II ZB 2/05, juris, Rz. 11; ebenso BGH vom 08.11.2013 - V ZR 155/12, juris, Rz. 22). Wird eine solche Entscheidung zur Verhinderung der formellen Rechtskraft, die auch sie anderenfalls erlangen könnte, zulässigerweise mit einem Rechtsbehelf angegriffen, ist sie aufzuheben und das Verfahren in der Regel an das Ausgangsgericht zur Behebung des Verfahrensmangels und zur Neuvornahme der Entscheidung zurückzuverweisen (vgl. auch Hess. LAG vom 18.04.2017 - 8 Sa 1347/16, juris, Rz. 55 sowie LAG Hamm vom 02.03.2012 - 18 Sa 1176/11, juris, Rz. 28 zur Parallelproblematik bei einer Entscheidung durch Urteil im nicht rechtshängigen Verfahren).



    Die Rechtshängigkeit der vorliegenden Klage ist nicht vor dem 09.04.2019 und damit erst weit nach Erlass des angefochtenen Verweisungsbeschlusses vom 21.02.2019 begründet worden. Denn gibt der Kläger wie hier im Rubrum der Klageschrift einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten der Beklagten an, so ist dieser als für den Rechtszug bestellter Prozessbevollmächtigter gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzusehen und hat die Zustellung an ihn zu erfolgen. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGH vom 11.05.2016 - XII ZB 582/15, juris, Rz. 7; BGH vom 04.06.2011 - VIII ZR 22/10, juris, Rz. 13 ff.; BGH vom 07.12.2010 - VI ZR 48/10, juris, Rz. 10 ff.) und gilt im arbeitsgerichtlichen Verfahren, in dem es gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 495, 166 ff., 253 Abs. 1, 261 ZPO zur Auslegung und Anwendung derselben Normen kommt, gleichermaßen. Die gleichwohl an die beklagte Partei erfolgte Zustellung ist somit unwirksam und begründet keine Rechtshängigkeit des Verfahrens.



    Zwar kommt nach § 189 ZPO eine Heilung des Zustellmangels in Betracht, sobald die Klage den - bislang übergangenen - Prozessbevollmächtigten der Beklagten tatsächlich zugegangen ist (vgl. BGH vom 29.03.2017 - VIII ZR 11/16, juris, Rz. 43 m.w.N.). Diese begründet jedoch keine rückwirkende Rechtshängigkeit, sondern wirkt nur ex nunc (BGH vom 29.03.2017 - VIII ZR 11/16, juris, Rz. 38; Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 38. Auflage, § 189 Rn. 9). Da den Prozessbevollmächtigten der Beklagten gemäß ihrer Stellungnahme - an der zu zweifeln keinerlei Anhaltspunkte bestehen - die Klageschrift über ihre Partei erst am 09.04.2019 und im Wege der nachgeholten förmlichen Zustellung über das Arbeitsgericht erst am 11.04.2019 zugegangen bzw. zugestellt worden ist, kann frühestens am 09.04.2019 Rechtshängigkeit der Klage begründet worden sein. Der zuvor erlassene Rechtswegbeschluss vom 21.02.2019 geht damit ins Leere. Er ist in einem nicht rechtshängigen Verfahren ergangen und damit wirkungslos. Ein nicht rechtshängiges Verfahren kann nicht verwiesen werden.



    Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Das ist hier sowohl zulässig als auch geboten. Im Beschwerdeverfahren findet § 68 ArbGG - unabhängig davon, dass der hier relevante Verfahrensmangel selbst dort ausnahmsweise eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen würde (Hess. LAG vom 18.04.2017 - 8 Sa 1347/16, juris, Rz. 55 sowie LAG Hamm vom 02.03.2012 - 18 Sa 1176/11, juris, Rz. 28) - keine Anwendung. Vielmehr sind über § 78 Satz 1 ArbGG die Vorschriften der § 567 ff ZPO heranzuziehen (LAG Düsseldorf vom 08.01.2019 - 3 Ta 5/19, juris, Rz. 24; LAG Schleswig-Holstein vom 26.05.2011 - 1 Ta 76c/11, juris, Rz. 31-33; LAG Sachsen vom 08.04.1997 - 1 Ta 89/97, MDR 1997, 855; GMP/Müller-Glöge, ArbGG, 8. Auflage, § 78 Rn. 34 f.; Walker in Schwab/Weth, ArbGG, 5. Auflage, § 78 Rn. 55). Nach § 572 Abs. 3 ZPO kommt eine Zurückverweisung an das Ausgangsgericht unter anderem auch dann in Betracht, wenn der angefochtenen Entscheidung ein schwerwiegender Verfahrensfehler zugrunde liegt (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 32. Auflage, § 572 Rn. 23; OLG Celle vom 27.09.2002 - 6 W 118/02, juris). Grundsätzlich liegt die Entscheidung über eine Zurückverweisung auch bei schweren Verfahrensfehlern im Ermessen der Beschwerdekammer.



    Danach ist die Aufhebung und Zurückverweisung hier unumgänglich. Da gerichtliche Entscheidungen über den Rechtsweg immer ein rechtshängiges Verfahren, über dessen Verweisung dann zu entscheiden ist, zur Voraussetzung haben, gehen sie von vornherein ins Leere, wenn sie außerhalb eines solchen Verfahrens getroffen werden. Ein im noch nicht rechtshängigen Verfahren ergangener Beschluss des Arbeitsgerichts ist wirkungslos. Hieran kann auch das Beschwerdegericht nichts ändern. Diesem obliegt die Bestätigung, Abänderung oder Aufhebung einer erstinstanzlichen Entscheidung, nicht deren Herbeiführung.



    III.



    Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gemäß § 21 GKG niedergeschlagen. Die unwirksame Zustellung der Klageschrift unter Umgehung des mitgeteilten Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruht auf einer unrichtigen, die Vorschrift des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs außer Acht lassenden Sachbehandlung. Diese ist zugleich ursächlich geworden für den Erlass eines Rechtswegbeschlusses ohne Rechtshängigkeit des zugrunde liegenden Verfahrens und nachfolgend für das Beschwerdeverfahren und die hier ausgesprochene Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.



    Im Rahmen der nunmehr neu vorzunehmenden Rechtswegentscheidung in dem zwischenzeitlich rechtshängig gewordenen Rechtsstreit wird das Arbeitsgericht zugleich über die übrigen Kosten des Beschwerdeverfahrens, also über die Kostentragung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Parteien zu entscheiden haben. Diese Entscheidung hat der neu in der Sache vorzunehmenden Rechtswegentscheidung zu folgen. Sie kann durch das Beschwerdegericht nicht selbst getroffen werden, da mit der vorliegenden Entscheidung noch keine Sachentscheidung über den Rechtsweg ergehen konnte. Daher ist sie dem Ausgangsgericht gemäß § 572 Abs. 3 ZPO zu übertragen (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 32. Auflage, § 572 Rn. 47).



    IV.



    Der Streitwert beträgt für das Beschwerdeverfahren nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer 1/3 des Hauptsachestreitwertes, beruhend auf den klägerseits gemachten Angaben. Da der Kläger hier einen Betrag von 116.953,20 € klageweise geltend macht, folgt daraus die Wertfestsetzung in Höhe von 38.984,40 € für das Beschwerdeverfahren.



    V.



    Die Rechtsbeschwerde wird mangels dies nach §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG rechtfertigender Gründe nicht zugelassen.

    Klein

    Vorschriften§ 21 GKG, § 69 Abs. 2 ArbGG, §§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, 48 Abs. 1, 78 Satz 1 ArbGG, 567 ff ZPO, § 569 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO, §§ 17 Abs. 4 Satz 3 GVG, 572 Abs. 3 ZPO, §§ 253 Abs. 1, 261 ZPO, § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 495, 166 ff., 253 Abs. 1, § 189 ZPO, § 68 ArbGG, § 78 Satz 1 ArbGG, § 567 ff ZPO, § 572 Abs. 3 ZPO, §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG