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  • 14.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113057

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 14.01.2008 – 1 U 87/07

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht Düsseldorf

    I-1 U 87/07

    Tenor:
    Auf die Berufung des Klägers wird das am 23.02.2007 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf nebst dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Ver-handlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an die Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.

    Entscheidungsgründe:

    Die Berufung des Klägers ist zulässig und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nebst Verfahren und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht. Das Verfahren des Landgerichts leidet an einem wesentlichen Mangel, welcher eine aufwändige und umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich macht (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das Landgericht hat es zu Lasten des Klägers verfahrensfehlerhaft unterlassen, die von ihm angetretenen Beweise durch Vernehmung von 4 Zeugen zum Unfallhergang zu erheben.

    I.

    Das Landgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt, nämlich den Hergang des streitigen Verkehrsunfalles, verfahrensfehlerhaft unaufgeklärt gelassen. Der Kläger hatte bereits in der Klageschrift (Bl. 2 d.A.) zum Beweis seiner Sachdarstellung Beweis angetreten durch Einvernehmung von insgesamt 4 Zeugen. Die von dem Landgericht in dem angefochtenen Urteil dargelegte Begründung für die unterlassene Vernehmung dieser Zeugen stellt eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar.

    1.

    Das Landgericht hat angenommen, zu Lasten des Klägers stehe bereits aufgrund des nach § 411a ZPO verwerteten Gutachtens des Sachverständigen XXX vom 26.07.2005 fest, dass sich der streitige Unfall nicht so zugetragen haben könnte, wie vom Kläger behauptet. Abgesehen davon, dass auch unter Zugrundelegung der Ergebnisse des Sachverständigen XXX nicht erklärbar ist, warum das Landgericht die Klage insgesamt abgewiesen hat, durfte das Landgericht hier nicht im Wege der vorweggenommenen Beweiswürdigung die vom Kläger benannten Zeugen als untaugliche Beweismittel ansehen.

    Zunächst ist festzuhalten, dass sich dem Gutachten XXX keineswegs mit der vom Landgericht angenommenen Sicherheit entnehmen lässt, dass der klägerische Sachvortrag ausgeschlossen sei. Der Sachverständige hat zwar ausgeführt, dass sich ein Fahrstreifenwechsel des Beklagten zu 1. nach rechts "mit allen zur Verfügung stehenden Beurteilungskriterien" nur dann erklären ließe, wenn der Zeuge XXX auf dem mittleren Fahrstreifen gefahren wäre (Bl. 123 der Beiakten 70 Js 13296/04 StA Düsseldorf). Schon in dieser Formulierung zeigt sich die Einschränkung des Sachverständigen, dass die Unfallschilderung des Klägers nur "mit den zur Verfügung stehenden Beurteilungskriterien" vereinbar wäre. Der Sachverständige XXX hat in seinem Gutachten an mehreren Stellen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine exakte Sicherung der Unfallspuren und eine aussagekräftige fotografische Dokumentation ihm nicht vorlag. So existierte hinsichtlich der Unfallspuren nur eine handschriftliche Skizze (Bl. 142 der Beiakten). Dass das vom Kläger vorgetragene Unfallgeschehen "technisch ausgeschlossen" sei, lässt sich dem Gutachten an keiner Stelle entnehmen. Eine solche Feststellung wäre angesichts der wenigen Anknüpfungstatsachen auch per se zweifelhaft. So hat der Sachverständige auf Bl. 121 der Beiakten z.B. auch nicht ausschließen wollen, dass der Beklagte zu 1. vom linken auf den mittleren und der Zeuge XXX gleichzeitig vom rechten auf den mittleren Fahrstreifen gewechselt ist. Die vom Sachverständigen XXX festgestellten tatsächlichen Unsicherheiten hinsichtlich der zugrunde zu legenden Anknüpfungstatsachen waren für seine Begutachtung in dem Ermittlungsverfahren im Ergebnis nicht erheblich, weil dort nach dem Grundsatz in dubio pro reo lediglich zu untersuchen war, ob die Sachdarstellung des Beklagten zu 1. ausgeschlossen werden konnte. Es bestehen daher bereits tiefgreifende Zweifel daran, ob die Grundüberlegung des Landgerichts, wonach ausweislich des Gutachtens XXX ein vermeintlich "technisch ausgeschlossener Sachverhalt" durch den Kläger vorgetragen und unter Beweis gestellt worden ist, überhaupt richtig ist.

