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  • · Fachbeitrag · Prozessrecht

    Das müssen Sie zur Belehrung des Betroffenen im Bußgeldverfahren wissen

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    | Wie muss der Betroffene im OWi-Verfahren belehrt werden? Und was gilt, wenn die Belehrung nicht oder nur unzureichend erfolgt ist? Der Beitrag greift diese Fragen auf und beleuchtet die mit der Belehrung zusammenhängenden Fragen näher. |

     

    Übersicht 1 / Belehrungspflicht

    Frage
    Antwort
    • 1. Woraus ergibt sich die Belehrungspflicht?

    Die Belehrungspflicht folgt aus §§ 55, 46 OWiG in Verbindung mit § 136, § 163a Abs. 1 StPO.

    • 2. Wann muss der Betroffene belehrt werden?

    Der Betroffene muss bei der schriftlichen oder mündlichen Anhörung über seine Rechte belehrt werden (§ 55 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 136 Abs. 1 StPO; siehe weiter unten bei Ziffer 9, 12).

    • 3. Entsprechen die Regelungen nach dem OWiG den Anforderungen an die Belehrung des Beschuldigten im Strafverfahren (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn. 3405 ff.)?

    Nein. Es bestehen Unterschiede.

    • 4. Worüber muss der Betroffene im Bußgeldverfahren belehrt werden?

    Nach § 55 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 136 Abs. 1 S. 2 StPO muss der Betroffene nur darüber belehrt werden, dass es ihm nach dem Gesetz freisteht, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (vgl. zum Schweigerecht BGHSt 51, 367 = NJW 07, 2706; grundlegend BGHSt 38, 214, 229).

     

    Praxistipp | Gem. § 55 Abs. 2 S. 1 StPO muss der Betroffene nicht darüber belehrt werden, dass er schon vor seiner Vernehmung einen Verteidiger beauftragen kann. Entfallen können auch die Belehrungen nach § 136 Abs. 1 S. 3 bis 5 StPO ‒ Stichwort: Erleichterte Verteidigerkonsultation und Beweiserhebungen (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn. 3405 ff.).

    • 5. Muss dem Betroffenen der vorgeworfene Sachverhalt mitgeteilt werden?

    Ja, dieser muss zumindest in groben Zügen mitgeteilt werden. Das ergibt sich aus § 55 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 163a Abs. 3 S. 2, § 136 Abs. 1 S. 1 StPO (vgl. BGH NStZ 12, 581 = StV 13, 485).

    • 6. Muss die Polizei den Betroffenen auf die in Betracht kommenden Vorschriften hinweisen?

    Nein. § 163a Abs. 4 S. 2 StPO verweist nicht auf § 136 Abs. 1 S. 1 StPO, maßgeblich ist insoweit allein § 163a Abs. 4 S. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1, § 55 OWiG (vgl. dazu BGH NStZ 12, 581).

    • 7. Gilt das auch für die Bußgeldstelle?

    Nein. § 163a Abs. 3 StPO i. V. m. § 55 OWiG verweist nämlich auch auf § 136 Abs. 1 S. 1 StPO.

    • 8. In welchem Verfahrensstadium muss der Betroffene belehrt werden?

    Der Betroffene muss bei der schriftlichen oder mündlichen Anhörung über seine Rechte belehrt werden (§ 55 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 136 Abs. 1 StPO).

     

    Praxistipp | Die Belehrungspflicht besteht bei einer Anhörung als Betroffener. Deshalb ist die Belehrung obligatorisch, wenn ein OWi- oder Ermittlungsverfahren bereits förmlich eingeleitet worden ist (BGH NStZ 15, 291 = StraFo 15, 114).

    • 9. Wann muss die Belehrung im Verlauf der Anhörung/Vernehmung erfolgen?

