24.10.2025 · IWW-Abrufnummer 250842
Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 18.06.2025 – 1 K 776/24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.06.2025, Az. 1 K 776/24
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Aufwendungen des Klägers für das Medikament Ozempic als außergewöhnliche Aufwendungen gemäß § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) anzuerkennen sind.
Der Kläger wurde im Streitjahr 2023 antragsgemäß als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Die von ihm als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen für das Arzneimittel Ozempic in Höhe von € berücksichtigte der Beklagte bei der Einkommensteuerfestsetzung 2023 nicht.
Den dagegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 14. November 2024 als unbegründet zurück, da das Medikament Ozempic im Rahmen einer Behandlung gegen Adipositas keine Zulassung habe und daher Aufwendungen hierfür - mangels Vorliegen eines amtsärztlichen Gutachtens - dem Abzugsverbot nach § 12 EStG unterliegen würden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die am 11. Dezember 2024 erhobene Klage.
Der Kläger reichte im gerichtlichen Verfahren eine Bescheinigung seiner Ärztin ein, wonach ihm das Medikament Ozempic aufgrund der Diagnose Obesity Class 1 (Fettleibigkeit) sowie Hypertension (Bluthochdruck) verschrieben worden war.
Des Weiteren übersandte er Bescheide seiner Beihilfestelle und Abrechnungen seiner privaten Krankenversicherung, aus denen sich ergab, dass er keine Erstattungen für die genannten Aufwendungen erhalten hatte. In der Leistungsmitteilung seiner privaten Krankenversicherung war die Ablehnung wie folgt begründet: "Geheimmittel, Nähr- und Stärkungsmittel (u.a. Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelementpräparate), Mittel zur Behandlung von Übergewicht, kosmetische Mittel, Mineralwässer und Badezusätze sind nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen keine Arzneimittel. Hier handelt es sich um ein Präparat, das zur Gewichtsreduktion von Erwachsenen zugelassen ist. Somit zählt es zu den Entfettungsmitteln."
Der Kläger meint, dem Beklagten fehle es an Sachkunde, die therapeutischen Maßnahmen eines ausgebildeten Arztes zu beurteilen. Bei Ozempic handele es sich um ein ärztlich zugelassenes und verschreibungspflichtiges Medikament. Wofür der Arzt ein Medikament bei der Behandlung seines Patienten einsetze, gehe den Beklagten grundsätzlich nichts an, weil es ein Eingriff in die die ärztliche Berufsausübung wäre, die durch Artikel 12 Grundgesetz (GG) geschützt sei. Die Therapiefreiheit sei Ausfluss der Berufsausübungsfreiheit.
Der Kläger habe einen body mass index (BMI) von 35, weshalb die behandelnden Ärzte ihm dringend zu einer Gewichtsreduzierung verhelfen wollten. Er habe Bluthochdruck und Vorhofflimmern (Atrial Fibrillation). Zur Behandlung dieser Beschwerden müsse er täglich Blutverdünner, Blutdrucksenker und Betablocker einnehmen.
Die Fälle, in denen ein Attest des Amtsarztes oder des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen eingeholt und dem Finanzamt vorgelegt werden müssten, seien explizit im Gesetz (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuerdurchführungsverordnung, EStDV) aufgeführt. Die Verordnung eines verschreibungspflichtigen Medikaments - wie hier Ozempic - werde dort nicht genannt. Der Beklagte gehe daher fehl, wenn er dies verlange.
Adipositas sei eine wissenschaftlich anerkannte Stoffwechselerkrankung. Der Wirkstoff Semaglutid, aus dem das Medikament Ozempic bestehe, sei als Wegovy zur Behandlung chronischer Übergewichtigkeit wissenschaftlich zugelassen. Leider sei Wegovy am Wohnsitz des Klägers nicht erhältlich.
Er beantrage daher, dass das Gericht einen unabhängigen ärztlichen Gutachter befrage, ob Ozempic (Semaglutid) ein wissenschaftlich anerkanntes Medikament zur Behandlung der beim Kläger nachgewiesen Stoffwechselerkrankung (Adipositas Klasse I) sei, weil seiner Ansicht nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV nicht für ein Medikament mit dem Wirkstoff Semaglutid einschlägig sei.
Die Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beihilfestelle und die private Krankenversicherung dürfe und könne kein Präjudiz für die Entscheidung des Finanzgerichts sein.
