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  • · Fachbeitrag · Elternzeit

    Rechtmäßige Kürzung von Urlaubsansprüchen für Zeiten der Elternzeit

    von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA ArbR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

    | Der Anspruch auf gesetzlichen Erholungsurlaub nach den § 1, § 3 Abs. 1 BUrlG entsteht auch für den Zeitraum der Elternzeit. Er kann jedoch vom ArbG gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG gekürzt werden. § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG steht im Einklang mit dem Unionsrecht. |

     

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten über die Gewährung von Erholungsurlaub. Die ArbN macht einen Anspruch auf gesetzlichen Erholungsurlaub geltend. Sie behauptet, dass auch der zurückliegende Zeitraum ihrer Elternzeit bei der Bemessung ihres gesetzlichen Erholungsurlaubs in die Berechnung einzustellen sei.

     

    Die ArbN war seit dem 1.6.01 als Assistentin der Geschäftsleitung beschäftigt. Sie befand sich vom 1.1.13 bis zum 15.12.15 durchgehend in Elternzeit. Nach dem Ende der Elternzeit wurde das Arbeitsverhältnis fortgesetzt. Die ArbN kündigte mit Schreiben vom 23.3.16 das Arbeitsverhältnis zum 30.6.16. Sie beantragt, ihr für den Zeitraum der Kündigungsfrist Urlaub zu gewähren. Nach ihrer Auffassung habe sie auch in den Jahren ihrer Elternzeit Ansprüche auf Erholungsurlaub erworben. Mit Schreiben vom 4.4.16 erteilte ihr der ArbG vom 4.4. bis zum 2.5.16 Urlaub. Dies entspreche dem restlichen Urlaubsanspruch. Weitergehenden Urlaub lehnte der ArbG ab, weil in der Elternzeit kein Urlaubsanspruch entstanden sei.

     

    Die ArbN macht im Klageweg nun die Abgeltung weiterer 89,5 Arbeitstage Urlaub geltend, welche aus dem Zeitraum ihrer Elternzeit resultieren würden. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab (LAG Hamm 31.1.18, 5 Sa 625/17).

     

    Entscheidungsgründe

    Das BAG (19.3.19, 9 AZR 362/18, Abruf-Nr. 208327) bestätigte das Berufungsurteil. Während der Elternzeit sei zwar ein Anspruch auf Erholungsurlaub entstanden. Dieser sei jedoch durch die nachträgliche Erklärung des ArbG wieder vollständig entfallen. Der ArbG habe von der Kürzungsmöglichkeit des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG wirksam Gebrauch gemacht. Mit Schreiben vom 4.4.16 seien die Urlaubsansprüche der ArbN aus den Jahren 2013 bis 2015 für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um jeweils ein Zwölftel wirksam gekürzt worden.

     

    Der 9. Senat stellt klar, dass einem ArbG die entsprechende Kürzungsmöglichkeit für den gesetzlichen Urlaub und etwa vereinbarten Mehrurlaub offenstehe. Zudem konkretisiert der Senat die tatsächlichen Erfordernisse, um diese Gestaltungsmöglichkeit auszuüben.

     

    Wolle der ArbG von seiner ihm durch § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG eingeräumten Befugnis Gebrauch machen, den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen, müsse er eine darauf gerichtete empfangsbedürftige rechtsgeschäftliche Erklärung abgeben. Die Kürzungserklärung müsse als solche erkennbar sein. Entscheidend dafür sei der Erklärungsgehalt. Eine Kürzungserklärung sei, wie andere Willenserklärungen auch, der Auslegung zugänglich. Erforderlich sei einzig, dass für den ArbN erkennbar sei, dass und in welchem Umfang der ArbG von seiner Kürzungsmöglichkeit Gebrauch machen wolle.

     

    Das Kürzungsrecht des ArbG sei umfassend ausgestaltet. Es erfasse auch den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien für diesen keine von § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG abweichende Regelung vereinbart hätten.

     

    Abschließend stellt der 9. Senat klar, dass kein Verstoß gegen Europarecht vorliege. Die Kürzung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs verstoße weder gegen Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) noch gegen § 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub im Anhang der Richtlinie 2010/18/EU. Das Unionsrecht verlange nach der Rechtsprechung des EuGH nicht, dass ArbN in Elternzeit und solche, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet hätten, gleichgestellt werden (dazu ausdrücklich: EuGH 4.10.18, C-12/17).