    Der Betroffene ist nach den Feststellungen zu seiner Identität vor Beginn der eigentlichen Vernehmung zu belehren, also noch nicht auf dem Weg zur Vernehmung (OLG Stuttgart 28.4.09, 2 Ss 747/09). Zuvor gemachte Angaben sind aber ggf. als Spontanäußerung verwertbar (

    vgl. Übersicht 2, Ziffer 7).

    • 10. Ist es erforderlich, dass ein Verfahren förmlich eingeleitet wurde?

    Nein, ein Ermittlungsverfahren kann auch konkludent eingeleitet werden (BGHSt 38, 214; BGH NStZ 15, 291 = StraFo 15, 114 = StV 15, 337).

     

    Praxistipp | Entscheidend für die Rolle des Betroffenen ist ebenso wie für die Rolle des Beschuldigten im Strafverfahren, dass die Ermittlungsbehörde eine Maßnahme getroffen hat, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild darauf abzielt, gegen jemanden strafrechtlich vorzugehen (BGH NJW 97, 1591; zum Begriff des Beschuldigten s. Burhoff, EV, Rn. 1041 ff. m. w. N.; vgl. auch Gübner in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., 2018, Rn. 428).

    • 11. Kann sich die Betroffeneneigenschaft auch aus den objektiven Umständen ergeben?

    Ja, das ist möglich, z. B. wenn der Betroffene zur Wache mitgenommen wird bzw. werden soll (vgl. BGHSt 51, 367 = NJW 07, 2706 für Durchsuchung im Strafverfahren).

    • 12. Wann ist der Betroffene auf jeden Fall zu belehren?

    Der Betroffene muss über seine Rechte auf jeden Fall belehrt werden, wenn Tatsachen die Annahme einer Täterschaft nahelegen (BGHSt 37, 48, 51; 38, 214, 228; NJW 97, 1591; BayObLG NZV 05, 494). Maßgeblich ist die Stärke des Tatverdachts. Dabei wird den Ermittlungsbehörden/-beamten ein Beurteilungsspielraum zugebilligt (BGHSt 51, 367 = NJW 07, 2706; BGHSt 53, 112 = NJW 09, 1427).

    • 13. Ergibt sich z. B. aus der Frage des Beamten nach dem Führen eines Kfz bei einem vermuteten Drogenkonsum ein hinreichend bestimmter Tatverdacht?

    Ja, davon wird i. d. R. auszugehen sein (OLG Celle VA 12, 174, a. A. OLG Zweibrücken VA 10 195; vgl. auch die Fallgestaltungen bei OLG Nürnberg VA 14, 65 [Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort] und LG Saarbrücken VA 14, 50 [Trunkenheitsfahrt]).

    • 14. Wie ist mit der Belehrungspflicht gegenüber dem Halter eines Kfz bei einer Kennzeichenanzeige umzugehen?

    Insoweit gilt:

     

    Ergibt sich aus der Akte, dass das Fahrzeug gewerblich genutzt wird (z. B. Taxi oder juristische Person als Halterin), dann ist der Befragte i. d. R. Zeuge. Dann muss er nach § 52 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG belehrt werden, ggf. auch über das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG.

     

    Bei einem privat genutzten Kfz drängt sich die Annahme auf, dass der Halter das Fahrzeug im Tatzeitpunkt geführt hat. Der Halter ist deshalb in diesem Fall in aller Regel als Betroffener zu belehren (wie hier LG Koblenz NZV 02, 422; AG Bayreuth NZV 03, 202; offengelassen von OLG Oldenburg VRS 88, 286). Als Zeuge ist der Halter eines Privatfahrzeugs indes zu vernehmen, wenn z. B. auf dem Messfoto eine Person abgebildet ist, die wegen des Alters oder des Geschlechts zweifelsfrei nicht der Fahrer gewesen sein kann.

      

    Übersicht 2 / Verwertungsverbot

    Frage

    Antwort

    • 1. Welche Rechtsfolgen ergeben sich, wenn der Betroffene nicht bzw. unzureichend belehrt worden ist?