Der Kläger beantragte,
den Einkommensteuerbescheid 2023 vom 12. September 2024 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 14. November 2024 dahingehend zu ändern, dass die im Streitjahr angefallenen Aufwendungen für Ozempic mit ihrem nach den Grundsätzen des Urteils des BFH vom 19. Januar 2017 (Az. VI R 75/17) berücksichtigungsfähigen Anteil als außergewöhnliche Belastungen angesetzt werden.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint unter Verweis auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung, die vorgelegten Rechnungen würden Aufwendungen i.H.v. € belegen. Abzüglich von 30 % Versicherungserstattungen verbleibe ein Betrag von €. Für die Versicherungserstattungen in der erklärten Höhe von 30 % sei bisher kein Beleg eingereicht worden. Auch sei nicht bekannt, aufgrund welcher Diagnose eine Verordnung erfolgt sei.
Da die medizinische Erforderlichkeit von Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können, schwer zu beurteilen sei, sei grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Gutachten erforderlich, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung zweifelsfrei ergebe. Ein solches Gutachten liege für das hier zu beurteilende Medikament Ozempic nicht vor.
Dem Senat haben die Veranlagungs- und Rechtsbehelfsakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Aufwendungen des Klägers für Ozempic können im Streitjahr nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden, da ein sog. Off-Label-Use des Medikaments vorlag und der Nachweis der Zwangsläufigkeit nicht entsprechend § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f, Satz 2 EStDV geführt wurde.
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
a) In ständiger Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat, geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen; allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen (beispielhaft BFH vom 18. Juni 2015 VI R 68/14, BStBl. II 2015, 803).
b) Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf, weil eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten ist. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden, also medizinisch indiziert sind (BFH, a.a.O.).
c) Den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall hat der Steuerpflichtige in den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV (BFH, a.a.O.) durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu führen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV).
d) Ein solcher qualifizierter Nachweis ist auch bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV) erforderlich.
aa) Wissenschaftlich nicht anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entsprechen (BFH vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BStBl. II 2015, 9). Hierunter fallen Behandlungsmethoden, die die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) nicht befürwortet, weil sich die Methoden in der medizinischen Praxis nicht bewährt haben und über ihre generelle Wirksamkeit und/oder Zweckmäßigkeit nennenswert Streit besteht, sie folglich nicht auf einem tragfähigen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens gründen (vgl. hierzu und im Folgenden BFH vom 23. März 2023 VI R 39/20, BStBl. II 2023, 854). Demgegenüber ist von einem solchen Konsens schon dann auszugehen, wenn die vorgesehene Behandlung den evidenzbasierten Handlungsempfehlungen eines institutionalisierten Expertengremiums entspricht. Dazu zählen etwa die Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer und ebenso die von führenden medizinischen Gesellschaften erstellten Leitlinien, welche den - nach definiertem, transparent gemachtem Vorgehen erzielten - Konsens zu bestimmten ärztlichen Vorgehensweisen wiedergeben und denen deshalb die Bedeutung wissenschaftlich begründeter Handlungsempfehlungen zukommt (vgl. BGH vom 30. Juni 2021 XII ZB 191/21, MDR 2021, 1199). Die Anforderungen an die vorgenannten Handlungsempfehlungen dürfen zudem nicht überspannt werden. Denn wie sich den in § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV aufgeführten Regelbeispielen entnehmen lässt, soll sich das formalisierte Nachweisverlangen nur auf Aufwendungen für Behandlungsmethoden erstrecken, deren Auswirkung auf die Heilung oder Linderung einer Krankheit regelmäßig nicht messbar ist, deren im Einzelfall gleichwohl bestehende medizinische Indikation daher des besonderen Nachweises bedarf.
bb) Ob eine neue Behandlungsmethode generell oder in Einzelfällen zum "Leistungskatalog" der gesetzlichen Krankenkassen zählt, ist für die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode i.S.v. § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV handelt, grundsätzlich nicht maßgebend, denn dieser umfasst nach den gesetzlichen Rahmenregelungen im SGB V und den - diese konkretisierenden - Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Leistungen, die für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind (§ 137c Abs. 1 S. 1 SBG V).; neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn die dort im Einzelnen benannten Ausschüsse und Vereinigungen Empfehlungen u.a. zu der Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - abgegeben haben (BFH vom 23. März 2023 VI R 39/20, BStBl. II 2023, 854).
