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  • · Fachbeitrag · Personenschaden

    Die Kunst des Abfindungsvergleichs: Das müssen Sie wissen (Teil 1)

    von VRiOLG Hans-Günter Ernst, Düsseldorf

    | Die Abfindung des Personenschadens ist eine komplexe Aufgabe. Sie verlangt von dem Anwalt größte Sorgfalt. Die folgenden Übersichten zeigen, was zu beachten ist. |

     

    Übersicht 1 / Vergleichsabschluss

    • Der Abfindungsvergleich ist ein gegenseitiger Vertrag im Sinne des § 779 BGB. Es gelten die allgemeinen Regeln über Rechtsgeschäfte (insb. §§ 104 ff.; 119, 123, 138 BGB).

     

    • Bei Vormundschaft oder Betreuung wegen Geschäftsunfähigkeit (z. B. bei Schwerstverletzten) ist die Genehmigung des Familien- bzw. Betreuungsgerichts einzuholen (§ 1908i, § 1822 Nr. 12 BGB: entfällt nur bei einem Streitwert bis zu 3.000 EUR), wenn nicht das Gericht den ‒ maßgeblichen ‒ Vergleichsvorschlag gemacht hat. Dies gilt auch, wenn ein Elternteil (eines volljährigen Kindes) zum Betreuer bestellt wurde. Für eine teleologische Reduktion ‒ unter Heranziehung von § 1643 BGB ‒ ist kein Raum (OLG Köln VersR 18, 999: Abfindungsvergleich über 1,65 Mio. EUR).

     

    • Das Berufen auf die Unwirksamkeit des Vergleichs verstößt auch dann nicht gegen Treu und Glauben, wenn der Betreuer die Vergleichssumme angenommen und für den Betreuten verwandt hat (OLG Köln a. a. O.).

     

    • Fehleinschätzungen liegen grundsätzlich im Risiko der Vertragsparteien. Die Sittenwidrigkeit eines Abfindungsvergleiches kann daher nicht aus Umständen hergeleitet werden, die dem VR bei Abschluss des Vergleichs nicht bekannt waren (OLG Dresden VersR 17, 1404).

     

    • Ob der Vergleich gerichtlich oder außergerichtlich geschlossen wird, ist für den Geschädigten i. d. R. praktisch nicht bedeutsam, weil gegen den HaftpflichtVR üblicherweise keine Zwangsvollstreckung notwendig ist. Beachten Sie dazu § 796a, § 794 Abs. 1 Nr. 1, § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO.
     

    Übersicht 2 / Abfindungsvergleich ohne Vorbehalt

    • Wirkung gegenüber dem VR: Hat der Geschädigte sich eindeutig auf die endgültige Abgeltung seiner Ansprüche für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus dem Schadensfall eingelassen, sind grundsätzlich jegliche Nachforderungen gegen den VR ausgeschlossen. Das gilt auch, wenn sich der Schadensverlauf anders entwickelt, als bei Vergleichsabschluss eingeschätzt (BGH NJW 84, 115; OLG München 14.9.18, 10 U 629/17)

     

    • Verzichtet ein VN im Abfindungsvergleich auf zukünftige Ansprüche gegen einen Dritten (HaftpflichtVR des Unfallgegners), kann hierin gegenüber seinem privaten KV eine ‒ zur Leistungsfreiheit führende ‒ Obliegenheitsverletzung i. S. v. § 86 Abs. 2 S. 1 VVG liegen. Bei einem Prozessvergleich ist dabei hinsichtlich des Verschuldens gem. § 85 Abs. 2 ZPO auf den Prozessbevollmächtigten des VN, nicht auf den VN selbst abzustellen (LG Saarbrücken r+s 19, 32).

     

    • Wirkung gegenüber gesamtschuldnerisch haftenden Dritten (423 BGB): Im Zweifel hat der Erlass nur Einzelwirkung (BGH NJW 00, 1942). Allerdings kann ein vorbehaltloser Abfindungsvergleich des durch einen Verkehrsunfall Verletzten mit dem HaftpflichtVR des Unfallgegners ggf. Ersatzansprüche wegen Fehler der die Verletzung behandelnden Ärzte umfassen und der Geschädigte dadurch diese Ansprüche verlieren (OLG Düsseldorf VersR 02, 54; LG Marburg 19.9.14, 5 O 53/09).
    • Vergleich mit einem einzelnen Gesamtgläubiger (§ 429 Abs. 3 BGB). Der HaftpflichtVR wird jedenfalls Wert auf eine Formulierung legen, wonach durch den Vergleich auch Ansprüche des Geschädigten gegen mögliche Gesamtschuldner abgegolten sind. Er will nicht noch mit Ausgleichsansprüchen (§ 426 Abs. 1 BGB) konfrontiert werden, wenn er die Abfindungssumme gezahlt hat.

     

    • Außergerichtliche Anwaltskosten werden regelmäßig neben dem vereinbarten Abfindungsbetrag geschuldet, auch wenn dies nicht ausdrücklich vereinbart worden ist (LG Hanau ZfSch 16, 621; Engelbrecht, DAR 09, 447). Äußerst vorsorglich ist die Ersatzpflicht der Anwaltskosten in den Vergleich mit aufzunehmen.

