01.12.2010 · IWW-Abrufnummer 103576
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 21.07.2010 – I-20 U 203/09
1.)
Der Rechtsschutzversicherer ist bei einer Klage des VN auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung nicht leistungsfrei, auch wenn sich herausstellt, dass der VN bei Beantragung der BU-Versicherung arglistig über seinen Gesundheitszustand getäuscht hat.
2.)
Es liegt keine Straftat (Betrug) i.S.d. § 3 Abs. 5 ARB 98 vor, wenn bei Abschluss der Versicherung eine Berufsunfähigkeit des VN überhaupt noch nicht absehbar war.
Weder liegt zu diesem Zeitpunkt ein Vermögensschaden noch eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vor.
Oberlandesgericht Hamm
I-20 U 203/09
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. September 2009 verkündete Urteil der Zivilkammer I des Landgerichts Detmold wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
A.
Die klagende Rechtsschutzversicherung nimmt den Beklagten auf Rückzahlung von erbrachten Versicherungsleistungen in Anspruch. Im Einzelnen geht es um Folgendes:
Der Beklagte schloss mit der Klägerin eine Rechtsschutzversicherung, der die Bedingungen ARB 98 zugrunde lagen (Kopie Bl. 127 ff.). Am 26.6.2001 beantragte er bei der M2 Lebensversicherung AG unter anderem eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ). Unter Ziffer 18 des entsprechenden Antrags wurde der Beklagte gefragt, ob er in den letzten fünf Jahren ärztlich untersucht, beraten oder behandelt worden sei (Frage 14, siehe dazu die Kopie des Fragebogens auf Bl. 35 der Beiakte LG Detmold 12 O 262/07). Hierzu ist als schriftliche Antwort vermerkt, dass er in 2001 eine Erkältung gehabt habe. Die Behandlung des Beklagten wegen einer Depression im Zeitraum vom 25.4. bis zum 2.6.2000, die im Zusammenhang mit der Vergewaltigung seiner damals 13 Jahre alten Tochter stand, ist in dem von ihm unterzeichneten Formular nicht eingetragen. Nachdem der Beklagte an Weihnachten 2005 zusammen gebrochen und seit dem 2.1.2006 krankgeschrieben war, beantragte er im März 2007 bei der M2 Lebensversicherung AG Leistungen aus der BUZ. Als dieser Antrag abgelehnt war, bewilligte ihm die Klägerin Deckungsschutz, der sich zunächst auf die außergerichtliche Geltendmachung der Ansprüche und später auch auf das Gerichtsverfahren erster Instanz bezog. In dem nachfolgenden Prozess hat das Landgericht Detmold (12 O 262/07) die Klage auf Leistungen aus der BUZ durch Urteil vom 16.7.2008 abgewiesen (Bl. 135 ff. der Beiakte). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der (jetzige) Beklagte keinen Anspruch aus dem Versicherungs-vertrag habe, da dieser wirksam gemäß den §§ 142, 123 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten worden sei. In seinem Versicherungsantrag habe er arglistig verschwiegen, vom 25.4. bis 2.6.2000 wegen einer Depression krankgeschrieben und in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein.
Für die dagegen eingelegte Berufung erteilte die jetzige Klägerin am 13.8.2008 Deckungsschutz, wobei sie folgenden Hinweis erteilte (Kopie Bl. 31): "Sollte sich allerdings im Berufungsverfahren bestätigen, dass eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls erfolgte, werden wir unsere Kostenzusagen widerrufen und unsere Aufwendungen zurückfordern". Die gegen das Urteil vom 16.7.2008 eingelegte Berufung nahm der Beklagte nach einem Hinweis des Senates auf deren fehlende Erfolgsaussicht zurück.
Mit Schreiben vom 23.3.2009 widerrief die Klägerin, die als Rechtsschutzversicherer insgesamt 18.552,51 € an gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten gezahlt hatte, ihre Deckungszusagen und forderte den Beklagten unter Fristsetzung zum 27.4.2009 auf, diesen Betrag zu erstatten. Mit ihrer Klage macht die Klägerin diese Forderung nunmehr gerichtlich geltend.
Sie hat die Ansicht vertreten, der Beklagte sei nach § 812 I 1, 1. Fall BGB zur Rückzahlung verpflichtet, da sie sämtliche Verfahrenskosten getragen habe, obwohl sie eigentlich gemäß § 61 VVG a.F. leistungsfrei gewesen sei. Der Beklagte habe den Versicherungsfall zumindest grob fahrlässig herbeigeführt. Er habe die M2 Lebensversicherung AG bei Abschluss des BUZ-Vertrages arglistig getäuscht. Dabei habe er zugleich in Kauf genommen, dass es später zu einem Prozess gegen den Versicherer komme, für den er Leistungen aus der bereits zuvor abgeschlossenen Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen werde.