Demgegenüber sind Aufwendungen im Krankheitsfall, wenn die kostenverursachenden Maßnahmen medizinisch indiziert sind, typisierend als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 S. 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf; dabei ist zu beachten, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer (gesetzlichen) Mindestversorgung erfasst wird, sondern jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) bzw. medizinisch indiziert ist. Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen (BFH vom 11. November 2010 VI R 17/09, BStBl. II 2011, 969).
cc) Maßgeblicher Zeitpunkt für die fehlende wissenschaftliche Anerkennung i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Denn das Nachweiserfordernis soll Aufschluss darüber geben, ob eine Behandlungsmethode im Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert ist und die angefallenen Aufwendungen daher zwangsläufig zum Zweck der Heilung oder Linderung einer Krankheit entstanden sind (BFH vom 23. März 2023 VI R 39/20, BStBl. II 2023, 854, m.w.N.).
e) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass im Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Verschreibung des Medikaments Ozempic zur Behandlung der beim Kläger diagnostizierten Adipositas (Fettleibigkeit und Bluthochdruck) aufgrund der fehlenden Zulassung hierfür diese Behandlungsmethode als wissenschaftlich nicht anerkannt anzusehen ist.
aa) Nach einem Beitrag auf der Internetpräsenz des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt (Adipositas: Wenn überzählige Pfunde krank machen) wiegen zu viele Deutsche zu viel. "In Zahlen bedeutet das: Fast zwei von drei Erwachsenen (60 Prozent) sind übergewichtig, jeder vierte Erwachsene hat sogar starkes Übergewicht (24 Prozent). Auch bei jungen Menschen sind die Zahlen hoch - 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen wiegen zu viel, sechs Prozent sind adipös. Viele Medizinerinnen und Mediziner sprechen daher auch von der "Volkskrankheit" Adipositas: Sie ist in weiten Teilen der Bevölkerung und allen Altersklassen zu beobachten." Die Anerkennung als Krankheit in Deutschland erfolgte lt. Adipositasspiegel im Juli 2020 durch den Deutschen Bundestag (vgl. zum Krankheitswert von Adipositas auch BFH vom 29. Mai 2007 III B 37/06, BFH/NV 2007, 1865).
bb) Die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob das Medikament Ozempic und der in diesem enthaltene Wirkstoff Semaglutid grundsätzlich zur Behandlung von Übergewicht/Fettleibigkeit geeignet ist, hält der Senat nicht für erforderlich, da diese Frage grundsätzlich geklärt zu sein scheint.
Nach einem (beispielhaft für viele Berichte) Bericht des NDR mit dem Titel "Ozempic: Für wen eignet sich die Abnehmspritze?" (Stand 16. Mai 2025) führt der in Ozempic enthaltene Wirkstoff Semaglutid zu einem Gefühl der Sättigung und verlangsamt die Magenentleerung, weshalb das Medikament zu starkem Gewichtsverlust führen kann. Danach ist der Wirkstoff Semaglutid seit 2022 ist in der EU von der Europäischen Arzneimittel-Agentur unter dem Handelsnamen Wegovy zur Behandlung von starkem Übergewicht zugelassen. Es ist mehr als doppelt so hoch dosiert wie in Ozempic. Wegovy darf bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 verordnet werden oder bei Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck ab einem BMI von 27. Wegovy ist vom Gemeinsamen Bundesausschuss als Lifestylearzneimittel eingestuft worden. Die Kosten werden nicht von den Krankenkassen übernommen.
cc) Gleichwohl ist das hier streitgegenständliche Medikament Ozempic in Deutschland zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verordnung nicht für die Behandlung von Adipositas zugelassen, sondern nur zur Behandlung von Diabetes Typ 2 (vgl. Pressemitteilung Gemeinsamer Bundesausschuss vom 21. März 2024). Damit handelt es sich bei der ärztlichen Verordnung des Klägers um einen sog. Off-Label-Use bzw. um eine Verordnung außerhalb einer wissenschaftlich anerkannten Behandlungsmethode. Hintergrund dürfte die unterschiedlich hohe Dosierung einerseits bei Wegovy und andererseits bei Ozempic sein, die Zweifel an der Wirksamkeit entstehen lässt.
