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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Trotz immateriellen Vorbehalts kein weiteres Schmerzensgeld

    Musste vor dem Abschluss eines Vergleichs über ein Schmerzensgeld aus einem Unfall mit größter Wahrscheinlichkeit mit einer - später auch erfolgten - Nachoperation gerechnet werden, ist die durch die Nachoperation eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustands von dem Vergleich umfasst, wenn die Operationsfolgen sich nach dem damals bereits bekannten sachverständigen Wissen als derart naheliegend darstellten, dass sie bei der Bemessung des Schmerzensgelds berücksichtigt werden konnten (OLG München 15.3.13, 10 U 4171/12, Abruf-Nr. 131854).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Gestützt auf den immateriellen Vorbehalt in einem drei Jahre nach ihrem Fahrradunfall geschlossenen Prozessvergleich machte die Kl. ein weiteres Schmerzensgeld geltend. Begründung: Es musste ein künstliches Kniegelenk eingesetzt werden, was zu erheblichen Beeinträchtigungen führte. Das LG, sachverständig beraten, gab der Klage statt. Seiner Ansicht nach war der geltend gemachte Spätschaden nicht vorhersehbar und damit vom Vergleich nicht umfasst. Auf die Berufung der Bekl. hat das OLG München die Klage abgewiesen.

     

    Nach ergänzender Beweiserhebung durch Anhörung des erstinstanzlichen Sachverständigen ist das OLG zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Kl. jetzt geltend gemachten Verletzungsfolgen nach dem bei Abschluss des Vergleichs bekannten medizinischen Wissen derart naheliegend waren, dass sie bei der Bemessung des Schmerzensgelds hätten berücksichtigt werden können. Mit diesem Obersatz folgt der Senat der einschlägigen Rechtsprechung des BGH (z.B. VA 06, 78) zum Umfang der Rechtskraft und überträgt sie auf einen Vergleich über ein Schmerzensgeld.

     

    Nach den Feststellungen des OLG waren die von der Klägerin nunmehr vorgetragenen Verletzungsfolgen im maßgeblichen Zeitpunkt (Vergleichsabschluss) und nach dem maßgeblichen Wissensstand eines Sachkundigen „weit überwiegend erkennbar“, weil mit ihnen ernstlich gerechnet werden musste. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn - wie hier - eine „Gesamtkomplikationsrate“ von 30 Prozent besteht und 20 Prozent der Patienten mit weitergehenden Schmerzen rechnen mussten.

     

    Praxishinweis

    Der Wortlaut des sog. immateriellen Vorbehalts in dem Prozessvergleich vor dem LG Landshut (43 O 1859/05) wird in dem OLG-Urteil nicht mitgeteilt. Allem Anschein nach war er nicht der Erwähnung wert. Musterformulierungen für außergerichtliche Vergleiche finden Sie bei Ernst, VA 10, 149, 151. Sein Tipp, das, was erledigt ist und das, was vorbehalten bleiben soll, möglichst präzise zu bezeichnen, kann nur unterstrichen werden. Das bekannte und somit erledigte Schadensbild sollte so genau wie möglich beschrieben werden, z.B. durch Bezugnahme auf ein Gutachten oder ein ärztliches Attest. Was davon abweicht, fällt unter den Vorbehalt. Im Vergleich ausdrücklich zu regeln ist auch der Verzicht auf die Einrede der Verjährung der vorbehaltenen Ansprüche (siehe Musterformulierungen bei Ernst, a.a.O.).

     

    Besonders anfällig für Spätschäden sind erfahrungsgemäß Knieverletzungen, wie sie oft bei Unfällen von Krad- und Fahrradfahrern auftreten. Dass im Fall der Kl. schon bei Vergleichsabschluss mit der Einsetzung eines künstlichen Kniegelenks mit „größter Wahrscheinlichkeit“ zu rechnen war (nicht nur mit 30 Prozent, wie es in der Fachpresse zum Teil heißt), war im Berufungsverfahren unstreitig. Damit kam ein Nachschlag für die Operation als solche nicht in Betracht. Das Problem waren die Operationsfolgen („Komplikationen“). Waren sie bei Abschluss des Vergleichs aus Sicht eines Sachkundigen (nicht etwa des Geschädigten) derart naheliegend, dass auch sie schon hätten berücksichtigt werden können? Feste Prozentsätze für das Naheliegen gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Die vom OLG genannten Prozentsätze sind einzelfallbezogene „Jedenfalls-Werte“, Abweichungen nach unten also vorbehalten.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zum Parallelproblem „Teilschmerzensgeld/Teilklage“ siehe Eggert, VA 07, 64
    Quelle: Ausgabe 07 / 2013 | Seite 109 | ID 39956380