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  • · Fachbeitrag · Vermittlerrecht

    EuGH: Auch Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung können Vermittler sein

    von Rechtsanwalt Oliver Timmermann, Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte, Hamburg

    | Die Eigenschaft als Versicherungsnehmer (VN) eines Gruppenversicherungsvertrags schließt die Versicherungsvermittlereigenschaft nicht aus. Das hat der EuGH aktuell entschieden. Der folgende Beitrag beleuchtet die Konsequenzen für die Praxis. |

    Bisher: VN einer Gruppenversicherung ist kein Vermittler

    Bisher wurde vielfach vertreten, dass VN bei Gruppenversicherungen keine Versicherungsvermittlung im Sinne der IDD und des § 34d GewO betreiben und daher eine Zulassung nach § 34d GewO nicht benötigen. Ebenso wäre dann auch eine Dokumentation der Beratung nicht erforderlich. Dies wurde damit begründet, dass oft allein der VN Vertragspartner des Versicherers ist und zwischen Versicherer und versicherten Personen (Mitglieder des Gruppenvertrags) gerade kein Vertrag besteht. Daher könne der VN nicht Versicherungsvermittler sein, weil seine Tätigkeit nicht dazu führt, dass (neue) Vertragsbeziehungen zwischen Kunden und Versicherer zustande kommen. Vermittler musste danach ein Versicherungsvertrag-Dritter sein. Diese Sicht kann nach der aktuellen EuGH-Entscheidung nicht mehr vertreten werden.

    Vorlagefrage des BGH zum Geschäftsmodell der TC Medical

    Der BGH hatte den Stein ins Rollen gebracht. Er hatte gemeint, dass sich die Frage, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen der VN einer Gruppenversicherung Versicherungsvermittler sein kann, nicht der Versicherungsvertriebsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2016/97 ‒ sog. Insurance Distribution Directive ‒ IDD) und der bisherigen Rechtsprechung des EuGH entnehmen lasse. Entsprechend hatte der BGH dem EuGH die Frage vorgelegt, ob auch eine juristische Person Vermittler sein könne, deren Tätigkeit darin besteht, freiwillige Mitgliedschaften in einer zuvor von ihr bei einem Versicherer abgeschlossenen Gruppenversicherung anzubieten, für die sie von ihren Kunden eine Vergütung erhält und die Kunden zur Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen berechtigt (BGH, Beschluss vom 15.10.2020, Az. I ZR 8/19, Abruf-Nr. 219089).

     

    Konkret ging es um das Geschäftsmodell der TC Medical Air Ambulance Agency GmbH („TC Medical”). Diese bietet Verbrauchern gegen Entgelt den Beitritt zu einer „Mitgliedergemeinschaft” an. Die Mitgliedschaft berechtigt zur Inanspruchnahme verschiedener Leistungen im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland. Dazu hat die TC Medical als VN einen Gruppenversicherungsvertrag abgeschlossen und zahlt dafür die Versicherungsprämien. TC Medical bietet Kunden an, dem Gruppenversicherungsvertrag beizutreten und Versicherungsansprüche an diese abzutreten. Gegen Zahlung eines Entgelts an TC Medical sind die Kunden im Gegenzug zur Inanspruchnahme verschiedener Leistungen im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigt, zu denen beispielsweise die Erstattung der Kosten für medizinische Heilbehandlungen und Krankentransporte zählt. Eine Zulassung zur Versicherungsvermittlung hat die TC Medical aber nicht.

    Nach EuGH-Ansicht kann auch VN zum Vermittler werden

    Zusammengefasst bejahte der EuGH die Versicherungsvermittlereigenschaft der TC Medical als VN des Gruppenversicherungsvertrags. Unter den Begriff „Versicherungsvermittler“ und damit den Begriff „Versicherungsvertreiber“ im Sinne dieser Bestimmungen fällt eine juristische Person, deren Tätigkeit darin besteht, eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihr bei einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Gruppenversicherung anzubieten, für die sie von ihren Kunden eine Vergütung erhält und die die Kunden zur Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen namentlich im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigt (EuGH, Urteil vom 29.09.2022, Rs. C-633/20, Abruf-Nr. 232206).

     

    • Die Einstufung als Versicherungsvermittler bzw. Versicherungsvertreiber setzt einerseits die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung bzw. des Versicherungsvertriebs voraus sowie andererseits, dass diese gegen Vergütung ausgeübt wird.

     

    • Die unter „Versicherungsvermittlung” fallenden Tätigkeiten sind weit gefasst und meinen nicht nur das Anbieten und das Vorschlagen von Versicherungsverträgen, sondern auch andere Vorbereitungsarbeiten zum Abschluss solcher Verträge.