Unabhängig von den Hintergründen der fehlenden Zulassung fordert § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV in Fällen der krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden - wie dem Streitfall - ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, welches im Streitfall fehlt. Aus diesem Grund können die Aufwendungen für das Medikament Ozempic nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
dd) Zum Vergleich: Die wissenschaftlich anerkannten Behandlungsmethoden zur Therapie von Adipositas finden sich in der S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas, Stand 7. Oktober 2024. Danach erfordert die Therapie der Adipositas eine Kombination der Ernährungsumstellung, der Bewegungssteigerung und der Verhaltensmodifikation (ab Seite 136). Die dort im Zusammenhang mit der Ernährungsumstellung aufgeführten Maßnahmen reichen von der Reduzierung der Energiezufuhr, über Ernährungstipps bis hin zu verschiedenen Formen des Fastens.
Diese in der medizinischen Fachwelt anerkannten Therapieansätze haben den Vorteil, dass die mit der Einnahme von Ozempic verbundenen Nebenwirkungen, wie der Wirkung auf die Insulinsekretion, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Gallensteinen, erhöhte Herzfrequenz oder eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse und eine lebenslange Einnahme des Medikaments vermieden werden (Apothekerkammer Nordrhein, "Spritze rein - schlanker sein: Apothekerkammer warnt vor Zweckentfremdung von Diabetes-Mittel, Stand 14. Juli 2023).
ee) Darüber hinaus hat der Senat auch Zweifel daran, ob Aufwendungen für sog. Lifestylemedikamente wie Ozempic und Wegovy, die von ihrer Wirkweise her die Verpflegung beeinflussen, überhaupt als außergewöhnliche Belastungen Berücksichtigung finden können.
Nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG sind Aufwendungen für Diätverpflegung ausnahmslos nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar (BFH vom 21. Juni 2007 III R 48/04, DStRE 2008, 82). Begründet wird dies u.a. damit, dass zu den üblichen Aufwendungen für die Lebensführung auch die Kosten für die Verpflegung rechnen.
Der in Ozempic und Wegovy enthaltene Wirkstoff Semaglutid führt -- wie oben beschrieben -- zu einem Gefühl der Sättigung und verlangsamt die Magenentleerung. Er hat damit Auswirkungen auf die Kosten der Verpflegung und dürfte zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung zählen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Tenor:
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Aufwendungen des Klägers für das Medikament Ozempic als außergewöhnliche Aufwendungen gemäß § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) anzuerkennen sind.
Der Kläger wurde im Streitjahr 2023 antragsgemäß als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Die von ihm als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen für das Arzneimittel Ozempic in Höhe von € berücksichtigte der Beklagte bei der Einkommensteuerfestsetzung 2023 nicht.
Den dagegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 14. November 2024 als unbegründet zurück, da das Medikament Ozempic im Rahmen einer Behandlung gegen Adipositas keine Zulassung habe und daher Aufwendungen hierfür - mangels Vorliegen eines amtsärztlichen Gutachtens - dem Abzugsverbot nach § 12 EStG unterliegen würden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die am 11. Dezember 2024 erhobene Klage.
Der Kläger reichte im gerichtlichen Verfahren eine Bescheinigung seiner Ärztin ein, wonach ihm das Medikament Ozempic aufgrund der Diagnose Obesity Class 1 (Fettleibigkeit) sowie Hypertension (Bluthochdruck) verschrieben worden war.
Des Weiteren übersandte er Bescheide seiner Beihilfestelle und Abrechnungen seiner privaten Krankenversicherung, aus denen sich ergab, dass er keine Erstattungen für die genannten Aufwendungen erhalten hatte. In der Leistungsmitteilung seiner privaten Krankenversicherung war die Ablehnung wie folgt begründet: "Geheimmittel, Nähr- und Stärkungsmittel (u.a. Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelementpräparate), Mittel zur Behandlung von Übergewicht, kosmetische Mittel, Mineralwässer und Badezusätze sind nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen keine Arzneimittel. Hier handelt es sich um ein Präparat, das zur Gewichtsreduktion von Erwachsenen zugelassen ist. Somit zählt es zu den Entfettungsmitteln."
