Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 15.02.2024 · IWW-Abrufnummer 239739

    Oberlandesgericht Dresden: Urteil vom 07.11.2023 – 4 U 54/23

    1. Eine Verletzung der vom Versicherungsvermittler geschuldeten Dokumentationspflicht begründet keinen eigenständigen Schadensersatzanspruch, sondern führt lediglich zu einer Beweislastumkehr.

    2. Auch bei Übergabe einer Statusinformation, die den Vermittler als Agenten der Versicherung ausweist, kann dessen Haftung als Anscheinsmakler in Betracht kommen, wenn er nach den Gesamtumständen den Eindruck erweckt, im Lager des Versicherungsnehmers zu stehen und eine vom Versicherungsunternehmen unabhängige Beratung zu leisten.

    3. Vor der Umdeckung einer Berufsunfähigkeitsversicherung hat der Versicherungsmakler sich einen Überblick über den bestehenden Versicherungsschutz zu verschaffen.

    4. Vor einem Wechsel der Berufsunfähigkeitsversicherung, der mit einem Ausschluss für bestimmte Erkrankungen verbunden ist, hat er den Versicherungsnehmer eindringlich auf die damit einhergehenden Risiken hinzuweisen.


    Oberlandesgericht Dresden 

    Urteil vom 07.11.2023


    Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat in dem Verfahren 4 U 54/23 am 7. November 2023 für Recht erkannt:

    Tenor:

    I.
    Auf die Berufung der Beklagten zu 2) wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21.12.2022 im Kostentenor und insofern aufgehoben, als es eine gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zu 2) neben der Beklagten zu 1) enthält. Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage wird abgewiesen.

    II.
    Die Berufung der Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.

    III.
    Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen dieser selbst sowie die Beklagte zu 1) zu je 1/2. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2). Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

    IV.
    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    V.
    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Beschluss:

    Der Streitwert wird auf 11.542,60 EUR festgesetzt.

    Gründe

    I.

    Der Kläger begehrt die Feststellung von Schadensersatzansprüchen wegen Beratungspflichtverletzungen gegenüber der Beklagten zu 1), einem Finanzvermittlungsdienst und Mehrfachagenten für verschiedene Versicherer, mit deren Hilfe der Kläger nach mehreren Beratungsgesprächen eine vorbestehende Berufsunfähigkeitsversicherung bei der A...... AG kündigte und gegenüber der Beklagten zu 2), bei der er stattdessen unter Vermittlung der bei der Beklagten zu 1) beschäftigten Zeugen eine Grundfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat. Von der weiteren Aufnahme des Tatbestandes wird abgesehen, §§ 525, 313a Abs. 2 ZPO. Das Landgericht hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 21.12.2022, auf das zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, gegen beide Beklagten stattgegeben, was diese mit ihren selbständigen, auf Klageabweisung gerichteten Berufungen angreifen.

    II.

    Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1) bleibt ohne Erfolg, die Berufung der Beklagten zu 2) ist ebenfalls zulässig und führt zur Abänderung des Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang und Abweisung der gegen sie gerichteten Klage.

    1. Das LG hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1) einen feststellungsfähigen Schadensersatzanspruch wegen einer Beratungspflichtverletzung der für diese handelnden Zeugen H...... und B...... in den Beratungsgesprächen mit dem Kläger vom 15. 10. und 22.11.2018 hat.

    a) Dies folgt allerdings nicht aus einem Verstoß gegen § 62 VVG; hiernach ist es Aufgabe des Vermittlers, die Bedarfserhebung, Beratung und Empfehlung gem. § 62 Abs. 1 Satz 2 VVG zu dokumentieren und diese dem künftigen Versicherungsnehmer vor dem Abschluss des Vertrages zu übermitteln. Eine Verletzung dieser Dokumentationerfordernisse führt jedoch für sich genommen noch nicht zu einem Schadenersatzanspruch, da diese Pflicht lediglich dazu dient, das Vermittlergespräch auch zu Beweiszwecken festzuhalten und dem Versicherungsnehmer die Gründe der Entscheidung für ein bestimmtes Produkt nochmals vor Augen zu führen (BGH, Urteil vom 13. November 2014 - III ZR 544/13 - juris Rn. 18; vgl. auch Prölss/Martin-Dörner, VVG, 31. Aufl., § 63, Rn. 5, m.w.N.; Senat, Urteil vom 21. Februar 2017 - 4 U 1512/16 -, Rn. 15, juris). Wegen der mit dem Verstoß einhergehenden Beweislastumkehr handelt es sich vielmehr um eine bloße Obliegenheit des Vermittlers.

