Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 30.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242932

    Landgericht Bremen: Urteil vom 01.03.2023 – 4 O 1047/22

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landgericht Bremen

    Im Namen des Volkes

    Urteil

    4 O 1047/22
     
    Verkündet am 01.03.2023  

    In dem Rechtsstreit
            - Klägerin -

    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte

    gegen

            - Beklagte -

    Prozessbevollmächtigte:

    hat das Landgericht Bremen ‒ 4. Zivilkammer ‒ durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 18.01.2023 für Recht erkannt:
    1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
    Tatbestand:

    Die Parteien streiten um die weitere Zahlung Haushaltsführungsschadens nach einem Verkehrsunfall aus dem Jahr 2002.

    Am 09.12.2002 wurde die Klägerin (geb. 31.03.1930) als Fußgängerin bei der Überquerung einer Straße im Ampelbereich von einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw erfasst. Die Klägerin wurde unfallbedingt verletzt. Die Verpflichtung der Beklagten, die unfallbedingten Schäden der Klägerin erstatten zu müssen, steht nicht im Streit.

    Am 30.11.2004 schlossen die Parteien eine Vereinbarung über die Zahlung des Haushaltsführungsschadens in Form einer monatlichen Rente iHv 260,00 €, die halbjährlich gezahlt werden sollte. Ab dem 01.01.2005 nahm die Beklagte halbjährliche Zahlungen iHv 1.560,00 € auf.

    Am 12.01.2018 berief sich die Beklagte darauf, dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Ersatz eines Haushaltsführungsschadens nicht mehr gegeben seien.

    In der Folgezeit prüfte die Beklagte die von der Klägerin übermittelten Unterlagen und Befunde und bot an, angesichts des aus ihrer Sicht verringerten Aufwandes 150,00 € / Monat zu zahlen. Anschließend einigten sich die Parteien auf eine monatliche Zahlung von 200,00 € Haushaltsführungsschadens.

    Am 03.01.2022 teilte die Klägerin der Beklagten, dass sie, die Klägerin, mittlerweile aus gesundheitlichen Gründen aus der eigenen Wohnung ausgezogen sei und bei ihrem Sohn leben würden. Daraufhin stellte sich die Beklagte auf den Standpunkt, dass kein Haushaltsführungsschaden mehr zu ersetzen sei.

    Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin die Zahlung von Haushaltsführungsschaden in Form einer halbjährlichen Rente.

    Die Klägerin trägt vor:
    Sie, die Klägerin, wäre auch ohne den Unfall nach wie vor in der Lage weiterhin allein zu wohnen und den Haushalt zu führen.

    Die Klägerin beantragt,

    1.    die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, halbjährlich einen Haushaltsführungsschaden von 1.000,00 € beginnend ab dem 01.01.2022 zu zahlen;
    2.    die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin 159,94 € außergerichtliche RVG-Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.06.2022 (Rechtshängigkeit) zu zahlen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte trägt vor:

    Mit Eintritt des 75. Lebensjahres sei in der Regel von dem Wegfall eines Haushaltsführungsschadens auszugehen. Ferner sei zu sehen, dass sich die Wohnsituation der Klägerin geändert habe. Zunächst sei sie ‒ unstreitig ‒ von einem Haus in eine Wohnung umgezogen und nunmehr ‒ unstreitig ‒ aus ihrer Wohnung in den Haushalt ihres Sohnes. Aus den medizinischen Berichten, insbesondere einem aktuellen Pflegegutachten ergeben sich unfallunabhängige Krankheiten, so dass nicht ersichtlich sei, dass ein unfallbedingter Haushaltsführungsschaden überhaupt gegeben sei. So leide die Klägerin ‒ unstreitig ‒ unfallunabhängig unter Osteoporose und Arthrose, Unfallfremd bestehe ‒ unstreitig ‒ eine Gonarthrose nebst HWS-Syndrom, so dass die Klägerin ihren Arm nicht über den Kopf heben könne. Hinzu käme aktuell ‒ unstreitig ‒ ein Bandscheibenvorfall im LWS-Bereich. Unfallfremd liegen ‒ unstreitig ‒ eine Mitralklappeninsuffizienz und eine Trikuspidalklappeninsuffizienz vor. Daneben sei eine Rechtsherzdekompensation und eine Belastungsdypnose ‒ unstreitig ‒ gegeben. Ferner seien infolge einer Chemotherapie nach einer Darmkrebsbehandlung (2009) ‒ unstreitig ‒ Polyneuropathien an Händen und Füßen gegeben. Auch eine artielle Hypertonie bestehe ‒ unstreitig - unfallunabhängig. Schließlich sei ‒ unstreitig ‒ ein Restless Legs Syndrom gegeben. Auf diesen Erkrankungen beruhe die Pflegebedürftigkeit der Klägerin. Eine konkrete Darlegung, warum in Ansehung dieser unfallunabhängigen Faktoren eine unfallbedingte Einschränkung der Haushaltsführungsfähigkeit des konkreten Haushaltes vorliege, fehle.