Der Kläger meint, dem Beklagten fehle es an Sachkunde, die therapeutischen Maßnahmen eines ausgebildeten Arztes zu beurteilen. Bei Ozempic handele es sich um ein ärztlich zugelassenes und verschreibungspflichtiges Medikament. Wofür der Arzt ein Medikament bei der Behandlung seines Patienten einsetze, gehe den Beklagten grundsätzlich nichts an, weil es ein Eingriff in die die ärztliche Berufsausübung wäre, die durch Artikel 12 Grundgesetz (GG) geschützt sei. Die Therapiefreiheit sei Ausfluss der Berufsausübungsfreiheit.
Der Kläger habe einen body mass index (BMI) von 35, weshalb die behandelnden Ärzte ihm dringend zu einer Gewichtsreduzierung verhelfen wollten. Er habe Bluthochdruck und Vorhofflimmern (Atrial Fibrillation). Zur Behandlung dieser Beschwerden müsse er täglich Blutverdünner, Blutdrucksenker und Betablocker einnehmen.
Die Fälle, in denen ein Attest des Amtsarztes oder des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen eingeholt und dem Finanzamt vorgelegt werden müssten, seien explizit im Gesetz (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuerdurchführungsverordnung, EStDV) aufgeführt. Die Verordnung eines verschreibungspflichtigen Medikaments - wie hier Ozempic - werde dort nicht genannt. Der Beklagte gehe daher fehl, wenn er dies verlange.
Adipositas sei eine wissenschaftlich anerkannte Stoffwechselerkrankung. Der Wirkstoff Semaglutid, aus dem das Medikament Ozempic bestehe, sei als Wegovy zur Behandlung chronischer Übergewichtigkeit wissenschaftlich zugelassen. Leider sei Wegovy am Wohnsitz des Klägers nicht erhältlich.
Er beantrage daher, dass das Gericht einen unabhängigen ärztlichen Gutachter befrage, ob Ozempic (Semaglutid) ein wissenschaftlich anerkanntes Medikament zur Behandlung der beim Kläger nachgewiesen Stoffwechselerkrankung (Adipositas Klasse I) sei, weil seiner Ansicht nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV nicht für ein Medikament mit dem Wirkstoff Semaglutid einschlägig sei.
Die Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beihilfestelle und die private Krankenversicherung dürfe und könne kein Präjudiz für die Entscheidung des Finanzgerichts sein.
Der Kläger beantragte,
den Einkommensteuerbescheid 2023 vom 12. September 2024 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 14. November 2024 dahingehend zu ändern, dass die im Streitjahr angefallenen Aufwendungen für Ozempic mit ihrem nach den Grundsätzen des Urteils des BFH vom 19. Januar 2017 (Az. VI R 75/17) berücksichtigungsfähigen Anteil als außergewöhnliche Belastungen angesetzt werden.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint unter Verweis auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung, die vorgelegten Rechnungen würden Aufwendungen i.H.v. € belegen. Abzüglich von 30 % Versicherungserstattungen verbleibe ein Betrag von €. Für die Versicherungserstattungen in der erklärten Höhe von 30 % sei bisher kein Beleg eingereicht worden. Auch sei nicht bekannt, aufgrund welcher Diagnose eine Verordnung erfolgt sei.
Da die medizinische Erforderlichkeit von Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können, schwer zu beurteilen sei, sei grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Gutachten erforderlich, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung zweifelsfrei ergebe. Ein solches Gutachten liege für das hier zu beurteilende Medikament Ozempic nicht vor.
Dem Senat haben die Veranlagungs- und Rechtsbehelfsakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Aufwendungen des Klägers für Ozempic können im Streitjahr nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden, da ein sog. Off-Label-Use des Medikaments vorlag und der Nachweis der Zwangsläufigkeit nicht entsprechend § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f, Satz 2 EStDV geführt wurde.
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
a) In ständiger Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat, geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen; allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen (beispielhaft BFH vom 18. Juni 2015 VI R 68/14, BStBl. II 2015, 803).
b) Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf, weil eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten ist. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden, also medizinisch indiziert sind (BFH, a.a.O.).
c) Den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall hat der Steuerpflichtige in den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV (BFH, a.a.O.) durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu führen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV).
d) Ein solcher qualifizierter Nachweis ist auch bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV) erforderlich.