     

    Relevanz für die Praxis

    Ein ArbN hat Anspruch auf Erholungsurlaub. Dieser Anspruch ist jährlich wiederkehrend. Er umfasst mindestens den gesetzlichen Urlaub nach den §§ 1, 3 BUrlG. Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs auf Erholungsurlaub ist zunächst nur der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher. Damit wird sichergestellt, dass auch in den Zeiten Urlaubsansprüche entstehen, in welchen der ArbN aufgrund äußerer Umstände keine Arbeitsleistung erbringen kann. Das gilt namentlich für Zeiten der Krankheit, während des Mutterschutzes oder bestehender Beschäftigungsverbote. Das BAG legte den gesetzlichen Zweck des Erholungsurlaubs in der Vergangenheit daher stets weit aus. Es ließ den Anspruch auf Urlaub auch für all die Zeiträume entstehen, in welchen der ArbN tatsächlich nicht gearbeitet hat (siehe zuletzt etwa: BAG 6.5.14, 9 AZR 678/12).

     

    Diese insgesamt weite Auslegung des BUrlG erfährt nun erste Einschränkungen. Zum einen sorgte der Gesetzgeber selbst dafür, indem er für den Zeitraum der Elternzeit eine Kürzungsmöglichkeit für den ArbG normiert hat. Zum Zweiten stellte die jüngste Rechtsprechung des EuGH klar, dass europarechtlich die Gewährung von Erholungsurlaub nur für die Zeiträume erforderlich ist, in welchen der ArbN auch tatsächlich zur Arbeitsleistung bereit war (EuGH 4.10.18, C-12/17).

     

    Die Gesamtschau der beiden Vorgaben führt zwingend zu dem hier gefundenen Ergebnis. Der 9. Senat führt zutreffend aus, dass der deutsche Gesetzgeber durch § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG eine Sonderregelung getroffen hat, die es zur Disposition des Arbeitgebers stellt, ob er für die Zeiten der Elternzeit den entstandenen Anspruch auf Erholungsurlaub kürzt.

     

    Diese gesetzgeberische Wertung ist richterlich zu beachten. Da sich aus dem Gesetz keine weitergehenden Erfordernisse ablesen lassen, kann eine entsprechende Erklärung als ganz normale gestaltende Willenserklärung nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen abgegeben werden.

     

    Diesen Vorgaben des nationalen Gesetzgebers steht das Europarecht nicht entgegen. Aufgrund der erst jüngst ergangenen und erfreulichen klaren Äußerungen des EuGH konnte das BAG von einer Vorlage absehen und in der Sache selbst entscheiden.

     

    Spannend bleibt indes die Frage, ob das vorliegende Urteil ein Auftakt für eine grundsätzliche Rechtsprechungskorrektur des 9. Senats wird. Darauf deutet die gleichzeitig getroffene Entscheidung hin, dass für Zeiten vereinbarten Sonderurlaubs kein Urlaubsanspruch entstehe (BAG 19.3.19, 9 AZR 315/17, Abruf-Nr. 207805). Dort verdeutlichte das Gericht gleichfalls in Anknüpfung an den EuGH den Ansatz, dass in Zeiten des einvernehmlichen Ruhens der wechselseitigen Hauptleistungspflichten kein Erfordernis dafür besteht, Urlaubsansprüche entstehen zu lassen. Dieser Ansatz ist zutreffend, da er den Sinn und Zweck des Erholungsurlaubs zum Ausgangspunkt nimmt. Dieser besteht darin, dem ArbN aufgrund der vielfältigen Belastungen durch das Arbeitsverhältnis die Möglichkeit zur Regeneration und Entspannung zu verschaffen. Besteht keine Arbeitspflicht, kann dieser Ansatz aber nicht zum Tragen kommen. Jedenfalls für Zeiträume des einvernehmlichen Wegfalls der wechselseitigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dürfte daher auch kein Urlaubsanspruch entstehen.

     

     

    Weiterführender Hinweis

    • Richtungswechsel beim BAG: Kein Urlaub während Sonderurlaub: BAG in AA 19, 73
    Quelle: Ausgabe 11 / 2019 | Seite 190 | ID 46145606