    b) Die Beklagte zu 1) haftet aber nach §§ § 60, 61, 63 VVG wegen einer Beratungspflichtverletzung bei Anbahnung eines Versicherungsvertrages.

    aa) Aufgrund der Gesamtumstände ist davon auszugehen, dass zwischen den Beteiligten ein Versicherungsmaklervertrag abgeschlossen wurde. Versicherungsmakler ist, wer gewerbsmäßig Versicherungsverträge vermittelt oder abschließt, dabei aber nicht vom Versicherer, sondern vom potentiellen Versicherungsnehmer mit dem konkreten Vermittlungsgeschäft betraut worden ist, § 59 Abs. 3 Satz 1 VVG. Als Versicherungsmakler gilt auch, wer gegenüber dem Versicherungsnehmer den Anschein erweckt, er erbringe seine Leistung als Versicherungsmakler nach Satz 1, § 59 Abs. 3 Satz 2 VVG. Auch ein Versicherungsvermittler, der im Verhältnis zu den Versicherern Versicherungsagent oder Mehrfachagent ist, kann als Versicherungsmakler auftreten und mit dem Versicherungsnehmer Maklerverträge schließen mit der Folge, dass er für Pflichtverletzungen aus dem Vertrag selbst einzustehen hat (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 08.10.2009 - 18 U 26/08 - juris). Ein Versicherungsvermittler, der im Verhältnis zu den Versicherungen Versicherungs- oder Mehrfachagent ist, haftet dem Versicherungsnehmer als Versicherungsmakler, wenn er diesem gegenüber nicht deutlich macht, dass er als Versicherungsvertreter auftritt; der bloße Hinweis auf die ihm nach § 34d GewO erteilte Erlaubnis reicht hierfür nicht aus (Senat, Beschluss vom 9. April 2019 - 4 U 441/19 -, juris). Die von beiden Parteien vorgelegten Unterlagen und das Vorbringen der Beklagten vor dem Landgericht bietet jedoch keinen Anhalt anzunehmen, dass die Zeugen dem Kläger ihre Vertreterstellung im Verhältnis zu verschiedenen Versicherern in dieser Weise offengelegt hätten. Dem im Anschluss an das Beratungsgespräch vom 15. 10. 2018 erstellten Finanzgutachten (Anlage K 2) ist vielmehr zu entnehmen, dass die Beklagte zu 1) gegenüber dem Kläger als "Unternehmensberater für den privaten Haushalt" (Seite 01) gegenübergetreten ist, der mit "unabhängigen Spezialisten" (Seite 01) zusammenarbeitet und "unabhängig von Produktgebern" (Seite 03) ist. Hierfür spricht auch die Formulierung der "Dienstleistungsvereinbarung" vom 15.10.2018, in der es unter Nr. 2 heißt: "Der Auftraggeber (= Kl.) wünscht eine Beratung in Versicherungs- und Finanzangelegenheiten durch das o.g. beratende Unternehmen (= Bekl. zu 1)..." sowie der Umstand, dass die vermeintliche Beratungsleistung der Beklagten zu 1) überhaupt gebührenpflichtig war, obwohl diese im Innenverhältnis nur Verträge mit einer begrenzten Anzahl von gebundenen Versicherern hätte vermitteln können. Wie aus dem als Anlage K 22 vorgelegten Schreiben der Bekl. zu 1) vom 5.12.2018 folgt, versteht diese selbst ihre Rolle ebenfalls in diesem Sinne, heißt es doch dort "... Herr XXX, ist bei uns Mandant...". Auch in dem Beratungsprotokoll vom 22.11.2018 findet sich über einen Hinweis auf § 34d GewO hinaus nichts für eine Agentenstellung der Beklagten zu 1); dass dort auf "eine Liste der vertretenen Versicherungsunternehmen" hingewiesen wird, was für sich genommen eine Tätigkeit als Versicherungsmakler nicht ausschließt (vgl. § 60 Abs. 2 S. 1 VVG), ändert hieran nichts.