aa) Wissenschaftlich nicht anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entsprechen (BFH vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BStBl. II 2015, 9). Hierunter fallen Behandlungsmethoden, die die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) nicht befürwortet, weil sich die Methoden in der medizinischen Praxis nicht bewährt haben und über ihre generelle Wirksamkeit und/oder Zweckmäßigkeit nennenswert Streit besteht, sie folglich nicht auf einem tragfähigen medizinisch-wissenschaftlichen Konsens gründen (vgl. hierzu und im Folgenden BFH vom 23. März 2023 VI R 39/20, BStBl. II 2023, 854). Demgegenüber ist von einem solchen Konsens schon dann auszugehen, wenn die vorgesehene Behandlung den evidenzbasierten Handlungsempfehlungen eines institutionalisierten Expertengremiums entspricht. Dazu zählen etwa die Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer und ebenso die von führenden medizinischen Gesellschaften erstellten Leitlinien, welche den - nach definiertem, transparent gemachtem Vorgehen erzielten - Konsens zu bestimmten ärztlichen Vorgehensweisen wiedergeben und denen deshalb die Bedeutung wissenschaftlich begründeter Handlungsempfehlungen zukommt (vgl. BGH vom 30. Juni 2021 XII ZB 191/21, MDR 2021, 1199). Die Anforderungen an die vorgenannten Handlungsempfehlungen dürfen zudem nicht überspannt werden. Denn wie sich den in § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV aufgeführten Regelbeispielen entnehmen lässt, soll sich das formalisierte Nachweisverlangen nur auf Aufwendungen für Behandlungsmethoden erstrecken, deren Auswirkung auf die Heilung oder Linderung einer Krankheit regelmäßig nicht messbar ist, deren im Einzelfall gleichwohl bestehende medizinische Indikation daher des besonderen Nachweises bedarf.
bb) Ob eine neue Behandlungsmethode generell oder in Einzelfällen zum "Leistungskatalog" der gesetzlichen Krankenkassen zählt, ist für die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode i.S.v. § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV handelt, grundsätzlich nicht maßgebend, denn dieser umfasst nach den gesetzlichen Rahmenregelungen im SGB V und den - diese konkretisierenden - Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Leistungen, die für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind (§ 137c Abs. 1 S. 1 SBG V).; neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn die dort im Einzelnen benannten Ausschüsse und Vereinigungen Empfehlungen u.a. zu der Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - abgegeben haben (BFH vom 23. März 2023 VI R 39/20, BStBl. II 2023, 854).
Demgegenüber sind Aufwendungen im Krankheitsfall, wenn die kostenverursachenden Maßnahmen medizinisch indiziert sind, typisierend als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 S. 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf; dabei ist zu beachten, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer (gesetzlichen) Mindestversorgung erfasst wird, sondern jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) bzw. medizinisch indiziert ist. Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen (BFH vom 11. November 2010 VI R 17/09, BStBl. II 2011, 969).
cc) Maßgeblicher Zeitpunkt für die fehlende wissenschaftliche Anerkennung i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Denn das Nachweiserfordernis soll Aufschluss darüber geben, ob eine Behandlungsmethode im Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert ist und die angefallenen Aufwendungen daher zwangsläufig zum Zweck der Heilung oder Linderung einer Krankheit entstanden sind (BFH vom 23. März 2023 VI R 39/20, BStBl. II 2023, 854, m.w.N.).
e) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass im Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Verschreibung des Medikaments Ozempic zur Behandlung der beim Kläger diagnostizierten Adipositas (Fettleibigkeit und Bluthochdruck) aufgrund der fehlenden Zulassung hierfür diese Behandlungsmethode als wissenschaftlich nicht anerkannt anzusehen ist.
aa) Nach einem Beitrag auf der Internetpräsenz des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt (Adipositas: Wenn überzählige Pfunde krank machen) wiegen zu viele Deutsche zu viel. "In Zahlen bedeutet das: Fast zwei von drei Erwachsenen (60 Prozent) sind übergewichtig, jeder vierte Erwachsene hat sogar starkes Übergewicht (24 Prozent). Auch bei jungen Menschen sind die Zahlen hoch - 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen wiegen zu viel, sechs Prozent sind adipös. Viele Medizinerinnen und Mediziner sprechen daher auch von der "Volkskrankheit" Adipositas: Sie ist in weiten Teilen der Bevölkerung und allen Altersklassen zu beobachten." Die Anerkennung als Krankheit in Deutschland erfolgte lt. Adipositasspiegel im Juli 2020 durch den Deutschen Bundestag (vgl. zum Krankheitswert von Adipositas auch BFH vom 29. Mai 2007 III B 37/06, BFH/NV 2007, 1865).
bb) Die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob das Medikament Ozempic und der in diesem enthaltene Wirkstoff Semaglutid grundsätzlich zur Behandlung von Übergewicht/Fettleibigkeit geeignet ist, hält der Senat nicht für erforderlich, da diese Frage grundsätzlich geklärt zu sein scheint.
