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  • 25.10.2010 | Unfallschadensregulierung

    Zum Anscheinsbeweis bei Kollision in einer angeblichen Reißverschluss-Situation

    Auch bei Anwendung des Reißverschlussverfahrens trifft den Fahrer, der den Fahrstreifen wechselt, die gesteigerte Sorgfaltspflicht nach § 7 Abs. 5 StVO. Gegen ihn kann der Beweis des ersten Anscheins sprechen (AG Dortmund 23.2.10, 423 C 12873/09, Abruf-Nr. 103256).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der Bekl. befuhr die rechte, der Kl. die linke Spur einer zweispurigen innerörtlichen Straße. Die linke Spur endet am Punkt x und wird von dort ausschließlich als Linksabbiegerspur weitergeführt. Der Übergang der linken (Geradeaus-)Spur in die rechte Fahrspur wird durch Pfeile auf der Fahrbahn und Fahrbahnmarkierungen (gestrichelte Linienführung) angezeigt. Als der Kl. mit seinem Pkw von der linken auf die rechte Spur wechselte, kam es zur Kollision (Kl. hinten rechts, Bekl. vorne links). Der Kl. will rechtzeitig geblinkt haben, zum Fahrzeug des Bekl. habe eine Lücke von ca. 6 m bestanden. Als er, der Kl., habe hineinfahren wollen, habe der Bekl. Gas gegeben.  

     

    Nach Anhörung beider Fahrer hat das AG dem Kl. nur 20 Prozent zugesprochen. Ihm falle ein unfallursächliches Verschulden zur Last, während der Bekl. nur aus der Betriebsgefahr hafte. Unabwendbar (§ 17 Abs. 3 StVG) sei die Kollision für den Bekl. allerdings nicht gewesen (wird näher begründet). Einen verkehrswidrigen Spurwechsel bejaht das Gericht nach Anscheinsbeweisregeln. Die Typizität hat es quasi unterstellt, um dann auf die Frage einzugehen, ob der Kl. den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis erschüttert habe. Das sei nicht der Fall. Die Entlastungsbehauptungen (Blinken, Lücke, Beschleunigen des Bekl.) seien allesamt unbewiesen. Es sei auch nicht so, dass § 7 Abs. 4 StVO (Reißverschluss) dem Kl. ein Recht zum Spurwechsel gegeben habe. Auch wer im Reißverschlussverfahren die Spur wechsele, sei von der strengen Sorgfaltspflicht nach § 7 Abs. 5 StVO nicht freigestellt.  

     

    Praxishinweis

    Sturkopf versus Vordrängler - dieser Konflikt mag zwar durchaus typisch sein. Die Frage ist aber, ob ein typischer Geschehensablauf als unerlässliche Basis für einen Verschuldensanscheinsbeweis in einer angeblichen Reißverschluss-Situation angenommen werden kann. Bei einer Kollision im Rahmen eines „einfachen“ Spurwechsels ist die erforderliche Typizität meist gegeben (s. aber auch OLG Celle SVR 08, 259). Aber in einer Verkehrssituation mit atypischem Spurverlauf und der Möglichkeit, dass das Reißverschlussverfahren hineingespielt hat? Wer wann vor wem Vorrang hat, ist hier allenfalls in der Theorie klar.