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  • · Fachbeitrag · Geschwindigkeitsüberschreitung

    Geschwindigkeitsüberschreitung 2023‒2025: Vorsatz/Fahrlässigkeit, Täteridentifizierung

    von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a. D. Leer/Augsburg

    | Im Anschluss an die Rechtsprechungsübersicht zur Geschwindigkeitsüberschreitung in VA 25, 184, haben wir nachfolgend die aktuellen Entscheidungen zu Vorsatz und Fahrlässigkeitsfragen und zur Täteridentifizierung anhand eines Lichtbilds zusammengestellt. |

    4. Vorsatz/Fahrlässigkeit

    Umstände des Einzelfalls
    Vorsatz/Fahrlässigkeit?
    Fundstelle

    Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 40 %.

    Es kann in der Regel von vorsätzlicher Tatbegehung des Betroffenen ausgegangen werden, wenn dieser die zulässige Höchstgeschwindigkeit kannte.

    BayObLG 10.7.23, 201 ObOWi 621/23, Abruf-Nr. 237742

     

    KG 27.2.23, 122 Ss 16/23, Abruf-Nr. 236049

     

    OLG Brandenburg 15.4.24, 1 ORbs 11/24, Abruf-Nr. 250059

     

    OLG Brandenburg 14.2.25 1 ORBs 280/24, Abruf-Nr. 248057

    Temporär wegen Straßenschäden angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h bei Fahrtantritt ohne Passieren der Beschilderung.

    Es besteht keine allgemeine Erkundigungspflicht, ob für den Ort des Antritts der Fahrt mit einem Kraftfahrzeug temporär eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Eine solche Erkenntnis mit entsprechender Erkundigungspflicht kann sich aber aufgrund bestimmter Umstände aufdrängen.

    KG 28.5.24, 3 ORbs 83/24, Abruf-Nr. 242078

    Der Betroffene macht geltend, dass ihm der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung von z. B. mindestens 45 oder 57 km/h nicht exakt bekannt war.

    Steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen.

    OLG Braunschweig 23.9.24, 1 ORbs 219/24, Abruf-Nr. 250060

     

    OLG Brandenburg 7.2.25, 1 ORbs 293/24, Abruf-Nr. 250061

     

    OLG Brandenburg 14.2.25, 1 ORBs 280/24, Abruf-Nr. 248057

    Überschreitung der aufgrund eines Tempolimits zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf einer Autobahn um mindestens 66 km/h.

    Ist bei beidseitig aufgestellten, die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrsschildern, die zudem mit Zusatzschildern versehen sind, die auf Straßenschäden hinweisen, rechtlich als zumindest bedingt „vorsätzlich“ zu qualifizieren.

    OLG Braunschweig 23.9.24, 1 ORbs 219/24, Abruf-Nr. 250060

    Der Betroffene befindet sich in einem die örtlichen Umstände betreffenden Irrtum dahin gehend, dass er eine Gefahrenstelle entgegen seiner Annahme gerade nicht passiert hatte, sondern die Gefahr weiterhin objektiv bestand und die streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkung deshalb noch fortgalt.

    Der Betroffene unterliegt einer Fehleinschätzung der Örtlichkeiten und einem Irrtum in tatsächlicher Hinsicht hinsichtlich eines Umstands, der zum gesetzlichen Tatbestand (Nichtmehrbestehen einer Gefahr) gehört. Bei dieser Sachlage ist zwar für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens kein Raum (§ 11 Abs. 1 S. 1 OWiG). Der Betroffene handelte jedoch fahrlässig (§ 11 Abs. 1 S. 2 OWiG).

    BayObLG 3.2.25, 201 ObOWi 22/25, Abruf-Nr. 248046

    Der Betroffene beruft sich auf ein „verwirrendes“ Schild.