    Angesichts des durch diese Unterlagen entstandenen Eindrucks und des von der Beklagten zu 1) praktizierten Verfahrens, reicht ein solcher Hinweis allein nicht aus, selbst wenn darüber hinaus dem Kläger vor dem Erstgespräch durch den Zeugen B...... eine Statusinformation übergeben worden sein sollte, was die Beklagte zu 1) im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 30.10.2023 behauptet und selbst wenn diese entsprechend der mit diesem Schriftsatz vorgelegten Anlagen B 6 und B7 die nach § 11 Abs. 1 VersVermV a.F. (jetzt § 15 VersVermV) i.V.m. § 60 VVG erforderlichen Angaben enthalten haben sollte. Auch kommt es für die Haftung als Anscheinsmakler entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1) nicht darauf an, welche Vorstellung der Kläger über ihre Stellung entwickelt haben mag, weil es sich bei einem vom Verhalten einer Person gewonnenen Eindruck um eine innere Tatsache handelt, auf die aufgrund der äußeren Indizien zu schließen ist. Entscheidend ist daher allein das objektive Auftreten des Vermittlers gegenüber dem Versicherungsnehmer. Ihn treffen die Maklerpflichten selbst dann, wenn der Versicherungsnehmer durchschaut, dass es sich bei dem Vermittler gar nicht um einen Makler handelt (Prölss/Martin/Dörner, 31. Aufl. 2021, VVG § 59 Rn. 150); erst recht muss dies gelten, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - sich über dessen Stellung keine Gedanken macht. Dass der Kläger sich im Verfahren erster Instanz nicht ausdrücklich auf eine Haftung der Beklagten zu 1) als Anscheinsmaklerin berufen hat, ändert hieran nichts. Der zur Entscheidung stehende Streitgegenstand ist die bereits mit der Klage erhobene Behauptung, die für die Beklagte zu 1) tätigen Zeugen hätten ihre Beratungspflichten verletzt, weil sie es versäumt hätten, den Umfang des vorbestehenden Versicherungsschutzes des Klägers korrekt zu ermitteln und ihn auf dieser Grundlage zutreffend zu beraten. Ob diese Haftung aus der Tätigkeit als Anscheinsmakler oder als Agent der Beklagten zu 2) folgt, ist eine Rechtstatsache, die der Senat auf der Grundlage des Parteivorbringens nach dem Grundsatz iura novit curia zu entscheiden hat (vgl. statt aller (Staudinger/Latzel (2022) BGB § 611, Rn. 544)).

    bb) Die Pflichten eines Anscheinsmaklers entsprechen denen des vom Versicherungsnehmer beauftragten Versicherungsmaklers und sind damit sehr weitgehend. Wegen seiner umfassenden Pflichten kann der Versicherungsmakler für den Bereich des Versicherungsverhältnisses des von ihm betreuten Versicherungsnehmers als dessen treuhänderischer Sachwalter bezeichnet und insoweit mit sonstigen Beratern verglichen werden. Als Vertrauter und Berater des Versicherungsnehmers hat er dessen Interessen wahrzunehmen und individuellen, für das betreffende Objekt passenden Versicherungsschutz zu besorgen (st. Rspr., zum Ganzen BGH Urt. v. 26.03.2014 - IV ZR 422/12, juris Rn. 25 mwN; OLG Zweibrücken, Urteil vom 12. Dezember 2018 - 1 U 167/14 -, Rn. 30, juris; Senat, Beschluss vom 9. April 2019 - 4 U 441/19 -, Rn. 9 - 10, juris). Bei Berufsunfähigkeitsversicherungen, bei denen es sich ebenso wie bei Lebensversicherungen um besonders beratungsbedürftige Versicherungsverträge handelt, hat der Versicherungsmakler seinen Kunden regelmäßig auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Versicherung hinzuweisen (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2014 - III ZR 544/13 -, Rn. 9 - 18, zit. n. juris m.w.N.). Hierzu gehört auch ein Hinweis auf die Risiken bei der Abwicklung bereits bestehender Verträge (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 15. September 2011 - 12 U 56/11 -, Rn. 48 m.w.N, - juris; Senat, Urteil vom 29. Januar 2019 - 4 U 942/17 -, Rn. 17, juris). Diesen Beratungspflichten vorgelagert ist die Pflicht des Maklers, sich einen Überblick über Versicherungssituation und Beratungsbedarf des Mandanten zu verschaffen.

