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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Zur Vorfinanzierungspflicht des Geschädigten durch Kreditaufnahme und Vollkasko

    • 1.Der Geschädigte hat auch dann Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten, wenn er verletzungsbedingt zwar nicht selbst ein Fahrzeug nutzen kann, seine Ehefrau aber sein Fahrzeug mitgenutzt hat und auf eine weitere Nutzung angewiesen ist.
    • 2.Der Geschädigte ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Vermeidung von Folgeschäden Kredit aufzunehmen. Ihn trifft auch nicht die Obliegenheit, seine eigene Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen, um die Reparaturkosten vorzufinanzieren.

    (OLG Düsseldorf 24.5.11, I-1 U 220/10, Abruf-Nr. 113050)

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Am 1.11.08 erlitt der Kl. einen Unfall, für dessen Folgen der beklagte Verein (Grüne Karte) unstreitig voll einstandspflichtig ist. Er wurde bei dem Unfall so erheblich verletzt, dass er vier Wochen arbeitsunfähig und fahruntauglich war. Sein VW Golf erlitt einen Totalschaden. Am 3.11.08 mietete die Ehefrau des Kl. ein Ersatzfahrzeug. Sie bemühte sich dann zunächst erfolglos um eine Anschaffungsfinanzierung bei einer Bank. Erst danach nahm sie Kontakt mit der Vollkasko auf, mit deren Hilfe ein Ersatzfahrzeug per 3.12.08 beschafft werden konnte. Der Bekl. hat Mietwagenkosten nur für 14 Tage erstattet. Den Anspruch auf Zahlung einer weiteren Entschädigung hat das LG mit dem Argument abgelehnt, der Kl. sei verpflichtet gewesen, seine Kasko früher in Anspruch zu nehmen. Dem ist der Senat nicht gefolgt.

     

    Nach Ansicht des Senats hat der Kl. Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten für die gesamte Ausfallzeit bis zur Anschaffung des Ersatzfahrzeugs am 3.12.08. Dem stehe zunächst nicht entgegen, dass er unfallbedingt fahruntüchtig gewesen sei (Tragen eines Rucksackverbands). Bei dem Unfallfahrzeug habe es sich um ein „Familienfahrzeug“ gehandelt, das auch von der Ehefrau genutzt worden sei. Diese habe auch den Mietwagen gefahren. Es bestehe kein Mitverschulden, wenn das Ersatzauto nicht innerhalb der vom SV auf max. 14 Tage geschätzten Wiederbeschaffungszeit, sondern erst nach rund vier Wochen angeschafft wurde. Überobligationsmäßig habe er bzw. seine Ehefrau sich zunächst um eine Bankfinanzierung bemüht. Nach Ablehnung mangels Kreditwürdigkeit habe sein Anwalt unverzüglich den Regulierungsbeauftragten des Bekl. über die finanzielle Situation informiert. Die Vollkasko in Anspruch zu nehmen, habe schon grundsätzlich keine Pflicht bestanden. Aber selbst wenn, dann sei deren Einschaltung keineswegs verspätet gewesen. Erst die Bank, dann die Kasko - diese Reihenfolge sei nicht zu beanstanden.

     

    Praxishinweis

    Ob überhaupt und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt die eigene Vollkasko in Anspruch genommen werden darf bzw. genommen werden muss, ist in der Regulierungspraxis vor allem unter zwei Blickwinkeln problematisch: Zum einen hinsichtlich der Ersatzfähigkeit des Rückstufungsschadens (dazu BGH NJW 07, 66; Staab, DAR 07, 349), zum anderen mit Blick auf die Dauer der Ausfallzeit, wobei zwischen der abstrakten Nutzungsentschädigung und der Inanspruchnahme eines Mietwagens unterschieden werden muss. Im zweiten Fall ist vom Geschädigten i.d.R. ein höheres Maß an Bemühungen zur Kostensenkung zu fordern. Wenn das OLG den Geschädigten auch in dieser Konstellation von einem Rückgriff auf die Kaskoversicherung grundsätzlich freistellt (zur abstr. Nutzungsentschädigung s. OLG Düsseldorf VA 07, 213), ist dem zuzustimmen. Hätte der Kl., wie vom LG gefordert, die eigene Kasko früher in Anspruch genommen, hätte er sich angesichts der Alleinhaftung der Gegenseite dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt, den Rückstufungsschaden „mitverschuldet“ zu haben. So wie er und sein Anwalt sich verhalten haben, war es in Ordnung.

     

    Auf finanzielle Probleme des Geschädigten bei der Finanzierung der Reparatur bzw. einer Ersatzbeschaffung sollte so früh wie möglich unmissverständlich hingewiesen werden. Zur Pflicht, die Ausfallzeit zu begrenzen, s. auch VA 11, 95, 98 f.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2011 | Seite 164 | ID 29121220