Die Klägerin hat deshalb beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 18.552,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 28.4.2009 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, dass er als Versicherungsnehmer auf den Bestand der Deckungszusagen habe vertrauen dürfen. Die Klägerin sei über den Stand des Verfahrens stets vollständig informiert gewesen. Lediglich in der Beweisaufnahme habe sich der von ihm vorgetragene Sachverhalt nicht bestätigt. Wenn sich die Klägerin damals entschieden habe, Versicherungsleistungen zu erbringen, so könne sie jetzt – wo das Ausgangsverfahren nicht erfolgreich gewesen sei – keinen Rückgriff nehmen. Überdies habe er in Bezug auf den Versicherungsfall keineswegs arglistig oder sonst schuldhaft gehandelt.
Durch Urteil vom 28.9.2009 (Bl. 88 ff.) hat das Landgericht Detmold die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 61 VVG a.F. nicht erfüllt seien. Die Klägerin müsse sich zudem daran festhalten lassen, dass sie im Schreiben vom 13.8.2008 einen möglichen Rückgriff auf den Fall des Vorsatzes beschränkt habe. Dieser aber lasse sich nicht feststellen. Das den Versicherungsfall auslösende Ereignis, nämlich das Ausfüllen des Versicherungs-antrags am 26.6.2001, lasse diesen Schluss nicht zu. Aus einem arglistigen Handeln gemäß § 123 BGB im Zusammenhang mit dem Abschluss der BUZ lasse sich nicht ohne weiteres folgern, dass der Beklagte dadurch zugleich den Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung habe herbeiführen wollen.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, dass der Versicherungsfall im Sinne der Rechtsschutzversicherung in dem Antrag auf Abschluss der BUZ bei der M2 AG liege. Dabei habe der Beklagte seine Depression aus dem Jahr 2000 verschwiegen und dadurch die Versicherungsgesellschaft arglistig getäuscht. Dadurch habe er den Versicherungs-fall schuldhaft herbeigeführt, denn er habe in Kenntnis der Rechtschutzversicherung bei dem Antrag für die BUZ bewusst falsche Angaben gemacht und so zugleich den Keim des Versicherungsfalls der Rechtsschutzversicherung gelegt. Das Bewusstsein, dass es später zu einer Inanspruchnahme der Rechtsschutz-versicherung kommen könne, sei hingegen im Rahmen des § 61 VVG a.F. nicht notwendig. Soweit es für ihre Leistungsfreiheit auf § 3 (5) ARB ankomme, habe der Beklagte vorsätzlich den Straftatbestand des Betruges verwirklicht.
Die Klägerin beantragt deshalb nunmehr,
das Urteil des Landgerichts Detmold vom 28.9.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an sie 18.552,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 28.4.2009 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und führt ergänzend aus, bei seinem Antrag für eine BUZ im Jahre 2001 nicht daran gedacht zu haben, später einmal zur Durchsetzung etwaiger Ansprüche seine Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen zu müssen. Zudem habe die Klägerin ihre Deckungszusagen in Kenntnis der maßgeblichen Umstände erteilt, woran sie sich jetzt festhalten lassen müsse. Schon vor Beginn des gerichtlichen Verfahrens sei überdies klar gewesen, dass es um die Anfechtung seitens des Versicherers gehen werde. Keinesfalls seien die Voraussetzungen des § 3 (5) ARB – vorsätzliche Begehung einer Straftat - erfüllt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst dazu überreichten Anlagen Bezug genommen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat über den Inhalt des Gespräches bei Aufnahme des BUZ-Antrages Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin O.
B.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
I.
Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen Rückforderungsanspruch gegen den Beklagten aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB hat. Sie hat zwar unstreitig 18.552,51 € geleistet, aber dies geschah aufgrund des wirksam geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrages mit dem Beklagten und nicht etwa ohne Rechtsgrund. Maßgeblich dafür ist im Einzelnen Folgendes:
1
Die Klägerin kann den fehlenden Rechtsgrund der Leistung nicht aus § 61 VVG a.F. herleiten, denn diese Vorschrift ist hier durch § 3 (5) ARB 98 (Kopie Bl. 128) abbedungen. Darin haben die Parteien nämlich vereinbart, dass der Versicherungsschutz (nur) dann ausgeschlossen ist, wenn die rechtliche Auseinandersetzung in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer vorsätzlichen Straftat des Versicherungsnehmers steht. Dadurch ist § 61 VVG a.F., der ausdrücklich auch grob fahrlässig herbeigeführte Versicherungsfälle aus dem Versicherungsschutz ausschließt, zugunsten des Versicherungsnehmers abbedungen (vgl. dazu Harbauer-Maier, ARB, 8. Auflage 2010, § 3 ARB 2000 Rn. 211, 212 und Harbauer-Maier, ARB, 7. Auflage 2004, § 3 ARB 94 Rn. 27).