    cc) Vorliegend wäre die Beklagte zu 1) auf dieser Grundlage nicht nur verpflichtet gewesen, sich im Rahmen der Finanzanalyse die bestehenden Versicherungen des Klägers bei der A...... und der M...... AG zeigen zu lassen, sondern auch der sich im Anschluss hieran aufdrängenden Frage nachzugehen, welchen Inhalt die aus dem Versicherungsschein der M...... AG ersichtliche Sondervereinbarung hatte und welche Konsequenzen sich hieraus für den Versicherungsschutz des Klägers ergaben. Zu einer solchen tiefgründigen Analyse hätte umso mehr Veranlassung bestanden, als der Kläger in Versicherungsangelegenheiten ersichtlich hilflos war, was zumindest dem Zeugen B...... klar vor Augen stand (Anlage WH2) und wovon sich auch der Senat im Verhandlungstermin vom 17.10.2023 überzeugen konnte. Dass der Kläger selbst vom Inhalt dieser Sondervereinbarung nichts wusste, hätte die Zeugen daher nicht zufriedenstellen dürfen. Hätten sie insofern den Sachverhalt weiter abgeklärt und sich diese Sondervereinbarung zeigen lassen, wäre hieraus deutlich geworden, dass der Kläger bei der erst im August 2018 abgeschlossenen Versicherung verschiedene Krankheiten der Atemwege angezeigt hatte, was für die Versicherung bei der Münchener AG zu einem Risikoausschluss geführt hatte; angesichts dessen hätten die Zeugen dann darauf hinwirken müssen, den Kläger von einer Kündigung seiner älteren Versicherung bei der A...... abzuhalten, die einen solchen Ausschluss nicht enthielt. Erst recht hätte eine solche Pflicht dann bestanden, wenn der Kläger - was er behauptet und die Beklagte zu 1) bestreitet - die Zeugen über seine Asthmaerkrankung von sich aus in Kenntnis gesetzt hätte; in einem solchen Fall wäre freilich die Beiziehung der Sondervereinbarung entbehrlich gewesen. Für das von der Beklagten zu 1) behauptete arglistige Verschweigen dieser Erkrankung durch den Kläger, mit dem Ziel, die Zeugen von einer Einsicht in diese Sondervereinbarung abzuhalten, um sich so eine Berufs- oder Grundfähigkeitsversicherung zu erschleichen, ist demgegenüber nichts ersichtlich. Eine solche Täuschung, die darauf hinausliefe, einen bestehenden Versicherungsschutz durch einen anderen zu ersetzen, ergibt bereits keinen Sinn, auch weil der Kläger erst wenige Monate zuvor gegenüber der M...... AG diese Erkrankung offenbart und den daraus folgenden Risikoausschluss akzeptiert hatte. Die Gesundheitsfragen im "Antrag für Ihren Plan D" (Anlage K 6) waren überdies nach lit a) bis h) überhaupt nicht auf Atemwegserkrankungen ausgerichtet, für die Grundfähigkeitsversicherung bei der Beklagten zu 1) waren sie unstreitig unerheblich. Einen Rückschluss auf ein arglistiges Handeln lässt damit die Verneinung der Frage nach Behandlungen und Untersuchungen in den letzten fünf Jahren in diesem Antrag nicht zu. Allein die Verneinung der Gesundheitsfragen im parallel gestellten Antrag auf eine Krankentagegeldversicherung reicht hierfür nicht aus, zumal auch diese Fragen durch die Zeugen für den Kläger vorangekreuzt waren.