    Wer „Verkehrsschilder“ nicht versteht oder verstehen will, auf denen Verhaltensregeln angezeigt werden, die einen Regelungseingriff in den Verkehrsfluss vorgeben, und statt der gebotenen Rücksicht genau das Gegenteil tut, indem er statt der vorgegebenen Geschwindigkeit mehr als doppelt so schnell fährt, entscheidet sich bewusst und gewollt dazu, Regelungen und Verkehrssituation zu ignorieren. Das führt zur Annahme von Vorsatz.

    OLG Frankfurt a. M. 20.1.25, 2 Orbs 4/25, Abruf-Nr. 247330

    Es besteht die Möglichkeit, dass der Betroffene die Verkehrszeichen übersehen hat, die eine Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn anordnen.

    Das ist stets dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder im Verfahren von dem Betroffenen eingewandt wird, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben.

     

    PRAXISTIPP | Ist ein solcher Fall gegeben, müssen die tatrichterlichen Feststellungen selbst bei einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung eindeutig ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder aber den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat.

    BayObLG 6.9.23 202 ObOWi 910/23, Abruf-Nr. 250062

    Das AG weist den Betroffenen und seinen Verteidiger in der Ladungsverfügung auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen grober Fahrlässigkeit hin, nicht aber auf eine solche wegen Vorsatzes.

    Der Betroffene darf mit Blick auf diesen Hinweis darauf vertrauen, nicht wegen einer Vorsatztat verurteilt zu werden. Die „Erörterung der Vorsatzproblematik“ in der Hauptverhandlung ist nicht geeignet, das rechtliche Gehör des Betroffenen zu wahren, wenn dieser mit Blick auf die antragsgemäß beschlossene Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung berechtigt nicht erschienen ist.

    OLG Brandenburg 10.2.25, 1 ORbs 4/25, Abruf-Nr. 247328

    Die Auswertung des vorgelegten Schaublatts der DDD-Datei des Lkw lässt den Schluss zu, dass der Betroffene den Tempomat des Fahrzeugs auf 90 km/h und damit eine höhere als die für die von ihm benutzte Fahrzeugklasse zulässige Geschwindigkeit von 80 km/h voreingestellt hatte.

    Annahme von Vorsatz, da sich anders nicht erklären lässt, dass das digitale Kontrollgerät über einen Zeitraum von über 5 Minuten konstant 90 km/h erfasst hat und das Fahrzeug des Betroffenen in dieser Zeit eine Wegstrecke über 7.700 m zurückgelegt hat.

    AG Eilenburg 4.6.24, 8 OWi 506 Js 73225/23, Abruf-Nr. 250063

    Der Betroffene kennt die höchst zulässige Geschwindigkeit nicht und er geht von einer unbeschränkten Geschwindigkeit oder von einer höheren zulässigen Geschwindigkeit aus, die die Differenz der festgestellten und der vermeintlichen Höchstgeschwindigkeit geringer erscheinen lässt.

    Es kann ggf. nur fahrlässiges Handeln in Betracht kommen. In einem Baustellenbereich auf Autobahnen ist erfahrungsgemäß aber die höchstzulässige Geschwindigkeit auf Werte zwischen 40 und 100 km/h beschränkt. Ein Betroffener kann danach nur über die Höhe der für ihn geltenden Geschwindigkeitsbeschränkung geirrt haben.

    OLG Köln 12.10.23, III-1 ORBs 273/23, Abruf-Nr. 250064

     

    PRAXISTIPP | Auch ohne ständigen Blick auf den Tachometer seines Fahrzeugs kann im Normalfall davon ausgegangen werden, dass ein geübter Kraftfahrer, der die erlaubten 120 km/h an einer Gefahrenstelle um 66 km/h überschreitet, dies z. B. anhand der Motorgeräusche, der Fahrzeugvibration und anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung um ihn herum ändert, zuverlässig einschätzen und dadurch erkennen kann, dass er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wesentlich überschreitet (OLG Braunschweig 23.9.24, 1 ORbs 219/24, Abruf-Nr. 250060).