    Soweit die Klägerin eine Rente aufgrund des Pflegegutachtens beziehe, so sei diese auf den Haushaltsführungsschaden anzurechnen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

    Das Amtsgericht Waiblingen hat sich für sachlich und örtlich unzuständig erklärt und den vorliegenden Rechtsstreit mit Beschluss vom 27.07.2022 an das Landgericht Bremen verwiesen.

    Entscheidungsgründe:

    Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

    I.
    Die Klage ist zulässig.

    Der Klageantrag zu 1) war als Klage nach §§ 257, 259 ZPO zulässig. Gegenstand der Klage nach § 259 ZPO können noch nicht fällige gesetzliche oder vertragliche Ansprüche beliebigen Inhalts sein. Unerheblich ist, ob sie von einer Gegenleistung abhängen und zB auf künftige Zahlung gerichtet sind (MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 259 Rn. 3). Diese Voraussetzung ist unzweifelhaft gegeben. Bei der Möglichkeit der Verpflichtung der Beklagten dem Grunde nach aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis auch künftig eine Rente zahlen zu müssen, handelt es sich um sogenannte doppelrelevante Tatsachen. Ist eine Tatsache streitig, die sowohl zulässigkeits- wie anspruchsbegründend ist, d.h. eine sog. doppelrelevante Tatsache, ist für die Prüfung der Zulässigkeit allein auf den schlüssigen Parteivortrag der Klagepartei abzustellen (so im Ergebnis auch bei BGH, Urteil vom 10.11.1997, Az.: II ZR 336/96, Rz. 5, zit. n. juris, abgedruckt in NJW 1998, 1230; BGH, Urteil vom 25.11.1993, Az.: IX ZR 32/93, Rz. 16, zit n. juris, abgedruckt in MDR 1994, 1240). Die Besorgnis, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde, ist eine besondere Prozessvoraussetzung für die Klage gem. § 259 ZPO. Sie ist in der Regel begründet, wenn der Schuldner den Anspruch ernsthaft bestreitet (BeckOK ZPO/Bacher, 46. Ed. 1.9.2022, ZPO § 259). Auch diese Voraussetzung ist angesichts der Einwendungen der Beklagten unzweifelhaft gegeben. 

    Werden im laufenden Rechtsstreit, zukünftige Ansprüche fällig, die in einem Antrag nach § 259 ZPO erfasst worden sind, hat das Gericht über diese entstandenen und fällig gewordenen Zahlungsansprüche zu entscheiden, ohne dass es hierzu einer Änderung des Klageantrags bedurfte (vgl. so auch bei BGH, Urteil vom 4. Mai 2005 ‒ VIII ZR 5/04 ‒, Rn. 10, juris)

    II.

    Die Klage ist unbegründet.

    Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer festgelegten Haushaltsführungsschadensrente für den Zeitraum ab dem 01.01.2022 aus § 115 VVG (§§ 7, 17, 18 StVG), §§ 249 ff. BGB, §§ 842, 843 BGB.

    Die Ersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach, die unfallbedingten Schäden der Klägerin aus dem streitgegenständlichen Fußgänger-Pkw-Unfall vollumfänglich ersetzen zu müssen, steht zwar nicht im Streit. Auch wäre grds. ein etwaiger Haushaltsführungsschaden, wenn er tatsächlich und konkret noch unfallbedingt besteht, zu ersetzen. Bei den Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles ist aber ‒ entgegen der Ansicht der Klägerin ‒ keine wiederkehrende, abstrakte Rente des Haushaltsführungsschadens mehr auszusprechen.