    dd) Dass die für die Beklagte zu 1) handelnden Zeugen diese Beratungspflicht schuldhaft verletzt haben, steht für den Senat mit einer für § 286 ZPO hinreichenden Gewissheit fest. Hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, dass das als Anlage B1 vorgelegte Beratungsprotokoll lediglich eine Produktempfehlung enthält, den Inhalt des Gesprächs jedoch in keiner Weise wiedergibt. Dies führt zu einer Beweisverlagerung auf die Beklagte. Grundsätzlich hat zwar der den Schadensersatz begehrende Versicherungsnehmer darzulegen und zu beweisen, dass der Versicherungsvermittler seine Beratungspflicht verletzt hat, wobei den Versicherungsvermittler eine sekundäre Darlegungslast trifft (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 440/13, juris). Verletzt der Versicherungsvermittler aber seine nach § 61 Abs. 1 Satz 2, § 62 VVG bestehende Pflicht, den erteilten Rat und seine Gründe dafür zu dokumentieren und dies dem Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss zu übermitteln, erscheint es gerechtfertigt, ihm das beweisrechtliche Risiko aufzuerlegen und dem Versicherungsnehmer Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zuzubilligen (Senat, Urteil vom 29. Januar 2019 - 4 U 942/17 -, Rn. 19, juris). Diesen Beweis hat die Beklagte durch die Vernehmung der Zeugen H...... und B...... nicht geführt. Diese haben lediglich bekundet, dem Kläger die Unterschiede zwischen einer Grundfähigkeits- und einer Berufsunfähigkeitsversicherung erläutert und sich erfolglos nach dem Inhalt der Sondervereinbarung erkundigt zu haben, ohne jedoch ansonsten den Versorgungsbedarf des Klägers im Einzelnen zu ermitteln oder sich die Sondervereinbarung vorlegen zu lassen. Im Vordergrund ihrer Beratung stand vielmehr das Anliegen, dem Wunsch des Klägers nach einer Verringerung seiner monatlichen Prämienbelastung Rechnung zu tragen, ohne ihm jedoch die damit verbundenen Nachteile für seinen Versicherungsschutz darzustellen. Der darin liegende Verstoß gegen die die Zeugen als Anscheinsmakler treffenden Handlungspflichten erweist sich, wie das Landgericht zutreffend ausführt, auch als fahrlässig.

    ee) Es kann zugunsten der Beklagten zu 1) unterstellt werden, dass der Kläger den Wunsch nach einer Prämienreduktion geäußert hat. Der Senat geht allerdings im Anschluss an dessen persönliche Anhörung im Termin vom 17.10.2023 davon aus, dass er bei gehöriger Beratung unter Hinweis auf die Verschlechterung seines Versicherungsschutzes im Falle einer Kündigung des bestehenden Vertrages mit der A...... Versicherung hiervon abgesehen hätte. Der Kläger hat dem Senat glaubhaft den Eindruck vermittelt, besonderen Wert auf eine vollständige Absicherung auch des Berufsunfähigkeitsrisikos bei Atemwegserkrankungen zu legen, für die er als Bäcker und aufgrund seiner Vorerkrankung ein erhöhtes Risikoprofil aufweist. Er hat vor diesem Hintergrund auch ein auf einem Vergleichsvorschlag des Senats beruhendes Vergleichsangebot der Beklagtenseite ausgeschlagen, mit dem dieses Risiko hätte abgegolten werden sollen. Auch wenn die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens nicht eingreift, wenn für den potentiellen Versicherungsnehmer nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte, sondern nach pflichtgemäßer Beratung verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht gekommen wären, die unterschiedliche Vorteile und Risiken mit sich gebracht hätten (BGH, Urteil vom 30. November 2017 - I ZR 143/16 -, Rn. 17, juris), hat der Kläger angesichts dessen den Kausalitätsbeweis geführt.

    ff) Schließlich ist auch im Anschluss an die Ausführungen des Landgerichts auf S. 13 des angefochtenen Urteils von einem feststellungsfähigen Schaden auszugehen, der in der nunmehr ausgeschlossenen Absicherung gegen Berufsunfähigkeit bei Atemwegserkrankungen liegt. Dieser Schaden wird, anders als die Beklagte meint, nicht durch die anstelle des Vertrags bei der A...... abgeschlossene Grundfähigkeitsversicherung ersetzt, die eine solche Berufsunfähigkeit gerade nicht abdeckt. Ein Wegfall des Schadens folgt auch nicht aus einer Anfechtungsmöglichkeit des bei der A...... im Jahr 2013 geschlossenen Vertrags. Unabhängig davon, dass die Beklagte für ihre Behauptung, der Kläger habe die A...... Versicherung vor Versicherungsbeginn zum 01.10.2013 arglistig getäuscht, einen substantiierten Vortrag vermissen lässt (s.o.), wäre zwischenzeitlich auch die Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 3 BGB verstrichen, ohne dass bislang eine solche Berufsunfähigkeit eingetreten ist.