    2.

    Selbst wenn man dies dem Sachverständigengutachten entnehmen wollte, hätte dieser Umstand das Landgericht nicht von der Vernehmung der Zeugen entbunden. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Es ist nicht zweifelhaft, dass einem sachverständigen Unfallrekonstruktionsgutachten im Verkehrsunfallprozess eine besondere Bedeutung zukommt. Dennoch ist die Beweiswürdigung keineswegs alleine unter Zugrundelegung sachverständiger Feststellung durchzuführen. Es erscheint hier gerade nicht ausgeschlossen, dass die Zeugen einen anderweitigen Geschehensablauf überzeugend darstellen. Sollte dies der Fall sein, wären gegebenenfalls Zweifel an der Richtigkeit der gutachterlichen Feststellungen berechtigt, die wiederum beweiswürdigend zu berücksichtigen wären. Weil der Sachverständige XXX in seinem Gutachten in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Düsseldorf den Sachverhalt ausschließlich unter dem Blickwinkel einer eventuellen Entlastung des Beklagten zu 1. untersucht hat, war es hier angezeigt, zunächst die unmittelbaren Unfallzeugen zu vernehmen, um sodann gegebenenfalls eine erneute sachverständige Begutachtung durchführen zu lassen, diesmal unter dem Blickwinkel der im Zivilrecht geltenden Beweislastverteilung. Zuletzt ist auch zu berücksichtigen, dass sowohl der Zeuge XXX als auch der Zeuge XXX im Ermittlungsverfahren ausdrücklich bekundet haben, der Zeuge XXX sei vor der streitigen Kollision auf der mittleren Fahrspur gefahren (Bl. 18 und Bl. 32 der Beiakte). Dem Senat erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der insoweit anderslautende Vortrag des Klägers gegebenenfalls auf einem Missverständnis beruht.

    3.

    Nach dem Vorgesagten kann offen bleiben, ob in der von dem Landgericht vorgenommenen Verwertung des schriftlichen Gutachtens XXX aus dem Ermittlungsverfahren gemäß § 411a ZPO im vorliegenden Fall nicht bereits ein Verfahrensfehler zu sehen ist. Nach dieser Vorschrift kann die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden (§ 411a a.F.). Die Ersetzung steht zwar grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (Zöller Greger, ZPO-Kommentar, § 411a, Rdnr. 3). Voraussetzung für eine Verwertung eines in einem anderen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens dürfte aber insbesondere die Identität der Beweisfrage sein (Zöller Greger, a.a.O.). Angesichts des im Strafverfahren völlig anderen beweisrechtlichen Blickwinkels erscheint es kaum denkbar, in einem zivilrechtlichen Verkehrsunfallprozess diese Voraussetzung zu bejahen. Im vorliegenden Fall war zudem zu berücksichtigen, dass der Kläger mit Schriftsatz vom 30.09.2006 (Bl. 112 f. d.A.) die Feststellungen des Sachverständigen XXX ausdrücklich als beweisuntauglich angegriffen hatte. Warum das Landgericht trotzdem in dem angefochtenen Urteil feststellt, der Kläger habe gegen das Gutachten keine durchgreifenden Einwände vorgebracht, erschließt sich dem Senat nicht.

    II.

    Die unterlassene Beweiserhebung stellt auch einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dar. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift ist, dass ein Verfahrensfehler (error in procedendo) vorliegt, nicht nur ein materiell-rechtlicher Fehler (error in judicando). Ob ein Verfahrensfehler vorliegt, ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Erstrichters aus zu beurteilen, selbst wenn dieser verfehlt ist (BGH NJW 2001, 1500 mit weiteren Nachweisen). Der Umstand, dass das Landgericht eingangs der Entscheidungsgründe ausführte, die Klage sei unschlüssig, ändert nichts daran, dass hier ein Verfahrensfehler in diesem Sinne gegeben ist. Zwar liegt in einer fehlerhaften Bewertung der Schlüssigkeit von Parteivorbringen ein materiell-rechtlicher Fehler, da im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung der Vortrag der Parteien unter die Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden Normen zu subsumieren ist. Die Abweisung der Klage durch das Landgericht beruht aber offensichtlich nicht auf einer rechtlichen Bewertung des klägerischen Vorbringens, sondern auf einer angenommenen Beweisfälligkeit. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein materiell-rechtlicher Fehler oder ein Verfahrensfehler vorliegt, ist die erstinstanzliche Entscheidung nach ihrem sachlichen Inhalt zu bewerten und nicht anhand einer offensichtlich falschen Verwendung des Schlüssigkeitsbegriffs.

