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  • · Fachbeitrag · Anfechtung

    Drohung mit einer Strafanzeige und Anfechtung des Aufhebungsvertrags

    Eine Drohung nach § 123 BGB ist von dem bloßen Ausnutzen einer Zwangslage abzugrenzen. Eine Drohung nach § 123 BGB muss vorsätzlich erfolgen. Der Drohende muss bewusst den Zweck verfolgen, den Bedrohten zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung zu veranlassen. Die Drohung mit einer Strafanzeige zum Zwecke des Abschlusses eines Aufhebungsvertrags kann auch dann rechtmäßig sein, wenn die anzuzeigende Straftat nicht gegen Rechtsgüter des ArbG gerichtet war, aber in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stand. Das gilt jedenfalls, wenn ein verständiger ArbG eine den Regelungen des Aufhebungsvertrags entsprechende Kündigung ernsthaft in Betracht ziehen durfte (LAG Hamm 25.10.13, 10 Sa 99/13, Abruf-Nr. 140776).

     

    Sachverhalt

    Die ArbN, eine seit über 20 Jahren beschäftigte Krankenschwester, wurde von zwei Schwesternschülerinnen beschuldigt, den Versuch unternommen zu haben, einen oft nach den Schwestern klingelnden Patienten mit dem Beruhigungsmittel „Tavor“ ruhigzustellen.

     

    Sie habe einer der beiden Schülerinnen eine Tablette Tavor mit den Worten: „Hier, gib ihm mal die Tablette, dann ist hier gleich Ruhe.“ gegeben. Die Medikation war ärztlich nicht angeordnet. Die Schwesternschülerin verabreichte dem Patienten das Medikament nicht, sondern wandte sich an die ArbG. Außerdem habe die ArbN nach Aussage einer der Schülerinnen, einen oft wegen Harndrangs klingelnden Patienten ohne ärztliche Anweisung katheterisiert.

     

    Aus diesen Gründen kam es zu einem Personalgespräch mit dem Verwaltungsdirektor und zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Während des Gesprächs habe der Verwaltungsdirektor mit einer Strafanzeige für den Fall, dass die ArbN dem Aufhebungsvertrag nicht zustimme, gedroht.

     

    Die ArbN erklärte wenige Wochen später die Anfechtung des Aufhebungsvertrags gemäß § 123 Abs. 1 BGB wegen widerrechtlicher Drohung mit einer Strafanzeige und mit anderen beruflichen Nachteilen. Das Arbeitsgericht wies ihre auf die Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses gerichtete Klage ab (Arbeitsgericht Iserlohn 11.12.12, 4 Ca 1201/12). Die hiergegen gerichtete Berufung der ArbN blieb erfolglos.

     

    Entscheidungsgründe

    In dem Urteil lässt die 10. Kammer des LAG Hamm offen, ob der Verwaltungsdirektor mit einer Anzeige gedroht hat. Auch wenn er eine solche Drohung ausgesprochen hätte, sei ein solches Verhalten seinerseits rechtlich nicht zu beanstanden, denn die gegen die ArbN erhobenen Vorwürfe seien schwerwiegend und ihre Erklärungen nicht überzeugend gewesen.

     

    Vor diesem Hintergrund konnte ein „vernünftiger“ ArbG eine Strafanzeige in Betracht ziehen. Dabei spielte es keine Rolle, dass die von der ArbN möglicherweise begangenen Körperverletzungen nicht den ArbG, sondern die Patienten als am Arbeitsverhältnis nicht beteiligte Dritte geschädigt hätten. Die möglicherweise von der ArbN begangenen Straftaten hätten nämlich in einem engen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gestanden.

     

    Mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags zum 30.4.12 habe der ArbG keinen unangemessenen oder ihn materiellrechtlich nicht zustehenden Vorteil erstrebt. Unter den gegebenen Umständen habe ein verständiger ArbG eine außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 BGB ernsthaft in Betracht ziehen dürfen. Durch das ihr substanziiert angelastete und von ihr auch im Prozess nicht widerlegte Verhalten habe die ArbN einen an sich wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB gesetzt. Trotz der langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung sei angesichts der Schwere der gleich mehreren erheblichen Pflichtverletzungen nicht ersichtlich, dass bei einer umfassenden Abwägung ihr Interesse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wenigstens für den - vollen - Lauf der Kündigungsfrist das Interesse des ArbG an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit hoher Wahrscheinlichkeit überwogen hätte.

     

    Zwar habe der ArbG die gegen die ArbN erhobenen Vorwürfe nicht so gründlich recherchiert bzw. überprüft, wie dies vor Ausspruch einer rechtswirksamen Verdachtskündigung erforderlich sei. Dies hindere die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags jedoch nicht. Der ArbG habe nämlich gerade keine Kündigung ausgesprochen, sondern einvernehmlich die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit der ArbN vereinbart.

     

    Auch die Nichterstattung einer Strafanzeige durch den ArbG gegen die ArbN nach Abschluss des Aufhebungsvertrags mache seine Drohung nicht nachträglich missbräuchlich. Der ArbG habe den Konflikt in arbeitsrechtlich zulässiger Weise durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags gelöst. Wer mit einer Strafanzeige zulässigerweise drohe, müsse sie nicht später auch tatsächlich erstatten, um glaubwürdig zu bleiben.

     

    Praxishinweis

    Die Grenze zwischen Repression und Prävention fließt in besonderem Maße, wenn neben einer Strafe die Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) in Betracht kommt. Das gilt namentlich für das Berufsverbot gemäß § 70 StGB, das bei dem Verhalten der ArbN als mögliche Konsequenz im vorliegenden Fall zumindest nicht völlig fernliegend ist (vergleiche AG Frankfurt a.M. 11.1.10, 920A Ls 3530 Js 202270/09). Da ein Berufsverbot grundsätzlich zeitlich befristet ist und zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. OVG Münster 3.2.04, 13 B 2369/03), bleibt eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus den Gründen der möglichen Anlassstraftat kaum dahinter zurück.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Rücktritt vom Beendigungsvergleich wegen Insolvenz des ArbG: BAG in AA 13, 74
    Quelle: Ausgabe 04 / 2014 | Seite 60 | ID 42573649