    2. Demgegenüber scheidet eine Haftung der Beklagten zu 2) wegen dieser Beratungspflichtverletzung nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB oder nach § 6 Abs. 5 VVG aus. Unstreitig lag die festgestellte Beratungspflichtverletzung in der Anbahnungsphase, d.h. vor Beginn der Beratung über die schließlich abgeschlossene Grundfähigkeitsversicherung bei der Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 1) war auch nicht Ausschließlichkeitsvertreterin für Produkte allein der Beklagten zu 2), sondern mit einer Vielzahl von Versicherern verbunden.

    a) Der Senat hat Zweifel, ob Pflichtverletzungen des Anscheinsmaklers dem Versicherer, mit dem dieser über einen Geschäftsbesorgungsvertrag verbunden ist, überhaupt zugerechnet werden und ob dieser - wie in der Literatur zum Teil angenommen - bei objektiver Betrachtung dann noch in das vorvertragliche Schuldverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer als Erfüllungsgehilfe eingeschaltet ist (so Prölss/Martin/Dörner, 31. Aufl. 2021, VVG § 59 Rn. 151; Böckmann/Ostendorf, VersR 2009, 154 (158)). Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die gesetzliche Fiktion des § 59 Abs. 2 S. 2 VVG nach der Intention der VersVertriebsRL (Abl. EU 2016 L 26) nur im direkten Verhältnis zwischen dem Vermittler und dem Kunden selbst gelten solle. Für die Haftung des Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB ist dies jedoch nicht maßgeblich. Es spricht insofern vielmehr einiges dafür, dass der Mehrfachagent mit der Anmaßung einer Maklerrolle sich aus diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis löst, weil er dem Anschein nach in das "Lager" des Versicherungsnehmers wechselt und vorgibt, dessen Interessen gegenüber dem künftigen Versicherer zu vertreten. Hierfür spricht auch, dass bei Anwendung von § 19 Abs. 1 VVG die Fragen eines Pseudomaklers nicht als Fragen des Versicherers angesehen werden (LG Dortmund r+s 2012, 426), eine Zurechnung in diesem Bereich mithin gerade ausgeschlossen ist. Schließlich ist auch eine ansonsten eintretende Verdopplung der Haftungssubjekte zum Schutz des Versicherungsnehmers nicht erforderlich.

    b) Diese Frage kann jedoch dahinstehen, weil jedenfalls in der Anbahnungsphase eine Haftungszurechnung bei einem Mehrfachvertreter ausscheidet. Im Gegensatz zu Versicherungsmaklern sind Mehrfachagenten verpflichtet, für die mit ihnen vertraglich verbundenen Versicherer tätig zu werden, und werden, sofern sie im Einzelfall für einen Versicherer - wenn auch nicht ausschließlich - tätig sind, haftungsrechtlich wie Ausschließlichkeitsvertreter behandelt. Generell wird daher noch nicht die Tätigkeit in der "Auswahlphase" (also bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Mehrfachagent mit der Vertragsanbahnung zu einem konkreten Versicherer beginnt), sondern erst diejenige in der Zeit danach (bei der konkreten Vertragsanbahnung) als die eines Versicherungsagenten des betreffenden Versicherers eingeordnet (Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung, Kapitel 23. Spezielle Vertriebs- und Haftungsfragen (Vermittler, Versicherer) Rn. 10, beck-online). Eine Zurechnung bereits in dieser Anbahnungsphase würde bei Mehrfachagenten dazu führen, dass die Haftung des Geschäftsherrn auf alle Versicherer erstreckt werden müsste, mit denen der Agent einen Geschäftsbesorgungsvertrag unterhält. Dies wäre ersichtlich nicht sachgerecht. Eine Haftung als Erfüllungsgehilfe allein für den späteren Versicherer findet demgegenüber in § 278 BGB keine Rechtfertigung, weil sie voraussetzen würde, dass die Beratungspflichten in der Anbahnungsphase allein zur Erfüllung der Verpflichtungen des späteren Versicherers erfolgen. Hiervon kann indes nicht ausgegangen werden.

    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 100 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 48 Abs. 1 GKG, 3, 9 ZPO, wobei der Senat ebenso wie das Landgericht in der hier gegebenen Fallgestaltung von einem achtzigprozentigen Feststellungsabschlag ausgegangen ist (so auch OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.4.2017 - 5 U 36/16).

    RechtsgebietVVGVorschriften§ 60 VVG, 61 VVG, § 63 VVG