· Annahmeverzug
ArbN ist nicht vorsätzlich untätig, wenn er Vermittlungsangeboten nachkommt

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen
| Meldet sich der ArbN nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend und geht er deren Vermittlungsangeboten nach, wird ihm regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Die ArbN ist langjährig beim ArbG als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Der ArbG sprach eine Änderungskündigung aus. Die ArbN lehnte das Änderungsangebot ab, erhob gegen die Kündigung Klage und machte einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend. Sodann war sie bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet und bezog Arbeitslosengeld. Die Agentur für Arbeit unterbreitete ihr zahlreiche Vermittlungsvorschläge, auf die sich die ArbN erfolglos bewarb. Der ArbG übermittelte ihr anschließend weitere Vorschläge, worauf sich die ArbN ebenfalls erfolglos bewarb. Ohne Erfolg blieben auch zehn eigeninitiativ vorgenommene Bewerbungen. Die ArbN erteilte dem ArbG zudem Auskunft zu ihren Erwerbsbemühungen unter Nennung der Tätigkeit und des ArbG.
Dann kündigte der ArbG das Arbeitsverhältnis während des laufenden Rechtsstreits ergänzend fristlos aus verhaltensbedingten Gründen, weil die Reaktion der ArbN auf die unrichtig ausgefüllte Arbeitsbescheinigung mit dem Antrag auf Erlass eines Bußgeldbescheids beim Arbeitsamt unverhältnismäßig und das Vertrauensverhältnis daher zerstört sei. Die ArbN erhob auch dagegen Klage. Das Arbeitsgericht stellte durch Anerkenntnisurteil fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen des ArbG nicht aufgelöst wurde.
Nun begehrt die ArbN die Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs abzüglich erhaltenen Arbeitslosengelds. Sie ist der Ansicht, sie sei im Streitzeitraum leistungsfähig gewesen. Eine Anrechnung habe nicht zu erfolgen, denn es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, gemäß den Bedingungen des Änderungsangebots beim ArbG zu arbeiten. Dieser meint, die ArbN habe ihre Leistungsfähigkeit nicht ausreichend dargelegt. Auf jeden Fall habe sie es böswillig unterlassen, Zwischenverdienst zu erzielen. Das LAG München (10.9.24, 7 Sa 493/23) verurteilte den ArbG zur Zahlung des größten Teils der Vergütung wegen Annahmeverzugs.
Entscheidungsgründe
Die dagegen gerichtete Revision des ArbG vor dem BAG (15.1.25, 5 AZR 135/24, Abruf-Nr. 247410) ist unbegründet. Die ArbN habe vollen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs. Sie sei durchgehend leistungsfähig nach § 297 BGB gewesen. Zwar genüge der ArbG seiner primären Darlegungslast grundsätzlich schon dadurch, dass er Indizien vortrage, aus denen auf eine Leistungsunfähigkeit im Annahmeverzugszeitraum geschlossen werden könne. Hierzu müsse er jedoch Tatsachen vortragen, die einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür bieten, dass der ArbN im Streitzeitraum für die geschuldete Tätigkeit nicht bzw. nicht uneingeschränkt leistungsfähig war. Vorliegend stand die ArbN indes während des gesamten Verzugszeitraums der Vermittlung durch die Agentur für Arbeit zur Verfügung. Sie habe sich auf die von der Agentur für Arbeit und dem ArbG übermittelten Vermittlungsvorschläge sowie eigeninitiativ beworben. ‚Es lägen daher keine Indizien für eine fehlende Leistungsfähigkeit vor.
Zudem sei die Aufnahme der Arbeit nach Maßgabe des Änderungsangebots des ArbG nicht zumutbar gewesen, da mit dem Änderungsangebot eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden gewesen wäre. Zwar sei jeweils nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ermitteln, inwieweit eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und insbesondere des Verdienstes hinnehmbar sei. Mit Ausspruch der fristlosen Kündigung habe der ArbG aber jedenfalls zu erkennen gegeben, dass er am Angebot der Beschäftigung der ArbN nicht mehr festhalte. Der ArbG habe die außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung damit begründet, dass die ArbN nicht nur eine Berichtigung der von der Beklagten fehlerhaft ausgefüllten Arbeitsbescheinigung verlangt, sondern gleichzeitig auch einen Antrag auf Erlass eines Bußgeldbescheids gestellt habe. Dieses Verhalten sei unverhältnismäßig, was das Vertrauensverhältnis „weiterhin sehr stark beeinträchtige“. Der ArbG habe an dieser fristlosen Kündigung und dem Vorwurf des gravierenden Fehlverhaltens der ArbN festgehalten. Er habe nicht erklärt, wie trotz der aus seiner Sicht bestehenden Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses eine Zusammenarbeit möglich sein sollte.
Relevanz für die Praxis
Der 5. Senat vertieft seine Rechtsprechungslinie zur Frage des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdiensts im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Annahmeverzugsvergütung. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die erforderliche Leistungsfähigkeit des ArbN als auch in Bezug auf Bewerbungsbemühungen und den Umgang mit einem angebotenen Prozessarbeitsverhältnis. Dabei bleibt es im Kern dabei, dass der ArbN eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen grundsätzlich nicht hinnehmen muss (zuletzt ausführlich BAG 7.2.24, 5 AZR 177/232, Abruf-Nr. 241405).
Im Rahmen der abgestuften Darlegungslast muss er zudem auf entsprechend substanziierten Vortrag des ArbG nicht nur belegen, dass er arbeitssuchend gemeldet ist. Der ArbN muss auch konkret aufzeigen, dass und welche Bewerbungsbemühungen er unternommen hat. Im Hinblick auf die erforderliche Quantität bestehen jedoch tatrichterliche Beurteilungsspielräume, da sich klare revisionsrechtliche Vorgaben für den Einzelfall verbieten. Meldet sich der ArbN nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsuchend und geht er den Vermittlungsangeboten der Bundesagentur für Arbeit nach, ist ihm regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen.
Weiterführender Hinweis
- Kein Verzug durch unzumutbare Prozessbeschäftigung: BAG in AA 23, 132