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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Unfall während der Lieferzeit des Neuwagens: Schadensminderung durch Interimsfahrzeug?

    | Mehrere BGH-Entscheidungen haben nicht genügt, um Geschädigten klar vor Augen zu führen, was sie zu tun haben und was sie lassen können, wenn ihr Altwagen während der Lieferzeit des Neuen beschädigt worden ist. Das OLG Saarbrücken ist mit den folgenden Leitsätzen um Klarheit bemüht: |

     

    • Leitsätze OLG Saarbrücken 1.10.20, 4 U 12/20
    • 1. Hat der Geschädigte vor dem Unfall ein neues Fahrzeug mit unverbindlicher Lieferzeit bestellt und wollte er bis dahin das verunfallte Fahrzeug weiternutzen, kann er gehalten sein, anstelle der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs für die Lieferzeit ein gebrauchtes Fahrzeug zu kaufen und dieses nach der Lieferung wieder zu verkaufen (Interimsfahrzeug) oder am beschädigten Fahrzeug eine Notreparatur durchzuführen, wenn dies in der ex-ante-Betrachtung der wirtschaftlichere Weg ist.
    • 2. Der Geschädigte hat darzulegen und zu beweisen, dass ausgehend von seinen individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten der Kostenunterschied der Anmietung zur Ersatzbeschaffung oder (Not-)Reparatur unwesentlich und die Schadensabrechnung noch wirtschaftlich ist (Abruf-Nr. 219807).
     

    Relevanz für die Praxis

    Was eindeutig nicht geht, ist sorglos durchmieten, bis der Neue nach Monaten vor der Tür steht. Den Geschädigten so zu behandeln, als hätte er den Neuen vor dem Unfall nicht bestellt, ist vertretbar (Ch. Huber, LMK 09, 286746), indes nicht BGH-konform (NJW 08, 915; NJW 09, 1663). Der BGH sieht eine unfallbedingte Störung einer bereits bestehenden wirtschaftlichen Planung. Infolgedessen billigt er dem Geschädigten eine Verlängerung der „normalen“ Ausfallzeit zu, macht dies aber von Bedingungen abhängig, die selbst für Spezialisten des Kfz-Schadensrechts kaum kalkulierbar sind.

     

    Verlangt wird eine Vergleichsrechnung, ein Kostenvergleich mit mehreren Unbekannten. Vorgelagert ist die Frage, ob dem Geschädigten ein An- und Verkauf eines Interimsfahrzeugs überhaupt zumutbar ist. Insoweit muss den grundlegenden Veränderungen des Gebrauchtwagenmarkts in der Zeit nach 2002 (Kaufrechtsmodernisierung) endlich Rechnung getragen werden. Ältere Gebrauchtwagen (grob gesagt: ab sechs Jahre) sind beim seriösen Handel nicht mehr oder nur in geringer Zahl erhältlich. Sich auf dem Privatmarkt einzudecken, hält der BGH zu Recht für unzumutbar (NJW 82, 1864). Für den Verkauf privat an privat gilt ‒ aus anderen Gründen ‒ im Ergebnis nichts anderes. In Corona-Zeiten mit Autohaus-Schließungen und geschlossenen Zulassungsstellen wird die Operation Interimskauf zusätzlich erschwert.

     

    Um wirtschaftlich vernünftig disponieren zu können (Mieten, wenn ja, für wie lange, Reparatur oder Ersatzbeschaffung mit Veräußerung des Wracks), muss der Geschädigte sich Klarheit darüber verschaffen, wie lange er noch auf den bestellten Neuwagen warten muss. Sind es nur zwei bis drei Wochen, wird sich die Frage „Interimsfahrzeug“ vernünftigerweise nicht stellen. Alles, was über die „normale“ Ausfallzeit deutlich hinausgeht, wird den Einwand „Interimsfahrzeug“ provozieren oder den Hinweis auf eine Notreparatur.

     

    Unerlässlich ist ein Blick in die Neuwagenbestellung. Meist ist die Lieferzeit/Liefertermin „unverbindlich“. So auch im konkreten Fall. Das Autohaus hat eine Schonfrist von sechs Wochen, bevor es mit einer Lieferaufforderung des Kunden in Verzug gesetzt werden kann. Mit Überziehungen muss erfahrungsgemäß gerechnet werden. Im Entscheidungsfall waren es sechs Monate. Sich in dieser Situation beim Autohaus zu vergewissern, und zwar vor der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs und auch vor der Entsorgung des Unfallwracks, gehört für das OLG Saarbrücken zu den Obliegenheiten des Geschädigten. Das versteht sich von selbst, zumal dann, wenn das Autohaus zugleich der Vermieter des Ersatzfahrzeugs ist.

     

    Beachtung verdienen auch die Ausführungen des OLG zur Wahl der Klägerin zwischen Instandsetzung und Ersatz durch Erwerb eines gleichwertigen Gebrauchten in der besonderen Situation einer laufenden Neuwagenbestellung. Die Bruttoreparaturkosten lagen knapp unter dem Brutto-Wiederbeschaffungswert, nur unter Einschluss des merkantilen Minderwerts wurde die 100-Prozent-Grenze um fünf Prozentpunkte überschritten. Das Fahrzeug reparieren zu lassen, war für das OLG gleichwohl wirtschaftlicher als eine Abrechnung auf Totalschadensbasis mit Veräußerung des Unfallfahrzeugs und monatelanger Überbrückung der Lieferzeit per Mietwagen. Auch das hätte die von Anfang an anwaltlich beratene Klägerin bedenken müssen, rügt der Senat. In der Tat müssen bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung (Reparatur oder Ersatzbeschaffung?) die Gesamtkosten, also inkl. Überbrückungskosten (Mietwagen, pauschale Nutzungsentschädigung), miteinander verglichen werden (BGHZ 115, 364; OLG Karlsruhe NJW 14, 2733).

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 02 / 2021 | Seite 20 | ID 47058024