    Haushaltsführungsschäden entstehen solange und im Umfang, wie der Verletzte ohne die Verletzung Haushaltsführungsleistungen für sich und/oder andere erbracht hätte, jedoch verletzungsbedingt nicht mehr in der Lage zu erbringen ist (BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 842 Rn. 267). Mit zunehmendem Alter werden typischerweise die (hypothetisch) selbsterbrachten Tätigkeiten zugunsten einer Inanspruchnahme von Hilfen Dritter ‒ entgeltlich oder unentgeltlich ‒ zurückgehen, möglicherweise sogar ganz wegfallen (BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 842 Rn. 267). Entsprechend kann dem fortschreitenden Alter die Schadensersatzrente der Höhe nach gestaffelt sein, ggf. bis zum völligen Wegfall (BeckOGK/Eichelberger, 1.12.2022, BGB § 842 Rn. 267). Die Rente wegen Beeinträchtigung in der Haushaltsführung kann nicht (wie idR beim Erwerbsschaden) auf das 65./67. Lebensjahr begrenzt werden (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 27. Aufl. 2022, BGB § 842 Rn. 119). Es gibt insoweit keine allgemeingültige Altersgrenze (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 27. Aufl. 2022, BGB § 842 Rn. 119; OLG Celle DAR 2020, 625). Mit Rücksicht auf eine altersbedingte unfallfremde Herabsetzung der Leistungsfähigkeit und voraussehbare Mitarbeit anderer Familienangehöriger (zB nach Verrentung) wird in Teilen der Rechtsprechung bei dauerhafter Beeinträchtigung und langer Restlaufzeit daher ein Ende des Anspruches mit dem ca. 75. Lebensjahr angenommen (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 27. Aufl. 2022, BGB § 842 Rn. 119; BGH VersR 1974, 1016; OLG Hamm NJW-RR 1995, 599; OLG München BeckRS 2021, 4579; LG Köln SP 2014, 86). Sollte jenseits dieser Altersgrenze die häusliche Arbeitskraft weiterhin unfallkausal beeinträchtigt sein, ist dies über einen (allgemeinen) Feststellungsantrag zu sichern (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 27. Aufl. 2022, BGB § 842 Rn. 119). Trägt der Geschädigte zu seiner körperlichen Verfassung entsprechend vor, kann im Einzelfall der Endzeitpunkt auch jenseits des 75. Lebensjahres liegen (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 27. Aufl. 2022, BGB § 842 Rn. 119; OLG Koblenz DAR 2017, 198; OLG Köln BeckRS 2016, 5976).

    Im vorliegenden Fall ist zu sehen, dass die Klägerin mittlerweile 92 Jahre alt ist, sich die Wohnsituation und Haushaltslage seit dem Unfallereignis verändert hat, nämlich zunächst durch den Umzug von einem Haus in eine Wohnung und nunmehr durch den weiteren Umzug in den Haushalt des Sohnes. Ferner ist zu sehen, dass sich die Lebenssituation der Klägerin mittlerweile durch auch unfallunabhängige Erkrankungen und des fortgeschrittenen Alters neben der veränderten Wohnsituation komplett verändert hat. In Ansehung der neuen Wohnsituation, nebst „Betreuung“ durch den Sohn und der unfallunabhängigen, erheblichen Krankheiten hätte es der Klägerin oblegen, darzulegen, welche konkreten Tätigkeiten im Haushalt unfallbedingt nicht mehr vorgenommen werden können und diesen Schaden konkret monatsweise geltend zu machen. Angesichts des mit dem Gesundheitszustand zu erwartenden Besonderheiten und Veränderungen ist jedenfalls ein schematisches Feststellen eines dauerhaften Zustandes für einen absehbaren Zeitraum nach Auffassung der Kammer nicht mehr möglich. Einhergehend fehlt es an den Voraussetzungen, unter denen eine abstrakte Rente zuzusprechen wäre.

    Nach alledem wird die Klage abgewiesen.

    III.

    Die geltend gemachten Nebenforderungen (vorgerichtliche RVG-Kosten nebst Zinsen) waren mangels begründeter Hauptforderung ebenfalls nicht zuzuerkennen.

    IV.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 281 Abs. 3, 709 ZPO.

    V.

    Der Gebührenstreitwert wird gemäß §§ 42 Abs. 1, Abs. 3 (3,5 x 2.000,00 € + 1.000,00 € „Rückstand“), 43 GKG auf 7.500,00 € festgesetzt.