Nach einem (beispielhaft für viele Berichte) Bericht des NDR mit dem Titel "Ozempic: Für wen eignet sich die Abnehmspritze?" (Stand 16. Mai 2025) führt der in Ozempic enthaltene Wirkstoff Semaglutid zu einem Gefühl der Sättigung und verlangsamt die Magenentleerung, weshalb das Medikament zu starkem Gewichtsverlust führen kann. Danach ist der Wirkstoff Semaglutid seit 2022 ist in der EU von der Europäischen Arzneimittel-Agentur unter dem Handelsnamen Wegovy zur Behandlung von starkem Übergewicht zugelassen. Es ist mehr als doppelt so hoch dosiert wie in Ozempic. Wegovy darf bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 verordnet werden oder bei Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck ab einem BMI von 27. Wegovy ist vom Gemeinsamen Bundesausschuss als Lifestylearzneimittel eingestuft worden. Die Kosten werden nicht von den Krankenkassen übernommen.
cc) Gleichwohl ist das hier streitgegenständliche Medikament Ozempic in Deutschland zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verordnung nicht für die Behandlung von Adipositas zugelassen, sondern nur zur Behandlung von Diabetes Typ 2 (vgl. Pressemitteilung Gemeinsamer Bundesausschuss vom 21. März 2024). Damit handelt es sich bei der ärztlichen Verordnung des Klägers um einen sog. Off-Label-Use bzw. um eine Verordnung außerhalb einer wissenschaftlich anerkannten Behandlungsmethode. Hintergrund dürfte die unterschiedlich hohe Dosierung einerseits bei Wegovy und andererseits bei Ozempic sein, die Zweifel an der Wirksamkeit entstehen lässt.
Unabhängig von den Hintergründen der fehlenden Zulassung fordert § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV in Fällen der krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden - wie dem Streitfall - ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, welches im Streitfall fehlt. Aus diesem Grund können die Aufwendungen für das Medikament Ozempic nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
dd) Zum Vergleich: Die wissenschaftlich anerkannten Behandlungsmethoden zur Therapie von Adipositas finden sich in der S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas, Stand 7. Oktober 2024. Danach erfordert die Therapie der Adipositas eine Kombination der Ernährungsumstellung, der Bewegungssteigerung und der Verhaltensmodifikation (ab Seite 136). Die dort im Zusammenhang mit der Ernährungsumstellung aufgeführten Maßnahmen reichen von der Reduzierung der Energiezufuhr, über Ernährungstipps bis hin zu verschiedenen Formen des Fastens.
Diese in der medizinischen Fachwelt anerkannten Therapieansätze haben den Vorteil, dass die mit der Einnahme von Ozempic verbundenen Nebenwirkungen, wie der Wirkung auf die Insulinsekretion, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Gallensteinen, erhöhte Herzfrequenz oder eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse und eine lebenslange Einnahme des Medikaments vermieden werden (Apothekerkammer Nordrhein, "Spritze rein - schlanker sein: Apothekerkammer warnt vor Zweckentfremdung von Diabetes-Mittel, Stand 14. Juli 2023).
ee) Darüber hinaus hat der Senat auch Zweifel daran, ob Aufwendungen für sog. Lifestylemedikamente wie Ozempic und Wegovy, die von ihrer Wirkweise her die Verpflegung beeinflussen, überhaupt als außergewöhnliche Belastungen Berücksichtigung finden können.
Nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG sind Aufwendungen für Diätverpflegung ausnahmslos nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar (BFH vom 21. Juni 2007 III R 48/04, DStRE 2008, 82). Begründet wird dies u.a. damit, dass zu den üblichen Aufwendungen für die Lebensführung auch die Kosten für die Verpflegung rechnen.
Der in Ozempic und Wegovy enthaltene Wirkstoff Semaglutid führt -- wie oben beschrieben -- zu einem Gefühl der Sättigung und verlangsamt die Magenentleerung. Er hat damit Auswirkungen auf die Kosten der Verpflegung und dürfte zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung zählen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.