    III.

    Die Sache ist auch nicht aus anderen Gründen entscheidungsreif. Insbesondere bedarf es noch umfangreicher und aufwändiger Beweiserhebungen zum Grund und zur Höhe. In diesem Zusammenhang weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

    1.

    Der Kläger hat schlüssig einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 1. aus § 18 Abs. 1 StVG, gegen die Beklagte zu 2. aus § 7 Abs. 1 StVG und gegen die Beklagte zu 3. aus § 3 Nr. 1 PflVersG vorgetragen. Es ist unstreitig, dass es bei dem Betrieb des Beklagtenfahrzeuges zu einer Beschädigung des klägerischen Fahrzeuges gekommen ist. Den Beweis eines unabwendbaren Ereignisses (§ 17 Abs. 3 StVG) bzw. eines fehlenden Verschuldens des Beklagten zu 1. haben die Beklagten jedenfalls bis jetzt nicht erbracht, auch nicht unter Zugrundelegung des Sachverständigengutachtens Hoff. Zuzugestehen ist den Beklagten zwar, dass ausweislich dieser Sachverständigenfeststellungen eine größere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass entsprechend dem Beklagtenvorbringen der Zeuge XXX als Fahrzeugführer des klägerischen Fahrzeuges von der rechten auf die mittlere Fahrspur gefahren ist. Damit steht aber nicht sicher fest, dass der Beklagte zu 1. den Unfall unter Heranziehung der gesteigerten Sorgfaltsanforderungen des § 17 Abs. 3 StVG nicht gegebenenfalls bereits schon im Vorfeld hätte verhindern können. Der Sachverständige XXX hat zudem auch die Version nicht ausschließen können, wonach der Beklagte zu 1. von der linken auf die mittlere Fahrspur gewechselt ist. Damit steht auch (noch) nicht sicher fest, dass den Beklagten zu 1. kein Verschulden trifft.

    2.

    Die bis jetzt bestehenden Sachverhaltsunsicherheiten gehen allerdings auch zu Lasten des Klägers. Auch er haftet nach dem bisher gegebenen Sach- und Streitstand ebenfalls für die Unfallfolgen aus § 7 Abs. 1 StVG.

    3.

    Es spricht daher Vieles dafür, dass erst im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG die Frage zu klären sein wird, ob betriebsgefahrerhöhende Umstände wechselseitig bewiesen werden können. Hierzu sind die beiderseitig angebotenen Beweise nunmehr zu erheben. Nach dem bisherigen Ergebnis des Sachverständigengutachtens XXX wäre allenfalls von einem ungeklärten Unfallablauf auszugehen mit der Folge einer entsprechenden Haftungsquotierung. Warum das Landgericht augenscheinlich davon ausgegangen ist, dass die Unfallschilderung des Beklagten den Tatsachen entspricht, ergibt sich aus dem Urteil nicht. Im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG sind nur solche Umstände zu berücksichtigen, die zu Lasten einer Partei unstreitig, zugestanden oder bewiesen sind. Demzufolge müsste, um eine vollständige Klageabweisung gerechtfertigt erscheinen zu lassen, davon ausgegangen werden, dass die Unfallschilderung des Beklagten bewiesen ist (§ 286 ZPO). Dies hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil selbst ausdrücklich nicht festgestellt.

    4.

    Auch die zum Teil streitige Höhe des klägerischen Anspruchs, insbesondere die Berechtigung der geltend gemachten Mietwagenkosten, bedarf noch näherer Aufklärung.

    IV.

    Die Kostenentscheidung war dem Landgericht zu überlassen, weil das Rechtsmittel des Klägers nur vorläufigen Erfolg hat.

    Streitwert des Berufungsverfahrens: 8.235,99 €.