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  • · Fachbeitrag · Reparaturkosten/Totalschaden/Restwert

    Abgebrochene Reparatur: Was nun?

    | Während der Reparatur kam es zu Schwierigkeiten. Werkstatt und Kunde haben einvernehmlich entschieden: Reparatur beenden, stattdessen Ersatzkauf. Und jetzt „steckt der Karren im Dreck“. Der Leser fragt: Kann der Versicherer jetzt den Totalschaden „wählen“? Wenn ja, mit welchem Restwert? Was ist mit der begonnenen Reparatur? Lesen Sie nachfolgend die Antworten auf diese Fragen. |

     

    Frage: Ein Kunde verunfallte mit seinem Fahrzeug, es ist ein Haftpflichtschaden mit voller Haftung bei der Gegenseite. Der Wiederbeschaffungswert (WBW) betrug 19.500 Euro, der Restwert laut Gutachten (mit drei örtlichen Angeboten) 6.000 Euro. Die Reparaturdauer war mit 14 Tagen veranschlagt. Die Reparaturkosten betrugen laut Gutachten etwa 16.000 Euro. Der Kunde wollte sein bewährtes Fahrzeug behalten. Wir haben die Ersatzteile bestellt und die Zerlegung begonnen. Dabei haben wir auch ein Teil der Seitenwand herausgeschnitten, das laut Gutachten zu erneuern war. Alsbald kamen die Ersatzteile, nur die Seitenwand war nicht dabei. Die Prognose des Herstellers (wir sind Werkstatt der Marke) lautete: Lieferung in etwa acht Wochen. Unter den Umständen wollte der Kunde dann doch ein anderes Fahrzeug. Einvernehmlich haben wir die begonnene Reparatur beendet und dem Kunden einen sofort lieferbaren Wagen verkauft. Nun will der gegnerische Versicherer auf Gutachtenbasis abrechnen. Die begonnene Reparatur gehe ihn nichts an. Ist das richtig? Ein weiteres Problem: Der Händler, der die 6.000 Euro als Restwert geboten hat, will das Fahrzeug im derzeitigen Zustand nicht mehr nehmen.

     

    Antwort: Im Ergebnis hat Ihr Kunde nicht repariert. Daher ist es richtig, dass der Versicherer auf Totalschadenbasis abrechnet. Aber damit allein kommt er nicht davon.

    Prognose- und Werkstattrisiko trägt der Schädiger

    Der Kunde durfte sich auf das Schadengutachten verlassen. Das Prognoserisiko, das hier bei der Reparaturdauer zugeschlagen hat, trägt bekanntlich der Schädiger. Ihr Kunde hätte also trotz der durch den Ersatzteilrückstand verlängerten Ausfallzeit reparieren lassen dürfen. Denn das Werkstattrisiko trägt auch der Schädiger. Dann wären dem Versicherer die Ausfallkosten für den gesamten Zeitraum zur Last gefallen, vorausgesetzt, er wäre gemäß § 254 Abs. 2 BGB gewarnt worden.

     

    Alternativberechnung mit Berücksichtigung der Ausfallkosten

    Vor diesem Hintergrund hat sich Ihr Kunde schadenmindernd verhalten, als er seine Reparaturentscheidung revidierte und die Möglichkeit des zügigen Ersatzkaufs wählte. Die Kosten der bereits begonnenen Reparatur zuzüglich eventuell bei der Ersatzteilrückgabe entstandener Kosten wird der Versicherer jedenfalls insoweit übernehmen müssen, als sie niedriger sind als der vermiedene Ausfallschaden.

     

    Restwert: Recht hin, Recht her, jetzt pragmatisch vorgehen

    Dann ist da noch die Frage des Restwerts: Der 6.000 Euro-Bieter kann tatsächlich nicht mehr in die Pflicht genommen werden:

     

    • Zum einen kann nicht davon ausgegangen werden, dass er so lange an sein Angebot gebunden ist.
    • Zum anderen hat er auf das Fahrzeug im unfallursächlichen Zustand geboten, in dem es nun nicht mehr ist. Vielleicht basierte sein Angebot ja auf einem von ihm geplanten Reparaturweg mit einer Instandsetzung der Seitenwand.

     

    Also müssen neue Angebote eingeholt werden. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, könnte es aus pragmatischen Gründen sinnvoll sein, über den örtlichen Markt hinaus unter Offenbarung des derzeitigen Zustands die Vermarktung zu versuchen, gegebenenfalls sogar unter Einschaltung des Versicherers. Vielleicht löst sich das Problem dann von allein, weil sich noch ein Bieter für 6.000 Euro oder mehr findet.