     

    • Das Anbieten eines freiwilligen Beitritts zum Gruppenversicherungsvertrag sei mit der vergüteten Tätigkeit eines Versicherungsvermittlers/Versicherungsvertreibers vergleichbar, die darauf gerichtet ist, dass VN mit einem Versicherer Versicherungsverträge abschließen, die die Deckung bestimmter Risiken gegen Zahlung einer Versicherungsprämie zum Gegenstand haben, und daher ebenfalls umfasst.

     

    • Dass die TC Medical selbst Partei des Gruppenversicherungsvertrags ist, dem beizutreten sie ihre Kunden veranlassen möchte, schadet für die Annahme der eigenen „Vermittlerrolle“ nicht. Die Eigenschaft als Versicherungsvermittler und Versicherungsvertreiber sei nicht mit der Eigenschaft als VN unvereinbar (so bereits EuGH, Urteile vom 24.02.2022, Rs. C-143/20, Abruf-Nr. 232145 und Rs. C-213/20, Abruf-Nr. 232146).

     

    • Das Tatbestandsmerkmal der Vergütung ist als erfüllt anzusehen, wenn der Beitritt eines Kunden zum Gruppenversicherungsvertrag zu einer Zahlung einer Vergütung an die VN (hier also die TC Medical) führt. In Anbetracht der weiten Konzeption des Vergütungsbegriffs ist es unerheblich, dass die Zahlung von den beitretenden Mitgliedern schließlich als Gegenleistung, für die ihnen von der VN (der TC Medical) abgetretenen Ansprüche auf Versicherungsleistungen geleistet werde und nicht vom Versicherer, etwa in Form einer Provision, an das Unternehmen erfolgt.

     

    Auswirkungen auf Gruppenversicherungslösungen

    Zusammengefasst hat der EuGH also entschieden, dass eine Versicherungsvermittlereigenschaft vorliegt, wenn ein VN ein eigenes wirtschaftliches Vermittlungsinteresse verfolgt, indem er Kunden eine freiwillige Mitgliedschaft in einem zuvor von ihm abgeschlossenen Gruppenversicherungsvertrag anbietet und bei Beitritt des Kunden zum Gruppenversicherungsvertrag von diesem ‒ als Gegenleistung für die an ihn abgetretenen Ansprüche auf Versicherungsleistungen ‒ eine Vergütung erhält.

     

    Konsequenzen für die VN von Gruppenversicherungen

    VN von Gruppenversicherungsverträgen können folglich unter den vom EuGH aufgestellten Kriterien als Versicherungsvermittler i. S. v. § 34d GewO und § 59 VVG eingestuft werden. Das hat zur Folge, dass sie dann

    • grundsätzlich eine Vermittlererlaubnis nach § 34d GewO haben und sich in das Vermittlerregister eintragen lassen müssen, wenn nicht bestimmte Ausnahmen greifen oder sie sich von der Erlaubnispflicht befreien lassen kann (Ausnahme für Nebentätigkeitsvermittler nach § 34d Abs. 8 GewO, Befreiungsmöglichkeit auf Antrag für produktakzessorische Vermittler nach § 34d Abs. 6 GewO).
    • Informations- und Offenlegungspflichten gegenüber den Kunden erfüllen müssen, die dem Gruppenversicherungsvertrag beitreten (vor Beitritt).
    • Weiterbildungsverpflichtungen unterliegen, sowie
    • eine Vermögenshaftpflichtversicherung unterhalten müssen.

     

    Sollte kein Ausnahme- oder Befreiungstatbestand greifen und die Versicherungsvermittlung ohne eine erforderliche Erlaubnis ausgeübt werden, drohen gewerberechtliche Bußgelder bis hin zur Untersagung des Geschäftsbetriebs.

     

    Konsequenzen für Versicherer

    Auch für Versicherer besteht das Risiko ordnungswidrigen Verhaltens, sofern diese mit Versicherungsvermittlern ohne Erlaubnis zusammenarbeiten. Versicherer werden daher bereits aus Gründen der eigenen Compliance auf die VN von Gruppenversicherungsverträgen zukommen und strukturellen Anpassungsbedarf anmahnen bzw. sich von solchen Geschäftsmodellen lösen.

     

    Konsequenzen für Vermittler

    Arbeiten Sie mit den VN von Gruppenversicherungsverträgen zusammen, sollten Sie diese auf die EuGH-Entscheidung und die neuen Pflichten und Erfordernisse hinweisen. Sie sollten diese auffordern, prüfen zu lassen, ob bei ihnen Anpassungsbedarf gegeben ist. Nehmen Sie aber davon Abstand, hier eigene rechtliche Empfehlungen auszusprechen.

     

    FAZIT | Das EuGH-Urteil stellt die Geschäftsmodelle vieler Versicherer und ihrer Vertriebspartner auf den Kopf. Sie werden künftig die Anforderungen an die regulierte Tätigkeit erfüllen müssen. Gruppenversicherungslösungen ohne Versicherungsvermittlererlaubnis werden künftig kaum mehr möglich sein.

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2022 | Seite 7 | ID 48725866