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  • · ZR-Fachgespräch

    „Ästhetik ist von der Funktion nicht zu trennen!“

    Bild: Smile / TE3JMAN / CC CC BY 2.0

    | Zahnarzt Wolfgang Boer aus Euskirchen ist ein wahrer Künstler, wenn es darum geht, Zähne naturnah und ästhetisch in Komposit wiederherzustellen. Seit über 25 Jahren gibt er praktische Kurse für Kolleginnen und Kollegen, in denen er vermittelt, wie Front- und Seitenzähne natürlich schön und unter Beachtung der okklusalen Morphologie und Funktion in Komposit zu formen sind. Im ZR-Fachgespräch mit Schriftleiterin Dr. med. dent. Kerstin Albrecht führt er als Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Zahnheilkunde (DGÄZ) aus, worauf es dabei ankommt und wie sich sein Fachgebiet in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. |

     

    Frage: Herr Boer, welche neuen Entwicklungen gibt es im Bereich der ästhetischen Zahnheilkunde?

     

    Antwort: Die Aligner-Technologie hat unser Fachgebiet sehr weit vorangebracht. Sie war sozusagen das „missing link“. Früher wurden beispielsweise Veneers auch deshalb gemacht, um leichte Fehlstellungen zu korrigieren. Eine zwar nur wenig invasive Maßnahme, doch in einem solchen Fall können wir die Frontzähne heute oft noninvasiv mit Alignern gerade richten. Gerade bei einer Angle-Klasse II/2 hatten wir früher immer Schwierigkeiten, eine vernünftige Prothetik zu machen. Solche Patienten habe ich dann zum Kieferorthopäden zur Beratung überwiesen. Der Kieferorthopäde hätte natürlich nie nur die Frontzähne behandelt, sondern qua seiner Fachrichtung stets das gesamte Gebiss therapiert mit entsprechendem Zeitaufwand und Kosten. Mit den Alignern können wir in kurzer Zeit vier Schneidezähne „mal eben“ in einen perfekten Bogen stellen bei vergleichsweise überschaubaren Kosten.

     

    Frage: Welche Aligner-Systeme favorisieren Sie?

     

    Antwort: Ich finde es besser, wenn der kieferorthopädisch fortgebildete Zahnarzt an den Modellen oder Scans selbst plant und vermisst und auch im Behandlungsablauf eingreifen kann, wenn es an der ein oder anderen Stelle doch nicht so funktioniert, wie geplant. Bei einigen Franchise-Schienen-Systemen, bei denen die Modelle oder Datensätze eingeschickt werden und die fertige Planung plus Schienen zurückkommt, wird dem Behandler oft jegliche Entscheidung und die Möglichkeit, im Behandlungsablauf einzugreifen, genommen. Da setze ich lieber auf Systeme, bei denen ich den gesamten Therapieablauf mitbestimmen kann. Da hat sich das Inman-Aligner-System bei mir sehr bewährt. Es arbeitet mit herausnehmbaren Klammern und/oder auch Schienen. Auch nach Abschluss einer Aligner-Behandlung muss eine lebenslange Retention geschaffen werden.

     

    Frage: Kommen Patienten mit einem konkreten Wunsch nach Verbesserung der Ästhetik auf Sie zu oder sprechen Sie Ihre Patienten auch darauf an?

     

    Antwort: Teils, teils. Viele Patienten wissen oft gar nicht, was möglich ist. Gerade meine langjährigen Patienten frage ich manchmal: „Stört Sie das eigentlich?“ und erhalte dann die Antwort: „Ja eigentlich schon, aber da kann man ja doch nichts machen.“ Oft sind sie überrascht, wenn ich ihnen erkläre, dass schwarze Dreiecke oder ein Diastema mit relativ einfachen Mitteln zu schließen sind.

     

    Frage: Sie schichten Komposit für direkte Restaurationen im Seitenzahnbereich nach einer bestimmten Technik, um das Höcker-Fissuren-Relief ideal nachzuempfinden. Haben Sie sich das selbst beigebracht?

     

    Antwort: Ich habe mir in diesem Bereich auf Fortbildungen viele hervorragende Leute angesehen, doch das meiste habe ich mir bei den Zahntechnikern abgeschaut. Während des Studiums habe ich bereits unentgeltlich in einem Labor gearbeitet und dabei viel gelernt.

     

    Frage: Braucht es für ästhetische Front- und Seitenzahnrestaurationen mit Komposit einfach ein gewisses Talent? Oder kann das jeder lernen?

     

    Antwort: Wie in jedem handwerklichen Metier gibt es natürlich Begabte und weniger Begabte. Ich habe aber den Anspruch, in meinen Kursen leicht erlernbare Techniken zu vermitteln, die auch jeder umsetzen kann. Auch das Hinschauen ist ein wesentlicher Faktor. Ich versuche, die natürlichen Strukturen nachzuempfinden. Bestimmte Punkte werden dann einfach Schritt für Schritt abgearbeitet, um zu einem voraussagbaren Ergebnis zu kommen.

     

    Frage: Was ist entscheidender, Farbe oder Form?

     

    Antwort: Ganz klar ist die Form wichtiger als die Farbe. Das mag merkwürdig klingen, aber wenn die Farbe nicht korrekt, die Form aber ästhetisch stimmig ist, ist das Ergebnis nicht ganz so schön, aber es sieht wie ein Zahn aus. Wenn aber die Form nicht stimmt, kann die Farbe noch so schön sein, es sieht leider aus wie eine Kartoffel. Gut ist es, sich die richtige Form anhand eines therapeutischen oder Funktionsprovisoriums zu erarbeiten, denn die Form ist von der Funktion nicht loszulösen. Sonst wären wir im Bereich der Kosmetik und das ist nicht das, was wir wollen. Der Weg bis zur Findung der besten Form ist das Wichtigste.

     

    Frage: Was verstehen Sie unter Funktionsprovisorien?

     

    Antwort: In der Prothetik haben wir Situationsmodelle und erarbeiten gemeinsam mit dem Techniker am Artikulator die Funktion. Danach wird ein Wax-up erstellt und dieses überführt in ein Provisorium, das eingesetzt, adjustiert und kontrolliert wird. Wir schauen dann, ob die Form gefällt und die Funktion passt. Daher finde ich die Begriffe Funktionsprovisorium oder therapeutisches Provisorium sehr treffend. Es gibt uns viele Möglichkeiten, Dinge auszutesten, bevor es an die eigentliche Umsetzung geht. Das müssen nicht unbedingt Langzeitprovisorien im klassischen Sinne sein, aber ich finde diesen Schritt zwingend, wenn ein ästhetisches Ergebnis mit einer gewissen Systematik geschaffen werden soll.

     

    Herr Boer, vielen Dank für das Gespräch!

    Quelle: Ausgabe 07 / 2022 | Seite 16 | ID 48357051