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  • 01.02.2005 | Prozessführung

    Starke Arbeitsbelastung berechtigt zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist

    von RA Christian Stake, FA Arbeitsrecht, Werne
    Ein erheblicher Grund zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist liegt regelmäßig vor, wenn der Prozessbevollmächtigte eine besonders starke Arbeitsbelastung geltend macht (BAG 20.10.04, 5 AZB 37/04, Abruf-Nr. 043317).

     

    Praxishinweis

    Das BAG hat in seiner Entscheidung deutlich Stellung dazu bezogen, wann ein Rechtsanwalt damit rechnen kann, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird. Die folgende Musterformulierung greift diese Argumentation auf.  

     

    Musterformulierung: Beschwerde gegen Versagung der Fristverlängerung

    In dem Rechtsstreit X ./. Y, Az. ... wird beantragt,  

     

    1. den Beschluss des ... (Gericht) vom ... aufzuheben und
    2. dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

     

    Begründung:  

    Das ... (Gericht) hat die Berufung zu Unrecht wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Dem Kläger ist wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.  

     

    Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig. Er ist innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen (§ 234 Abs. 1 ZPO) beim ... (Gericht) eingegangen. Mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat der Kläger die Berufungsbegründung eingereicht (§ 236 Abs. 2 ZPO).  

     

    Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet. Der Kläger war ohne eigenes Verschulden oder ihm zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verhindert, die versäumte Frist einzuhalten (§ 233 ZPO).  

     

    • Es ist zwar zutreffend, dass der Rechtsmittelführer im Wiedereinsetzungsverfahren grundsätzlich nicht mit Erfolg geltend machen kann, er habe mit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechnen dürfen.
    • Etwas anderes gilt jedoch, wenn er mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Bewilligung der Fristverlängerung rechnen darf, weil dies dem normalen Lauf der Dinge entspricht (BAG AP Nr. 6 zu § 66 ArbGG 1979 = NZA 95, 189; BGH NJW 91, 1359).
    • Soweit ein erheblicher Grund für eine Fristverlängerung vorliegt, braucht sich der Anwalt nicht auf eine Rechtspraxis einzustellen, die sich nicht mehr im Rahmen der zulässigen Ermessensausübung des Vorsitzenden bewegt (BGH MDR 01, 1432). Auf eine rechtswidrige Spruchpraxis braucht sich der Staatsbürger nicht einzustellen (BVerfG NJW 89, 1147).

     

    • Entgegen der Auffassung des ... (Gericht) durfte der Kläger auf die Bewilligung seines Verlnängerungsantrags vertrauen.
    • Ein Prozessbevollmächtigter kann grundsätzlich erwarten, dass einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn erhebliche Gründe i.S. von § 66 Abs. 1 S. 5 ArbGG vorgebracht werden. Zu den Gründen, die in der Gerichtspraxis im Allgemeinen als „erheblich“ angesehen werden, zählt u.a. die – hier geltend gemachte – berufliche Überlastung bzw. besonders starke Arbeitsbelastung des Prozessbevollmächtigten (BAG AP Nr. 6 zu § 66 ArbGG 1979 = NZA 95, 189; BVerfG NJW 89, 1147; BGH NJW-RR 89, 1280).
    • Es ist regelmäßig auch nicht erforderlich, die Gründe für die behauptete Belastung und ihre Auswirkungen auf das konkrete Verfahren besonders darzulegen (BAG AP Nr. 5 zu § 66 ArbGG 1979 = NZA 94, 907; BGH NJW-RR 89, 1280).
    • Dies bedeutet nicht, dass auf das Erfordernis erheblicher Gründe verzichtet würde. Wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die pauschal vorgebrachten Gründe in Wahrheit nicht vorliegen, kann das erkennende Gericht eine Substantiierung der im Verlängerungsgesuch dargelegten Gründe verlangen (BAG AP Nr. 6 zu § 66 ArbGG 1979 = NZA 95, 189).
    • Dem Beschleunigungsgrundsatz nach § 9 Abs. 1 ArbGG ist dadurch genügt, dass die Berufungsbegründungsfrist nach § 66 Abs. 1 S. 5 ArbGG nur einmal verlängert werden kann. Zudem ist das Gericht nach Vornahme einer am Einzelfall orientierten Ermessensausübung nicht verpflichtet, die Monatsfrist auszuschöpfen (BAG AP Nr. 5 zu § 66 ArbGG 1979 = NZA 94, 907). Es kann die Frist auch um einen kürzeren, unter Berücksichtigung der Antragsbegründung aber noch angemessenen Zeitraum verlängern.

     

    • Der in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Justizgewährungsanspruch gegen Akte der öffentlichen Gewalt überlässt zwar die nähere Ausgestaltung des dort garantierten Rechtswegs der jeweiligen Prozessordnung. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Prozessordnung dürfen die Gerichte aber den Zugang zu den den Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer Weise erschweren (BVerfG NJW 86, 244). Insbesondere dürfen die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, nicht überspannt werden (BVerfG NJW 04, 2887). Das ist aber der Fall, wenn das ... (Gericht) unabhängig vom Einzelfall und insbesondere ohne Anhaltspunkte für das Nichtvorliegen der vorgebrachten Gründe deren nähere Substantiierung verlangt. Auf eine solche Praxis braucht sich der Prozessbevollmächtigte nicht einzustellen (BAG AP Nr. 28 zu § 66 ArbGG 1979 = NZA 04, 1350).

     

    • Es stellt auch kein Verschulden des Klägers dar, dass sein Prozessbevollmächtigter den Verlängerungsantrag erst am letzen Tag der Frist gestellt hat. Eine Partei ist grundsätzlich berechtigt, eine Frist bis zum letzten Tag auszuschöpfen. Auch die unter diesen Umständen erhöhten Sorgfaltsanforderungen (BGH NJW 89, 2393) hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht verletzt. Wie ausgeführt konnte er damit rechnen, dass die Begründung seines Antrags ausreichen würde. Daher bestand keine erkennbare Notwendigkeit, den Antrag so früh anzubringen, dass noch vor Fristablauf eine Rückfrage bei Gericht möglich gewesen wäre (BAG AP Nr. 6 zu § 66 ArbGG 1979 = NZA 95, 189; BGH NJW-RR 89, 1280).

     

    gez. Rechtsanwalt  

     

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    Quelle: Ausgabe 02 / 2005 | Seite 27 | ID 85225