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  • · Fachbeitrag · Unfallhaftpflichtprozess

    Aktuelle Fragen zum Sachverständigenbeweis bei der Unfallrekonstruktion

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    | Während der Unfallzeuge als das schlechteste Beweismittel gilt, steht die Aufklärung durch einen Unfallanalytiker mit Recht hoch im Kurs. Um ein Gutachten optimal zu nutzen, muss der Anwalt freilich eine ganze Reihe von Aufgaben erfüllen. Der Beitrag zeigt diese auf. |

     

    Checkliste I / Gutachten im vorgerichtlichen Stadium

    1. Privatgutachten: So selbstverständlich es ist, die Höhe des Unfallschadens durch einen eigenen SV feststellen zu lassen, so niedrig liegt die Quote vorprozessualer Unfallanalysen. Zur Einschaltung eines Privat-SV während des laufenden Prozesses s. unten IV 3 a. Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein vorprozessuales Gutachten s. BGH NJW-RR 09, 422; VersR 09, 563; NJW 08,1597. Unter welchen Voraussetzungen die Kosten für ein innerprozessuales Privatgutachten zu erstatten sind, ist höchstrichterlich ungeklärt (so BVerfG NJW 11, 1276 mit OLG-Rspr.).

    2. Selbstständiges Beweisverfahren:

    • a)Anlass: Bei drohendem Beweis- oder Beweismittelverlust kann es sinnvoll sein, ein Verfahren nach §§ 485 ff. ZPO einzuleiten. Beispiele: Keine neutralen Zeugen bei unrichtiger Unfallversion der Gegenseite (OLG Düsseldorf NJW-RR 08, 1711), bevorstehende Instandsetzung/Veräußerung eines unfallbeteiligten Fahrzeugs, Veränderung der Unfallstelle durch Umbauten oder Änderung der Sichtverhältnisse. Achtung! Bei Verlängerung der Ausfallzeit durch Verzögerung der Instandsetzung droht Mitverschuldenseinwand (dazu OLG Düsseldorf a.a.O.).
    • b)Rechtsmittel: Gegen die Ablehnung einer weiteren Begutachtung (§ 412 ZPO) gibt es auch im selbstständigen Beweisverfahren kein Rechtsmittel (BGH r+s 11, 44).

     

    Checkliste II / Gutachten im Prozess

    1. Beweisantritt „Sachverständigenbeweis“: Die eigene Unfallversion samt Gegnerverschulden (wichtig zumindest für die Quote) so präzise wie möglich vorzutragen und die einzelnen Behauptungen und Schlussfolgerungen schon in erster Instanz unter Sachverständigenbeweis zu stellen, ist ein Muss , auch bei vermeintlich „guten“ Zeugen. Erstmals in II. Instanz die Einholung eines Gutachtens zu beantragen, ist höchst riskant.

    2. Beweisbeschluss des Gerichts: Üblicherweise wird dem Sachverständigen ein Auftrag mit der Fragestellung erteilt: Wie hat sich der Unfall vom ... in ... ereignet? Das als zu pauschal zu kritisieren, ist erfahrungsgemäß zwecklos.

    3. Die Person des SV. Nach § 404 Abs. 2 ZPO soll das Gericht einen öffentlich bestellten Sachverständigen beauftragen. Damit sind Gutachter von Prüforganisationen wie DEKRA und TÜV ausgeschlossen, es sei denn sie verfügen ausnahmsweise über diese Qualifikation. Eine Pflicht des Gerichts, die Parteien vor der SV-Bestellung anzuhören, besteht nicht.

    4. Wann soll der SV tätig werden? Mit der Rekonstruktion des Unfallgeschehens sollte der SV erst beauftragt werden, wenn anderweitig kein Klärungsbedarf mehr herrscht, insbesondere sämtliche Zeugen vernommen sind. Wird diese Reihenfolge nicht eingehalten, besteht die Gefahr von Fehlbeurteilungen.

    5. Schriftliches oder mündliches Gutachten? Wird der SV entgegen aller Vernunft nur mündlich angehört (kein vorheriges schriftliches Gutachten), hat jede Partei ein Schriftsatzrecht (BGH NJW 09, 2604). Gibt die (nachgelassene) Stellungnahme Anlass zur weiteren Aufklärung, muss die mündliche Verhandlung wiedereröffnet werden (BGH NJW 09, 2604). Das Unterlassen ist verfahrensfehlerhaft, in II. Instanz muss das Versäumte nachgeholt werden (keine Bindung nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), ggfls. Zurückverweisung nach § 538 ZPO (BGH NJW 09, 2604).

    6. Gutachten aus anderen Verfahren

    • a) Urkundenbeweis. Gutachten aus einem Straf- oder einem anderen Zivilprozess im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten, ist grds. zulässig (BGH NJW 98, 311; 02, 2324). Sich damit einverstanden zu erklären, kann jedoch ein Anwaltsfehler sein. Ein immer wiederkehrender richterlicher Fehler ist es, die gebotene eigene Aufklärung durch urkundlich belegte Resultate aus anderen Verfahren zu ersetzen (vgl. BGH NJW 02, 2324).

    • b)Ersetzung nach § 411a ZPO: „Angesichts des im Strafverfahren völlig anderen beweisrechtlichen Blickwinkels erscheint es kaum denkbar, in einem zivilrechtlichen Verkehrsunfallprozess die erforderliche Identität der Beweisfrage zu bejahen“ (so OLG Düsseldorf 14.1.08, 1 U 87/07, Abruf-Nr. 113057). Zum fehleranfälligen Procedere nach § 411a ZPO s. KG 12.6.08, 22 U 64/07, Abruf-Nr. 113058: Notwendigkeit eines Beweisbeschlusses; die Parteien müssen die Möglichkeit der Ablehnung haben, ferner Gelegenheit zur Stellungnahme, auch zur mündlichen Befragung nach §§ 397, 402 ZPO. Der SV, der nach § 411a ZPO ernannt wird, ist vom Gericht zu informieren.