     

    • Übergegangene Ansprüche: Von der Abgeltungswirkung des Abfindungsvergleichs werden grundsätzlich nur diejenigen Ansprüche erfasst, über welche der Geschädigte bei Vergleichsabschluss noch verfügen konnte.

     

      • Der Geschädigte ist nicht aktivlegitimiert für die schon im Unfallzeitpunkt nach §§ 116, 119 SGB X auf Sozialversicherungsträger übergegangenen Ansprüche.

     

    • Beispiel: Der Anspruch der Witwe gegen den Schädiger auf Ersatz für die Mitarbeit ihres getöteten Ehemannes im Haushalt ist mit der Witwenrente sachlich kongruent i. S. d. § 116 SGB X. Er geht deshalb auf den RVT über (OLG Saarbrücken SP 13, 394).

     

      • Anders kann dies sein bei (späterer) Lohnfortzahlung gem. § 6, § 7 Abs. 1 Nr. 2 EntgFG ‒ bei einem Vergleich auch über den Erwerbsschaden (zu einer Hinweispflicht des VR: LG Bremen 29.4.14, 7 O 2228/12) sowie bei noch nicht erfolgten Leistungen des privaten KVR bei einem Vergleich auch über Heilbehandlungskosten gem. § 86 VVG. Insoweit gehen die Ansprüche jeweils erst bei Zahlung des Arbeitgebers bzw. des KVR über.
    • Sonderfall: Bei Sozialleistungen (z. B. Kosten der Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen nach SGB III: OLG Hamm 30.3.15, I-3 U 26/14), die nicht aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden, ist für den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs nach § 116 SGB X maßgebend, dass nach den konkreten Umständen des Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist (BGH NJW 94, 3097; NJW 12, 3639).
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    • Beachten Sie | Sie müssen die sachliche und zeitliche Kongruenz bei jeder Drittleistung prüfen.

     

    • Nachforderungen sind nur ausnahmsweise möglich, vornehmlich unter dem Aspekt von Treu und Glauben (§ 242 BGB), bei Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB: regelmäßige Folge aber nicht Nichtigkeit, sondern nur Anpassung des Vergleichs) sowie einer nachträglichen gravierenden Äquivalenzstörung (BGH NJW-RR 08, 649).

     

    • Erhebliche Äquivalenzstörung: Es kommt nicht (nur) auf die Frage der Angemessenheit an. Entscheidend ist auch, ob der Geschädigte das Risiko für eingetretene Veränderungen übernommen hat (vgl. etwa LG Kaiserslautern ZfS 05, 336: Opfergrenze nicht überschritten bei Vergleichssumme von 375.992,88 DM gegenüber 636.201 DM; OLG Dresden VersR 17, 1404).

     

    • Keine Störung der Geschäftsgrundlage liegt vor, wenn der Geschädigte das Risiko übernommen hat, dass die bei Abgabe der Erklärung durch Drittleistungsträger (Blindengeld: BGH NJW-RR 08, 649) erbrachten Leistungen aufgrund einer (unvorhergesehenen) Änderung der Gesetzeslage künftig gekürzt werden. Das gilt bei einem Fehlen von Vorbehalten auch, wenn beide Vergleichsparteien davon ausgegangen sind, dass die ‒ später gekürzte ‒ Drittleistung Bestandteil der dem Geschädigten unfallbedingt zufließenden Ausgleichsmittel war und der Schädiger diese Leistung sogar im Regresswege zu erstatten hatte! Anders hingegen bei einem gemeinsamen Irrtum über die Berechnungsgrundlagen (Fehlen der Geschäftsgrundlage von Anfang an gemäß § 313 Abs. 2 BGB). Dort erfolgt keine Risikozuweisung (BGH NJW-RR 08, 1716). Der Geschädigte kann daher verlangen, dass der Vergleich angepasst wird.
    • Musterformulierungen:
    • „Die Beklagte zahlt an den Kläger (weitere) … EUR, zuzüglich eines Betrags von … EUR an Rechtsanwaltsgebühren. Mit der Zahlung dieser Beträge erklärt sich der Kläger wegen seiner sämtlichen Ansprüche aus dem Schadensfall vom … gegen die Beklagte (ggf.: sowie deren Versicherungsnehmer/Dritte) endgültig und vorbehaltlos für abgefunden. Von dieser Erklärung werden insbesondere auch alle bereits entstandenen, erkennbaren und nicht erkennbaren, alle vorhersehbaren und nicht vorhersehbaren und alle künftigen auch unerwarteten Ansprüche erfasst.“
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    • „Zur Abgeltung des Unfallereignisses vom ... zahlt die Beklagte an den Kläger einen Betrag von … EUR. Damit sind sämtliche materiellen und immateriellen Ersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte und irgendwelche dritte Personen, die als Gesamtschuldner in Betracht kommen, abgegolten und erledigt. Die Abgeltung umfasst auch alle künftigen Schäden, seien sie vorhersehbar oder unvorhersehbar, erwartet oder unerwartet. Der Kläger tritt hiermit alle Ansprüche, die ihm aus dem Unfall vom … etwa gegen dritte Personen, die als Gesamtschuldner in Betracht kommen, zustehen, an die Beklagte ab; diese nimmt die Abtretung hiermit an.“