2
Die Voraussetzungen einer Leistungsfreiheit nach § 3 (5) ARB 98 sind indes im vorliegenden Fall nicht erfüllt. In Betracht käme hier zwar ein Betrug des Beklagten im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB zum Nachteil des BU-Versicherers, aber dessen Voraussetzungen liegen im Ergebnis nicht vor.
a)
Der Beklagte hat den Versicherer zwar durch seine unrichtige Antwort auf die Gesundheitsfrage Nr. 14 objektiv getäuscht, dadurch einen Irrtum über seinen Gesundheitszustand erregt und erreicht, dass die Klägerin den Vertrag in seiner konkreten Form (also zu der vereinbarten Prämie und ohne einen Risikoausschluss) abgeschlossen hat. Das allein reicht aber für einen Betrug im Sinne von § 263 StGB nicht aus. Es muss vielmehr hinzukommen, dass die irrtumsbedingte Vermögens-verfügung bei dem Getäuschten zu einem Vermögensschaden führt bzw. (beim versuchten Betrug) einen solchen Schaden verursachen soll. In diesem Sinne ist ein Schaden gegeben, wenn die Verfügung des Getäuschten zu einer nicht durch einen Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Fischer, StGB, 57. Auflage 2010, § 263 Rn. 111 m.w.N.). In dem Abschluss eines Austauschvertrages aufgrund eines täuschungsbedingten Irrtums liegt daher nicht schon deshalb ein Schaden, weil der Getäuschte eine Vermögens-verfügung trifft, die er ohne die Täuschung nicht getroffen hätte (Fischer, a.a.O., § 263 Rn. 114).
Daran gemessen hat die M2 Lebensversicherung AG allein durch den Abschluss der BU-Versicherung mit dem Beklagten noch keinen Vermögensschaden erlitten. Die Klägerin gewährte Versicherungsschutz und erhielt dafür von dem Beklagten die vereinbarten Prämien. Leistungsansprüche des Beklagten waren zwar aufgrund der Versicherung möglich, aber unstreitig noch nicht konkret absehbar, so dass zu diesem Zeitpunkt bei wirtschaftlicher Betrachtung des Vermögens der Versicherung noch kein Schaden eingetreten war.
b)
Unter bestimmten Umständen reicht aber im Rahmen des § 263 StGB schon eine konkrete und deshalb schadensgleiche Vermögensgefährdung. Diese liegt dann vor, wenn zwar rechnerisch bei einem Vermögensvergleich vor und nach der Verfügung noch kein negativer Saldo festgestellt werden kann, aber die Gefährdung bereits so konkret ist, dass sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögenslage bedeutet (siehe dazu Schönke/Schröder – Cramer/Perron, StGB, 27. Auflage 2006, § 263 Rn. 143 m.w.N.). Keine ausreichende Vermögensgefährdung bedeutet es hingegen, wenn der Getäuschte einen Vertrag abschließt, der nur die Möglichkeit schafft, dass der Getäuschte demnächst in Erfüllung dieses Vertrages eine ihn schädigende Leistung erbringen muss (Schönke/Schröder – Cramer/Perron, a.a.O., § 263 Rn. 145).
Auch nach diesen Grundsätzen liegt hier noch keine schadensgleiche Vermögens-gefährdung vor. Anders als in einem Fall, in dem der Täuschende bereits schwer erkrankt ist und deshalb schon der Abschluss der Versicherung eine konkrete Gefährdung des Vermögens des Versicherers bedeutet, war nach Überzeugung des Senats im Juni 2001 noch nicht absehbar, ob überhaupt und wann der Beklagte berufsunfähig werden würde. Das zeigt auch der spätere Geschehensablauf, der erst im Jahr 2007 zu einem Antrag des Beklagten auf Leistungen aus der BUZ geführt hat.
c)
Es bleibt deshalb festzuhalten, dass der Versicherungsfall der Rechtsschutz-versicherung nicht mit einer vorsätzlichen Straftat des Beklagten in Zusammenhang steht, so dass sich die Klägerin nicht auf eine Leistungsfreiheit nach § 3 (5) ARB 98 berufen kann und deshalb mit Rechtsgrund im Sinne von § 812 I 1 BGB geleistet hat.
II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 sowie 713 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).