     

    Wenn nicht, muss der Versicherer den niedrigeren Wert akzeptieren, denn Ihr Kunde hat die Situation nicht verschuldet. Sie ist eine Folge des Prognose- und des Werkstattrisikos.

    Hätte es eine Alternative gegeben?

    Sucht man nach anderen Varianten, könnte man auf folgende zwei Möglichkeiten kommen:

     

    Fahrzeug reparieren und dann in Zahlung geben

    Wenn der Geschädigte bei Fällen mit Reparaturkosten unterhalb des WBW, aber oberhalb des Wiederbeschaffungsaufwands (= WBW minus RW) vollständig und fachgerecht in einer Werkstatt gegen Rechnung reparieren lässt, gibt es anschließend keine sechsmonatige Haltefrist (BGH, Urteil vom 5.12.2006, Az. VI ZR 77/06; Abruf-Nr. 070295).

     

    Der Versicherer hätte also die Reparaturkosten ebenso erstatten müssen wie den Ausfallschaden, auch wenn Ihr Kunde das Fahrzeug danach in repariertem Zustand in Zahlung gegeben hätte.

     

    Beachten Sie | Aber einerseits wollte Ihr Kunde ja nicht so lange warten. Und andererseits wäre dabei die Gesamtrechnung aus Kundensicht nur aufgegangen, wenn Sie das Fahrzeug trotz der umfangreichen Reparatur zum WBW, den es vor dem Unfall hatte, angekauft hätten. Ob das dann für Sie noch ein „Geschäft“ gewesen wäre, können wir nicht beurteilen. Das hängt von der Vermarktbarkeit ab.

     

    „Tricksen“ geht nicht

    Was zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, wäre folgende Masche: Der Kunde hätte das andere Fahrzeug gleich nach Entdecken des Problems gekauft und Sie hätten „auf eigene Rechnung“ das verunfallte Fahrzeug repariert. Denn dann hätte der Kunde das Fahrzeug (abzustellen ist auf ihn als Geschädigtem) ja gerade nicht reparieren lassen. Dabei hätte auch eine Abtretung des Anspruchs auf Erstattung der Reparaturkosten nichts genutzt. Denn diesen Anspruch gibt es dann nicht, weil die Reparatur nicht für den Kunden erfolgte. Einen Anspruch, den es nicht gibt, kann der Kunde auch nicht abtreten.

     

    Beachten Sie | Eine „an die Situation angepasste Darstellung“ wäre ein schlichter Betrug, und dazu einer mit hoher Entdeckungswahrscheinlichkeit, weil der Kunde ja das andere Fahrzeug vor Reparaturende auf sich zugelassen und versichert hätte.

    Wie wäre das beim Kaskofall?

    Unterstellt, das wäre ein Kaskofall gewesen, wäre das Gutachten und damit die Reparaturdauerprognose aus der Sphäre des Versicherers gekommen. Darauf hätte sich Ihr Kunde auch verlassen dürfen, denn einen Rechtsgrundsatz, dass er seinem Versicherer vorsichtshalber misstrauen müsse, gibt es nicht.

     

    Allerdings gäbe es dabei das Argument des schadenmindernden Verhaltens nicht, denn der letztlich vermiedene Ausfallschaden wäre keine vom Versicherer zu tragende Position gewesen. Die entstandenen Mehrkosten wegen der begonnen Reparatur könnten also nicht mit dem vermiedenen Ausfallschaden „verrechnet“ werden.

     

    Da wäre es sinnvoll gewesen, sich mit dem Versicherer wegen der weiteren Vorgehensweise abzustimmen. Die entstandenen Mehrkosten wegen der begonnenen Reparatur hätten dem Versicherer nämlich nicht ohne weiteres angelastet werden können. Der Kunde hatte die Wahl zwischen Reparatur und Ersatzbeschaffung. Und er hat gewählt. Dass er sich „verwählt“ hat, ist sein Risiko.

     

    Auch unter dem Gesichtspunkt eines Verzugschadens sähe es schlecht aus. Verzug setzt Verschulden voraus, und das Gutachten aus der Sphäre des Versicherers ist nicht schuldhaft falsch. Denn der konnte die Lieferschwierigkeiten noch weniger vorhersehen als Sie als Werkstatt der betreffenden Marke.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Beitrag „Unvorhersehbar längere Lieferzeit für Neuwagen“, UE 2/2014, Seite 3
    • Textbaustein 365: Unvorhersehbar längere Lieferzeit für Neuwagen
    • Beitrag „Die Rechte Ihrer Kunden bei verzögerter Ersatzteilbeschaffung und Notreparatur“, UE 7/2009, Seite 11
    Quelle: Ausgabe 03 / 2014 | Seite 12 | ID 42516461