    Die Frage ist in Rechtsprechung und Literatur nicht abschließend geklärt. Gestritten wird insbesondere darum, ob sich daraus ein Verwertungsverbot ergibt.

    • 2. Ist die Rechtsprechung des BGH zu einem Beweisverwertungsverbot bei einem Verstoß gegen § 136 Abs. 1 S. 2 StPO entsprechend anwendbar (zu dieser Rechtsprechung grundlegend BGHSt 38, 214, 228)?

    Der BGH hat die Frage in BGHSt 38, 214 ausdrücklich offengelassen.

     

    Praxistipp | M. E. wird man die Rechtsprechung des BGH aber entsprechend anwenden müssen. Die Interessenlage für den Betroffenen ist im Bußgeldverfahren dieselbe wie für den Beschuldigten im Strafverfahren (vgl. dazu a. KK-OWiG/Lutz, § 55 Rn. 16; Burhoff in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 5. Auflage, 2015, § 5 Rn. 293; Burhoff/Gübner, OWi, Rn. 431 ff. m. w. N.; Brüssow, StraFo 98, 294; Hecker NJW 97, 1833; Burhoff, VA 13, 16; OLG Bamberg VA 19, 15; a. A. Göhler, NStZ 94, 71).

    • 3. Wer trägt das Risiko von Zweifeln an einer ordnungsgemäßen Belehrung?

    Das Risiko trägt der Betroffene (BGHSt 38, 214, 224; 39, 349, 352; a. A. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 136 Rn. 20 m. w. N.).

    • 4. Wie wird im Verfahren geklärt, ob der Betroffene ordnungsgemäß belehrt worden ist?

    Nach Auffassung des BGH (StV 07, 65) sind die Umstände der Belehrung ggf. im Freibeweisverfahren zu klären, weil es sich um eine Prozesstatsache handele (BGH, a. a. O.; s. auch BGHSt 38, 214, 225; NStZ 97, 609).

    • 5. Wie ist ein ggf. bestehendes Verwertungsverbot geltend zu machen?

    Der Betroffene bzw. dessen Verteidiger müssen der Verwertung in der Hauptverhandlung ausdrücklich widersprechen (BGHSt 51, 367 = NJW 07, 2706; BGH NStZ 09, 702; OLG Hamm VA 09, 174; grundlegend BGHSt 38, 214, 225).

    • 6. Gilt die Widerspruchslösung des BGH auch im Bußgeldverfahren?

    Ja, sie gilt auch dort (OLG Oldenburg VRS 88, 286; Burhoff/Burhoff, OWi,

    Rn. 593 ff.; Burhoff, VA 13, 35; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2019, Rn. 3470 ff.; wegen der Einzelheiten Burhoff, VA 13, 35).

     

    Praxistipp | Unterbleibt der Widerspruch, kann der Verstoß gegen die Belehrungspflichten im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr gerügt werden (BGHSt 38, 214).

    • 7. Erfasst ein ggf. bestehendes Verwertungsverbot auch sogenannte Spontanäußerungen des Betroffenen?

    Nein. Spontanäußerungen des Betroffenen werden von einem Verwertungsverbot nicht erfasst. Insoweit bestand nämlich keine Belehrungspflicht.

     

    Praxistipp | Der Verteidiger muss im Verfahren aber immer sorgfältig prüfen, ob es sich z. B. bei Angaben des Betroffenen gegenüber Polizeibeamten tatsächlich um Spontanäußerungen gehandelt hat (vgl. dazu Burhoff/Gübner, OWi, Rn. 443). Wird die Vernehmung des Betroffenen mit einer sog. „Vorbefragung“ eingeleitet, hat die Befragung zur Sache bereits begonnen, Angaben des Betroffenen sind keine Spontanäußerungen mehr. Es liegt also ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht mit einem sich daraus ergebenden Beweisverwertungsverbot vor.